Kapitel 12/2

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„Ich freue mich so sehr dich zu sehen, liebste Anni.", begrüßte mich Candy freudestrahlend mit einem französischen Akzent. Dabei ließ sie ihre Koffer fallen und schloss mich in eine feste Umarmung. Ich hatte sie vermisst, das stand fest.
„Und ich erst dich zu sehen. Du hast dich irgendwie verändert."
„Ja, ich trage jetzt roten Lippenstift und dieses überaus teure Parfum, dass mir Kyle zu Weihnachten geschenkt hat. Paris ist so schön, ich könnte für immer dort bleiben.", schwärmte sie.
„Ich weiß, das hast du mir bereits am Telefon gesagt.", erinnerte ich sie.
„Gruppenkuscheln!" Ein weiteres Paar Arme schloss sich um uns und mir wurde fast die Luft aus den Lungen gequetscht.
„Niall!"
Doch dann schloss sich noch jemand an, dessen blonde Haare mich vermuten ließen, dass es sich um Kyle handelte und ich musste mich ergeben.
„Wer braucht schon Luft wenn er euch hat?", fragte ich niemand bestimmten.
„Eben.", hörte ich Rob von weiter weg, der sich aber nicht unserer Umarmung anschloss sondern seine neue Ratte auf der Schulter fütterte. Ich hatte das alles vermisst und das wurde mir in diesem Augenblick erst richtig bewusst. Als ich zum ersten Mal hier ankam, hätte ich nie geglaubt, dass ich mich hier so wohl fühlen würde.

"Übrigens habe ich mich von zuhause aus mit einem alten Freund in das System der Schule eingeheckt. Wir haben die Archive durchsucht, aber niemanden gefunden dessen Name Annabelle ist.", erzählte uns Rob dann darauf bedacht, dass niemand in der Nähe war, der uns hören konnte. 

"Wow, du Rebell.", scherzte Candy und schlug ihm spielerisch auf den Arm.  Er zuckte nur mit den Schultern als wäre es keine große Sache, aber das war es. Wir wussten zumindest, dass es mit keiner Schülerin hier zu tun hatte. Das war gut, aber andererseits brachte uns das wieder zum Anfang.

"Ich dachte, wenn ich ein Computergenie kenne, sollten wir das auch ausnutzen."

***

Nach dem ersten Schultag, der sich nicht so wie erwartet in die Länge zog, wurde ich jedoch von einem Wachmann abgeholt, der mich zur Direktorin bringen sollte. Candy warf mir einen skeptischen Blick zu, aber ich hatte wirklich keine Ahnung was ich ausgefressen haben sollte, dass ich zur Direktorin musste. Innerlich ging ich meine Schritte des ganzen Tages noch einmal durch, konnte aber nichts Gravierendes finden. Also trottete ich dem Wachen mit ungutem Gefühl im Magen bis zur Tür der Direktorin nach. Diese begrüßte mich bereits bei der Tür und bot mir in der kleinen Kochnische ein Glas Wasser an. Ich nahm es an, aber konnte beim besten Willen nichts davon trinken.  Sie hatte wahrscheinlich keine Lust das Erbrochene eines Teenagers von ihrem Boden aufzuwischen.

„Setzen sie sich bitte, meine Liebe.", forderte sie mich höflich auf und deutete auf den Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand. Sie sah nicht gerade wütend aus, weshalb ich vermutete, dass ich nichts angestellt hatte.
„Danke."
„Sie fragen sich sicher warum ich sie heute in mein Büro bestellt habe." Als ich nickte, schenkte sie sich selbst ein Glas Wasser  aus der Karaffe ein, die am Tisch stand und sprach weiter.
„Nun, ich hätte da nur ein paar Fragen an dich. Eine reine Vorsichtsmaßnahme natürlich wegen den Anschlägen. Wir müssen jedem Hinweis auf den Grund gehen und dabei wärst du uns eine große Hilfe." Ich wusste bestimmt nicht, wie ich ihnen weiterhelfen konnte. Alles was passiert war hatte ich bereits gesagt als die Ermittlerin da war. An den schaurigen Fund zurückzudenken, brachte mich immer noch etwas auf. 
„Was meinen sie damit? Verdächtigen sie mich etwas damit zu tun zu haben?", fragte ich vorsichtig. 
„Natürlich nicht. Die Ermittlungen sind geheim, aber wir haben eine heiße Spur durch einen Hinweis, den der oder die Täterin hinterlassen hat. Also werde ich dir jetzt ein paar Fragen stellen, die du mir bitte ehrlich beantwortest."

Wenigstens kamen sie voran um den Täter oder die Täterin zu finden. 

„Ok. Ich habe nichts zu verbergen."
Sie fragte mich über meine ganze Familie aus und ich beantwortete alles so genau wie möglich. Die gleichen Sachen hatte ich bereits der Ermittlerin erzählt, aber wenn sie es so haben wollten, dann spielte ich mit. Ich wusste zwar nicht was meine Eltern oder irgendjemand anderes aus meiner Familie mit den Anschlägen zu tun haben sollte, aber ich konnte auch nichts weiter machen als zu helfen. Ihr Blick war unergründlich, so als hätte sie sich eine Maske aufgesetzt. Ich konnte absolut gar nichts darin lesen, weshalb es meine Hände etwas schwitzig machte.
Als sie mit den Familienfragen endlich fertig war und sich auch jedes kleinste Detail in ihrer Mappe notiert hatte, fragte sie mich was ich über das Königshaus wusste. Natürlich erzählte ich ihr dass ich eigentlich fast gar nichts darüber wusste. Tatsächlich wusste ich bis vor kurzem noch nicht einmal dass es eine Königin der Schattenschwingen gab.
„Weißt du etwas über die Blutsschwestern?"
Diese Frage verneinte ich und wurde es langsam leid ausgefragt zu werden. Mein Gehirn ratterte die ganze Zeit und versuchte sich irgendetwas zusammen zu reimen. Wie ich in das ganze Bild passte und wer es auf die Schule abgesehen hatte. Ich lehnte mich im Stuhl zurück, wurde aber wieder aufmerksam als die Direktorin eine ganz seltsame Frage stellte.
„Bist du vielleicht adoptiert worden?"
„Wie kommen Sie denn darauf? Natürlich nicht.", sagte ich entrüstet.
Ob das der Wahrheit entsprach wusste ich nicht genau, da ich auf die Aufrichtigkeit meiner Eltern vertraute. Sie hätten es mir gesagt wenn ich adoptiert worden wäre. So etwas konnte man nicht verschweigen. Natürlich waren die Haare meiner Eltern aschblond und meine von Natur aus schwarz, aber das war kein Grund zu glauben, dass ich nicht ihre Tochter war. Am Blick der Direktorin konnte ich sehen, dass sie mir diesmal nicht glaubte und ich atmete tief durch. Sollte sie doch denken was sie wollte. Ich war die ganze Zeit ehrlich.
„Sie hätten es mir gesagt, wenn es so wäre."
„Nun gut. Das war es für heute.", sagte sie schließlich und klappte ihre Mappe zu. 

Ich nahm schnell meine Tasche und machte mich auf ihr Büro zu verlassen. Wie konnte es sein, dass sie mich noch verwirrter machte? Konnten die Attentäter nicht endlich gefasst werden? 

„Anni?", rief sie mir noch hinterher als ich gerade die Türschnalle drückte und lächelte plötzlich freundlich.
„Sie haben Blutgruppe 0 und ihre Eltern AB. Auch du müsstest wissen wenn du im Unterricht aufgepasst hast, dass das von Natur aus nicht funktioniert.Das bedeutet, dass bei einer Kombination vom dominanten A- oder B-Merkmal mit dem rezessiven 0-Merkmal, immer die Blutgruppen A und B dominieren und über den Blutgruppen-Typ entscheiden." 

Damit versetzte sie mir einen unsichtbaren Fausthieb. Meine Hände begannen zu zittern und ich drehte mich um, um so schnell wie möglich aus dem Büro zu kommen. Egal wohin, nur weg von dieser Lügnerin. Natürlich wusste ich das es biologisch unmöglich war, aber es konnte nicht stimmen, dass ich adoptiert worden sei. Ich gehörte in diese Familie. Ich war ein Teil davon.

Aber der Bluttest den ihr gemacht habt...
Mein Gewissen war so eine Bitch. Ich war verwirrt und eilte auf mein Zimmer. Nichts was sie mir sagte, konnte wahr sein. Was wusste sie schon über mich? Vielleicht war ich die einzige Ausnahme auf der das mit dem Blut nicht zutraf. Vielleicht hatten sie mein Blut falsch ausgewertet oder vertauscht. Solange mir nicht meine Mutter persönlich sagte, dass ich nicht ihre leibliche Tochter war, waren die Anschuldigungen nicht wahr. Und ich musste mir nicht den Kopf darüber zerbrechen.
Aber das war nicht so einfach getan wie gesagt. Denn obwohl ich alles aus meinem Kopf verbannte, brannten mir die Augen und ich musste mich zusammen reißen nicht in Tränen auszubrechen. Mit zusammen gebissenen Zähnen holte ich mir eine Flasche Blut aus dem Kühlschrank und schmiss mich ins Bett. Candy war noch nicht da, so hatte ich das Zimmer für mich alleine und erwischte mich immer wieder wie ich in Gedanken abschweifte. Zu den Morden, den Blutsschwestern, von denen ich noch nie gehört hatte und natürlich meinen Eltern.
„Was hast du angestellt, du Bösewicht?", platzte Candy so stürmisch ins Zimmer, dass ich mein Handy in die Luft schmiss und es zuerst das Glas Wasser am Nachttisch umstieß und dann auf dem Boden landete. Ich fasste mir an mein schnell pochendes Herz und starrte sie wütend an. Es hatte gerade noch gefehlt, dass sie mich so erschreckte. 

„Ups." Ihr Lächeln erlosch und sie suchte schnell ein Handtuch um das Wasser vom Boden aufzuwischen. Dabei war sie so schnell, dass ich noch immer mein Herz festhielt und erst ein paar Sekunden später realisierte, was passiert war. 

„Ich wollte dich nicht so erschrecken. Aber was war los. Was wollte die Direktorin von dir?", fragte sie neugierig und setzte sich zu mir an die Bettkante.
Ich musste wieder an das Gespräch denken und spürte das Kratzen in meiner Kehle. Meine Augen begannen zu brennen und ich hielt ihrem Blick einfach nicht stand.
Als sie meinen Blick sah, veränderten sich ihre Züge und sie nahm mich sofort in den Arm. Sie wusste, dass es mir nicht gut ging. Die Tränen begannen zu fließen und unter Schluchzern erzählte ich Candy was passiert war. Sie hörte zu und baute mich auf. Sie war eine gute Freundin. Eine bessere hätte ich mir nicht wünschen können.

***

Shadow Creek 2 (Blutengel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt