Kapitel 19, Teil 1

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»Wenn Seine Majestät der Kaiser oder Euer Mann davon erfahren, verlieren wir unsere Arbeit« startete die Torwache einen letzten, schwachen Versuch mich davon zu überzeugen, die Palastmauern nicht zu verlassen. »Ihre Majestät besitzt genauso die Macht Euch zu entlassen« drohte Gräfin Yorker. Sie wurden mir immer unruhiger. Immerhin wollten wir beide zumindest für eine halbe Stunde in den Park, ohne ständig beobachtet zu werden. Zwar hatten Maida und Gräfin Lassalle versucht, mir den Schlossgarten schmackhaft zu machen, aber ich wollte endlich wieder richtige Menschen sehen. Echtes Lachen hören und nicht ständig darauf achten müssen, wen ich mit welchem Titel anspreche und wem ich auf keinen Fall den Rücken zudrehen durfte. Es machte mich krank.

Die beiden Wachen wechselten noch einen unschlüssigen Blick, bevor sie mit einer Verbeugung zur Seite traten. Maida und ich atmeten gleichzeitig aus. Grace lief mit einigen Sprüngen durch das Tor. Es war ein wunderbares Gefühl die Palastmauern hinter sich zu lassen. Wie ein Stückchen wieder gewonnene Freiheit.

»Grace, komm zu mir« rief ich und streckte ihr meine Hand entgegen. Ohne Murren kam sie zu mir zurück und schmiegte sich sofort an mich. Wir waren nicht mehr in England, auch wenn mir Bonheur bisher sicher erscheint, wollte ich nichts riskieren.

Ein großer Platz erstreckt sich vor uns, umrundet von den prächtigsten Gebäuden des Landes. Sagt zumindest Nemours. Alles was Rang und Namen hatte, ließ sich hier ein Palais errichten. Mein Ziel war allerdings der königliche Park.

Gräfin Yorker flüsterte etwas mit der Wache, die uns begleitete. Immerhin konnte ich sie auf diese Eine runterhandeln. Ohne Begleitschutz hätte sie nie zugestimmt mich zu begleiten und alleine durfte ich wirklich nicht gehen. Yorker breitete Picknick Decken aus und die Wache kaufte am nächsten Stand kandierte Früchte. Grace saß ganz eng bei mir.

Der Park erstrahlte in einem satten Grün, obwohl schon Anfang Herbst war. Die Kronen waren immer noch dicht, obwohl schon einige Blätter am Boden lagen, durch die die Kinder hindurchwateten. Ich sah Grace leuchtende Augen. »Da sind so viele Stimmen, Majestät« flüsterte sie und sah beeindruckt zu mir auf. »Im Schloss ist es immer so ruhig« - »Da muss ja auch gearbeitet werden« Grace nickte schweigend und probierte etwas von den kandierten Früchten. Süßigkeiten brachten sie immer zum Strahlen.

»Magst du mit uns spielen?« Grace sprang erschrocken auf und Maida sah mich entsetzt ein. Ein Mädchen, mit braun gelockten Haaren, strahlte Grace an, die nur verunsichert zwischen mir und dem Mädchen hin und her sieht. An Maidas finsterem Blick bemerkte ich sofort, dass sie dagegen war. »Natürlich, mein Engel. Bleib in der Nähe« - »Das da drüben ist meine Mama« Sie deutete auf eine herannahendes Pärchen. Die kringeligen Locken hatte das Mädchen eindeutig von seiner Mutter.

»Soll ich der Prinzessin folgen, Majestät?«

»Behaltet sie im Augen, Kommandant. Aber wenn möglich unbemerkt«

»Majestät«

Das Erste, dass ich hörte war Hufgeklapper.

Dann das Tuscheln der Leute bis sie schließlich in Stille verharrten.

Ich schloss die Augen und hoffte, dass die kaiserliche Wache einfach an mir vorbeireiten würde. Das bisher noch niemand bemerkt, dass ich unerlaubt das Schloss verlassen hatte.

»Majestät« sie waren nicht weitergezogen. Ich zog noch einmal den Duft des Grases ein. Aber es funktionierten unter den wachsamen Blicken nicht. Als ich die Augen öffnete, befand sich der Wachmann gerade in einer tiefen Verbeugung. »Bitte« Maida half mir auf die Beine und ich reichte ihm meine Hand. Am liebsten hätte ich mir Grace geschnappt und wäre davon gelaufen.

»Seine Majestät macht sich Sorgen. Ich soll Euch sofort ins Schloss zurück eskortieren« Maida begann sofort unsere Sachen einzusammeln. Ich sah mich suchend nach Grace um. Sie stand bei den Eltern ihrer neuen Freundin. Der Vater schien gerade Nüsse zu knacken.

Ohne weiter nach zudenken, ging auf die kleine Gruppe zu. »Grace?«, rief ich und drehte sich sofort lächelnd zu mir. Die Wachen hinter mir formierten sich neu. Rückten mir nach. Als würden mich jetzt noch jemand angreifen, nachdem er es über zwei Stunden unterlassen hatte. »Majestät« die Eltern knicksten und ich streckte ihnen meine Hand entgegen. »Bitte, ich ...« Ich stockte. Grace lief sofort zu mir und schmiegte sich an sich. »Majestät verzeiht, wir wussten nicht ...« - »Bitte. Es war meine Schuld« Der Vater verbeugte sich erneut. Beschämt wandte ich den Blick ab.

»Majestät« die Stimme des Hauptmanns durchschnitt die letzte Verbindung zwischen uns. Grace ließ mich nochmal los, um dem Mädchen Lebewohl zu sagen. Ihre Eltern starrten mich mittlerweile unverwandt an. Ich musste ein erbärmliches Bild abgeben.

»Seine Majestät der Kaiser wartet« - »Natürlich«

Fordernd streckte ich meine Hand nach Grace aus, die sofort zu mir zurückkam. Die Wache musste sie beinahe von mir losreißen, um sie auf ihr eigenes Pferd zu setzen. Wir ritten unter den wachsamen Blicken der Parkbesucher durch die gusseisernen Tore zurück zum Schloss.

»Bei Gott!« rief Mathew, als mich der Wachmann durch die Tür eskortierte. Als wäre ich ein gefährliches Tier. Ich hörte das Salutieren kaum noch. Mein Blick blieb an Seans steifer Gestalt hängen. Ich kannte ihn lang genug, um zu wissen, dass jetzt äußerste vorsichtig geboten war.

»Hast du jetzt dein letztes bisschen Verstand auch noch verloren?«

»Majestät«

Wenn mich jetzt noch jemand beschützen konnte, dann war es der Kaiser. Denn Paget hatte bereits klar gemacht, dass er sich da nicht weiter einmischen wird. Sean unterstehe ja Mathew. Manchmal beschlich mich das Gefühl, dass es Paget ganz Recht war, dass Sean alles Unangenehme an seiner Stelle übernahm.

»Wir haben uns Sorgen gemacht, Lavinia« stoppte mein Mann Sean. Mathew sah zwischen uns Drein hin und her. Paget sah mindestens genauso angespannt aus wie ich und wir wussten beide, dass es nicht an meinem Verschwinden lag. Sean trat einige Schritte auf mich zu und ich wich sofort zurück. Schützend legte ich die Hände auf meinen Bauch.



Lady Lavinia - das Mädchen unter VielenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt