Kapitel 8, Teil 1

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Rhianna fasste meine Haare zu einem Zopf zusammen, während ich mich in die weiße Schüssel übergab. Ich hatte gehofft, meine Übelkeit würde vergehen, wenn Paget erst zurückkehrt und mit ihm Frieden. Aber mein Körper schien es noch nicht begriffen zu haben. Als ich mir sicher war, dass mein Magen leer war, lehnte ich mich schwer atmend zurück. »Lavinia« rief Paget und klopfte hartnäckig an die Tür. Ich sah hilfesuchend zu Rhianna. Was sollte ich ihm bloß sagen? Hoffentlich fiel meinem Kammermädchen schnell eine Lüge ein. Doch Rhianna öffnete einfach nur die Tür und zog sich mit einem Knicks zurück.

»Bist du krank?« - »Nein, nein. Der Stress schlägt mir auf den Magen« Paget zog die Augenbrauen zusammen und reichte mir eine Hand, damit er mich auf die Beine ziehen konnte. Worauf sich der Raum um mich herum zu drehen begann und ich ungeschickt gegen seine Brust stolperte. »Ins Bett« ordnete er streng an und dirigierte mich mehr in die jeweilige Richtung, als das ich selbst ging. Es war alles so unscharf. Ich hätte nicht so schnell aufstehen dürfen. »Ich lasse nach dem Arzt schicken« beschloss er und ich seufzte auf. Das war nicht notwendig. »Ich brauche lediglich eine Umarmung« beschwichtigte ich ihn und sein Blick ging mir durch Mark und Bein. Sorge, Angst, Verwirrung.

Doch als ich meine Hand nach ihm ausstreckte, ergriff er sie und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. »Die Umarmung bekommst du, wenn der Arzt hier war«

Ich wälzte mich den ganzen Morgen mit einem französischen Abenteuerroman in meinem Bett herum. Der Arzt war noch nicht hier und Paget bestand darauf, dass ich solange in unserem Schlafzimmer blieb, bis er hier war.

»Mylady?« Rhianna steckte ihren Kopf durch die Tür und sah mich fragend an. Ich nickte zaghaft und sie trat zur Seite und ließ den Arzt eintreten. Er war jünger, als ich erwartet hatte. Sein Haar war voll und blond, vom Alter nicht angegriffen und sein Körper wirkte fast schlaksig in seinem viel zu großen Arztkittel. »Mylady« er verbeugte sich und begrüßte mich mit einem warmherzigen Lächeln.

»Könnt Ihr mir sagen, ob Ihr in den letzten Wochen etwas anderes gegessen habt?«

»Nein nicht das ich wüsste, Herr Doktor«

»Musstet Ihr Euch in der Zeit vor Eurer Ehe ebenfalls gelegentlich übergeben, Lady Manches?«

»Ich verstehe den Sinn der Frage nicht, Herr Doktor«

Ich zog meine Augenbrauen hoch und die Wangen des Arztes färbten sich dunkelrot. Er räusperte sich kurz und strickte sich die Ärmel seines Mantels nach oben. Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Ich bin mir nicht sicher in wie weit Ihr über die Dinge aufgeklärt seid ...« Ich prustete und der Arzt hielt erschrocken inne. Augeklärung ...er dachte wohl nicht, das ich schwanger war. Doch als ich seinem ernsten Blick begegnete, zweifelte ich keine Sekunde mehr daran, dass er es ernst meinte. Ich presste meine Lippen zusammen und nickte beklommen. Ein Baby ... ich schluckte schwer und deutete dem Arzt näher zu kommen.

»Und?« fragte ich und tippte ungeduldig mit den Zeigefinger unter meiner Decke. Er nickte bedächtig, bevor er übereilt aus dem Raum stürzte. Nicht, ohne zu erwähnen, dass er sich mit Lord Manches besprechen möchte. Seit wann war Paget ein Arzt, mit dem man fachsimpeln konnte? Ich seufzte frustriert auf und schlug die Decke zurück. Männer waren so furchtbar kompliziert.

»Bin ich mit meinem Verdacht richtig gelegen?« fragte Paget kühl und ich drückte mein Ohr an die Tür. Timophly hatte mich bis zur Tür eskortiert und mich nun alleine gelassen. Niemand beobachtete mich beim Lauschen. »Ja, Mylord. Herzlichen Glückwunsch. Ihre Ladyschaft erwartet ein Kind« stotterte der Arzt und ich hörte Paget laut fluchen. Warum freute er sich nicht? Eine Familie ... ich seufzte leise bei dem Gedanken auf. Ich wollte, nein ich würde, meinem Kind eine gute Mutter werden. Es lieben und beschützen. Einzelne Schmetterlinge tanzten in meinem Bauch.

»Wird sie es schaffen?« - »Ich denke, sie ist eine taffe, junge Frau, Mylord« Was schaffen? Zweifelte er an meiner Fähigkeit Mutter zu sein? Zwar hatte ich keine guten Vorbilder, aber das hatte mich zumindest gelehrt, wie ich es nicht machen möchte. »Ich kann das nicht«, hörte ich ihn plötzlich ganz leise sagen.

Ich trat entsetzt einen Schritt zurück. Dann noch einen. Bis ich an der Wand lehnte. Wie konnte er unser Kind nicht wollen? Das war unser Fleisch und Blut, unsere Familie!

Erschrocken und verwirrt eilte ich zurück in mein Schlafzimmer und erbrach erneut in die weiße Porzellanschüssel. Der Gallensaft schmeckte bitter auf meiner Zunge und mischte sich mit meinen süßen Tränen. Ich vergrub mich in meinem Bett. Sollte sich Paget dorthin scheren, wo er die letzten Wochen verbracht hatte.

»Lavinia« seine dunkle Stimme ließ meinen ganzen Körper vibrieren. Ich wischte meine Tränen in den Polster und wandte mich mit einem aufgesetzten Lächeln zu ihm um. Er schien den Unterschied nicht zu merken. Wie wenig wir uns doch kannten. Den Mann, von dem ich jetzt ein Kind erwartete. »Wie fühlst du dich?« fragte er und setzte sich an die andere Seite des Bettes. Stieß es ihn ab, dass ich nun dicker werden würde? »Gut, danke« log ich und starrte an ihm vorbei. Für einen Moment dachte ich wirklich, ich könnte ihn damit glücklich machen. Aber gut.

»Der Arzt hat gesagt, dass du ein Kind erwartest«

»Ich weiß«

»Wieso freust du dich nicht?«

»Ich habe gehört, wie du mit dem Arzt gesprochen hast«

Paget atmete tief durch und kam nun doch zu meiner Seite des Bettes. Ich wusste nicht, was ich nun sagen könnte, dass ihn mir näher bringt. Mir und dem Baby. »Warum freust du dich nicht?« brachte ich schließlich heraus und schniefte. Paget zog mich an seine Brust und schüttelte immer wieder den Kopf, während er nein, nein murmelte. »Ich möchte eine Familie mit dir haben« versprach er und legte mich zurück in die Kissen. »Ich wusste lediglich nicht, dass es so schnell gehen würden« setzte er hinter er und rollte sich über mich. Sein Haar war wie üblich verstrubbelt und ich fuhr mit meinen Fingern hindurch. »Du bist so zerbrechlich, Lavinia, und vor mir stehen noch so viele Reisen« er seufzte auf und drückte seine Lippen auf meine. Ich wollte nicht verstehen, wovon er sprach. Ich war stark genug, um ihn auf jedes Schiff, in jede Kutsche und jedes Automobil zu folgen. Sollte er es ruhig versuchen mich und unser Kind zurückzulassen. Ich werde ihm bis zum Ende der Welt begleiten.

Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt