Kapitel 23

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Es ist jetzt zwei Wochen her, dass wir alle gemeinsam in die Scheune gezogen sind. Am Anfang hatten wir noch Probleme mit der Einteilung in der Küche. Manchmal hatten wir zwei Abendessen, manchmal gar keins. Mittlerweile haben wir einen Essensplan und einen Putzplan und so funktioniert unsere WG eigentlich ziemlich gut. Ich habe auch das Gefühl, dass es unseren Beziehungen gut tut, aber auch unseren Freundschaften. Es ist schön, nicht mehr im Internat zu wohnen, aber auch nicht ganz weit weg. Wir bekommen den Schultrubel zwar noch mit, aber nicht mehr so wie früher. Skye und Damon haben letzte Woche beide ein Angebot als Lehrer an der WHISPER bekommen. Sie beginnen ab heute. Auch wir anderen haben ein Angebot bekommen. Und zwar als Team. Wir müssen nächste Woche nach Sydney und mit der Polizei dort zusammen arbeiten. Diese Angebote sind im Moment Gesprächsthema Nummer ein bei uns. Natürlich sind wir sechs traurig, dass wir hier weg müssen. Aber wir wissen auch alle, dass dieser Ort für immer unser Zuhause sein wird. Das Internat. Die Scheune. All das ist unser Zuhause. Damon und Skye, haben gerade beide eine Freistunde und kommen zu uns in die Scheune um Mittag zu essen. Emma und ich haben Lasagne gekocht. Wir sitzen draußen und quatschen. Als die zwei zurück in den Unterricht müssen, Fynn geht mit ihnen, da er noch etwas mit seinem Vater besprechen möchte. Henry, Noah und Emma fahren gemeinsam in die Stadt um nochmal Lebensmittel einzukaufen. Somit räume ich die Küche schnell alleine auf und setze mich dann gemütlich mit einem Buch, dass ich letzte Woche von Elena zum siebzehnten Geburtstag bekommen habe, in die Sonne. Als plötzlich eine Schülerin aus Charlys Klasse kommt und mir zuruft: "Ennea, du sollst schnell auf die Krankenstation! Es geht um Liam!" Also springe ich auf und sprinte ins Internat.

Als die Tür auffliegt und Ennea in den Raum stößt, liegt Liam schon auf einem der Betten und Kate versucht ihn gerade wiederzubeleben. "Was ist passiert?", will Ennea sofort wissen. "Er ist einfach nach der Dialyse zusammen geklappt, als ich ihn zurück in seinen Rollstuhl heben wollte.", meine ich. Sie schmiegt ihren Kopf an meine Schulter und Tränen laufen ihre Wange hinunter. "Er ist wieder da! Wir müssen sofort auf die Intensiv!", ruft da Kate und ich helfe ihr schnell. Auf der Intensivstation schließen Ennea und Kate Liam an gefühlt tausend Geräte an. Kate setzt sich auf sein Bett und küsst ihn. "Wir bekommen das schon wieder hin.", flüstert sie ihrem Mann zu. Wir wissen alle, dass es nicht stimmt. Deshalb verlässt sie jetzt auch den Raum um nach Damon zu schicken. Jetzt stehen Ennea und ich alleine in Liams Zimmer. Schwach klopft er auf die Bettkante. "Patita?", flüstert er. Ennea setzt sich zu ihn und nimmt seine Hand. "Ich bin da, Liam. Immer!" Er lächelt. Da stürmt Damon in das Zimmer. "Ich lass euch dann mal allein.", meine ich, doch die Zwillinge schütteln mit dem Kopf. Damon setzt sich neben seine Schwester. Ich kann nicht hören was er seinem Bruder zuflüstert, aber Tränen laufen auch bei ihm. Da kommen auch die anderen, sogar meine Eltern, Ben, Grace, Liv und Maggi. Nacheinander verabschieden wir uns von Liam. Kate weint in Maggis Armen. Sie lässt Ennea und Damon sich in Ruhe verabschieden und als ich ihr in die Augen schaue, weiß ich, dass sie sich sicher ist, ihren Ehemann nicht mehr lebend zu sehen. Sie deutet mir auch an, ich soll zu Ennea und Damon gehen. Also betrete ich das Zimmer. In diesem Moment verabschiedet sich Damon gerade von Liam und geht dann aus dem Raum, während Ennea bei ihrem Bruder auf dem Bett sitzt und ihm erzählt, was sie auf die Luftballonkarte geschrieben hat. Man kann sie kauf verstehen, so sehr weint sie. Ich bleibe einfach an der Tür stehen und beobachte die zwei. Sie erzählt ihm von weiteren Erinnerungen. Als sie kurz eine Pause mach flüstert er ihr etwas ins Ohr und kurz danach hört man nur noch einen eintönigen Ton im Zimmer. Liam ist in den Armen seiner kleinen Schwester gestorben. Enneas Kopf ruht auf seiner Brust. Sie weint nicht mehr. Sie liegt einfach nur da uns sagt nichts mehr. Langsam gehe ich auf die zwei zu, schalte das Piepen aus und streichle über das Haar meiner Freundin. So sitzen wir eine Weil da, bis unsere Familie den Raum betritt. Damon wischt seine Tränen weg und nimmt seine Schwester auf den Arm. Als ich ihre Augen sehe, erschrecke ich fast. Ihre sonst so ausdrucksstarken Augen sind leer. Einfach leer. Sie schmiegt ihren Kopf an ihren Bruder der sie in die Scheune trägt. Er legt sie auf unser Bett und legt sich zu ihr. Er nimmt sie in den Arm und so liegen sie den ganzen Tag. Wir anderen wissen nicht wie wir damit umgehen sollen. Abends kommt Damon runter und setzt sich zu uns raus. "Wie geht es ihr?", wollen wir wissen. "Naja, sie schläft. Ich habe sie noch nie so fertig erlebt. So war sie nicht einmal als ihre beste Freundin in ihren Armen gestorben ist und nur eine Woche später ihr bester Freund. Auch nicht als unsere Eltern gestorben sind. Ich kann nur hoffen, dass es besser wird. Das der Schmerz sie nicht mehr so ..." Er bricht ab. Emma nimmt ihn in den Arm und er weint hemmungslos. Nach dem Abendessen sitzen wir noch kurz beieinander, dann gehen wir alle ins Bett. Ich kuschele mich neben Ennea und schlafe sofort neben ihr ein.

Als ich aufwache, liegt Damon noch neben mir. Liams Tod ist jetzt schon drei Tage her. Ennea hat in diesen drei Tagen das Bett nicht verlassen. Und Damon war so gut wie die ganze Zeit bei ihr. Sie redet nicht, isst nicht. Sie schläft nur oder starrt die Decke an. Damon meint sie hätte seit Liams Tod nicht mehr geweint. Keiner von uns kommt an sie ran. Nicht einmal Kate oder Ben. Sie hat sich einfach eingeigelt. Heute Mittag ist die Beerdigung, bis dahin müssen wir sie irgendwie aus ihrem Bett bekommen. Deshalb gehe ich jetzt zu ihr ins Zimmer. Sie sitzt auf ihrem Bett und starrt aus dem Fenster. "Na süße?" Sie dreht sich um und schaut mich mit leeren Augen an. "Na?", flüstert sie. Das ist das erste Wort seit drei Tage. "Weißt du schon was du anziehst?", will sie wissen, "Also zur Beerdigung." Ich nicke. "Ja, wollen wir uns zusammen fertig machen?" Sie nickt. "Emma? Kannst du mich mal in den Arm nehmen?", fragt sie mit zittriger Stimme. Ich stehe immer noch in der Tür und setze mich jetzt zu ihr aufs Bett und nehme sie in den Arm. So sitzen wir da bis Fynn ins Zimmer kommt. "Oh, ich wollte nicht stören. Ich brauche nur meinen Anzug.", meint mein Bruder und huscht ins Ankleide Zimmer. "Na dann. Wir sollten uns auch mal umziehen.", bemerk Ennea. Also stehen wir auf, ich hole schnell meinen schwarzen Jumpsuit aus meinem Zimmer und finde Ennea in ihrem Ankleidezimmer. Fynn kommt gerade entgegen und lächelt mich vorsichtig an. Ich weiß, dass er damit danke sagen will. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ennea sowieso heute aufgestanden wäre, um bei der Beerdigung dabei zu sein. Ich stelle mich neben sie und schaue auf einen Stapel schwarzer Kleider. Ich knie mich hin und wühle in dem Stapel. Kurz darauf stehe ich wieder auf und ziehe ein kurzes schwarzes Spitzenkleid aus dem Haufen. "Zieh das an, das hat er gerne an dir gesehen." "Er hat es geliebt, wenn ich mich nicht versteckt habe. Er meinte immer, dass ich meine Narben offen tragen soll. Er meinte es wäre meine Geschichte.", flüstert sie und schlüpft in das Kleid, dessen Spagettiträger sich am Rücken überkreuzen. Gemeinsam machen wir unsere Haare und schminken uns. Unten treffen wir auf unsere Freunde und gemeinsam laufen wir zum Friedhof. Kurz bevor wir ganz da sind bleibt Ennea stehen. Fynn und Henry bleiben bei ihr, während wir anderen schon zu den vielen Schülern und unseren Familien und Freunden, die sich von Liam verabschieden wollen, gehen. "Ennea braucht noch kurz.", erkläre ich Ben. Doch da kommt schon Henry und direkt hinter ihm kommen Fynn und Ennea. Sie klammert sich förmlich an seine Hand. Wir stellen uns in die erste Reihe und hören den vielen Reden zu. Ennea steht zwischen Fynn und Damon. Hinter ihr steht Ben und als Damon und Fynn ihre Rede halten, dreht sie sich um und beginnt in den Armen ihres Ersatzvaters, wie sie ihn inzwischen nennt, zu weinen. Als Damon das sieht laufen auch ihm die Tränen die Wange hinunter. Aber mehr aus Erleichterung, als aus Trauer. In den letzten Tag hat er so Sorgen um seine Zwillingsschwester gemacht, dass er gar nicht richtig Trauern konnte. Nur in ruhigen Minuten, hat er in unseren Armen oder auch alleine geweint.

Als der Gottesdienst vorbei ist löse ich mich aus Fynns Armen und wir gehen zurück ins Internat. Vor dem Eingangstor bleibe ich stehen. Ich schaue hoch auf das Schild. WHISPER steht in großen silbernen Buchstaben darauf. Ich weiß noch genau, wie ich vor einem Jahr durch dieses Tor gegangen war und Angst hatte was in diesem Gebäude auf mich warten würde. Heute weiß ich es. Ich habe in diesem einen Jahr so viel Erlebt. Viele schöne Sachen, wie den Abiball, die Ausritte mit Stardust. Ich hatte unglaublich tolle Freunde gefunden. Ich hatte mich das erste Mal in meinem Leben verliebt. Aber es gab auch viele schlechte Sachen, wie Fynns und meine Entführung, Mr. Peaks Tod. Aber heute war der schwärzeste Tag in dem Internat. Vor drei Tagen war mein großer Bruder gestorben. Heute wurde er beerdigt. Und jetzt stehe ich hier unter diesem Schild mit dem Namen, den er mir vorgeschlagen hatte, den ich dann eingereicht hatte und der dann über dieses Eingangstor gehängt wurde. Jetzt stehe ich darunter und flüstere während ich in den Himmel schaue: "Vielleicht hätten wir lieber WHISPER of death sagen sollen." Mit diesen Worten betrete ich die Eingangshalle und breche zusammen. Zum Glück sind wir in einer Woche hier weg.

@MiaLe1

WHISPER of DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt