Kapitel 21 Tory

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Er war verlobt. Oder eher verlobt gewesen. Und das nicht mit mir, schließlich war das heute nur ein Scherz. Oder? Seine Verlobte. Das klang so schön, aber es passte nicht zu mir. Ich war Schülerin und er ein erwachsener Mann. Oder?
Ich sah mir die Bilder an, von ihm und seiner Verlobten. Sie war eine blonde Schönheit, mehr brauchte man gar nicht sagen. Blonde, lange Haare und leuchtend grüne Augen. Mehr brauchte man über diese Violet nicht zu sagen. Nein. Gegen sie würde ich niemals ankommen. Zudem ich das genaue Gegenteil von ihr war. Braune Augen und Locken. Das war ich.
Ich gab ihren Namen einzeln in die Suchmaschine und schon tauchten tausende Fotos von ihr und Max auf. Und auf einem dieser Bilder erkannte ich eindeutig ihren Verlobungsring. Den Ring, den ich nun am Finger trug.  
Ich musste ihn ihm morgen zurückgeben. Oder? Konnte ich ihm wirklich gegenüber treten? Nachdem ich ihn so harsch zurückgewiesen hatte? Ich wusste genau was das richtige war und so fasste ich den Entschluss ihn den Ring zurückzubringen. Ich konnte ja zu seinem Labor gehen und es irgendjemanden geben, der den Ring zurück zu Max brachte. Das erschien mir sinnvoll und das Logischste.

Der nächste Tag ging grauenvoll für mich an. Tess hatte mir eine Matratze auf den Boden gelegt und so wachte ich mit Rückenschmerzen auf. Die Kopfschmerzen kamen kurz darauf und als ich dann in den Spiegel sah, war der Tag für mich gelaufen. Ich hatte noch immer die Sachen von dem gestrigen Tag an, die nun zerknittert waren und mein Gesicht sah seltsam blass aus. Der genaue Kontrast zu meinen roten Augen, die leicht zugeschwollen waren. Zu meinem Glück erkannte man das nur bei näherem hinsehen. Ich musste mir  also nur etwas Make Up ins Gesichts schmieren und denn Leuten nicht zu nah kommen. Und natürlich so tun, als wäre gestern perfekt gelaufen und nur Teil einer billigen Wette gewesen.
Doch als Tess mir ihr Make Up reichte, wusste ich, dass dieser Plan hinfällig werden würde. Tess hatte eindeutig  eine dunklere Hautfarbe als ich. Also fiel das schonmal weg. Dann musste ich heute also im Zombie Look zur Schule. Ich musste dringend noch nach Hause, um die Schuluniform zu holen, wenn ich noch in die Schule wollte. Also bat ich Tess mich kurz daheim rauszulassen, damit ich mich noch umziehen konnte. Kates Rock behielt ich in der Tasche, damit ich später noch zu Cant Enterprise gehen konnte. Während ich in Richtung Haustüre stürmte, kämmte ich mir mit den Fingern provisorisch durch das Haar. Verdammt! Ich würde aussehen wie eine tote Vogelscheuche! Falls man Vogelscheuchen als lebend bezeichnen konnte.Tess tippte bereits ungeduldig auf dem Lenkrad herum. Sie hasste es zu spät zukommen. Also bemühte ich mich so schnell wie möglich einzusteigen und mich anzuschnallen, doch da war sie schon losgefahren.
Wir kamen immer noch pünktlich zum Unterricht und bekamen somit die ersten organisatorischen Nachrichten unseren Abschlussprüfungen betreffend. In sieben Monaten ging es los. Sieben Monate, dann war die Schulzeit vorbei. Nur noch sieben Monate und wir würden alle in verschiedene Richtungen gehen, uns wahrscheinlich aus den Augen verlieren. Die Zeit verging eindeutig zu schnell. Es war bald aus. Die Gewissheit, dass ich meine Freunde dann nicht mehr sehen würde und die Geschehnisse von gestern ließen mir die Tränen in die Augen steigen. Dröhnende Kopfschmerzen machten sich bereit und ich konnte nicht anders als mein Gesicht kurz in meinen Händen zu vergraben. Bald war alles vorbei. Mit Max. Und Tess. Und Bree, Jules, wahrscheinlich würde ich selbst Martha unsere Kantinenköchin vermissen! Der Unterricht zog fad an mir vorbei und ich stand so langsam wie möglich auf, als es zur Pause klingelte. Ich versuchte den Moment auszukosten, aber an stinkenden Plastikstühlen gab es nichts, was man genießen könnte. Tess wartete bereits an der Tür auf mich. Also bemühte ich mich um einen neutralen Gesichtsausdruck und ging mit ihr zu den Spinden, wo die anderen bereits warteten.
"Gott Tory! Du siehst heute echt scheisse aus!" Meinte Kira, als sie mich umarmte. Ich versteifte mich leicht, was sie wahrscheinlich als Zeichen der Kränkung nahm, denn sie sah mich entschuldigend an. Aber mir war ein anderer Gedanke gekommen.
Dachte Max vielleicht auch, dass ich scheisse aussah? Doch noch ehe ich darüber nachdenken konnte, hackte sich Bree bei mir unter und meinte lachend: „Ach Quatsch! Das ist nur diese Uniform, die lässt eben jeden aussehen wie ein Dach Kartoffel." Auf dieses Kommentar hin lachten alle, doch ich zog nur müde meine Mundwinkel ein wenig nach oben. Ich ließ meinen Blick schweifen und bemerkte, das Tess mich ansah. Sie lag in Brians Armen und hatte die Stirn gerunzelt. Sie machte sich Sorgen. Verständlich. Nachdem ich gestern so kopflos bei ihr angerufen hatte und sie eine heulende Freundin abholen musste, die den Verlobungsring eine 30 jährigem trug, war es mehr als verständlich, dass sie sich Sorgen machte. Also zwang ich mir ein echtes Lächeln auf, dass sie leicht erwiderte, aber es tat seine Wirkung. Die restliche Pause sag sie nicht einmal zu mir.

Als die Glocke nach der neunten Stunde klingelte, wünschte ich fast, dieser öde Chemiekurs würde weitergehen. Ich zwang mich förmlich zu den Toiletten zu gehen und mich umzuziehen. Max brauchte seinen Ring wieder. Ich würde nur kurz reingehen, der Sekretärin geben und dann abhauen und nie wieder kommen. Nie wieder. Ich schluckte. Nie wieder.

Der Weg zu Cant Enterprise war relativ kurz, da Max es anscheinend bevorzugte sein Labor mitten in der Stadt zu haben. Ein monströses Gebäude aus spiegelverglasten Fenstern und einem schlichten, einfachen Schild sagten mir, dass ich hier richtig war.
Cant Enterprise. Nie wieder. Ich wiederholte mein Matts immer wieder, um nicht in das Gebäude hereinzustürzen und Max im Vergebung anzuflehen. Nie wieder. Ich atmete noch einmal tief ein, ehe ich das Gebäude betrat.
Das erste was ich wahrnahm war der leicht holzige Geruch, der mich absolut und total an Max erinnerte. Ja, ich war hier richtig. Ein großer offener Eingangsbereich in weiß mit hellblauen Sesseln, die an den Fenstern standen. Es war eine ziemlich schöne Eingangshalle. In einer Ecke stand ein großer Baum und direkt vor mir ein weißer Empfangstresen, mit einer blonden Frau dahinter. Ich straffte meine Schultern und ging mutig auf sie zu. Ganz kurz Tory, es dauert nicht lange. Nur ganz kurz, sagte ich mir. Leider sah die nette Sekretärin nicht sofort auf, weshalb ich mich laut räusperte. Erschrocken sah sie auf, wobei ihre Brille etwas runterrutschte. Sie war kaum älter als ich und umwerfend hübsch. Schon schossen mir eifersüchtige Gedanken durch den Kopf. Hieß es nicht immer das Chefs etwas mit ihren Sekretärinnen hatten? Hatte Max auch etwas mit ihr? Oder gehabt?
Ich brachte mich wieder zur Räson. Nein, ich war nicht deswegen gekommen. Also setzte ich mein nettes Lächeln auf und sah sie freundlich an.
"Entschuldigen Sie bitte, ich möchte etwas für Mr. Cant abge-"
Ihr Gesicht strahlte urplötzlich auf. "Ah, Si sind vom New Line Magazin! Sie sind etwas früher dran, aber das ist nicht so schlimm. Ich rufe ihn gleich. Wie ist denn Ihr Name, bitte?" Verwirrt sah ich sie an.
"Nein, nein. Ich bin nicht-" versucht ich zu erklären. Sie sollte ihn bloß nicht rufen!
"Ihr Name?"
"Victoria Black, aber hören Sie doch bitte-"
Doch da hatte sich die vermeintliche Sekretärin schon umgedreht und telefonierte.
Verdammt! Nein! So war das nicht geplant gewesen! Noch ehe ich irgendwelche Fluchtpläne schmieden konnte, ging jemand an das andere Ende der Leitung.

"Ah guten Tag, Mr. Cant, hier am Empfang steht die Journalistin des New Line Magazins Victoria Black, soll ich Sie zu Ihnen hoch schicken?"

If We TryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt