Kapitel 30 - Das Feld

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Kapitel 30 - Das Feld

Unsanft werde ich weggeschleudert, als er mich durch die offene Tür in den Raum schubst. Ich falle und lande auf meinen dreckigen, wunden Knien, keuche vor Schmerz auf.
„Das war doch lustig, oder nicht, Püppchen?", fragt er lachend hinter meinem Rücken, ehe er die Tür lautstark zuzieht und mich alleine lässt.
Meine Atmung kommt stoßweise, während ich langsam auf allen Vieren durch den Raum krieche und mich in eine Ecke setze.
Schluchzend betaste ich meine Verletzungen, versuche spärlich den Schlamm von meinen Gliedern zu wischen, doch ich verschmiere ihn nur – es bringt nichts. Tränen brechen über den Rand meiner Augenwinkel, fließen über meine Wangen und tropfen schließlich braun und voll mit Schlamm von meinem Kinn, ehe sie sich in meinem Kleid verlieren.
Meine Nase läuft. Mein Herz schlägt rasend schnell in meiner Brust. Mein Körper glüht, nichts deutet darauf hin, dass ich vor wenigen Minuten noch in Eiseskälte gestanden habe. Mein Kopf dröhnt und mein Körper fühlt sich an, als wäre er in Watte gepackt und doch schmerzt mir jeder einzelne Knochen. Meine Augen fixieren nicht mehr, mein Blick ist verschwommen. Bei jedem Atemzug schmerzt meine Lunge.
Ich huste.
Halte durch", wispert Severus in meinem Kopf, doch ich verstehe ihn nicht. Nehme seine Worte nicht wahr. Kraftlos lasse ich mich zur Seite sacken, lege meine glühend heiße Stirn gegen den kalten Steinboden. „Du darfst nicht einschlafen!", ruft er lauter, aber es kümmert mich nicht. Ich möchte meine Augen zu machen, liegen bleiben und nie wieder aufstehen. Ich will, dass der Schmerz aus meinem Körper kriecht und mich verlässt.
Du stirbst!", brüllt er und ich habe nicht einmal die Kraft, zusammenzuzucken. Reglos bleibe ich auf dem Boden liegen.

„Da bist du ja", tadelt Severus mich und legt einen Arm um meine Hüfte, ehe er seine Nase in meinen Haaren vergräbt. Ich lege meine Wange an seine Brust, sauge seinen Duft in mich auf und schließe zufrieden meine Augen. „Ich habe dich vermisst." Seine leise Stimme vibriert in seinem Brustkorb, geht direkt auf mich über und schickt mir eine Gänsehaut über den Körper.
„Ich habe dich auch vermisst", hauche ich leise gegen seine dunklen Roben, lasse mich von seinem stetigen Herzschlag in Trance summen und genieße seine Wärme an meinem kalten Körper.
„Wollen wir ein Stück gehen?", fragt er leise, ehe er seinen Zeigefinger unter mein Kinn legt und meinen Kopf anhebt, sodass ich ihn ansehe. Seine schwarzen Augen taxieren mich und drücken so viel Liebe aus, dass mein Herz einen Salto schlägt.
Langsam stelle ich mich auf die Zehenspitzen und lege meine Lippen gegen seine schmalen, spüre sie mit jedem Millimeter meiner Haut und lasse mich von seinem himmlischen Duft in andere Sphären tragen. Ich fliege höher und höher, mit jeder Sekunde, die unsere Lippen sich umspielen.
Sein heißer Atem trifft mein Gesicht und ich stöhne glückselig, ehe er sich von mir löst, seine Stirn gegen meine lehnt und mir schwer atmend ein zaghaftes Lächeln schenkt.
Meine Hand sucht die seine, nimmt sie gefangen zwischen meinen Fingern und wir machen uns gemeinsam auf den Weg. Und das erste Mal blicke ich mich bewusst um.
Wir stehen auf einem Feld, das über und über mit leuchtenden Blumen bestückt ist. Rot, Gelb, Orange, Grün – saftige Farben strahlen mir im hellen Schein der Sonne entgegen.
„Es ist wunderschön", hauche ich ehrfürchtig, während mein Blick über die Landschaft schweift.
„Ja, das ist es", antwortet Severus und ich blicke ihn an. Sein Blick liegt auf mir, schaut mich ununterbrochen an und ich spüre, wie ich augenblicklich rot werde.
„Lass das", kichere ich, während meine Wangen brennen. Er gibt mir zur Antwort einen Kuss aufs Haar.
„Wo warst du?", fragt er nach einiger Zeit, die wir still nebeneinander her gegangen sind. Meine Füße spüren die Schritte, die wir gehen, nicht. Es ist beinahe so, als würde ich schweben.
„Ich war gefangen", gebe ich gleichgültig zurück und zucke mit den Schultern. „Monatelang."
„Aber jetzt bist du wieder hier", haucht er in mein Ohr, sein heißer Atem streicht meinen Nacken und beschert mir erneut eine Gänsehaut.
„Jaah", seufze ich und schließe genießerisch meine Augen, „jetzt bin ich wieder hier."
„Gut so." Gemeinsam laufen wir weiter, das Feld scheint kein Ende zu nehmen. Ich spüre keine Anstrengung, keinen Schmerz. Nur mein glückliches Herz, das Freudentänze in meiner Brust aufführt, und Severus' Hand in meiner.
„Und wo warst du?", frage ich leise, ein Lächeln auf dem Gesicht und den Blick in weite Ferne gerichtet. Ich war lange nicht mehr so glücklich, wie in diesem Augenblick.
„Ich habe dich gesucht." Schalk schwingt in seiner Stimme mit und ich kann mir ein Kichern nicht unterdrücken.
„Dann warst du ja offensichtlich erfolgreich", gebe ich zurück, als ich mich wieder gefangen habe.
„Mehr oder weniger." Ich blicke ihn an und lege meinen Kopf schief. Eine tiefe Furche ist zwischen seinen Augenbrauen entstanden, sein Blick ist ernst nach vorn gerichtet.
Eine ungute Ahnung macht sich in mir breit und Panik durchflutet meinen Körper.
„Bin-bin ich tot, Severus?", frage ich leise. Ich habe Angst vor der Antwort. Sein Gesicht dreht sich zu mir, Sorge und Leid steht in seinen Augen.
„Noch nicht." Zwei kleine Worte, die alles um mich herum zum Einsturz bringen. Das Feld und die Blumen verschwinden, die Sonne erlischt und sendet keinen warmen Sonnenstrahl mehr gen Boden.
„Was heißt das?" Meine Stimme schwirrt durch die Dunkelheit, nichts ist mehr zu erkennen. Außer Severus. Noch immer steht er angespannt vor mir, die Sorge auf seinen Gesichtszügen spricht Bände.
„Du musst aufwachen und kämpfen", sagt er leise und blickt mich durchdringend an. Seine schwarzen Augen fixieren mich, scheinen mir irgendetwas sagen zu wollen, dass er nicht aussprechen kann.
Und plötzlich setze ich mich in Bewegung, werde von ihm weggezogen. Hilflos stehe ich wie festgenagelt da und muss mit ansehen, wie er sich immer weiter von mir entfernt. Ich strecke meine Hand nach ihm aus, doch er bewegt sich nicht, kommt mir nicht nachgelaufen. Er starrt mich einfach nur an, noch immer dominieren Sorge und Leid sein Gesicht.
Alles um mich herum wird in Dunkelheit gesogen, bis nichts mehr übrig ist.

Quälend langsam öffne ich die Augen. Meine Wange liegt auf dem kalten Stein, mein Körper friert und zittert und brennt doch zugleich. Mühsam versuche ich, mich aufzurichten. Stütze mich mit meinen dreckigen Händen vom Boden ab, bis ich mit dem Rücken an der Wand sitze.
Ich atme tief ein – meine Lunge schmerzt. Keuchender Husten bahnt sich den Weg aus meinem Hals und für eine Sekunde denke ich, dass ich ersticke. Ich reiße meine Augen in Panik auf und versuche, Luft zu bekommen.
Noch immer glüht mein Körper und mein Herz rast. Die Entzündungen werden sich in mein Blut gekrochen haben. Der Aufenthalt in Hogsmeade wird mir den Rest gegeben haben. Ich sitze schwach und mit Lungenentzündung auf dem eisigen Steinboden, nichts weiter an, als mein zerrissenes Kleid.
Mit letzter Kraft ziehe ich meine geschundenen Knie zu mir, umfasse sie mit meinen Armen und lege meinen Kopf auf sie.

Komm, uns bleibt die Ewigkeit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt