🍃 24 🍃

228 22 2
                                    

Rayan

Drei Wochen wohnen Lexi und ich jetzt schon zusammen und ich genieße jeden Moment. Okay, an ihre Unmengen an Klamotten muss ich mich noch gewöhnen. Ich hatte keine Ahnung, dass so eine kleine Person so viele Klamotten haben kann. Zum Glück konnte ich mir den Kommentar verkneifen, sonst hätte es sicher Krach gegeben. Sie gibt es nicht offen zu, aber wenn jemand Witze über ihre Größe macht, dann ist sie gekränkt und das sogar sehr.

Sie erstaunt mich immer wieder, genau wie mit der Leinwand. Über der Couch ist der perfekte Platz, aber ich habe meinen Mund gehalten. Das Thema Hip Hop ist immer noch ein rotes Tuch und ich wollte nicht extra Salz in die Wunde streuen. Ich bin mir dessen bewusst, dass sie die Streetdance nicht mag und doch sagt sie nichts, wenn ich dort hingehe. Die Besorgnis in ihren Augen ist jedoch nicht zu übersehen. Ich würde ihr gerne sagen, dass ich damit aufhöre, habe es sogar schon versucht, doch ihr Sturkopf kollidierte mit meinem.

»Rayan, meinetwegen gibst du nicht deine Leidenschaft auf. Ja, ich mag diese Battles nicht, ganz zu schweigen von dieser Gegend. Mir ist nicht wohl dabei, aber ich habe dich tanzen sehen. Da steckt dein Herzblut drin und ein Teil von dir würde vor die Hunde gehen, wenn du es aufgeben würdest.«

Sie war sehr bestimmt in ihrer kleinen Rede und mehr sagte sie auch nicht. Alle meine Einwände hörte sie nicht, denn sie hielt sich die Ohren zu und sang laut und schief »Alle meine Entchen«.
Wie erwachsen mein Mädchen doch sein kann ...

»Hey Babe, was ist los?«, fragt Lexi mich einige Tage später.
Vor ihr kann ich auch nichts verheimlichen. Sie spürt meine Laune sofort. Ausreden sind zwecklos und doch druckse ich einen Moment lang herum. Lexi drängt mich nicht, sondern wartet still ab.
»Ähm Babe, könntest du mir einen Gefallen tun?«
Ich rede viel zu schnell, denn ich habe Angst dann doch einen Rückzieher zu machen. Der Gefallen ist eigentlich keiner, sondern eher eine ungewöhnliche Bitte. Etwas was ich noch nie jemanden gefragt habe. Okay, ich habe auch noch niemandem, vor Lexi, von meiner Vergangenheit, von Sarah, erzählt. Und eine Beziehung hatte ich vor Lexi auch nicht.
»Na klar. Worum geht es?«, höre ich die zarte Stimme meines Mädchens und schaue sie an. Ich brauche einen Moment, um sie scharf zu sehen, da ich an Sarah gedacht habe.

»Ähm, würdest du mit mir zusammen meine Schwester besuchen?«
Ich sehe, wie Lexi ihre Stirn in Falten legt. Ist meine Bitte doch so abstrakt oder wieso zieht sie so ein Gesicht?
»Klar. Du meinst auf dem Friedhof oder?«, fragt sie leise.
Das habe ich wohl vergessen zu erwähnen. Ich nicke und lasse den Kopf in meine Hände sinken. Es ist so verdammt schwer für mich. Doch mein Mädchen, wäre nicht mein Mädchen, wenn sie nicht alle Zweifel einfach wegschieben könnte. Sie zieht meine Hände von meinem Gesicht und ihre kleinen zierlichen Finger umfassen es. Vorsichtig legt sie ihre Stirn an meine und streicht mit dem Daumen über meine Wange. Mein Herzschlag beruhigt sich automatisch bei dieser Geste.

»Ich würde sehr gerne deine Schwester besuchen«, flüstert sie und schließt langsam die Lücke zwischen unseren Lippen.

Sie lässt mich meine Trauer, um Sarah nicht vergessen, sondern es scheint fast so, als ob sie mir ein Stück davon abnimmt. Jede Berührung, jeder Kuss von ihr, lässt mich ankommen, zeigt mir, dass ich all die Jahre genau auf diese Frau gewartet habe. Sarah hätte Lexi geliebt, da bin ich mir sicher. Es brauchte genau diese Frau, um zu verstehen, dass sie diejenige ist, die ich an mich ranlassen kann.

Mit einer gehörigen Portion Unwohlsein fahre ich mit meinem Mädchen am 6. April, einem Freitag, raus aus der Stadt. Mein Ziel ist der Westfriedhof. Im Auto herrscht Schweigen, aber es stört mich nicht. Meine Gedanken sind dafür umso lauter. Lexi schaut gedankenverloren aus dem Fenster, auch sie fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut, das spüre ich deutlich, aber sie versucht es zu verbergen. An ihrer Stelle würde es mir wahrscheinlich genauso gehen.

Ich halte auf dem Parkplatz und schweigend gehen wir, Hand in Hand, den Weg entlang, durch das eiserne Friedhofstor. Nur das Knirschen unserer Schuhe auf dem Weg ist zu hören und ab und zu ein Vogel, ansonsten ist es still. Ja, es scheint friedlich.

Vor einem Grab, unter einem Weidenbaum, bleibe ich stehen und schließe einen Moment meine Augen, um mich zu sammeln. Ich halte Lexis Hand festumklammert und sie steht still neben mir und wartet ab.

»Hey Schwesterherz«, flüstere ich mit belegter Stimme.
Ich komme mir in Lexis Gegenwart nicht blöd vor, dass ich mit meiner Schwester rede. Ich rede immer mit ihr, wenn ich hier bin.
»Ich möchte dir gerne jemanden vorstellen ... Das neben mir ist mein Mädchen Lexi.«

Und dieses besondere Mädchen überrascht mich damit, dass sie spricht, zu Sarah.
»Hallo Sarah. Leider konnte ich dich nicht kennenlernen, aber was ich von Rayan gehört habe, hat mich beeindruckt. Ich bin mir sicher, dass du die beste Schwester warst.«
Lexis Stimme ist so leise, dass sie vom Wind davon getragen wird und ich kann nicht anders und ziehe sie in meine Arme, platziere meinen Kopf auf ihrem und starre auf den Grabstein vor uns. Meine Sicht ist verschwommen, aber ich weiß so oder so was darauf steht.

Sarah Darx
*05.April 1978
21.Mai 1993

Viel zu jung
aus unserer Mitte gerissen

Ein Rascheln holt mich zurück und ich löse mich von Lexi, sehe wie das Papier in ihrer Hand kleiner wird, stattdessen kommen rosafarbene Tulpen zum Vorschein. Wo hat sie die auf einmal her und vor allem, woher wusste sie, dass Sarah diese Blumen in genau der Farbe liebte? Ich gebe mir nicht die Mühe meine Tränen wegzuwischen. Nein, denn ich schäme mich nicht für sie. Nicht vor meinem Mädchen.

Lange bleiben wir dort stehen und hängen unseren Gedanken nach. Als wir uns von dem Friedhof entfernen, breche ich das Schweigen.
»Baby, danke für alles ... Ich würde dir gerne noch jemanden vorstellen. Natürlich nur, wenn du willst.«

»Immer wieder. Sehr gerne« ist die schlichte Antwort und ich könnte platzen vor Glück. Ich kann mich nicht erinnern, je so gefühlt zu haben. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich so etwas jemals empfinden könnte.
»Ich liebe dich, Alexia Brent.« Die Worte verlassen meinen Mund ungefiltert und mit einer Leichtigkeit, die mir fremd ist, dennoch meine ich jedes Wort ernst.

»Und ich liebe dich, Rayan Darx«, erwidert sie und ich sehe ihr Lächeln. Sie drückt meine Hand und ich verschränke unsere Finger miteinander.

Zehn Minuten später parke ich mein Auto in der Kiesauffahrt meiner Eltern und gehe zusammen mit meinem Mädchen den Weg zur Haustür. Meine Eltern wissen nichts von meinem Besuch. Es ist eine spontane Aktion von mir. Doch ich will ihnen unbedingt diese Frau vorstellen.

1,2 oder 3? Herz verschenkt... ✔ #LeseLiebe18 #Lagune18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt