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Alexia

In meiner Brust macht sich ein Ziehen bemerkbar und ich kann nicht anders und stehe auf. »Noch Sekt?«, frage ich Scarlett. Ich bin mir sicher, dass ihr mein Ausdruck im Gesicht nicht entgeht und dass sie meine Absicht hinter dieser Frage sieht, aber sie sagt nichts. Rayan verlässt nie den Raum, wenn er telefoniert.

Ich gehe in die Küche und höre gedämpft Rayans Stimme aus dem Schlafzimmer. »Alles klar, Stu ... Ich werde mit einigen Leuten da sein ... Freitag 21 Uhr an den Docks ... Nein ohne Phoe ... Genau Tyler ... Bis dann ...« Wo will er Freitag um 21 Uhr sein? An den Docks? Wieso? Wer ist Stu? Was hat Tyler damit zu tun? Meint er meinen Ex, Tyler? Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Meine Gedanken fahren Achterbahn und das liegt nicht an den zwei Gläsern Sekt. Deswegen bin ich in der Küche, fällt mir wieder ein und schnell schnappe ich mir die Flasche und gehe zurück zu Scarlett. Gerade rechtzeitig, denn da öffnet sich die Schlafzimmertür und Rayan kommt zurück. Ich hätte Scarlett so gerne gefragt, wer Stu ist und ob sie etwas weiß, aber das muss ich wohl auf später verschieben. Rayan scheint angespannt zu sein und es beunruhigt mich noch mehr. Hat er etwas Dummes vor oder sehe ich Gespenster?

Bis Freitag bin ich das reinste Nervenbündel. Es macht mich wahnsinnig, nicht zu wissen was passiert. Ich hatte keine Möglichkeit Scarlett zu fragen und Rayan werde ich sicher nicht fragen. Das traue ich mich nicht. Megan ist die, die Licht in meine dunklen Gedanken bringt. »Lex, ich habe recherchiert.« Oh oh das verspricht nichts Gutes. Wenn Miss Marple einmal losgelegt hat, ist sie nicht mehr zu stoppen. Beim letzten Mal stand ich mit ihr bei Tyler vor der Wohnungstür. Ich spüre, zu Recht wie ich finde, Angst.

»Die Docks sind das schäbigste und gefährlichste Viertel der Stadt.« Das ist nichts Neues. Diese Information bekommt man als erstes, wenn man den ersten Tag in der Uni ist. »Haltet euch von den Docks fern.«

»Was will Rayan da?« unterbreche ich Megan. »Ja Moment. Ich war noch nicht fertig«, kontert sie. »In den Docks finden die Streetdance statt.« Wären wir in einem Comic, dann wäre jetzt eine Bombe geplatzt und der Himmel hätte sich verschwörerisch verdunkelt. Da wir das aber nicht sind, findet das alles in meinem Kopf statt. Raybands, PCrew, Tyler, Battle, Hip Hop. Alles wirbelt wie bei einem Tornado durch meinen Kopf und mir wird bei dem Tempo ganz schwindelig.

»Meg, das heißt, dass Rayan gegen Tyler tanzen will«, gebe ich meine Erkenntnis atemlos preis. Was anderes kann es nicht sein. Er hasst Tyler und hat sehr heftig darauf reagiert, als ich ihm erzählt habe, dass das mein Ex ist. Andere bekämpfen sich und die regeln es durchs Tanzen. Ob das besser ist bewage ich zu bezweifeln.

»Das glaube ich auch. Wir müssen dahin.« »Bist du irre? Das ist viel zu gefährlich«, kommt es aufgebracht und für meine Verhältnisse ziemlich schrill von mir. »Interessiert es dich denn gar nicht wie die beiden kämpfen?«, fragt Megan und betont das letzte Wort extra. Ob ich will oder nicht, aber damit hat sie mich. Doch es interessiert mich, denn anscheinend geht es um mich. »Aber wir wissen nicht genau wo das ist«, gebe ich zu bedenken. »Dann müssen wir zeitig losfahren.« Oh oh, ob das gut geht?

Den ganzen Tag höre ich nichts von Rayan, aber das wundert mich nicht. Wir sind nicht verabredet, denn ich schreibe Samstag morgen um 8 Uhr eine vierstündige Klausur und müsste eigentlich lernen. Was mache ich stattdessen? Stattdessen sitze ich um 20 Uhr nervös bis zum Himmel und zurück in Megans Auto und fahre Richtung Docks. Gut, dass Megan fährt, denn die scheint die Ruhe selbst zu sein. Hochkonzentriert fährt sie durch die dunklen Gassen. Es ist gruselig. So stelle ich mir eine Geisterstadt vor. Nichts was ich sehen will. Die Straßenbeleuchtung lässt auch zu wünschen übrig. Wir haben die Musik ausgestellt, um eventuell Musik aus einer der Lagerhallen zu hören. Die Stille macht das alles nicht besser. Ich warte eigentlich nur darauf, dass jemand auf die Straße springt und seine Hand gegen die Scheibe klatscht. Plötzlich bremst Megan scharf ab und ich kann gerade noch meine Hände auf dem Armaturenbrett abstützen, sonst hätte mein Kopf das erledigt.

»Verflucht Megan. Was soll das?«, blöke ich sie an. Meine Stimmung ist angespannt und nicht nur meine. »Sei still«, zischt sie, hält den Zeigefinger vor den Mund und lauscht. Dann zeigt sie mit ihrem Finger direkt gerade aus. Als ich ihrem Finger mit den Augen folge und das verlassen wirkende Gebäude eine Zeitlang betrachte, sehe ich rechts und links etliche Autos und die Bässe, die ich vorher schon gehört habe, kann ich eindeutig dieser Halle zu schreiben. Wir haben die Halle gefunden. Freude sieht jedoch anders aus.

»Und jetzt?«, flüstere ich. »Jetzt parken wir und gehen darein«, sagt Megan selbstbewusst. Woher nimmt sie das nur? »Wir können auch umkehren?«, gebe ich ängstlich von mir. Megan greift nach meiner Hand. »Nein, das tun wir nicht. Und jetzt komm.« Ihre Stimme duldet keine Gegenwehr und ich folge ihr kleinlaut. Wir tun gerade etwas Verbotenes, gibt mein Innerstes von sich. Oh ja das tun wir.

Leise öffnen wir die schwere Metalltür und sofort schlägt uns Schweißgeruch, Hitze und eine enorme Lautstärke entgegen. Wie dick sind bitte die Wände? Draußen hört man fast gar nichts. Bis auf ein beleuchtetes Podest ist es stockdunkel in der Halle. Ich kann so gerade Umrisse von vielen Menschen erkennen. Die Halle ist rappelvoll und ein Gröllen geht durch die Menge. Megan zieht mich durch die ganzen Menschen. Sie scheint es nicht im Geringsten zu stören, dass wir böse angeglotzt werden. Ein Blinder würde sofort sehen, dass wir hier nicht hingehören. Schließlich stoppt Megan und um ein Haar wäre ich in sie reingelaufen. Verwirrt sehe ich sie an. Ihr Blick ist geradeaus auf das Podest gerichtet und dann sehe ich es auch.

Auf dem Podest stehen sich Rayan und Tyler gegenüber. Könnten ihre Augen Funken sprühen, hätte sie sich gegenseitig verkohlt. Ich habe Rayan noch nie so wütend gesehen. Okay Tyler auch nicht, aber der interessiert mich nicht. Rayans ganze Wut packt er anscheinend in diese Battle. Ich habe ihn noch nie tanzen sehen, doch er scheint etwas davon zu verstehen. Seine Aggressivität bereitet mir eine Gänsehaut, eine von der unangenehmen Sorte. Meine Hände liegen, schon seit ich die beiden entdeckt habe, vor meinem Mund und meine Augen fallen mir sicher jeden Moment aus dem Kopf. So fühlt es sich zumindest an.

Die Halle tobt als sie sich Nase an Nase gegenüberstehen. »Schlag zu« höre ich jemanden rufen. »Verdient hat er es.« Rayan sieht wirklich so, aus als ob er jeden Moment zu schlagen würde. Das will ich nicht sehen. Ich muss hier weg. »Meg, lass uns verschwinden«, schreie ich Megan über die laute Musik zu und packe ihren Arm. Überrumpelt lässt sie sich mitziehen. Ich muss hier raus. Die Rufe nach Schlägen werden lauter. Kurz vor der Tür werde ich auf einmal nach hinten gezogen und ein Schrei verlässt meinen Mund. Doch er wird von der Musik verschluckt. »Was tust du hier?« höre ich jemanden fragen und als mich umdrehe, sehe ich in Miras Gesicht. »Nichts. Ich wollte gerade gehen.« »Du bleibst. Schließlich steht Rayan wegen dir da oben«, faucht sie und ich weiche einen Schritt zurück. »Woher?«, frage ich verdutzt. »Wir alle hassen Tyler und die Raybands und doch haben wir uns noch nie so offensiv mit einem von ihnen angelegt. Gerade Rayan nicht. So etwas wäre eher Phoes Ding. Da wir alle nicht auf den Kopf gefallen sind ...« Mira beendet ihren Satz nicht, aber ich weiß, was sie sagen will. Dumm sind sie alle nicht. Ich nicke. »Mira, bitte sag Rayan nicht das ich hier war«, flehe ich sie an. Sie schaut mir direkt ins Gesicht, als die nächsten Worte ihren Mund verlassen. »Nein, du wirst es ihm selber sagen und die Konsequenzen dafür ziehen. Ich gebe dir eine Woche, dann sag ich es ihm.« Bei ihren Worten klappt mir der Mund auf und bevor ich etwas erwidern kann, ist sie in der Menge verschwunden. Fassungslos starre ich auf die leere Stelle vor mir, bis Megan mich aus der Halle zieht und ins Auto verfrachtet. Keiner von uns sagt ein Wort, nicht während der Fahrt und auch zu Hause nicht. Ich muss das gerade Erlebte erst einmal für mich verarbeiten. Ein komisches Gefühl macht sich in mir breit und ich kann es nicht benennen. An Schlaf ist nicht zu denken. Miras Worte gehen mir nichts aus dem Kopf und auch das wutverzerrte Gesicht von Rayan verfolgt mich. Ich kann Rayan doch nicht sagen, dass ich ihm gefolgt bin, dass ich da war und ihn gesehen habe. Ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich ihm nicht vertraut habe. Ich will, dass er mir Vertrauen entgegenbringt, und bin selber nicht besser. Doch was wenn er es von Mira erfährt?

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