Kapitel 7, Teil 2

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Die nächste Woche zog in einem Rausch an Unterricht meines Privatlehrers an mir vorbei. Dorian hielt sich mit seinen Offensiven zurück und die Wache bot diesem alten Narr eine Eskorte an. Noch nie hatte ich davon gehört, dass eine verheiratete Frau unterrichtet wurde. Es war demütigend, wenn er mich ständig korrigierte oder sich verzweifelt durch seinen Bart fuhr, weil ich etwas nicht begriff. Ich hatte überhaupt keinen Schimmer, wozu ich dieses Wissen überhaupt brauchte. Über das Verhalten bei Hof wusste ich bereits alles und wie ich einen Haushalt zu führen habe, brachte er mir nicht bei. Alles andere hielt ich für überflüssig.

»Seine Lordschaft hat mich gefragt, ob ich Euch einige norwegische Begrifflichkeiten näher bringen könnte« unterbrach er mich beim Studium meines Atlases. Die große Suche nach Marokko. Wer bei Gott weiß, wo Marokko lag? Aber noch irrsinniger war, dass ich norwegische Begrifflichkeiten lernen sollte. »Dann soll Seine Lordschaft nachhause kommen und sie mir selbst beibringen« erwiderte ich bissig und deutete auf mit meine Finger auf einen kleinen Fleck auf dieser verhassten Karte. »Oder mir zumindest einen Brief schreiben, in dem er erklärt, wem das alles dienen soll!« - »Euch, Mylady. Ihr lernt für Euch selbst, nicht für Euren Mann« - »Trotzdem!« Soll er nachhause kommen, schoss mir durch den Kopf und ich schlug den Atlas energisch zu. Warum wurde ich nicht in Literatur unterrichtet, wie alle anderen Mädchen in meinem Alter? Die Motive Shakespeares für Romeo und Julia zu erörtern wäre mit Sicherheit spannender, als ständig Länder auf der Karte zu suchen und Flaggen aufzumalen.

»Ihr müsst Euch nicht dafür schämen, dass Ihr Euren Ehemann vermisst« beruhigte er mich und ich sprang auf. Dieser alte Kauz durfte nicht bemerken, dass ich gleich in Tränen ausbrach. Paget schien keinen Gedanken an mich zu verschwenden, während ich halb wahnsinnig wurde vor Sorge um ihn.

»Wer vermisst hier seinen Ehemann?« seine Stimme erfüllte den ganzen Raum und vertrieb meine Wut. Ich schnellte herum und warf mich ohne weiter darüber nachzudenken in seine Arme. Mitte der Woche ...er war früher gekommen, als angenommen.

»Ich hoffe du hast dem armen Professor nicht um seine letzten Haare gebracht« scherzte Paget und ich verzog meinen Mund. »Eher umgekehrt« erwiderte ich und Paget lachte auf und vergrub seine Hände in meinem Zopf. »Ich bin so froh, dass du wieder hier bist« flüsterte ich gegen sein Hemd und ich spürte ihn tief einatmen. »Ja, meine Liebe, das bin ich auch«

Abends

Ich starrte aus dem Fenster. Bevor Paget abgereist ist, war da unendlicher Wald. Mittlerweile hing der Geruch von Rauch in der Luft und das ehemalige satte grün wich einem trostlosem Braun. Das war meine Schuld. Dorian nannte mir seine Bedingungen und ich war nicht bereit sie zu erfüllen. Ich wollte mich nicht erneut in die Fänge eines gewalttätigen Mannes begeben. Aber so konnte es auch nicht weitergehen.

»Timophly erzählte mir, dass es dir seit deinem Zusammentreffen mit Dorian eher schlechter, als besser geht« berichtete Paget. Er hatte sich den ganzen Nachmittag in seinem Arbeitszimmer gemeinsam mit dem Hauptmann verbarrikadiert. »Hast du es deshalb gestattet? Weil du gehofft hast, es würde mich beruhigen?« - »Timophly meinte, du würdest dich so und so mit ihm treffen« Ich lachte auf und vergrub meinen Kopf an seiner Brust. Timophly nahm mich also doch gelegentlich ernst. Gut zu wissen.

»Ich habe über Dorian nachgedacht, Paget« begann ich schließlich und löste mich von ihm. »Er hat deutlich gemacht, dass er weder uns noch deinen Besitz in Ruhe lassen wird, solange ich bei dir bin« - »Ich werde eine Lösung finden« Paget strich mir eine Strähne aus der Stirn und seine dunkeln Augen strahlten siegessicher. Aber er wusste auch nicht, mit wem er rang. Doran war entschlossen, Paget das Leben so schwer wie möglich zu machen.

»Aber wenn du mich zu ihm schickst, wird ihm das reichen« brachte ich heraus und Paget zog seine Augenbrauen zusammen. »Hast du gesehen, welchen Schaden ich bereits angerichtet habe?« setzte ich hinterher und deutete mit meiner Hand aus dem Fenster. Ich hatte seine Großherzigkeit nicht verdient. Wahrscheinlich war es mein Schicksal mich immer wieder in die Fänger brutaler Männer begeben zu müssen. »Ich werde dich unter keinen Umständen hergeben!« sagte er schließlich und hob mich hoch, als wöge ich nicht mehr als eine Feder. Mit wenigen Schritten hatte er das Bett erreicht und legte mich vorsichtig ab. Im nächsten Moment war er über mir. »Meinetwegen soll er diesen ganzen verdammten Wald niederbrennen« fuhr er fort und strich mit seinen Händen über meine Hüften. »Oder mit seiner gesamten Armee vor unsere Tore treten« flüsterte er und legte seine Hände an meine Wangen.

»Aber du ... « er kam meinem Gesicht ganz nahe. Ich spürte bereits seinen Atem an meinen Wangen »... du bleibst bei mir« Ich zog seinen Kopf zu mir herunter und suchte seinen Mund. Ich wollte alles von ihm. Als er seine Zunge in meinen Mund schob, überlief mich ein kalter Schauer und zog ihn noch näher zu mir. »Ich musste die ganze Zeit an deine Lippen denken« flüsterte er und ich lachte kurz auf, das sich aber schnell in ein Stöhnen verwandelte, als er mit seinem Mund meinen Hals hinunterwanderte. Ich schlang meine Beine um seine Hüften und spürte, wie Paget seine Hände zum Saum meines Nachthemdes führte und nach oben zog.

Orientierungslos fuhr ich hoch. Es knallte, gefolgt von einigen Schreien. Paget regte sich im Schlaf und tastete nach mir. Ich wollte ihn nicht wecken. Er brauchte dringend
Schlaf. Mich überfiel eisige Kälte, als weitere Waffen abgefeuert wurden. Eilig schlüpfte ich aus den Decken und hastete zum Fenster. Hoffentlich war niemand verletzt.

»Lavinia?« hauchte Paget und drehte die Nachtischlampe hoch. Er stieß ein Zischen aus und ich wandte mich überrascht um. »Komm her« forderte er und ich trippelte zum Bett zurück. »Warum bist du wach?« fragte er und zog mich zu sich. Seine Hände auf meiner nackten Haut lösten ein Kribbeln aus, nachdem ich mittlerweile süchtig war. Bevor ich antworten konnte, durchschnitt erneut ein Knall die Stille. Das waren mittlerweile mindestens fünf bis sechs Schüsse.

Paget rollte sich auf mich und das Muskelspiel seiner Arme fesselte mich. »Du siehst so wunderschön aus« wisperte er, bevor seine Lippen hungrig auf meine drückte. Ich vergrub verzweifelt meine Hände in seinen Haaren und Paget seufzte auf.

Ich fuhr zusammen, als plötzlich ein Poltern an der Tür ertönte. »Ich bin hier« beruhigte er mich und ich nickte. Timophly riss die Tür auf und ich konnte seinen überraschten Blick erkennen. »Mylord« stammelte er ein wenig unbeholfen und Paget rollte sich herunter von mir, während ich tiefer unter die Decken schlüpfte. »Kann Euch kurz sprechen?« - »Kann das nicht bis morgen warten?« - »Einer unserer Männer ist gefallen« Paget atmete hörbar aus und Timophyls Miene war tot ernst. Eine Maske, hinter der er seine Gefühle verstecken konnte. Vielleicht war dieser Mann sein Freund gewesen. »Heute können wir nichts mehr für ihn tun« - »Erlaubt doch bitte, dass wir zum Gegenangriff ansetzen« Timophyls flehende Stimme jagte mir einen Schauder über den Rücken. Doch Paget schüttelte den Kopf. »Schickt Späher aus. Sollten bewaffnete Männer gesichtet werden, nehmt sie fest« - »Mylord«

Timophly zog sich mit einer Verbeugung zurück, doch die Gram war ihm ins Gesicht geschrieben. Paget starrte für einen Moment an die Decke, bevor das Gas der Lampe wieder abdrehte. Ich schmiegte mich an ihn, doch er zögerte. »Falls du deine Meinung änderst, sag es mir. Ich gehe, wenn du es wünscht« - »Hör auf damit« Seine Stimme klang ungewohnt heftig und in diesem Moment wünschte ich mir, nicht nackt an seine Brust gekuschelt zu liegen. »Ich werde meine Meinung nicht ändern. In guten und schlechten Zeiten, schon vergessen?« Ich lachte kurz auf und spürte, wie er seinen Arm und meine Taille legte.

Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt