Verschlafen betrachte ich mein Spiegelbild. Meine langen rotbraunen Haare sind verwuschelt und ein totales Durcheinander. Meine braunen Augen sind vor Schlaflosigkeit noch leicht gerötet und blicken mir leer entgegen. "Du hast wieder nicht geschlafen, richtig?", fragt mich Emma, als sie ins Bad kommt. Ich nicke. Seit ich vor zwei Wochen wieder im Internat bin, kann ich kaum schlafen. "Na komm. Wir müssen los, sonst bekommen wir kein Frühstück mehr.", meint meine beste Freundin. Also kämme ich mir schnell noch meine Haare durch und laufe ihr hinter her. Auf der Treppe treffen wir unsere Brüder und ihre Freunde. Fynn küsst mich und Henry stubst mich leicht an die Schulter. Damon weicht geschickt meinen Blicken aus. Seit ich ihn aus meinem Zimmer geschmissen habe, ignoriert er mich. Ich versuche mich immer wieder bei ihm zu entschuldigen, aber er lässt mich nicht. "Du hast wieder nicht geschlafen?", fragt mich Henry. Ich lächle gequält. "Nope. Ich sehe immer wieder diese Bilder in meinem Kopf.", flüstere ich ihm zu. Er ist der einzige der von den Bildern weiß. Ich habe ihm alles erzählt, als wir zusammen bei mir im Zimmer waren. Er ist seit dem immer für mich da gewesen. Er ist der einzige der mich normal behandelt. Der keine Angst hat mich auch mal zu verarschen. Oder mal einen dummen Spruch loszulassen. Und genau das brauche ich jetzt. Ein wenig Normalität. Wo sonst nichts mehr so ist, wie früher. Er war auch derjenige, der mit mir zu Liam gegangen ist. Weil ich mich alleine nicht getraut habe. Er war da, als Liam mir alles erklärte. Und es war okay für ihn, dass ich danach in seinen Armen weinte. Alle anderen waren damit überfordert. Sie hatten das Gefühl mich beschützen zu müssen. Aber ich wollte, ich will nicht beschützt werden. Nicht mehr. In den ersten Tagen war es angenehm. Aber jetzt halte ich es nicht mehr aus. Sie sind so vorsichtig. "Hey, Bambi, bist du noch bei uns? Hallo?", Noah wedelt mit seinen Händen vor meinem Gesicht rum und holt mich so aus meinen Gedanken. "Ja, sorry. Was war?" "Wir wollten nur wissen, was du essen willst." "Oh, wie immer." Wir sind schon in der Caféteria und ich stehe vor meinem Platz. Fynn sitzt schon auf seinem Platz und greift nach meiner Hand, als ich mich neben ihn setze. "Wir müssen nur noch ein paar Wochen durchhalten, dann sind Ferien.", meint er und ich nicke. Ich freue mich auf die Ferien. Ich fahre mit Ben und Grace eine Woche nach Sydney. Und die andere Woche bin ich wieder im Internat um zu lernen. "Ihr seid auch alle in der zweiten Woche hier, richtig?", reißt Skye mich aus meinen Gedanken. Alle nicken. "Dann können wir ja zusammen anfangen alles zusammenzuschreiben. Ich habe nämlich wirklich noch keinen Plan.", lacht Henry. Wir alle lachen. "Naja, wir haben aber auch noch Zeit.", meint da Noah. "Naja, wir haben noch ziemlich genau fünf Monate, dass müsste doch reichen.", fügt Mia hinzu. Wir alle nicken. "Dann sind wir fertig. Mit allem.", stellt Emma geschockt fest. Wir ein nicken vom Rest von uns. Wir sind dann komplett fertig und müssen schauen was wir danach machen wollen. Wir müssen nicht mehr studieren. Wir können sofort anfangen. Die Zeit ist so schnell umgegangen. Ich schaue meine Freunde an. Meine kleine neue Familie. Am liebsten würde ich nochmal zurückspulen. Ich erinnere mich noch an die ersten Tage hier im Internat. Ich habe jeden Tag mit Ben telefoniert. Ich wollte zurück nach Sydney. Zurück nach Hause und jetzt war das hier mein Zuhause. "Ennea, wir müssen in den Unterricht!", Fynn nimmt mich an die Hand und zieht mich vorsichtig mit sich. Gemeinsam gehen wir in die Klassenräume. "So, jeder von euch verfasst jetzt bitte ein eigenes Gedicht. Ihr habt 30 Minuten Zeit!", meint unser Deutschlehrer. Ich nehme meinen Stift und schreibe drauf los. Nach knapp 20 Minuten bin ich fertig, lehne mich zurück und beobachte meine Mitschüler. Als dann schließlich alle fertig sind, will Herr Trace wisse, ob jemand vorlesen möchte. Da sich keiner meldet, sammelt er alle Gedichte ein und beginnt einige vorzulesen. Es sind lustige, traurige und auch langweilige dabei. Und dann nimmt er das nächste Blatt und beginnt vorzulesen :" Einfach schon zu lange ist es her, dass ich sie gesehen habe. Sie mit ihrem blondem Haar und der blauen Schleife. Der blauen Schleife. Die, die ich jetzt schon so lange in meiner Hand halte. Ich habe Angst, dass ich sie vergessen kann, denn ich liebe sie! Einfach schon zu lange habe ich sie nicht mehr gehört. Sie mit ihren Witzen und dem Lachen. Dem Lachen. Das, bei dem ich immer mit lachen musste. Ich habe Angst, dass ich es nicht mehr hören kann, denn ich liebe sie! Einfach schon zu lange kenne ich sie. Sie mit ihrer fröhlichen Art und den Worten. Den Worten. Die, auf die ich immer wieder hoffe, doch es ist vorbei. Ich habe Angst, dass ich sie wieder sehe. Denn ich liebte sie. Und sie ist weg. Für immer. Einfach schon zu lange nenne ich keinen Namen mehr. Die Namen meiner Lieben. Die Namen meiner Eltern. Den Namen meiner Freundin. Meiner Freundin mit der blauen Schleife. Ich nenne sie nicht mehr, denn ich weiß, denn ich weiß, dass sie dann sterben werden. Und davor habe ich einfach schon zulange Angst! Zulange Angst, dass es Wirklichkeit wird. Dass sie Tot sind. Sie meine Eltern. Lynn und Nathan. Meine Freundin, mit der blauen Schleife. Blau wie das Meer. Wie ihre Augen. Wie ihr tot. Wie ihr Name. Talia!" In diesem Moment springt Damon auf und rennt aus dem Raum. Auch ich springe auf. Jeder weiß, dass ich diesen Text geschrieben habe. "Damon!", rufe ich als ich im Flur bin. "Damon, bitte!" Mein Bruder bleibt steht, dreht sich aber nicht um. "Ich wollte nicht, dass es vorgelesen wird. Es waren meine eigenen Gedanken." "Ich habe sie geliebt. Ich habe dich geliebt." Er dreht sich um und lässt sich an der Wand neben ihm zu Boden rutschen. "Ich weiß." Ich setze mich neben ihn und lege meinen Kopf an seine Schulter. "Ich habe Talia auch geliebt.", flüstere ich noch, bevor wir beide uns weinend in die Arme nehmen. "Hey, alles okay bei euch?", will Emma wissen, als wir uns in der Pause in der Cafeteria treffen. Wir nicken beide. Wir sind nicht mehr zurück in den Unterricht gegangen. Wir sind zu Stardust in den Stall und haben geredet. Einfach mal so. Über alles. Fynn greift nach meiner Hand und Emma strahlt mich an. Sie merken, dass es uns gut getan hat. "Wollen wir gleich mal wieder zum Baumhaus?", frage ich Fynn. Er nickt. Gemeinsam essen wir zu Mittag, dann gehen Fynn und ich zu seinem Auto und fahren zu unserem geheimen Platz. "Wir waren seit Monaten nicht mehr hier., meint Fynn und wir klettern die Leiter hoch. Oben angekommen setzen wir uns an den Rand und lassen unsere Beine baumeln. "Hier haben wir uns zum ersten Mal geküsst.", flüstert Fynn mir ins Ohr. "Ja, da war die Welt noch in Ordnung.", antworte ich. Er nickt und küsst mich. Ich erwidere den Kuss und so sitzen wir auf unserem Baumhaus und genießen unsere Zweisamkeit. "Wie geht es eigentlich Liam?", fragt Fynn nach einiger Zeit. "Ganz gut. Ich glaube er kommt ziemlich gut mit der ganzen Situation zurecht. Aber er hat immer noch schmerzen. Ich sehe es in seinen Augen, wenn wir uns sehen. Aber er will es nicht zu geben." "Kate kümmert sich schon gut um ihn." Ich muss lachen. "Was?" "Naja, ich glaube sie kümmert sich zu gut." "Was? Nein.", jetzt muss auch Fynn lachen. "Doch! Ich glaube schon. Achte mal drauf, wenn du die beiden das nächste mal zusammen siehst." Wir lachen beide. Ich würde mich für meinen Bruder freuen. Fynn und ich gehen ins Haus und kuscheln uns auf das Sofa. Draußen ist es schon dunkel. Eng aneinander gekuschelt schlafe ich in Fynns Armen ein.
"Liam, Fynn wo ist meine Krawatte?" Liam der neben mir in einer Kiste wühlt, schaut mich verwirrt an. "Ben, du tägst sie bereits.", lacht da Fynn. Ich bin so aufgeregt. "Ben, jetzt bleib doch bitte mal stehen!", jammert da Liam. Ich laufe die ganze Zeit durch die Gegend und er kommt mit seinem Rollstuhl nicht hinterher. "Sorry!", meine ich. "Jetzt setzt dich und entspann mal. Es ist ja nur dein Hochzeitstag.", befiehlt Fynn und drückt mich auf enen Stuhl. "Danke!", stößt Liam da erleichtert aus. "Also, ich habe die Ringe. Fynn das Ehe versprechen und du leider nicht die Ruhe weg. In fünf Minuten müssen wir los, sonst kommt Grace noch vor dir an der Kirche an.", lacht Liam dann. "Das wäre nicht so cool.", meine ich. "Na dann los. Das Auto ist bereit.", ruft Damon, der gerade durch die Tür kommt. Also stehe ich auf und folge den drei. Alle drei tragen graue Anzüge. Mein Anzug dagegen ist schwarz. Ich setze mich vorsichtig in Fynns Auto und versuche mich zu beruigen. Heiraten ist schon eine ziemlich aufregende Sache. Vorallem wenn man die Frau seit seiner Jugend liebt. Wenn sie die Eine ist.
"Ennea, ich brauche deine Hilfe mit dem Kleid.", ruft Liv verzeifelt. Als Emma und ich ins Zimmer kommen, steckt Grace in dem Kleid fest. "Dieses doofe Kleid!", flucht sie. "Leute beruhigt euch." Ich helfe ihr schnell. "Danke!", haucht Grace erleichtert. "Ich mach dir jetzt schnell deine Haare." Ich ziehe sie mit zu meinem Bett, drücke sie darauf und knie mich hinter sie. Fünf Minuten später steht Grace vor dem Spiegel und betrachte sich. Ihr langes weißes A-linien Brautkleid fällt leicht zu Boden. Sie streiche über ihre Arme. Die langen Ärmel in Tattoo-Optik gefallen mir fast am besten. Auch der restliche Oberkörper ist mit Spitze bedeckt. Grace dreht sich um und schaut über die Schulter. Ihre wunderschönen, langen, blonden Haare fallen gelockt über ihre Schultern und über den freien Rücken. Die vorderen Haarsträhnen habe ich von den Seiten eingedreht und hinten mit einer Spange mit silbernen Glitzersteinen, die aussehen wie keine Blüten, festgesteckt. Ein wenig Schleierkraut steckt in der Spange und ist auch mit eingedreht. "Wir müssen!", reißt Liv mich aus meinen Gedanken. Graces kleine Schwester ist die Ruhe selbst an diesem Tag. Wir haben die ganze Hochzeit geplant. Die Ablenkung hat mir mal ganz gut getan. Weder Ben noch Grace wissen was auf sie zukommt. "Willst du mir vielleicht mal erklären wo wir heiraten?", fragt Grace mich, ich lache und schüttel den Kopf. "Livi?", flehend schaut Grace zu meiner Großcousine. "Ich würde es dir ja gerne sagen, aber ich weiß es selbst nicht. Bei dem Teil hatte ich nichts mitzureden." "Oh.", verwundert streicht Grace ihr Kleid glatt. "Na dann los!", meine ich. Wir gehen zu Skyes Auto. Sie und Mia sind schon bei der Lokation, aber ihr Auto ist einfach das schönste. Liv setzt sich ans Steuer und wir fahren los.
@MiaLe1
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WHISPER of Death
RandomIm Auto schaue ich aus dem Fenster. Ich kenne die Gegend. früher habe ich mich hier immer Zuhause gefühlt, doch jetzt habe ich einfach nur noch so ein ganz komisches Gefühl im Bauch. "Und aufgeregt?", fragt Ben. Ich nicke. "Lass mich bitte nicht all...