Er warf das nächste Glas gegen die Wand. Nur knapp an meinem Kopf vorbei. Unsicher schlang ich die Arme um meinen Bauch. Mein Herz raste vor Angst und schmerzte gleichzeitig, ihn so sehen zu müssen. Mit zwei großen Schritten war ich bei ihm und legte meine Hände auf seine. Es war unheimlich still hier. »Bitte, Paget« flüsterte ich. Alles in mir zog sich zusammen. Ich wollte ihm so gerne helfen.
Er riss seine Arme zurück und stieß mich weg vom Schreibtisch. Ich stolperte über meine eigenen Füße. Gleich darauf rutschte ich am vom Whisky nassen Boden aus. Ein scharfer Schmerz zuckte durch meine Hand, als ich am Boden landete. Ich schrie auf. Schob meine Hand über meinen Bauch, als Paget zu mir herumfuhr. Was war bloß in ihn gefahren?
In seinen Augen flackerte eine Dunkelheit, die mir furchtbare Angst mache. Sein Atem ging noch immer schwer und ich war mir der Beule in seiner Hose bewusst. Das war nicht der Mann, den ich kannte. Irgendetwas musste ihn furchtbar aus der Bahn geworfen haben.
Ich rappelte mich unter Schmerzen auf. Er ballte seine Hände erneut zu Fäusten. Ich sollte sehen, dass ich hier raus kam. »Wir legen bald an« brachte ich heraus und starrte auf seinen Rücken. Ich wollte ihn anflehen, mich nicht alleine durch den Kanal, der zum Schloss führte, stehen zu lassen. Aber er schaffte es nicht Mal mir in die Augen zu sehen. Da würde er sich kaum neben mich stellen. Dummes, dummes Mädchen. Du hast ihn wütend gemacht.
»Ich warte auf dich«
Ich hätte gerne noch mehr gesagt, aber Maida kam in diesem Moment durch die Tür gehastet. Ein Blick auf meine hochgezogenen Schultern und das verwüstete Zimmer reichten ihr und griff wie selbstverständlich nach meiner Hand. »Ihr seid ein Narr« schimpfte Maida, worauf mein Mann dunkel auflachte. Ich hatte mit den Tränen zu kämpfen, als ich das Zimmer verließ.
Gwen sah mich mit schräggelegtem Kopf an, als ich zu ihnen zurückkehrte. Am Rand des Kanals standen hunderte von Menschen und winkten uns zu. Meine Hand pochte noch immer und zwischen meinen Beinen klebt Blut. Ich konnte es nicht fassen, dass Paget mich angegriffen hatte. Unsere Kinder beinahe verletzt hätte.
»Wo ist er?« - »Ihm geht es nicht gut«
Nemours war wie aus dem nichts hinter mir aufgetaucht und warf mir einen warnenden Blick zu. Ich presste die Lippen zusammen. Winkte solange weiter, bis ich meine Hand nicht mehr spürte. Wie lange konnte dieser Kanal schon sein? »Was hat er getan?« fragte sie und klang dabei so nüchtern, dass ich überrascht zu ihr umwandte. »Hat er dir weh getan?« bohrte sie weiter und ich wandte mich ab. Drehte mich auf die andere Seite und hoffte Nemours zu finden. »Er ist nicht hier« holte mich Gwen zu sich zurück und ich presste verärgert die Lippen zusammen.
»Er hat sein Arbeitszimmer zertrümmert« flüsterte ich schließlich. Genau in diesem Moment erhaschte ich meinen ersten Blick auf das Schloss. Der Kanal machte eine leichte Krümmung und die Bäume lichteten sich. In der Ferne konnte ich einen hellen Bau erkennen. Es war zum Glück nicht so riesig, wie ich gefürchtet habe, aber immer noch groß. Wahrscheinlich würde ich mich die nächsten zwei Wochen die ganze Zeit verlaufen.
Gwen blies langsam Luft aus und nickte. Griff nach meiner Hand. »Das kann alles sehr furchteinflößend sein, ich weiß. Männer bleiben Männer, egal welchen Titel sie tragen. Deshalb wende dich an uns Frauen, wenn dir etwas fehlt« Am liebsten hätte ich meine Arme um sie geschlungen und sie ganz fest an mich gedrückt. Solange, bis der Schmerz und die Angst vor und um Paget vergangen sind.
»Majestät« Maida sank neben mir in einen Knicks und mir ging das Herz auf, als Grace an ihrem Arm sah. »Das Arbeitszimmer ist aufgeräumt und Grande Prince Nemours kümmert sich um den Rest« wisperte sie und ich reichte ihr meine Hand. Sie hielt sie sich an die Lippen. »Danke, Gräfin« Ich kämpfte mit den Tränen und als sie aufsah, schenkte sie mir ein warmes Lächeln.
Ich beugte mich zu Grace hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange und anschließend auf die Stirn. Hoffentlich geht es ihr gut. »Schön das du hier bist, Prinzessin« Grace strahlte mich an. Damit konnte ich mir einen unbeschwerten Atemzug stehlen. Mit Grace im Arm legten wir am Hafen des Schlosses an.
Es war prachtvoller, als es von der Ferne aussieht. Eine ganze Traube Menschen hatte sich gesammelt und sah uns erwartungsvoll zu uns auf. Erstes Gemurmel setzte ein, als auffiel, das Paget nicht an meiner Seite war.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken und starrte zu dem klassizistischen Schloss auf. Die goldenen Elemente an den Fenstern glänzten im Licht und blendeten mich beinahe. Trotzdem konnte ich mich dem Anblick nicht entziehen. Etwas magisches wohnte diesem Palast inne. Eine prächtige, breite Stiege führte die kleine Anhöhe hinauf und endete in einem beeindruckenden Garten.
Vielleicht hatte Paget Recht. Das könnte wirklich mein Zuhause werden.
Es war unnatürlich still, als der Steg ausgefahren wurde. Das Schlagen von Holz auf Holz riss mich aus meiner Starre. Als Ranghöchste müsste ich als erste vom Schiff gehen. Unruhiges Gemurmel setzte ein, als ich mich nicht bewegte. Aber wie sollte ich ohne Paget ... ich hatte versprochen, dass ich warten würde.
Inmitten der Menschentraube schien sich die Elite versammelt zu haben. Um einen ganz bestimmten Mann. Mit denselben Augen wie Paget. Der Kaiser zog seine Augenbrauen hoch, gab dem Hofstaat aber ein Zeichen, dass er ausharren sollte. Hilfesuchend wandte ich mich zu Nemours um, der mir beruhigend zulächelte. Er war bereits hier, als sollte Paget hoffentlich auch nicht mehr zu lange brauchen.
»Darling« seine tiefe Stimme halte über das ganze Schiff und der Boden vibrierte unter seinen Füßen. Meine Knie wurden ganz weich, als er einen Kuss auf meine Wange drückte und mir seinen Arm anbot. Er roch nach Alkohol. Während er sich betrunken hatte, musste ich wie eine Galionsfigur auf sein Erscheinen warten. Wütend presste ich meine Lippen zusammen.
Grace klammerte sich fester an meine Hand, als wir den Steg hinunter schritten. Ich danke Gott dafür, dass er für drei Menschen platz bot. Schmerzsignale pulsierten durch meinen ganzen Arm, als Grace den Druck nicht verringerte.
»Bruder« die Stimme des Kaisers war heller als Pagets, aber auch strenger. Ich sank in einen Knicks und war froh, mich einen Moment verstecken zu können. Ich wollte den Schlagabtausch in Blicken nicht mitverfolgen müssen. »Es ist mir eine Ehre Euch hier begrüßen zu dürfen, Erzherzogin Lavinia« wandte er sich an mich und streckte mir seine Hand entgegen. Ich drückte meine Lippen ganz kurz auf den Ring, den er am Zeigefinger trug und ihn als Kaiser dieses Landes auszeichnete. Als er mir auf die Beine half, schenkte er mir ein warmes Lächeln.
»Erzherzog Gideon wird Euch das Schloss zeigen. Bitte entschuldigt uns, Lavinia« verabschiedete sich Mathew. Er warf Paget neben mir einen auffordernden Blick zu, der ihm kommentarlos folgte. Ohne sich auch nur einmal nach mir umgesehen zu haben.
DU LIEST GERADE
Lady Lavinia - das Mädchen unter Vielen
Historical Fiction»Ich habe dir erzählt, ich arbeite für die Krone« begann er schließlich und ich nickte. Vielleicht war es eine Kleinigkeit. Meine Schultern entspannten sich ein bisschen. »Ich habe nicht von der englischen Krone gesprochen. Oder überhaupt einem Kön...