Kapitel 6, Teil 2

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Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Der Rauch wurde immer dichter und die Hitze breitete sich unbarmherzig aus. Trotzdem trugen mich meine Füße nicht. Ängstlich schrie ich auf, als plötzlich ein Ast direkt vor mich viel. Er war so nah, dass ich die verschiedenen Rot- und Orangetöne des Feuers sehen konnte.

Als ein weiteres Knacken ertönte, sprang ich auf und rannte blindlings in die Richtung, aus der ich glaubte, gekommen zu sein. Meine eigene Angst ließ mich blind werden und ich stolperte über jede Unebenheit.

Bis ich erneut am Boden landete.

Mit dem Gesicht voraus. So schnell es ging, rappelte ich mich wieder auf und lief weiter. »Mylady!« etwas oder jemand hielt mich so abrupt fest, das ich beinahe zum dritten Mal gestürzt wäre. Der Mann trug die Uniform der Hauswache!

»Warum seid Ihr hier, Mylady?« fragte der Mann, doch ich brachte kein Wort heraus. Ja, warum war ich so wahnsinnig gewesen nach dem Feuer zu suchen. »Seid Ihr verletzt, Mylady?« versuchte es der Mann erneut, worauf ich nur benommen den Kopf schütteln konnte. Mir war so furchtbar heiß.

»Bringt Ihre Ladyschaft zurück zum Anwesen« ordnete er an und ich zuckte erschrocken zusammen, als mich plötzlich jemand an der Hand packte und mit sich zog. »Mein Name ist Sir Rye, Mylady« sagte er gerade so laut, dass ich es über das Knistern und bersten der Äste und Zweige noch verstehen konnte. Er wandte sich in alle Himmelsrichtungen um, bevor er sich hinter einem noch nicht in Flammen stehenden Strauch zusammenkauert. Das Licht war so hell, dass ich meinen Blick abwenden musste. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bringe Sie sicher nachhause«

Nachhause ... er würde mich wohl kaum zu Paget führen und ein anderes zuhause kannte ich nicht. Er warf mir einen prüfenden Blick zu, den ich nur stumm erwiderte. Sollte er doch gaffen und denken von mir, was er möchte. Die komplette Wache wird mich für wahnsinnig erklären, wenn sie erst von meinem Ausflug erfuhren.

Sir Rye wartete nicht länger und verstärkte seinen Griff um mein Handgelenk, während er mich weg von dem Feuer zog. Gingen wir Richtung Norden? Oder war es Westen? Müde rieb ich mir über meinen Kopf und spürte, wie Sir Rye ruckartig an meiner Hand riss. »Mylady, bitte versucht, nicht auf jeden Zweig zu steigen, der Ihnen unter die Augen kommt« flüsterte er schließlich scharf, worauf meine Wangen zu glühen begannen. Ich beeilte mich zu nicken, doch er achtete nicht länger darauf, sondern führte mit weiter durch den Wald.

Langsam spürte ich die frische Frühlungsluft wieder und wie der Schweiß auf meinem Rücken und im Gesicht langsam trocktnete. Das Feuer musste ein Stück hinter uns liegen.

»Ganz still, Mylady« zischte er plötzlich und presste mich an die Rinde eines Baumstammes. Ich spürte seinen harten Brustkorb an meiner Brust und wollte protestieren. Sofort legte sich seine Hand über meinen Mund. Seine Knie drückte fest gegen meine Oberschenkel, deshalb konnte ich ihm nicht auf die Füße treten. Gerade als ich meinen Mund öffnete um ihn in seine Hand zu beißen, versteifte er sich noch mehr.

»Lass uns gehen, bevor uns das Feuer genauso einkesselt wie das dumme Mädchen«

»Du weißt, das Seine Majestät wütend sein wird, wenn wir die Engländerin sterben lassen«

»Aber er wird nie erfahren, dass sie tot ist, wenn wir mit ihr verbrennen«

Ich schloss meinen Mund und nahm den Geschmack des Rauches auf meiner Zunge nicht mal wahr. Feuer eingekesselt, dummes Mädchen ... Engländerin sterben ... warum beschlich mich das Gefühl, dass sie von mir sprachen.

»Kommt, Mylady. Es ist nicht mehr weit« löste sich Rye schließlich von mir und trat unsicher einen Schritt nach rechts. Meine Glieder waren so unfassbar schwer. Ich wollte nur noch schlafen. Am besten an Pagets Seite.

Rhianna brachte mich sofort in mein Schlafzimmer und wärmte Wasser über dem Feuer im Kamin. Sie schwieg. Das war niemals ein gutes Zeichen. »Das Haus ist in heller Aufregung« ergriff Rhianna schließlich das Wort. Sie massierte verschieden riechende Cremen und Seifen in meine Haare. Ich seufzte auf und zuckte mit den Schultern. Ich wollte mich nicht dafür entschuldigen. Immerhin hatte ich nichts Falsches getan! Es war kein Verbrechen in den Wald zu gehen. Durch das Fenster zu springen und sich vor den Wachen zu verstecken allerdings schon. Ich fuhr mir seufzend durch mein Gesicht.

»Ich wollte das alles nicht« brachte ich schließlich heraus und Rhiannes Finger hielten kurz inne. »Natürlich nicht, Mylady. Wenn seine Lordschaft erst zurück ist ...« sie stockte und ich schluckte. Ja, was war dann? Würde er die Umstände wieder vor mir vestecken wollen? Würde ich erneut auf seine Lügen hören?

»Hauptmann Timophly möchte noch mit Ihnen sprechen, Mylady« wechselte Rhianna das Thema, als sie bemerkte, dass diese Unterhaltung keinen Zweck hatte. Wir wussten nicht, ob es besser werden würde, wenn Paget kommen würde. Aber hoffentlich würde sich etwas ändern.

Vorsichtig lugte ich am Rand der Vorhänge vorbei und zuckte zurück, als der Himmel so hell strahlte wie in der Mittagszeit. »Wenn sie den Wald erst einmal niedergebrannt haben, ziehen sie hoffentlich ab« machte mich Timophly auf sich aufmerksam. Seine Stimme klang ungewohnt hart und um seinen Mund lag ein bitteres Lächeln. »Könnt Ihr nicht irgendetwas tun, damit ...« - »Nein, Mylady kann ich nicht« Er funkelte mich böse an.

»Sir Dorians Anhänger bewegen sich wie Schatten und Feuer legt sich schnell. Ich habe nicht genügend Männer und in England nicht die Handhabe ...« er wurde immer lauter, bis er sich schließlich selbst unterbrach. Von dem strahlenden Mann, der er noch vor drei Tagen gewesen war, erkannte ich nichts mehr. Vielleicht hatte Paget den Falschen mit dieser schwierigen Aufgabe betraut. Wobei es mir nicht zu stand, darüber zu urteilen, ermahnte ich mich selbst. Timophly gab mit Sicherheit sein Bestes.

»Bitte macht es mir nicht noch schwerer, indem Ihr unbegleitete Spaziergänge in brennende Wälder unternehmt« mahnte er schließlich und suchte meinen Blick. Ich schluckte mein Unbehagen hinunter. Ich wollte ihm keine Unannehmlichkeiten bereite sondern herausfinden, was sich in den Wäldern verbarg. »Sir Rye hat mich zum Glück wohlbehalten zurückgebracht« erwiderte ich spitzer als beabsichtigt. Was war bloß los mit mir? Der Hauptmann hatte es nicht verdient, dass ich unfreundlich zu ihm war. Immerhin erledigte er lediglich seine Aufgabe.

»Deshalb wird Rye heute Nacht im Zimmer bleiben« beschloss Timophly und ich riss meine Augen auf. Wie konnte er es wagen, es überhaupt vorzuschlagen, dass ein fremder Mann in meinem Zimmer über Nacht blieb. »Das erlaube ich nicht« - »Der Feind kennt nun Ihr Gesicht, Mylady« Timophly sah mich ernster an, als es mir lieb war.

»Wir können es uns nicht leisten, Sie auch nur einen Augenblick unbewacht zu lassen«

Ohne auf meine Widersprüche einzugehen, verließ Timophly den Raum und knallte die Tür zu. Ich schien ihn wütender gemacht zu haben, als er es gezeigt hatte. Aber beinahe im selben Moment betrat Rye das Zimmer. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor ich mich murrend in mein Bett verzog und die Vorhänge schloss. Das schirmte mich zumindest von seinen Blicken ab.

Während ich mich im Bett herumrollte und das Gefühl für meinen Körper zurückkehrte, musste ich ständig darüber nachdenken, worüber die beiden Männer im Wald gesprochen hatten. Langsam begann ich meine schmerzende Wade zu spüren und nahm auch meine Kratzer wahr, die ich mir im Wald zugezogen hatte.

Ich versuchte, das Bild des Feuers zu verdrängen. Das war mir alles Zuviel. Verzweifelt rieb ich mir über die Augen. Ich durfte nicht darauf warten, dass Paget etwas änderte. Wer weiß, ob er rechtzeitig zurückkommt, um den Wald und das Anwesen zu retten. Deshalb musste ich es tun.

Es gab nur eine Möglichkeit etwas zu bewirken und mit Sicherheit wird es Timophly nicht gefallen.

Ich musste mit Dorian sprechen.

Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt