Kapitel 28 - „Gib nicht auf!"
Der Zug an meiner Kopfhaut hört auch nicht auf, als er appariert. Seine Finger sind tief in meinen Haaren vergraben und der Sog, der mich an meinem Bauchnabel nach hinten zieht, zerrt an meinen Gliedern, streckt meine lädierten Knochen und presst meinen schmerzenden Körper zusammen.
Als wir endlich ausgespuckt werden, keuche ich erleichtert auf, sauge den kalten Sauerstoff in mich ein und versuche, den Schmerz weg zu atmen.
Kalter Wind umspielt meinen stechenden Körper, kühlt die brennende Wunde auf meinem Arm und lässt mich zittern. Es ist kalt. Zu kalt. Und als ob das nicht genug wäre, prasselt eiskalter Regen auf uns ein.
Langsam schaue ich an mir herunter. Ich bin bloß in mein zerrissenes Kleid gehüllt.
Der Wind frischt auf und so langsam beginnt jeder Zentimeter meiner nackten Haut, zu brennen. Das kalte Nass rinnt meinen Körper entlang, kriecht in jeden Winkel und lässt mich noch mehr zittern. Meine Haare kleben mir bereits jetzt schon am Kopf und durch den dichten Regen kann ich kaum etwas erkennen.
„Wo sind wir?", frage ich deshalb über das laute Rauschen hinweg, traue mich jedoch nicht, Rodolphus anzusehen.
„In Hogsmeade", flüstert er verschwörerisch. Augenblicklich ruckt mein Kopf zu ihm – ich muss gleich darauf die Augen zusammenkneifen, weil der Kopfschmerz seinen Weg zurück gefunden hat – und blicke ihn entgeistert an.
„Hogsmeade?", hauche ich und ich bin mir nicht sicher, ob wirklich ein paar Töne meine Lippen verlassen haben. Seit Monaten war ich nicht mehr so nah an Severus, wie jetzt. Rodolphus dreht sein Gesicht zu mir und grinst mich diabolisch an.
„Schauen wir mal, wie schnell dein geliebter Verräter ist", höhnt er, ehe er lautstark lacht und das Geräusch des Regens vertreibt.
Mit einem festen Stoß treibt er mich von sich, bringt mich zum Straucheln, sodass ich letztendlich in den vom Regen aufgeweichten Matsch falle.
Er brennt in den kleinen Wunden in meinen Beinen, verdreckt die wunden Stellen an meinen Knien und benetzt die noch nicht verheilten Buchstaben auf meinem linken Unterarm.
Regen prasselt von oben auf mich herab, erhöht die Schmach, in die ich gestoßen wurde und erfriert meinen Körper.
Schluchzend versuche ich, aufzustehen, ehe ich mich daran mache, den Dreck von meinen Wunden zu wischen. Mit zusammengebissenen Zähnen und einem Zischen, das mir entfährt, stelle ich jedoch wenige Sekunden später fest, dass es keinen Zweck hat.
„Du musst da fort", flüstert Severus leise in meinem Kopf, über den lauten Regen verstehe ich ihn beinahe nicht. Aber er hat recht. Wenn ich diese Chance nicht nutze, werde ich keine weitere mehr bekommen. Ich muss fliehen.
Rodolphus steht lachend hinter meinem Rücken, während ich den Kopf gesenkt halte und mit einem Seitenblick auf Hogwarts schaue. Hoch oben auf dem Hügel, mehrere hundert Meter entfernt, thront das riesige Schloss, das mein Zuhause ist. Selbst durch den starken Regen erkenne ich die Fackeln und Lampen, die es erhellen und durch die Fenster helle Lichtkegel auf das Schlossgelände werfen.
„Denk gar nicht dran, Püppchen", haucht Rodolphus in mein Ohr und ich zucke erschrocken zusammen. Ich habe nicht gemerkt, dass er an mich heran getreten ist. „Ich behalte dich im Auge." Eine Spitze drückt sich in meinen Rücken – sein Zauberstab. Eine unausgesprochene Drohung.
Doch ich muss es versuchen, diese einmalige Chance wahrnehmen.
„Nein!", zischt Severus. „Du wirst auf keinen Fall riskieren, dass er dich umbringt!" Ich schüttle kaum merklich den Kopf.
„Ich werde sowieso sterben, Severus", flüstere ich so leise, dass nur ich es verstehe.
„Das steht nicht fest", knurrt er und ich sehe seinen mörderischen Blick vor mir, sodass ich beinahe anfange, zu kichern. „Und deshalb wirst du kein Risiko eingehen, hast du mich verstanden?" Ich nicke.
„Los. Mach doch einen kleinen Spaziergang, Püppchen", höhnt Rodolphus in meinem Rücken, ehe er sich einige Meter von mir entfernt und in den Schatten der Dunkelheit verschwindet. Ich spüre seinen Blick noch immer auf mir. Er wird mich beobachten, egal was ich tue. Und ehe ich Hilfe geholt habe, wird mich ein Todesfluch niederstrecken.
Panik durchfährt mich. Was soll ich bloß tun?
„Lauf", befiehlt Severus hart und ich gehorche. Langsam setzen sich meine steifen Beine in Bewegung, waten durch den tiefen Schlamm. Ich hebe meinen Kopf, um wenigstens halbwegs erkennen zu können, wo ich mich befinde.
Unwirsch wische ich mir die durchnässten Strähnen aus dem Gesicht, versuche, nicht auf die Schmerzen in meinem Körper zu achten. Ich erkenne einige Häuser nicht weit von mir.
Offensichtlich befinde ich mich etwas außerhalb des Dorfes. Natürlich, Rodolphus würde nicht einfach mitten in Hogsmeade mit mir auftauchen.
Ich seufze, während sich meine Beine immer weiter durch den Matsch kämpfen. Jeder Schritt wird zu einem kleinen Marathon, den mein geschwächter Körper über sich ergehen lassen muss.
„Du schaffst das", flüstert Severus mir aufmunternd zu, doch ich kann seinen Worten nicht lauschen. Meine Beine geben unter mir nach und ich stürze erneut in den Matsch.
Meine Hände sinken tief in den braunen Schlamm ein, während ich mich schwer atmend abstütze.
„Ich kann das nicht, Severus", schluchze ich. Meine Tränen vermischen sich mit dem eiskalten Regen, rinnen mein Gesicht entlang und tropfen schließlich von meinem Kinn in den kleinen See vor mir.
Mein Herz hämmert angestrengt gegen meinen Brustkorb, jeder Knochen in meinem Körper schmerzt.
„Du musst!" Severus fleht, ist der Verzweiflung nahe. Und ehe ich ihm antworten kann, schlägt nicht weit vor mir ein grüner Blitz in den Schlamm.
„Los, Püppchen", ruft Rodolphus' körperlose Stimme aus der Dunkelheit. Ich ziehe meine Nase hoch, wische mir mit meinem dreckigen Handrücken über die Augen und versuche mit zusammengebissenen Zähnen, aufzustehen.
„Sehr gut, kleine Löwin." Ich atme schwer, mein Brustkorb hebt und senkt sich schnell, während ich mich aus dem Matsch befreie und barfuß weiterlaufe. Die flüssige Erde brennt in meinen Wunden, doch ich achte nicht auf sie. Ich muss das hier schaffen.
Langsam nähere ich mich den Häusern, in denen vereinzelt noch Lichter brennen. Verzweifelt strecke ich eine Hand aus, in der irrationalen Hoffnung, dass ich einfach eine Tür öffnen und mich in Sicherheit bringen könnte.
„Ruf um Hilfe." Severus' leise Stimme ist eindringlich.
„Was ist, wenn er mich dann tötet?", frage ich leise, schenke den Tränen, die noch immer über mein dreckiges Gesicht fließen, keine Beachtung.
„Das wird er nicht", knurrt Severus, „Er ist an Publikum interessiert." Ich habe Angst, aber ich höre auf ihn. Er hatte bisher immer recht. Selbst, als er mich weggeschickt habe.
„Hör auf, so etwas zu sagen!", ermahnt er mich mit harter Stimme, sodass ich zusammenzucke. Doch ich meine es genau so, wie ich es sage.
Er hatte recht, als er mich an Silvester abgewiesen hat. Ich habe ihn belogen. Monate lang. Immer und immer wieder. Ich hätte mit ihm sprechen sollen. Wegen des Seelenglases. Wegen Draco. Doch ich habe einfach meinen Mund gehalten – dachte, es wäre so besser.
Wie viel hätte ich verhindern können, wenn ich doch nur mit ihm gesprochen hätte?
„Nichts", knurrt er zur Antwort. „Der Bastard hätte dich trotzdem irgendwann geschnappt. In einer achtlosen Sekunde von mir. Wenn du alleine unterwegs gewesen wärst. Oder, wenn ich fort gewesen wäre. Du hättest das hier nicht verhindern können."
Vielleicht hat er recht. Vielleicht hätte Rodolphus einfach auf eine bessere Chance gewartet. Aber ich hätte uns nicht zerstört. Wir haben kein normales Wort miteinander gesprochen, ehe ich entführt wurde. Wir sind im Streit auseinander gerissen worden. Und ich weiß nicht, ob er mich überhaupt zurück haben will. Ob er mich überhaupt noch liebt.
„Hermine!", donnert er in meinem Kopf und ich ziehe instinktiv den Kopf etwas ein. „Wenn ich je wieder so etwas von dir höre, wird meine Wut auf den Bastard Lestrange nichts gegen die, die ich auf dich haben werde, sein. Ich liebe dich. Das werde ich immer. Vergiss das nicht."
Gegen Ende wurde seine Stimme etwas sanfter, doch der Respekt selbst vor seinem Abbild in meinen Gedanken ist enorm.
„Es tut mir leid", hauche ich in die Dunkelheit, beobachte die winzigen, grauen Wölkchen, die mein Atem in die kalte von Regen geschwängerte Luft malt.
Ich schüttle leicht den Kopf und blicke erneut vor mich, schaue, wo ich mich befinde. Ich habe die ersten Häuser passiert, humple hin und wieder durch seichte Lichtkegel, die auf den matschigen Weg fallen.
„Ruf. Um. Hilfe." Erneut befiehlt Severus mir und ich habe noch immer Angst. Aber auch erneut gehorche ich und leiste seinen Anweisungen folge.
„Hilfe", krächze ich so leise, dass es beinahe lächerlich wirkt. Meine Stimmbänder sind strapaziert, die Schmerzensschreie der Folter hängen noch immer in meinem Hals, sodass lauter sprechen oder gar schreien unmöglich scheint.
Ich fasse mir an meine schmerzende Kehle und räuspere mich leicht, doch ein Blitz durchfährt meinen Hals und lässt mich zusammenzucken.
„Hilfe." Meine Stimme ist noch immer nicht mehr als ein jämmerlichen Krächzen, das meine geschundenen Stimmbänder verhöhnt und mir zeigt, wie hilflos ich in Wirklichkeit bin.
„Überwinde dich!" Severus' drängende Stimme gepaart mit den Schmerzen in meiner Kehle bringen mich um den Verstand. Ich schließe meine Augen und versuche, Herr über meinen Körper zu werden und meine Gedanken zu ordnen. Panik hilft jetzt nicht weiter.
„Wie schön, dass du das genauso siehst, wie ich." Ich höre das Lächeln in seinen Worten und wünsche mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als oben im Schloss in seinen Armen zu liegen. Dem Regen und seiner Atmung zu lauschen und zufrieden einschlafen zu können.
Ein markerschütterndes Donnergrollen gefolgt von einem abartig hellen Blitz reißt mich aus meinen Wunschvorstellungen. Für den Bruchteil einer Sekunde werde ich so arg geblendet, dass ich meine Augen mit dem Arm abschirmen muss. Das Dorf vor mir wird in mystisches Licht gehüllt und da sehe ich es. Jemand steht draußen auf der Straße.
Meine Beine nehmen wieder an Fahrt auf, mein Mut und Willen sind erwacht. Wenn ich es schnell genug bis dahin schaffe, kann ich gerettet werden.
„Sehr gut, kleine Löwin", sagt Severus anerkennend und zufrieden in meinem Kopf, während ich unter enormer Kraftanstrengung immer und immer weiter durch den Matsch wate.
„Hilfe!", schreie ich durch den dichten Regen und meine Stimme lässt mich dieses Mal nicht im Stich, wird aber mit den dicken Tropfen hinfort gespült. „Hilfe!"
In einer ungeahnten Schnelligkeit bewegen sich meine halberfrorenen Beine durch die Nacht, mein Körper zittert haltlos. Doch ich achte nicht darauf, will nur so schnell wie möglich zu der Person, die dort stand.
Ein erneutes Donnern ertönt und lässt mich zusammenzucken, der Blitz, der kurz darauf folgt, erhellt mein Gesicht und die dunklen Häuser vor mir. Ich bin bereits ein gutes Stück voran gekommen.
„Hilfe!", schreie ich erneut, mein Hals schmerzt, aber es ist mir egal. Und dann endlich. Von der Person, die noch immer zu viele Meter von mir entfernt ist, geht plötzlich ein helles Licht aus. Sie hält ihren Zauberstab über ihren Kopf, um mich besser sehen zu können.
Mit Schlamm im Gesicht und Dreck am ganzen Körper, das zerrissene Kleid und den komplett durchnässten Haaren, die mir press am Kopf kleben, sehe ich sicherlich alles andere, als vertrauenerweckend aus. Aber ich hoffe einfach darauf, dass die Person erkennt, wen sie vor sich hat.
Immer weiter kämpfe ich mich durch den schlammigen Matsch, als ich eine silberne Maus in der Ferne erkenne. Ein erneuter Donner und ein Blitz durchschlagen die Nacht und ich kann sehen, dass die Maus vor dem Mund der Person schwebt, ehe sie sich rasend schnell auf den Weg hoch zum Schloss macht.
Ich atme erleichtert aus. Jemand hat Hilfe geholt. Ergeben verlangsame ich meine Schritte, ehe ich erschöpft in den Schlamm falle und mich auf der Seite zusammenrolle.
„Gib nicht auf!" Severus klingt panisch, wie ein gehetztes Tier. Doch meine Kraft hat mich verlassen. Ich möchte hier liegen bleiben und einschlafen. Nie wieder aufstehen.
„Hermine!", ruft Severus panisch flehend in meinem Kopf, doch ich achte nicht auf ihn.
Der Regen prasselt noch immer auf mich ein, fühlt sich an wie tausende winzige Nadeln, die meinen Körper durchbohren. Mein linker Unterarm pocht vor Schmerz, meine Beine fühlen sich wie Pudding an. Ich kann nicht mehr.
„Hermine!", ruft Severus und es ist beinahe so, als würde er ganz in der Nähe sein. Ich schließe meine Augen und gebe mich mit einem Lächeln auf den Lippen dem Klang seiner Stimme hin. „Hermine!", schreit er erneut, aber ich rühre keinen Muskel in meinem Körper. In diesem Moment könnte ich friedlich sterben.
„Wo ist sie?!", höre ich Severus gedämpft durch den Regen schreien, während ich meine Beine und Arme an Körper ziehe und versuche, mich so gut es geht zu wärmen. Bald kommt jemand, bald werde ich gerettet. Mit diesem friedlichen Gedanken beruhige ich meine Atmung und meinen Herzschlag.
Doch plötzlich ist es vorbei mit der tödlichen Ruhe. Ich werde am Arm gepackt und hochgerissen. Ich habe nicht einmal die Kraft, mich zu wehren. Noch immer habe ich meine Augen geschlossen, lausche dem Klang des prasselnden Regens.
„Hermine!", schreit Severus erneut. Er klingt anders. Fast so, als wäre er nur wenige Meter entfernt. Aber mein Hirn spielt mir einen Streich – das kann einfach nicht sein.
Hinter geschlossenen Lidern erkenne ich helles, grünes Licht, höre einen tiefen, wütenden Schrei und spüre keine Sekunde später den Sog, der mich durch ein enges Rohr presst.
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Komm, uns bleibt die Ewigkeit
Fiksi PenggemarSeverus Snape musste mit eigenen Augen sehen, wie die Liebe seines Lebens - seine Seelenverwandte - bei lebendigem Leib verbrennt. Wie kommt er damit zurecht und wird er sie rächen? Feststeht, dass er Hermine mehr als alles andere auf diesem Planete...