Kapitel 9, Teil 1

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»Nicht jetzt. Wir erwarten Gäste« wiegelte Paget ab und ich wandte meine Augen ab. Plötzlich fühlte ich mich bedrängt und wollte zurückweichen, doch ich stand bereits mit dem Rücken zum Fenster. »Möchtest du dich umkleiden?« - »Bitte entschuldige mich. Ich bin müde« Mit meiner freien Hand versuchte ich auf meinen Bauch zu deuten. Es war mir egal, wer da unten auf mich wartet, soll sich Paget alleine damit herumschlagen. Immerhin ließ er mich auch alleine.

Als er noch immer keine Anstalt machte zur Seite zu treten, schob ich mich an ihm vorbei und hastete hinaus. »Lavinia« er hielt meine Hand fest und zog seine Augenbrauen nach oben. Wollte er mich herausfordern? Ich ahmte seinen Gesichtsausdruck nach und er seufzte verzweifelt auf. »Es ist wichtig« - »Genauso wichtig wie unsere Aussprache?« Ich ließ den Satz in der Luft hängen und verließ den Raum. Soll er sich mit seinen wichtigen Gästen zum Teufel scheren.

»Lass mir ein Bad ein, Rhianna« bat ich und sie sah mich erstaunt an. Die Dienerschaft schien über den Besuch informiert zu sein. »Wie Ihr wünsch, Mylady« Ich schluckte meinen Kummer hinunter und verkrampfte die Hände in meinem Kleid. »Nein!« Pagets Stimme brachte meinen gesamten Körper zum Vibrieren. »Hol Ihrer Ladyschaft eine Abendrobe« befahl er und ich wandte mich überrascht um. Warum konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Ich war wirklich müde und hatte überhaupt keine Lust auf ein Dinner.

Rhianna sah mich erschrocken an und huschte in mein Ankleidezimmer. Paget legte seine Hände an meine Wangen, und zwang mich so in seine Augen zu sehen. So wunderschön. »Du wirst deine Antworten bekommen« versprach er und küsste mich auf den Mund. Das war Bestechung. »Meine Frau gehört heute Abend an meine Seite. Lass mich nicht im Stich, Lavinia« flüsterte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Lady Asbury warf mir immer wieder ein aufmunterndes Lächeln zu. Alleine das machte es mir möglich, dieses schreckliche Dinner zu überstehen. Ich hätte mich von Paget nicht dazu nötigen lassen dürfen hier zu sitzen. Wir Dame schwiegen, während sich Paget angeregt mit unseren beiden Gästen unterhielten. Ich schenkte ihnen keine weitere Aufmerksamkeit. Angeblich waren sie alte Freunde von Paget, die auf der Durchreise waren. Das war gelogen, aber was kümmerte es mich. Die beiden würden morgen früh, spätesten übermorgen früh, abreisen.

»Wollt Ihr mich nicht in den Salon begleiten?«

»Nein, nein. Ihr genießt die Gesellschaft Eurer Gäste nicht besonders, Lavinia«

»Ich wollte Euch nicht brüskieren«

»Ich spreche auch nicht von mir«

Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und ließ mich in der Garderobe zurück. Ich beeilte mich, in meine eigenen Räume zu kommen. Rhianna bemerkte, dass ich nicht ganz bei mir war und half mir schweigend beim Entkleiden. Ich wollte die Herren nicht brüskieren. Pagets Launen ärgerten mich einfach!

Nervös wickelte ich eine Strähne um meinen Finger. Hätte ich mich bloß mehr bemüht. Eine Eiseskälte schlich sich in meine Knochen und ich schlang den freien Arm um mich. Obwohl mir Paget deutlich gemacht hatte, wie wichtig ihm dieses Essen war, hatte ich mich desinteressiert gegeben. Im Salon hatte ich kurz mit einem der beiden Herren gesprochen. Wie war noch gleich sein Name? Verzweifelt vergrub ich mein Gesicht zwischen meinen Händen. Ich war eine furchtbare Hausherrin.

Erschrocken fuhr ich hoch, als Paget die Tür hinter mir zufallen ließ. Jetzt würde er mir mit Sicherheit nichts mehr verraten, nachdem ich mich so schlecht benommen hatte. Verlegen wich ich seinem Blick aus. Der Teppich schluckte jeden seiner Schritte und erst als er vor am Boden hockte, riskierte ich einen Blick. Seine Mundwinkel waren nach oben gezogen und ich spürte, wie mein Herz ein bisschen leichter wurde. Vielleicht sah er das Ganze doch nicht so eng. »Weißt du, warum ich darauf bestanden habe, dass du mich begleitest?« fragte er und griff mit einer Hand in meine Haare. Darauf zerstrubbelte ich seine sowieso schon in alle Richtung abstehende Frisur. Ich wollte die Wut in mehr verdrängen und schüttelte stumm den Kopf. »Diese Männer sind von meinem Bruder, Mathew, geschickt worden« erklärte er und ich zuckte zusammen. Seinem Bruder dem Kaiser? Um Himmels willen!

»Sie sind sehr angetan von dir« versicherte mir Paget und ich lachte auf. Er schob seine Hand unter mein Nachtkleid und streichelte die Innenseite meiner Oberschenkel. »Insgeheim hatte ich gehofft, dass es dir imponiert, dass ich ein Erzherzog bin« gestand er und ich prustete. Er schien ein mächtiger Mann zu sein. Das wurde mir heute beim Dinner bereits klar. Unsere Gäste legten großen Wert auf seine Meinung. »Ein Titel ändert nichts an meinem Eindruck von dir« - »Stimmt es, dass du mich liebst?« Mir stockte der Atem. Das konnte er doch nicht einfach so fragen. Er schob seine Hand ein Stück weiter nach oben und ich kniff meine Augen zusammen. »Du musst vorsichtig sein« warnte ich ihn und seufzte glücklich auf.

Plötzlich hob er mich mit einem Ruck hoch und verfrachtete mich ins Bett. Als er sich auf mich rollte und mit seinen braunen Augen fixierte, war ich mir sicher. »Ja, ich liebe dich« flüsterte ich und vernahm Pagets aufseufzen, als er seine Hände über meine Rundungen wandern ließ.

»Schläfst du noch?« fragte Paget und kniff mich in die Seite. Quietschend wollte ich mich wegrollen, doch Paget legte schnell einen Arm um meine Taille. »Hier gebliebe« flüsterte er küsste meine Halsbeuge. »Paget« schimpfte ich und unterdrückte ein Stöhnen. Er legte eine Hand über meinen Bauchnabel. »Was wird aus dem kleinen Kerlchen?« wollte ich wissen und schob ihn von mir. Wenn er sich gerade Zeit für mich nahm, musste ich es nutzen, um mehr Informationen zu verschaffen. »Ein großer Kaiser« erwiderte er und zog mich wieder zu sich. Ein Kaiser? Aber sollten nicht die Söhne seines Bruders ... »Mathew ist krank, Lavinia« sagte er plötzlich ernst und legte eine Hand an meine Wange. »Er wir niemals seine eigenen Nachkommen haben« setzte er hinter und verkrampfte sich neben mir.

Ich versuchte, etwas zu sagen, aber ich brauchte einen Moment. Mein Kind sollte auf über ein Land herrschen. Das war so unwirklich. Und lag noch Jahrzehnte in der Zukunft, beruhigte ich mich selbst. »Wovor hast du Angst?« unterbrach Paget meine Gedanken und ich lachte kurz auf. Ich könnte ihm hunderte von Dinge aufzählen, die mich abschreckten.

»Warum hast du mir nicht die Wahl gelassen?«

»Hättest du zugestimmt?«

»Darüber können wir jetzt nur mehr spekulieren«

Ich verschränkte meine Hände und sah beleidigt zur Decke. Wie konnte er mir meine Wahl nehmen? Meine Freiheit? »Wenn du erst mit unserem Rechtssystem vertraut bist, wirst du dir die Frage selbst beantworten können« - »Hast du überhaupt in Betracht gezogen, dass ich mich mit nichts von dem vertraut machen möchte?«

Ich wollte mich seinem Griff entziehen, doch er legte seine Hände schneller um meine Taille und im nächsten Moment war er über mir. »Nein, Lavinia, das habe ich nicht« gab er zu und und hob mein Kinn mit meinen Fingerspitzen. Wenn er so weitermachte, könnte ich nicht mehr streiten. Sein Haar war von der Nacht noch verstrubbelt und seine Lippen ein wenig geschwollen. »Weil du dazu erzogen wurdest. Es ist deine Bestimmung«

Jetzt schaffte ich es, mich ihm zu entziehen. Es war also kein Zufall, dass Sean plötzlich in mein Leben trat. Paget hatte ihn damit beauftragt. Das bedeutet, dass er alles gutheißt, dass er mit mir gemacht. Es war leicht, mir zu versprechen, er könne mich vor dem Mann schützen, der in seinen Diensten stand.

Wie hatte ich mich bloß so in Paget täuschen können.

Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt