Kapitel 1 Tory

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Foto: Victoria Black

„Na los Tory! Es ist doch nur ein Sprung!" Bree zog an meinem Ärmel und ließ mir somit gar keine andere Möglichkeit, als ihr hinterher zu stolpern. Jules und Kira liefen vergnügt vor uns herum. Tess und Brian Händchenhaltend hinter uns.

„Was wen ich nicht springe?" fragte ich vorsichtig, als ich in die Tiefe des East Rivers blickte. Das Wasser war trüb, die Nacht dunkel und ich erahnte nicht was auf mich zukommen würde.

„Ach, stell dich nicht so an! Tory das sind mindestens vier Meter, du wirst schon nicht sterben." Bree stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite und ich konnte nicht anders, als mir vorzustellen, wie es wäre, wenn es keine vier Meter wären. Wie ich mit zerquetschtem Schädel auf dem Flussgrund liege und das noch vor meinem zwanzigsten Geburtstag! „Lass sie doch Bree. Wenn sie nicht will ist das doch in Ordnung." Tess sah stirnrunzelnd zu mir, wie ich an das Geländer gelehnt da stand und nicht wusste was ich machen sollte. „Natürlich wird sie springen! Wir alle sind gesprungen, jetzt muss sie es auch!" Kira meldet sich zu Wort: „Bree hat Recht. Wir sind alle gesprungen und wir haben es alle überlebt. Das war unser Bündnis. Auf ewig verbunden, wie der East River fließt. Selbst Brian ist gesprungen." Jules pflichtete ihr bei und nickte immer wieder mit dem Kopf, hörte nicht mehr auf. So wie es aussah, hatte sie auch ein wenig zu viel getrunken. Ständig hatte sie einen anderen Becher in der Hand gehabt und immer zwei Jungen an ihrer Seite. Aber wer konnte es ihr verübeln? Mit ihrem blonden Locken und den strahlend blauen Augen war sie einfach das typische Idealbild eines jeden Jungen.

„Sie muss springen!" Bestimmt stemmte Bree die Hände in die Hüften und sah mich auffordernd an, so als wolle sie dass ich einfach hier und jetzt sprang, was ironischerweise genau das war, was sie wollte. Ich wollte das nicht. Kein bisschen, dennoch setzte ich einen neutralen, kühlen Blick auf und sah Bree herausfordernd an. „Was ist wenn ich es nicht mache?" fragte ich erneut. Bree sieht mir lange in die Augen. Ich weiß nicht ob sie die Angst vor dem Sprung in ihnen erkennen kann, aber schon kurz darauf fängt sie plötzlich an zu grinsen.

„Wenn du nicht springen willst, dann gäbe es da noch eine andere Alternative." Sie ließ den Satz ausklingen und langsam begriff ich was sie da sagte. Erleichtert atmete ich aus. Ich musste nicht springen, das allein zählte. Schnell trat ich einen Schritt von der Brüstung weg, um diesem Albtraum so schnell wie möglich zu entfliehen. Erwartungsvoll blickte ich sie an und wartete darauf, dass sie mir meine Aufgabe nennen würde. „Weißt du Tory, wir alle mussten unsere Angst überwinden, hier hinunter zu springen, da finde ich es nur fair, wenn auch du dich deiner größten Angst stellen musst." Freundschaftlich legte sie mir einen Arm um die Schulter. Panisch ging ich all meine Ängste in sekundenschnelle durch. Schlangen, enge Räume und-

„Du wirst dich auf einer Datingseite anmelden und mit dem Ersten, der sich meldet ausgehen." Prüfend sah Bree mich an und hob ihre perfekt gezupfte Augenbraue. Dates. Eine Angst die mich seit der Middle-School verfolgte. Damals stand ich auf Ryan McAdams, der Zwei Klassen über mir war und wohl der beliebteste Junge seiner Jahrgangsstufe. Als ich ihn dann damals nach einem Date gefragt hatte, hatte er nur gelacht und mich gefragt ob das mein Ernst sei. So wie es aussah, stand Ryan McAdams nicht auf Zahnspange tragende Mädchen, die ständig damit beschäftigt waren, ihre Brille auf die Nase zu schieben. Seitdem hatte ich sämtliche Jungen und Dates gemieden und Bree hatte Recht, wenn sie das als wohl eine meiner größten Schwächen erkannte. Gespannt blickten mich Bree, Brian und Tessa an. Jules war ein paar Meter weiter getänzelt und schien uns gar keine Beachtung mehr zu schenken.

„Tory?" drängte Bree. Sollte ich? Ich meinte, wie schlimm konnte das denn werden? Also nickte ich schnell, ehe ich mich noch um entschied. Bree kreischte auf und warf sich mir in die Arme. Über ihre Schulter hinweg sah ich Tessa wie sie denn Kopf schüttelte und mich ernst dabei musterte. Oh Gott, worauf hatte ich mich da nur eingelassen.

Ich hatte gedacht, dass ich mir mit der Datingseite noch etwas Zeit lassen konnte, aber bereits um neun Uhr morgens klingelte Bree an der Haustüre. Für einen Sonntag war das mehr als nur ungewöhnlich für Bree, denn meistens feierte sie samstags bis in die Nacht hinein und verschlief den halben Sonntag. Seufzend öffnete ich ihr die Tür schon wissend, was nun auf mich zukommen würde. „Sind deine Eltern nicht zu Hause?" fragte sie mich. „Nein", antwortete ich ihr, während ich heißes Wasser aufsetzte. „Dad ist übers Wochenende auf Geschäftsreise und Mom bei Tante Emma."

Schließlich setzten wir uns mit Tee, Schokoladenkeksen und Laptop auf mein Bett und suchten im Internet nach einer geeigneten Seite. Mir war etwas flau im Magen, wenn ich daran dachte, was wir gerade machten. Wir meldeten mich auf einer Seite für verzweifelte Singles an! Mit was für einem Mann musste ich dann wohl ausgehen?! „Also, hier findlove.com das klingt doch nach etwas!" Begeistert klickte Bree auf den Link, der uns zur Homepage einer Seite führte, die unglückliche Singles wieder glücklich machte. Ein Mann und eine Frau, die sich tief in die Augen sahen, zierten den Hintergrund und in dicken, roten Buchstaben stand quer auf dem Bildschirm „Find your Love". „Sieh mal, von Akademikern bis zu einfachen, liebevollen Männern." Las Bree laut vor. Ich stöhnte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Doch Bree klickte bereits weiter auf anmelden und im Nu tauchte ein riesen Fragebogen vor uns auf. „Also, Name: Victoria." Gab ich so selbstsicher wie möglich von mir, dennoch befürchtete ich, dass Bree das leichte Zittern in meiner Stimme bemerkte. Das war absoluter Irrsinn, was wir hier machten!
Bree stöhnte laut auf und verdrehte die Augen. „Gott, das klingt so langweilig! Du brauchst was abenteuerliches, wie Amber." Stirnrunzelnd sah ich sei an. „Was ist an einer Amber denn bitte abenteuerlich?" Doch Bree zuckte nur mit den Schultern, was mich wiederrum zum Seufzen brachte. Das Ganze war anstrengender als gedacht.

Nach gefühlten Stunden existierte auf findlove.com eine Tory, die 27 war (es war Brees Idee gewesen mich fast zehn Jahre älter zu machen, „So kriegst du die ganzen süßen Typen, die gerade mit dem Studium fertig sind" hatte sie gemeint.)und auf abenteuerliche Sachen, wie Bungeejumping und Klettern stand. Auch das war gelogen. Ich hasste Abenteuer. Im Grunde war auf diesem Profil eigentlich alles gelogen, bis auf meinen Namen. „Wir brauchen noch ein Foto!" rief Bree. Also suchten wir noch nach einem geeigneten Bild von mir, auf dem ich nicht unbedingt aussah wie eine neunzehn-jährige. Schlussendlich entschieden wir uns für eins, von meinem Mallorcaurlaub mit den Mädels. Bree hatte uns alle in diese Disco geschleppt und Jules hatte uns alle davor ausgiebig geschminkt. Ich mochte das Foto, meine Haare flossen in großen Wellen über meine Schultern und das weiße Strandkleid betonte meine damalige Bräune. Ich musste Bree insgeheim Recht geben. Auf dem Foto sah ich nicht aus wie neunzehn. Bree drückte die Entertaste und für einen kurzen Moment durchströmte mich die Begeisterung. Das hier war komplett verrückt, doch auf eine absurde Art und Weise machte es mir gerade unglaublich Spaß nicht Ich zu sein. Auf dieser Plattform war ich 27 und angehende Lehrerin.

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