Kapitel 3 Tory

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Foto: Bree

Die Nachricht traf noch am selben Tag abends ein. Ich lag in meinem Bett, eine Lektüre in der Hand und nippte geistesabwesend an einer heißen Tasse Kamillentee, als ein lautes Blopp mich aufsehen ließ.
Der Bildschirm meines Laptops leuchtete hell auf und zeigte mir eine neue Nachricht an. Als ich näher heran trat, bemerkte ich auch, um welche Art von Nachricht es sich handelte.
Dateanfrage.
Geschockt riss ich die Augen auf. Wer hätte gedacht, dass das so schnell gehen würde. Ein Flattern machte sich in meiner Magengegend breit und ich musste schwer schlucken. Wer das wohl war. Langsam ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl gleiten und klicke auf den Anzeigebutton. Vor mir baut sich eine Seite eines Mannes auf, dessen blaue Augen das Erste sind, das mir auffiel. Dunkelblonde Haare, die wirr auf seinem Kopf lagen, einen leichten Bartwuchs und ein Grübchen an der unteren, rechten Seite seiner Wange. Alles in einem sah er unglaublich gut aus, dennoch bemerkte ich sofort, dass ich es hier nicht mehr mit einem 18-jährigen High-School-Schülern zu tun hatte. Das hier war ein erwachsener Mann mit einem ernsten Leben, der sich ernsthaft nach einer Frau umsah und ich hinterging ihn so gnadenlos. Das hatte er nicht verdient. Schuldgefühle machten sich in mir breit. Ich konnte diese Wette nicht eingehen. Er würde sofort bemerken, dass ich nicht die war, die ich vorzugeben schien und das würde zu einer gigantischen Katastrophe führen. Noch ehe ich mir genau sein Profil durchlesen konnte, kam bereits die erste Nachricht.

Hi

Mehr schrieb er nicht, oder getraute er sich nicht zu schreiben. Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe herum. Sollte ich das tatsächlich machen? Noch ehe ich falsch und richtig auseinanderhalten konnte, tippten meine Finger bereits ein einfaches

Hi

zurück. Oh Gott! Was hatte ich nur getan? Nervös sah ich auf den Bildschirm, bis eine neue Nachricht im Chat erschien.

Meine Name ist Max

Nicht mehr und nicht weniger. Max. Dieser Name passte zu ihm. Eigentlich passte kein anderer Name so gut zu ihm wie Max. Er sah einfach aus wie ein Max. Einer der einem die Hand hinhielt und sagte: „Hi mein Name ist Max."
Eine neue Nachricht.

Du bist Tory, nicht wahr?

Er benutze Satzzeichen. Daraus schloss ich, dass er ziemlich gebildet sein musste. Ich scrollte hoch und überflog sein Profil. Max Cant. 31 Jahre alt, Wissenschaftler, wohnte auch in New York. Ich antwortete ihm mit einem Ja und war kurz davor ihm zu schreiben, dass ich 19 geworden war, als mir einfiel, dass ich acht Jahre älter sein sollte. Also beließ ich es bei dem Ja und wartete auf seine Antwort.

In deinem Profil steht du magst Abenteuer.
Was hast du denn schon alles erlebt?

Ich schluckte. Improvisieren hatte noch nie zu meinen Stärken gehört, genauso wenig das Lügen.

Ich klettere gerne.

War das zu wenig? Sollte ich dicker auftragen?

Ich auch! Vielleicht können wir einmal zusammen klettern gehen.

Ich riss die Augen auf. Nein! Stopp! Ich wollte nicht mit einem Fremden klettern gehen, wo ich doch Höhe verabscheute. Ich bereute jetzt bereits was wir getan hatten. Was ich getan hatte. Wär ich doch damals nur einfach kurz in den Fluss gesprungen. Das wäre weitaus angenehmer als mit einem doppelt so alten Mann zu schreiben!

Ich kenne dich doch gar nicht

Schrieb ich, in der Hoffnung, dass er es dabei beließ.

Dafür sind doch diese Seiten da, um sich kennenzulernen...

Die Punkte am Ende seiner Nachricht ließen mich erneut hörbar schlucken. Sich kennenlernen. Was wenn hinter diesem Profil ein alter Pädophiler Mann steckte?

Schick mir ein Foto von dir

Den Trick hatte ich einmal in der Zeitschrift gelesen. Beweisfotos eines Gesichtes oder einer aktuellen Zeitung, zeigten dem Chatpartner meist die wahre Identität.

Wie bitte?

Ein Foto von dir und der heutigen Zeitung, damit ich weiß, dass du kein Pädophiler bist

Noch ehe ich weiter über die Worte nachdachte, schickte ich sie ab und bereite es bereits im nächsten Moment. Damit ich weiß, dass du kein Pädophiler bist?! Gott klang das armselig!

Ah verstehe. Einen Moment.

Ich wartete zehn Minuten auf ein Foto und dachte schon, dass ich tatsächlich auf einem falschen Profil gelandet war, als ein Foto im Chatverlauf ankam. Er sah genauso aus, wie auf seinem Profil, nur hielt er diesmal eine Zeitung vor seinen Kinnpartie. Verstrubbelte Haare, strahlend blaue Augen, die freundlich in die Kamera lächelten und der Ansatz eines leichten Bartes. Das Datum der Zeitung entsprach exakt dem heutigen und ich erkannte, dass dieser Mann tatsächlich so existierte und gerade mit mir schrieb!

Normalerweise schicke ich keine Fotos von mir um die Welt

Lautete seine nächste Nachricht. Ich kicherte leise vor mich hin. Mir hatte er ein Foto von sich geschickt. Das Gefühl des Triumphes durchfloss mich und ich konnte nicht anders als ihm darauf zu antworten.

Immerhin weiß ich jetzt dass du kein Pseudonym bist :)

Darauf antwortete er mit einem Lachsmiley.

Bekomme ich jetzt auch ein Foto von dir?

Das Triumphgefühl wich und die Panik machte sich in mir breit. Was wenn er erkannte, dass ich einfach nur log? Was würde er dann tun? War das strafbar?! Ich starrte minutenlang auf den Bildschirm als plötzlich eine neue Nachricht von ihm auftauchte.

Du musst nicht wenn du nicht willst

Ich nickte heftig mit dem Kopf, wohl wissend, dass er mich nicht sehen konnte, dennoch gab es mir das bestätigende Gefühl. Ich kannte Max kaum und er war um vieles älter als ich, dennoch spürte ich eine gewissen Zuneigung ihm gegenüber. Sein Stil wirkte reifer und erwachsener, wer konnte es ihm verdenken? Ich tippte ein

Danke

Das er mit einem einfachen

Bitte:)

Beantwortete. Wir schrieben noch eine ganze Weile, über seine Schwester, darüber dass ich noch zu Hause bei meinen Eltern wohnte (Anscheinends wohnen 27-jährige nicht mehr dort) und über die wohl beste Eissorte. Choco Choc mit Mandel. Wir beide liebten diese Sorte und er hatte mir von seinem Traum erzählt in dem er tonnenweise davon gegessen hatte. In meinem Zimmer wurde es zunehmend dunkler, als die Sonne draußen unterging und als ich nach gefühlt kurzer Zeit auf die Uhr sah, ging es bereits auf Mitternacht zu. Ich sah noch einmal auf den Bildschirm und musste daran denken, wie ich für eine gewissen Zeit in meine Traumwelt abgedriftet war. Ich war Tory gewesen und nicht Victoria. Ich war 27 und keine läppischen 19 Jahre und ich hatte jemand kennengelernt, der kein Pädophiler war und furchtbar attraktiv aussah. Aber ich wusste, dass diese Traumwelt Plätzen würde, denn spätestens morgen früh, wenn mein Wecker klingelte, müsste ich zur Schule und das würde mich unwiderruflich daran erinnern, dass ich nur Victoria war und Victoria datete keine gut aussehenden Typen. Schon gar keine, mit solchen schönen Augen.

Tory?

Noch einmal sah ich mir sein Profilbild an, prägte mir alles genauestens ein und klappte dann endgültig und bestimmend meinen Laptop zu.
Das endete hier.

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