Kapitel 8

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Jean's Tag lief um einiges besser, als der Vortag. Besser, jedoch konnte von gut auch nicht wirklich die Rede sein.

Zumindest war sie heute nicht von einer gewissen Blondine zur Schnecke gemacht worden.
Doch auch die Abwesenheit ihrer Nachbarin hatte sie nicht davon abgehalten sich nervös umzusehen, jedes Mal wenn die Tür zum Café aufging, noch hatte es Jean davon abgehalten sich vor lauter blank liegender Nerven kochen heißen Kaffee über die Hand zu gießen.

Sie seufzte schwer. Benjamin saß auf seinem Platz, dem Sessel nahe des Bücherregals und betrachtete sie neugierig. Als sein Blick auf die bandagierte Hand seiner Besitzerin fiel zuckten seine Ohren aufmerksam.

"Tja Ben heute ist nicht mein Tag. Guck nicht so, diesmal hat es nichts mit dir zu tun. Ich sollte lernen, dass einen halt nicht alle Leute mögen können. Wir müssen uns einfach merken, dass wir nebenan nicht klingeln dürfen wenn uns mal der Zucker ausgeht."

Es war wirklich kein Drama, dass eine ihrer Nachbarinnen Jean nicht leiden konnte. Sie hatte im Laufe der letzten Woche die Bekanntschaft mehrerer anderer Mietparteien gemacht und keiner der anderen Bewohner schien ein Problem mit ihr zu haben.
Mr Jeffernson aus der Wohnung unter ihrer lachte herzlich, als sie sich für die Lärmstörungen ihrerseits entschuldigte und vertiefte sich in eine Erzählung aus seiner Jugend und der ersten gemeinsamen Bleibe seinerseits. Diese hatte er im Alter von achtzehn Jahren mit seiner damaligen Flamme aus der Toskana bezogen, ein Riesen Skandal damals wie er ihr unter stetigem Kichern berichtete.
Mrs Hilston, die Jean beim einsammeln ihrer Post getroffen hatte, hatte sich lächelnd nach ihrem Altpapier erkundigt, in der Hoffnung, dass sie dies für die Bastelarbeiten ihrer drei Kinder nutzen könnte.
Jean hatte nichts dagegen und trennte sich von der jungen Frau mit dem Versprechen im Laufe der nächsten Woche vorbei zu kommen, um sich den jüngsten Spross im Alter von 6 Monaten anzusehen.

Sie würde einfach damit leben müssen, dass Miss Farewell sie nicht leiden konnte und sich dieser Umstand auch nicht alsbald ändern würde.

Jean hatte sich gerade über die Lehne ihres Sofas gelehnt, um Benjamin mit einer Anzahl an Streicheleinheiten zu versorgen, als es an der Tür schellte.

Sie runzelte die Stirn, stand jedoch auf um nachzusehen wer sie beehrte.
Es war gerade einmal vier Uhr nachmittags, also machte sie sich nicht die Mühe durch den Türspion zu spähen, um ein mögliches gewaltsames Eindringen zu verhindern, sondern zog lächelnd die Tür auf.

Was sie auf der anderen Seite erblickte lies das Grinsen auf ihrem Gesicht ersterben. Sie hatte sich zu früh gefreut, als sie ihre Haustür mit einem erleichterten Seufzern hinter sich geschlossen hatte als sie nach Hause gekommen war. Sie hatte gedacht in ihrem eigenen vier Wänden wäre sie von weiteren Schimpftiraden vorerst sicher, doch auf der anderen Seite ihrer Eingangstor wartete kein anderer als Alicia Farewell auf sie.

Jean war müde und erschöpft von ihrem mehr als stressvollen Arbeitstag und konnte das Prickeln sich ankündigender Tränen in ihren Augen spüren. Ihre Schultern fielen in sich zusammen, als sie versuchte sich so schmal wie möglich vor der anderen Frau zu machen.

Zu Jean's Überraschung war das erste was aus dem Mund der Blondine kam keine Beleidigung oder Anschuldigung.

"Hallo."

Jean schluckte.
"Hallo", wisperte sie dann.

Alicia räusperte sich. "Ich...nun ja ich bin gekommen, weil ich mich gestern sehr unprofessionell verhalten habe. Es ist keine Art jemanden bei seiner Tätigkeit so zu überfallen."

Jean betrachtete sie mit weiten Augen.
War das erste eine Entschuldigung gewesen? War sie am träumen?

"Ähm...ja, ich meine...ist schon ok. Sie hatten schließlich jeden Grund wütend zu sein."

Alicia betrachtete sie ein wenig ungläubig. Zum Himmel wer war diese Frau, dass sie alle Schuld auf sich nahm, wenn Alicia sich offensichtlich inkorrekt verhalten hatte?
Sie sog tief die Luft ein.

"Ich habe mich gefragt, ob das Angebot mir einen Kaffee zu machen noch offen steht."
Sehr gut gemacht Alicia, tadelte sie sich innerlich, sprich noch förmlicher mit ihr und sie lässt dich vielleicht ihre Einweihungsparty planen. Oh Gott, bitte lass sie keine Einweihungsparty feiern!

Jean sah ihrer Nachbarin für einen Moment verdutzt entgegen bevor sie langsam nickte.

Alicia seufzte innerlich.
"Naja nun, dass ich weiß, dass Sie Barista sind brauche ich mir keine Gedanken mehr zu machen, dass sie mich mit irgendeiner billig Brühe vergiften."
Das erntete ihr ein Stirnrunzeln der Brünetten. Toll Alicia, immer weiter so. So schwer konnte es doch nicht sein sich zivil zu verhalten.

Zu ihrem Erstaunen folgte dem Stirnrunzeln ein sachtes Lächeln und die Haustür wurde weit genug geöffnet, dass sie hindurch treten konnte.
Sie musste sich leicht an Jean vorbei pressen, die immer noch wie versteinert im Türrahmen stand und streifte kurz den Oberkörper der Brünetten mit ihrem eigenen.
Sie schluckte schwer. Sie könnte ein paar Glücksbringer gebrauchen, doch Linn zeterte immer, dass sie reiner Hokuspokus waren und Alicia hatte lange die Gewohnheit abgelegt sich auf derartige Token zu verlassen.

Jean's Wohnung kam dem Layout nach ihrer eigenen gleich, war jedoch ganz anders dekoriert. Alicia selbst favorisierte weiße Regale und dunkel braunes Holz. Sie hatte grüne Akzente und Naturelemente in ihrem Heim mit eingebracht, während Jean's Möbel ein bunt zusammen gewürfelter Haufen waren. Es hätte chaotisch aussehen sollen, kam jedoch dem Deko Motto Urban-Style recht nahe, mit Steinoptik Tapeten und hellem Holzböden.

Sie ließ sich sacht auf Jean's Couch nieder und sank tief in die weiche Polsterung. Ben betrachtete sie neugierig und zog mittels lauten Schnurrens Alicia's Aufmerksamkeit auf sich. Diese zog die Augenbrauen hoch.

"Oh Entschuldigung! Ich kann Ben in mein Zimmer sperren, während Sie hier sind, wenn er Ihnen unangenehm ist", bot Jean an, die Alicia's skeptischen Blick in Richtung ihres Katers anscheinend bemerkt hatte.

Alicia musterte den kleinen Kater erneut. Sein Fell hatte eine hellgraue Farbe und sah kurz aber flauschig aus. Er musterte sie aufmerksam aus funkelnden Katzenaugen.

"Nein, nicht nötig", entschied sie kurzer Hand und Jean lächelte sie vorsichtig an.

"Okay sagen Sie Bescheid, wenn Sie ihre Meinung ändern! Ich bin gleich mit dem Kaffee zurück. Milch? Zucker?"

"Beides", entgegnete Alicia und Jean verschwand eiligen Schrittes in Richtung ihrer offenen Küche.

Kaum war seine Besitzerin aus seiner Blickweite verschwinden erhob sich Benjamin von seinem Liegeplatz und reckte sich gemächlich. Alicia beobachtete den Kater mit Zurückhaltung.
Ben schien ihr skeptischer Blick wenig zu kümmern, nachdem er sich ausgeblichen gestreckt hatte verließ er, leichtfüßig wie es nur Katzen können, seinen Sessel und landete mit einem sachten 'Popp' auf dem Sofa Polster neben ihr.

Alicia schnaubte. "Schuuh!"

Benjamin war nach wie vor wenig beeindruckt von dem Gast in seinem Haus. Alicia runzelte die Stirn.
Der Junge Kater schien das als Aufforderung zu sehen sich den Eindringling näher zu besehen.
Er kam zwei Schritte vorwärts und als Alicia keine Anstalten machte von ihm abzurücken, stupste er sacht ihren Arm mit seinem Kopf.

Es dauerte einige Momente, sie könnte Jean in der Küche mit der Kaffeemaschine und dem Kühlschrank hantieren hören, bevor Alicia zurückhaltend die Hand ausstreckte um Ben sanft an den Ohren zu kraulen. Sein Schnurren wurde merklich lauter.

Erst jetzt da sie dem Kater erstmals nach ihrer ersten Begegnung so nahe war fiel Alicia auf wie hell und ordentlich sein Fell aussah, wie groß seine Augen im Vergleich zu dem Rest seines Körpers waren und das er für eine gewöhnliche Hauskatze ein wenig klein geraten war.
Benjamin konnte kaum älter als ein Jahr sein.
Na toll, sie hatte ihre Nachbarin dafür zur Schnecke gemacht, dass sie noch keine Kontrolle über einen jungen Kater hatte. Das war im Grunde wie eine Mutter dafür anzuschreien, dass ihr dreijähriges Kind am weinen war oder im Weg stand.
Sie seufzte leise.

Jean wählte diesen Augenblick um in ihr Wohnzimmer zurück zu kehren.
Sie musterte die ungewohnte Szenerie neugierig und war drauf und dran einen Kommentar zu machen, als sie sich überlegte, dass es vielleicht schlauer war den Mund zu halten.

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