Teil 8

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Drake

Es ist das Schicksal jeder Generation, in einer Welt unter Bedingungen leben zu müssen, die sie nicht geschaffen hat.
-John F. Kennedy

Gelangweilt sitze ich auf einem der Hausdächer und schaue auf das Haus von Xayra. Ich sitze hier nun schon seit gefühlten Jahren, doch nichts hat sich getan.
Mittlerweile ist es dunkel, doch weder ist jemand aus dem Haus rausgekommen, noch hat jemand das Haus betreten. Weit und breit keine einzige Spur der blonden Schönheit.
Genervt seufze ich auf. Vielleicht habe ich sie verpasst, als ich vor etwa einer Stunde ein kurzes Schläfchen hielt.
Wie mühsam das wäre...
Anstatt meine Zeit noch länger mit nichts tun und warten zu verschwenden, beschliesse ich einfach mal runter zu gehen und an die Haustür zu klopfen. Ich stehe auf und klopfe mir erstmal den Staub von meiner Kleidung.
Ich will mich gerade daran machen die Fassade des Hauses auf dessen Dach ich stehe, wieder herunter zu klettern, als sich plötzlich die Tür von Xayras Haus öffnet. Reflexartig ducke ich mich wieder, sodass mich die Person, die das Haus verlassen hat, nicht sehen kann.
Vorsichtig schaue ich über die kleine Mauer am Rande des flachen Dachs, auf dem ich stehe. Zu meiner Freude, erblicke ich die Frau mit den tiefblauen Augen, auf die ich gewartet habe.
Ich will gerade aufstehen und auf mich aufmerksam machen, als ich jedoch bemerkte, dass sie offenbar etwas vorhat. Sie scheint in Gedanken versunken zu sein und wirkt angespannt. Ohne lange zu zögern läuft sie zielgerichtet in eine der Gassen.
Neugierig klettere ich schnell runter auf die Strasse und mache mich daran ihr zu folgen.
Ich will wissen, was sie als nächstes vorhat, nachdem sie gestern erst in den königlichen Palast eingebrochen ist. Leider werde ich ihren Plan nur mitbekommen, wenn ich ihr unauffällig folge. Denn freiwillig würde sie mir momentan nie davon erzählen und ihr Vorhaben vielleicht sogar direkt über Bord verwerfen.
Gesagt getan.
Ich folge ihr in einem sicheren Abstand, damit sie mich nicht sieht, ich sie aber auch nicht aus den Augen verliere.
Normalerweise ist es für mich kein Problem jemandem zu folgen. Ich bin schnell, flink und kann mich sehr unauffällig fortbewegen. Üblicherweise mache ich dies zwar nicht, aber können tue ich es sehr wohl. Wenn man nachts aus einem gut bewachten Palast ausbrechen will, muss man halt so einiges draufhaben. Zwar ist unbemerkt abhauen nicht dasselbe wie jemandem unbemerkt zu folgen, aber die Voraussetzungen für beides sind gleich; man muss sich geschickt anstellen.
Jedoch macht Xayra es mir wirklich nicht einfach. Sie ist sehr aufmerksam, weshalb sie mich einige Male beinahe entdeckt hätte. Zudem nimmt sie auch noch immer wieder Abzweigungen, bei denen ich sie oft fast verloren hätte.
Man merkt auf Anhieb, dass sie es sich gewöhnt ist Verfolger abzuhängen und ich muss sagen, dass sie auch sehr gut darin ist... Nur leider bin ich ein bisschen besser.
Als sie einige Strassen später stehen bleibt, verstecke ich mich hinter einer Mauer und sehe mich kurz um.
Ich kenne diesen Ort. Wir befinden uns im Zentrum des Fernil-Viertels.
Was will sie hier? Ich meine, in diesem Teil der Stadt gibt es absolut nichts Spannendes. Man kann in Fernil nicht ordentlich feiern gehen, man kann nicht kämpfen, weil die Menschen, die hier Wohnen einfach viel zu brav sind, man kann nichts kaufen, abgesehen von Lebensmitteln und zu all dem ist es nicht einmal ein besonders schönes Viertel.
Natürlich schöner als das Salix-Viertels, in dem Xayra wohnt, aber das ist nicht wirklich erstaunlich.
So tief in meinen Gedanken über die möglichen Gründe, weshalb Xayra nach Fernil gekommen ist, versunken, verpasse ich fast noch, dass sie  weitergelaufen ist.
Schnell komme ich hinter der Mauer hervor und schliesse zu ihr auf, selbstverständlich wie zuvor mit einem sicheren Abstand.
Wir laufen weiter auf den geometrisch schön angeordneten Strassen von Fernil. Dabei entfernen wir uns immer weiter vom Kern des Viertels weg. Erst als wir vor dem Militärstützpunkt stehen, wird mir klar, was sie ausgerechnet in diesem Stadtteil sucht.
Aber sie will doch nicht etwa alleine da rein? Ich meine sie ist auch schon alleine in den Palast eingebrochen, aber das hier ist etwas komplett anderes. Natürlich ist der Palast auch gut bewacht, jedoch sorgt mein Vater dafür, dass die Wachen hauptsächlich vor seinen persönlichen Gemächern und Arbeitszimmern stehen. Der ganze Rest wird lediglich spärlich, bis gar nicht bewacht. Es ist ihm den ganzen Aufwand einfach nicht wert. Demnach war es nicht so schwer in die Kammer der königlichen Staatsverwaltung einzudringen, wie es bei dieser Militärbasis sein wird.
Xayra hat echt ein Glück, dass ich auch da bin und mir diesen Spass sicherlich nicht entgehen lassen werde.
Plötzlich blickt sie sich um, zu schnell, als dass ich mich noch hätte verstecken können. Zuerst sieht sie mich überrascht und dann verwirrt an. Danach beginnt sich Wut auf ihrem schönen Gesicht abzuzeichnen und sie kommt mit grossen Schritten auf mich zu.
„Was zur Hölle willst du hier?" zischt sie zornig und funkelt mich mit ihren tiefblauen Augen böse an.
„War ganz zufällig hier." meine ich grinsend. Ich kann ihr ansehen, dass sie mir das nicht abkauft.
„Hör auf mir zu folgen oder es wird das letzte sein, was du tust!" droht sie mir, eine Hand bereits am Griff ihres Dolches.
„Du wirst meine Hilfe aber brauchen, meine Schöne." wende ich ein und zwinkere ich vergnügt zu.
„Ich brauche niemandes Hilfe!" erwidert sie und verschränkt trotzig die Arme vor ihrer Brust. Ganz zu meinem Glück, scheint ihr nicht klar zu sein, dass diese Haltung ihren Busen überaus gut betont. Ich muss mich zusammenreissen, damit ich mich von dem überaus schönen Anblick nicht allzu sehr ablenken lassen.
„Dann sag mir mal, wie du da alleine reinkommen willst."
Sie schnaubt verächtlich auf und verdreht ihre Augen. „Wieso um alles in der Welt sollte ich dir das sagen?"
Sie vertraut mir nicht. Verständlich.
Obwohl eigentlich nicht!
Ich habe sie nicht an die Wachen verraten, als sie ins Schloss eingebrochen ist und noch dazu bin ich von Natur aus eine sehr vertrauenswürdige Person!
„Lass mich raten, du willst dort hinten unter der Mauer durch, weil es dort angeblich ein Loch geben soll." rate ich und deutete dabei mit der Hand in die Richtung der besagten Stelle.
„Dieses ‚angebliche Loch' gibt es wirklich. Ich habe es gestern mit eigenen Augen gesehen." verteidigt sie sich mit zu Schlitzen verengten Augen und gibt mir somit mit meiner Vermutung über ihren Plan indirekt recht.
„Es wurde vor ein paar Stunden repariert." informiere ich sie und sehe sie abwartend an, gespannt auf ihre Reaktion.
Ganz schnell zeigen sich verschiedene Emotion auf ihrem Gesicht. Zuerst Verwunderung, dann Misstrauen und schliesslich Zweifel. All dies in weniger als einer Sekunde und schon hat sie wieder die Kontrolle über ihre Emotionen erlangt und ihr Gesicht trägt erneut das perfekte Pokerface.
„Woher weisst du das?" fragt sie skeptisch.
Ich kann Xayra schlecht sagen, dass ich dies lediglich weiss, weil ich es heute Morgen zufälligerweise von einem Gespräch zwischen meinem Bruder, Prinz Vincent, und irgendeinem königlichen Berater mitbekommen habe. Sie weiss anscheinend immer noch nicht wer ich wirklich bin beziehungsweise, welchen Position ich hier in Aronia habe. Doch das merkwürdigste an der ganzen Sache ist, dass ich möchte, dass es auch so bleibt. Zumindest so lange sie nicht von selbst hinter meine wahre Identität als Prinz von Aronia kommt.
Da fällt mir ein, Vincent wollte ja, dass ich heute im Palast bleibe, um irgendwelche amtlichen Pflichten zu erfüllen.
Er wird bestimmt nicht allzu wütend sein, immerhin habe ich eine so unglaubliche Persönlichkeit, dass man mir gar nicht wirklich böse sein kann.
„Wirst du irgendwann auch mal etwas auf meine Frage erwidern, oder starrst du mich nur weiterhin wortlos an?" fragt Xayra genervt.
Verwirrt blicke ich in ihre schönen tiefblauen Augen. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich in meine Gedanken versunken bin.
„Es scheint, als habe ich einfach die besseren Informanten als du." gebe ich ihr eine vage Antwort. Sie erwidert nichts darauf, stattdessen sieht sie mich nur nachdenklich an. Dann dreht sie sich auf einmal wortlos um und läuft davon.
Was soll das werden?
Verwirrt blicke ich ihr hinterher.
Sie lässt mich, Drake Beaufort, einfach so hier stehen?
Empört von Xayras Dreistigkeit, folge ich ihr zum anderen Ende der Mauer.
„Du kannst nicht einfach so weglaufen und mich wie einen verfaulten Apfel links liegen lassen!" meckere ich, als ich sie erreicht habe.
„Das ist tatsächlich noch nicht lange fertig." murmelt sie.
Verwirrt folge ich ihrem Blick. Sie starrt auf das nun frisch reparierte Loch in der Mauer.
„Was sind das für Informanten, dass sie bereits so schnell davon wussten?" fragt sie und richtet misstrauischen ihre Augen direkt auf mich.
„Gute Informanten?" Antworte ich, wobei es eher wie eine Frage klingt.
Sie verengt ihre Augen zu schlitzen und tritt näher an mich ran. Sie gibt mir somit die Gelegenheit ihr schönes Gesicht von Nahem zu betrachten. Die blauen Augen, die von dichten, langen Wimpern umrandet werden. Die kleine, süsse Stupsnase in der Mitte ihres Gesichts. Die vollen Lippen, die nur darauf warten geküsst zu werden und zum ersten Mal fallen mir winzige, beinahe unsichtbare Sommersprossen auf. Nur in der Nähe sichtbar, befinden sie sich vereinzelt auf ihrem Nasenrücken und ihren Wagen. Wunderschön...
„... deshalb sag ich dir; Ich habe keine Ahnung wer du bist und was du mit alldem hier bezwecken willst, aber ich will, dass du mich ab sofort in Ruhe lässt!" zischt sie durch zusammengepresste Zähne.
Da ich den Anfang ihrer Rede verpasst habe, brauche ich länger, um darauf etwas zu erwidern. Doch diese Zeit gibt sie mir nicht. Plötzlich packt sie das Messer, welches ich unter meinem Umhang versteckt bei mir trage, und rammt es direkt in den Samtstoff des Umhangs.
Woher wusste sie, dass ich ein Messer dabei habe?
Ohne mir noch einen weiteren Blick zu würdigen, dreht sie sich um und läuft davon. Durch das Messer mehr oder weniger an die Wand genagelt, stehe ich da und blicke Xayra überrascht hinterher.
Auch wenn es mich nervt, dass sie mich erneut einfach so hat stehen lassen, weiss ich eins mit Sicherheit: So schnell werde ich von dieser Frau ganz klar nicht genug haben!

Was wird wohl als nächstes passieren?
Wann wird Xayra herausfinden, wer Drake wirklich ist?
Was wird sie dann wohl tun?
Ich freu mich auf eure Kommentare und hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat! ❤️

XayraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt