Kapitel 12/1 »Er hat mich verlassen.«

808 58 3
                                    

★Kapitel 12/1

•°•

Ab diesem Zeitpunkt wandte Chris sich einfach von mir ab. Ab diesem Zeitpunkt sprach er kein einziges Wort mehr mit mir. Er sah mich weinend, bettelnd vor sich knien, aber ihn ließ es kalt.

Wie geahnt fing es an fürchterlich zu schütten. Der Himmel spiegelte meine Gefühle, brach in ein grausames Gedonner aus, entlud sich in starken, hellen, knisternden Blitzen und schüttete seine Tränen aus. Der kalte Regen durchnässte mich vollkommen bis meine durchtränkte Kleidung nur noch auf meiner Haut klebte. Ich schrie den Schmerz hinaus, weinte und schluchzte fürchterlich bis ich mich an einem Baum zu Boden sinken ließ. Die Ablehnung, die Chris mir entgegenbrachte, tat so weh, dass mein Herz in zwei Teile zersprang. Ich fühlte es, ich konnte es sogar hören. Ich saß lange draußen, bis die Dämmerung wich und die Nacht hereinbrach. So lange ich auch darüber nachdachte, ich wurde aus Chris' Worten nicht schlau.

Plötzlich legte sich ein warmer Arm um meine Schultern und ich versteifte mich. War meine Zeit bereits gekommen? Würde es mir wie Shanaya gehen und ich wurde ebenfalls so zugerichtet? Würden meine Eltern mich bald zu Grabe tragen? Mir schossen diese Gedanken durch den Kopf doch ich hatte keine Angst. Alles wurde doch wieder von den Worten übertönt, die Chris mir so kalt entgegen geschmissen hatte. Mir war es so egal, ob der Attentäter sein nächstes Opfer in mir gefunden hatte. Mir war es egal, ob ich bald nur noch eine kalte Leiche in einem Stück Holz war. Auch die kalten Regentropfen die mich ganz durchnässten interessierten mich nicht. Dafür schlug mein Herz zu laut in meiner Brust, weil es gerade gebrochen wurde.
„Anni, was ist passiert?", fragte Niall besorgt.
Als ich die vertraute Stimme wahrnahm, brach alles in mir zusammen. Ich ergriff die Hand, die mir geboten wurde und schmiegte mich schluchzend an den warmen Körper heran, der mir Halt bot. Niall hatte sich zu mir herabgesetzt und obwohl er ebenfalls nass wie ein Pudel wurde, meckerte er nicht herum. Im Gegenteil, er versuchte mir Halt zu geben und mich zu trösten.
Ich konnte lange nicht sprechen. Vielleicht wollte ich es einfach auch nicht wahrhaben. Denn wenn ich es aussprach, dann musste es Realität sein und dafür war ich noch nicht bereit. Ich drückte mich einfach an ihn, atmete seinen vertrauten Duft ein, und beruhigte mich langsam als die Tränen versiegten.
„Du musst es mir nicht sagen, Anni. Aber wir sollten langsam aus dem kalten Regen gehen.", flüsterte er mir zu während er mit der Hand beruhigende Kreise an meinem Rücken zog.
„Niall. Entschuldige, dass ich dein Hemd voller Schminke schmiere.", krächzte ich als ich mich langsam von ihm löste. Die schwarzen Stellen versuchte ich sofort mit der Hand weg zu reiben, doch es schien nicht zu helfen. Das Hemd musste ein Vermögen gekostet haben. So wie alle seine Sachen. Ich hörte ihn leise lachen und dann nahm er mein Handgelenk und schob es von dem Fleck weg.
„Darüber machst du dir Sorgen? Das schmeiß ich in den Müll und kaufe mir ein Neues. Aber du bist nur einmal da, Anni. Also lass mich mich jetzt um dich kümmern und nicht um ein blödes Hemd."
Ich versuchte ruhig zu bleiben und nicht gleich wieder in einen Heulkrampf auszubrechen. Also nickte ich und ließ mich von Niall aus dem Regen in sein Zimmer führen.
Niall setzte mich ins Bad, half mir beim Abtrocknen und gab mir eines seiner Shirts und eine Jogginghose ehe er mir sein Bett anbot. Ich war wie betäubt. Alleine hätte ich rein gar nichts tun können.

Später als ich nur noch die Leere in mir spürte und an die Decke starrte konnte ich nicht einschlafen. Ich wollte Niall sagen was los war. Mich faszinierte, dass er mich nicht gedrängt hatte ihm den Grund für meinen Zusammenbruch zu sagen. Er war die Neugier in Person und ich hatte ihn selten so rücksichtsvoll und ohne seine Scherze gesehen.
Außerdem tat es mir Leid, dass gerade er mich so gefunden hatte. Wir hatten gesagt, dass der Abstand uns gut tun würde. Dass Niall sich so entlieben konnte. Und wieder fand ich mich in seiner Nähe wieder. Genauer gesagt neben ihm in seinem Bett. Ich hörte ihn regelmäßig atmen und das entspannte mich ein wenig. Nichts war sicher oder für immer. Aber auf das stetige aus und einatmen konnte man sich verlassen. Auf Chris nicht.
Als ich die Stille nicht mehr aushielt, flüsterte ich in den stillen Raum.
„Er hat mich verlassen." Ob er es hörte oder nicht, war mir egal. Ich musste es einfach loswerden.
Ich hatte eigentlich gar keine Antwort erwartet aber nach einer Weile meldete er sich zu Wort.

„Dieser Mistkerl.", schimpfte er leise und drehte sich so auf die Seite, dass er mich ansehen konnte. Ich drehte mich ebenfalls zu ihm, sah ihn kurz an und machte meine Augen zu.
„Es war so plötzlich. Ich glaube er hat irgendwas kaputt gemacht.", wisperte ich und spürte einen Stich im Herzen.
„Er hat dich nicht verdient, Anni."
„Ich weiß.", murmelte Niall und fügte dann noch hinzu: „Schlaf ein wenig. Morgen trittst du ihm dann in die Eier."
Er strich mir eine Strähne hinters Ohr, ich atmete tief aus und dann war ich schon im Land der Träume.

•°•

Der Morgen kam viel zu früh. Ich wachte bereits um 5 Uhr auf und konnte nicht mehr einschlafen. Als ich Niall so friedlich neben mir schlafen sah, beschloss ich wieder zurück in mein Zimmer zu schleichen. Mittlerweile konnte ich wieder klarer denken und entschied mich zu gehen. Ich hatte ihn schon genug genervt. Er sollte sich nicht mit mir herumschlagen müssen, vor allem da er Gefühle für mich hatte. Womöglich glaubte er noch er hätte wieder ein Chance bei mir, nachdem Chris mich verlassen hatte. Obwohl, eine neue Freundin hatte er bereits gefunden. Vielleicht entwickelte er  schon Gefühle für sie. 
Seine Freundin wird es sowieso nicht gutheißen wenn sie erfährt, dass ich bei ihm geschlafen habe. Unter welchen Umständen auch immer.
Ich sah noch einmal zurück auf seine friedlich schlafende Gestalt und dann schlich ich mich zurück in mein Zimmer.

•°•

Die nächsten Wochen mied mich Chris am ganzen Gelände, wechselte den Schauspielkurs und sah mich nie wieder an. Ab diesem Zeitpunkt zersprang etwas in mir. Etwas so kostbares, dass niemand hätte wieder zusammenstückeln können.
Mein Herz.
Und es tat weh. Es tat so unglaublich weh, dass ich dachte ich würde nicht mehr weiterleben können. Es tat so weh, dass ich dachte, alles sei besser als dieser Schmerz. Ein Dolch in meiner Brust wäre besser, als dieser Schmerz. Es zeriss mich und machte mich schwach. Ich beredete alles mit meinen Freunden. Sie waren mir ein großer Halt. Doch warum Chris sich so plötzlich von mir abwandte, konnte mir keiner erklären. Ich fand es komisch, dass die Wachleute kurz davor noch im Turm waren, aber ein richtiger Zusammenhang ließ sich daraus auch nicht schließen. Es wusste niemand so genau, was sie im Jungsturm taten.

Die Weihnachtsferien verbrachte ich zuhause. Weit weg von diesem Trott. Weit weg von all dem Chaos, dass in mir tobte. Zuhause musste ich nicht an all den Plätzen vorbei gehen, die mich an ihn erinnernten und ich konnte über ihn hinwegkommen. Ich sah Stephen einige Male, der mir im Supermarkt oder auf einer Party begegnete. Wir sahen uns nur an, aber sprachen nicht miteinander wofür ich dankbar war. Nach dem Angriff, im Internat wo er verletzt wurde war es igrnedwie komisch zwischen uns. Er erinnerte sich zwar nicht mehr daran, aber ich tat es. Candy schickte mir immer wieder süße Pärchenbilder von ihr und Kyle aus Paris. Sie waren das Traumpärchen schlechthin und manchmal fragte ich mich was gewesen wäre, wenn Chris mich nicht abserviert hätte. Aber nur manchmal. Er wollte, dass ich ihn vergaß und so sollte es sein. Ich war mit Jungs durch und ließ mir mein Leben nicht mehr von ihnen versauen.
Die festliche Stimmung zuhause ließ fast keine traurigen Gedanken zu. Und als es an der Zeit war für das zweite Semester, war ich bereit. 

•°•



Shadow Creek 2 (Blutengel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt