Kapitel 1, Teil 2

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In Lavinias Schlafzimmer

Ophelia klopfte an, doch sie wartete meine Antwort nicht ab.Sie eilte zu mir und setzte sich neben mich. Ihre Arme schützend um mich gelegt, begann sie zu sprechen: „ Du kennst ihn, so schlimm ist er nicht. Ich spreche nochmal mit ihm, aber er ist kein schlechter Mensch, Lavinia"

Rhianna knickste, doch Ophelia bemerkte sie nicht einmal. Sie war ganz auf meine Reaktion konzentriert. „Er behandelt dich doch genauso, nicht wahr? Das ist doch Wahnsinn, Ophelia, ihr verbringt euer restliches Leben gemeinsam und er schlägt dich!", erwidert ich und wischte mir über die Augen. Es war mutig Sean zu beschuldigen, denn ich wusste über diese Angelegenheit wollte sie auf keinen Fall sprechen. „Lavinia ... nein. Papa würde es niemals dulden, dass mich mein Ehemann misshandelt. Ich respektiere ihn. Das bedeutet nicht, dass ich ihm blind folge. Aber ich weiß, wann Zeit zum Streiten ist und wann ich besser meinen Mund halte", sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich will das Beste für dich", versprach sie, „Sean möchte das auf seine eigene Art auch"

Ich seufzte auf und fuhr mir über meine heiße Wange. Es brannte kaum noch. Er hatte also nicht fest zugeschlagen. Dass natürlich nichts änderte. „Sean wird nicht nachgeben. Aber wenn du ihm zeigst, wie sehr du ihn respektierst ...", sie ließ den Satz in der Luft hängen.

Ich mochte Sean nicht und seine Entscheidungen waren mir egal, ziemlich egal sogar. Doch im Laufe der Jahre hatte selbst ich eingesehen, dass er seine Ansichten nicht ändern würde. „Du bist dir sicher, wenn ich ihm meinen Respekt entgegenbringe, behandelt er mich besser?", bohrte ich nach und Ophelia nickte nachdrücklich. „Du könntest natürlich auch ein wenig zurückhaltender sein, weniger frech. Das würde die Situation auch schon erleichtern", fügte sie hinzu und ich schüttelte den Kopf. Er konnte mich nicht beherrschen. Selbst wenn ich mich entschloss, was ich noch lange nicht getan habe, ihm entgegen zu kommen, würde ich nicht all meine Eigenheiten aufgeben. „Ich bin nicht frech, ich lasse mir nur ungern den Mund verbieten", verteidigte ich mich und verschränkte die Hände. Eigentlich wusste ich, dass ich irgendwann meine Zunge zu hüten lernen musste, aber das wollte ich jetzt noch nicht. Ich war noch jung.

„Ach Lavinia, sieh es doch einmal so. Du bist sechszehn und du bist schon in die Gesellschaft eingeführt worden. Findest du nicht, da solltest du dich ein wenig erwachsener benehmen?" – „Wenn du es so sagst, klingt es, als wäre ich kindisch" Ich strich beleidigt meine Bettdecke glatt. Wie konnte sie mich nur kindisch nennen. Immerhin reiste ich schon alleine durch ganze Landesteile. „Und außerdem bin ich erst sechszehn, ich habe noch so viel vor mir! Ich möchte nicht mit siebzehn verheiratet sein und schwanger, so stell ich mir mein Leben nicht vor", fügte ich hinzu und Ophelia legte ihre Stirn in Falten. Wir waren vom Thema abgekommen und die Richtung ärgerte sie. Wenn es nach ihr ginge, wäre sie schon dreifache Mutter und mit Sean seit drei Jahren verheiratet. Aber jemand stellte sich dem in den Weg. Wer immer es war, ich war ihm dankbar.

Ich gab Ophelia stumm zu verstehen, dass ich zustimmte. „Wird Lord Sean mit Lord Hawkins über Dorian spreche, wenn ich mich füge?", fragte ich und Ophelia lächelte. „Das wird sich einfädeln lassen", versprach sie und küsste meine Wange. Ich drückte sie fest an mich.

Ophelia war wichtig, dass ich keine Zwistigkeiten mit Sean hatte und er konnte es mir ermöglichen, Dorian zu heiraten, wenn er es nur wollte.

***

Die Bibliothek war mit vielen Kerzen erleuchtet. Lord Hawkins mochte kein elektrisches Licht und wollte es deshalb hier nicht. Die Möbel waren aus weichem Leder gefertigt und in sanften Brauntönen gehalten. Die Wände wurden mit goldenem Dekor verziert genauso wie die Kerzenhalter, was dem Raum einen besinnlichen Eindruck verlieh.

Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt