Kapitel 8, Teil 2

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Verehrte Lady Manches!

Ich möchte mich für mein brüskes Verhalten der letzten Woche entschuldigen. Nichts ist mir wichtiger als Euer Wohlbefinden. Trotzdem muss ich an Euch appellieren, Euren Entschluss umzuändern. Anbei findet Ihr eine alte Sage vor. Ich hoffe, Ihr könnt die Lektüre genießen. Zeigt sie bei Gelegenheit Eurem Mann, damit er Euch erklärt, was es mit dem Text auf sich hat.

Um Euretwillen bete ich dafür, dass Ihr Seine Lordschaft selbst dann noch anbetet und liebt.

Alles Gute,

Dorian

Ich war versucht das Stück Papier in kleine Fetzen zu zerreißen. Er hatte nicht mein bestes im Sinne. Immerhin hatte ich mich so weit erniedrigt ihn in mein Haus einzuladen und ihn zu bitten mich in Ruhe zu lassen. Anstelle feuert er weiter auf mein Zuhause.

Verunsichert sah ich das zweite Blatt Papier an. Wenn ich es erst geöffnet habe, würde es für immer einen Keil zwischen uns beiden treiben. Dorian war sich seiner Sache zu sicher.

Deshalb suchte ich Paget auf. Dorian mochte sich für raffiniert halten, aber ich ließ nicht zu, dass er meine Ehe zerstörte. Sollte Paget Geheimhalten, was er möchte, jetzt musste er es mir sagen oder ich würde Dorians Brief fertig lesen. Es sollte auch in seinem Interesse liegen, sich mir zu öffnen.

»Lavinia« Paget sprang überrascht von seinem Stuhl auf und sah mich fragend an. Ich wedelte mit dem Brief vor seiner Nase herum, bevor ich ihm den Umschlag in die Hand drückte. Sollte er sich besser eine gute Erklärung einfallen lassen für, was auch immer Dorian über ihn ausgegraben hatte.

»Hast du das Gedicht gelesen?«

»Noch nicht«

»Warum nicht?«

»Ich möchte es von dir hören«

Paget setzte sich an die Schreibtischkante und musterte mich. Noch war nichts von dem Kind in mehr zu sehen, aber Paget fixierte trotzdem meinen Bauch. »Ich könnte lügen« - »Ich flehe dich an es nicht zu tun« Paget schluckte und wandte den Blick von mir ab.

Was konnte bloß so schlimmes geschehen sein, dass er mich nicht sagen konnte? »Ich habe dir erzählt, ich arbeite für die Krone« begann er schließlich und ich nickte. Vielleicht war es eine Kleinigkeit, die Dorian nur aufbauschte. Meine Schultern entspannten sich ein bisschen. »Ich habe nicht von der englischen Krone gesprochen. Oder überhaupt einem Königshaus, das du kennst«

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und trat näher zum Kamin. Eine eisige Kälte bahnte sich den Weg in meine Knochen. »Ich bin der Erzherzog von Bonheur« fuhr er ruhig fort. Ich riss meine Augen auf und schüttelte energisch den Kopf. Das war Blödsinn. Bonheur existierte nicht. Genauso wenig wie Feen oder Kobolde am Ende des Regenbogens existieren.

»Bitte sage, dass du mich auf den Arm nimmst« flehte ich und schlang die Arme um mich. Sollte er die Wahrheit sagen, würde er mich in ein ganz neues Leben zwingen. »Komm« forderte er und deutete auf seinen Schreibtisch. Seine Hand zeigte einladend auf den Papierstapel und ich nahm das oberste Blatt ab.

Französisch ... ein Siegel, unter einem Rechtsspruch.

»Was ist das?« - »Eine Empfehlung, aber das spielt keine Rolle«

Er deutete mit seinen Finger nochmal auf das Siegel, bevor er mir sanft über die Wange strich. »Du bist eine Erzherzogin« - »Wie konntest du die ganze Zeit vor mir geheim halten, wer du bist? Wer ich sein werde?«

Ich riss mich von ihm los. Er hatte mich in ein Leben hineingezwungen, dass ich nicht führen wollte! Erzherzogin ... ich konnte nicht einmal den Haushalt eines kleinen Anwesens kontrollieren. Das hatte man mir besser beibringen sollen, anstellte von Recht, Französisch oder Italienisch.

Mühsam schluckte ich meine Tränen hinunter. Plötzlich ergab es Sinn, warum ich alles über die großen Häuser Europas wissen musste, Sprachen beherrschen und Rechtsprechungen verstehen sollte. Seit dem Tag meiner Geburt wurde ich daraufhin trainiert an einem Hof zu bestehen, den ich nicht kannte. Wussten es Ophelia und Sean? Warum hat das Mädchen, dass ich wie eine Schwester liebe mir gegenüber kein Sterbenswörtchen erwähnt?

Den Brief ließ ich bei Paget zurück. Wenn er klug wäre, würde er die Blätter verbrennen. Immerhin bot sich ihm jetzt die Gelegenheit. Aber wenn ich ehrlich war interessierte mich sowieso lediglich seine Sicht der Dinge.

Ich ließ mich auf meinen Schreibtischsessel sinken und faltete meine Hände über meinen Bauch. Mein Kind. Wann hätte er mir gesagt, dass unser Kind diesen Titel tragen würde. Mein Herz verformte sich in meiner Brust zu einem Klumpen, der meine Kehle hinauf wanderte, bis ich aufschluchzte. Wie hatte ich nur so dumm sein können diesem Mann blind zu vertrauen? Hätte ich mich bloß vor meinen Gefühlen für ihn abgeschirmt, dann würde es jetzt nicht so schmerzen.

Verzweifelt versuchte ich einen Brief an Ophelia zu verfassen. Gerade als ich das Blatt zusammenfalten wollte, begann ich erneut zu weinen. Sean wird unsere Korrespondenz überwachen. Wenn ihm zu Ohren kommt, dass ich Paget zur Last falle wird er toben. Oder im schlimmsten Fall anreisen.

»Mylady? Sollen wir Seine Lordschaft benachrichtigen?«

Schniefend schüttelte ich den Kopf. Er hatte mich nicht zurückgehalten, als ich sein Arbeitszimmer verlassen habe, also schien er selbst einige Stunden für sich zu brauchen. »Sollen wir nach sonst jemanden schicken?« - »Nein, ich brauche niemanden« weil ich niemanden habe. Ophelia konnte ich nicht kontaktieren, ohne das Sean davon etwas mitbekam und sonst blieb mir niemand. Lady Asbury konnte ich schlecht davon in Kenntnis setzen, dass eine sagenumwobene Insel doch existierte und das gerade ich mitten hineinfiel.

»Bitte höre auf zu weinen« bat Paget schließlich und ich sah auf meinem Buch auf. Wann war er hereingekommen? »Ich werde Sean zu uns bitten« eröffnete er schließlich das Gespräch und ich riss die Augen auf. »Wenn du mich bestrafen möchtest, dann lass dir bitte etwas anderes einfallen« erwiderte ich und verkrampfte meine Hände im Schoß. Paget hatte mir versprochen, dass Sean mir nie wieder weh tun würde. Aber alleine seine Gegenwart machte mir Angst und er würde niemals aufhören, mir weh zu tun. »Ich habe es dir geschworen, dass ich dich vor ihm schütze« - »Dann lass ihn dort, wo er ist«

Meine Stimme wurde schriller und ich sprang von meinem Sessel auf. Meine Lungen verlangten nach Luft. »Ich bestrafe dich nicht indem ich ihn herhole, ich hole dir Hilfe« - »Ich brauche die Hilfe von Sean nicht!« Paget verschränkte die Hände und starrte mich böse an. Meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich sah weg.

»Mein Bruder drängt darauf, dass wir bald nachhause fahren«

»Wer ist dein Bruder?«

»Der Kaiser, dein Cousin«

Ich schüttelte entsetzt den Kopf und stolperte immer weiter zurück. »Ich möchte wirklich nur das Beste für euch beiden« versprach er und trat näher auf mich zu. Als er seine Hände auf meine Bauchdecke legt, wehrte ich mich nicht. Außer ihm hatte ich niemanden. »Dann erzähl'mir von deinem Zuhause« bat ich und suchte seinen Blick. Mir blieb nichts anderes über als ihm zu folgen. Aber ich wollte verdammt noch einmal wissen, wohin und was mich dort erwartet.

Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt