„Der angerufene Teilnehmer antwortet nicht. Wenn Sie eine..." Ich lege auf.
„Anscheinend mag er mich doch nicht so sehr." Mit diesen Worten lasse ich Joe stehen. Ich schlendere ziellos durch die Straßen. Nach wochenlangem trüben Herbstwetter, scheint endlich mal wieder die Sonne. Das möchte ich ausnutzen.
„Hey! Warte mal!", höre ich eine fremde Stimme hinter mir. Ich ignoriere sie, bis ich eine Hand auf meiner Schulter spüre. Schnell drehe ich mich um und blicke in das breite Grinsen eines Jungen. Oder eines Mannes? Um seinen Mund sind dunkle Bartstoppeln erkennbar. Er hat kurze braune Haare und blaue Augen. Sein Blick ist freundlich und strahlend.
„Du bist doch Feli, oder?"
Er kennt mich? „Ja.", antworte ich etwas unsicher.
„Ich bin Noah, Kais großer Bruder."
Jetzt erkenne ich die Ähnlichkeit. Wobei Noah augenscheinlich die Haut und Augenfarbe seiner Mutter geerbt hat. Aber vollkommen erklärt das nicht, woher er mich kennt. Es sei denn, Kai hat ihm von mir erzählt. Aber selbst dann wüsste er nicht wie ich aussehe.
„Hallo", begrüße ich ihn nun.
„Willst du zu Kai?", fragt er.
Wie kommt er darauf? Ich sehe mich um und erblicke am Ende der Straße die Hochhaussiedlung. Ja, genau Die. Wieso bin ich hierher gelaufen?
„Ich weiß nicht.", flüstere ich schon fast.
„Er ist zu Hause. Komm!"
Wir gehen die Straße entlang. Noah scheint wirklich sehr freundlich zu sein. Also das Gegenteil von Kai. Will ich ihn überhaupt sehen?
„Woher weißt du wer ich bin?", frage ich dann doch.
„Kai hat ein Foto von dir im Zimmer. Ich hab ihn gefragt wer du bist."
„Und was hat er geantwortet?" Jetzt bin ich neugierig. Ein Foto?
„Feli, die neue in der Klasse."
Ernüchternd. Aber was habe ich auch erwartet? Die Liebe meines Lebens? Wohl kaum.
Wir sind inzwischen an der Wohnungstür angekommen. Noah öffnet die Tür und lässt mich zuerst hinein gehen. Ich bleibe etwas unsicher im Gang stehen.
„Er ist im Zimmer schätze ich."
Ich gehe zur Tür und klopfe. Mein Herz schlägt schneller als ich seine Stimme höre „Was?"
Ich öffne die Tür und betrete das Zimmer. Die Luft ist stickig und es riecht nach Gras. Er lächelt sobald er mich sieht und springt von seinem Bett hoch. „Hey"
„Hey" und auch ich muss sofort grinsen. Was ist das nur, das er da in mir auslöst? Der Knutschfleck ist weg. Ich kann ihm nicht böse sein. Er hatte keinerlei Verpflichtung mir gegenüber. Aber ich würde mir wünschen es wäre so. Ich gehe , nein stürme schon fast auf ihn zu und küsse ihn. Er schlingt seine Arme um mich und ich presse meinen Körper an ihn. Seine Küsse sind leidenschaftlich und sinnlich. Am liebsten würde ich nie mehr damit aufhören, doch ich löse mich sanft von ihm und wir lächeln uns zu. „Du hast also ein Foto von mir? Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du eins gemacht hast."
Er kommt ins stocken. Ist ihm das unangenehm? „Ich hab...das auf dem Platz gemacht. Das hast du wohl nicht gemerkt."
Etwa... „Wann?"
„Am ersten Tag. Nach der Schule. Als wir am Platz waren."
„Wieso?"
„Ich fotografiere gern. Ich hab zwar keine gute Kamera, aber mir geht es um den Moment, und nicht um die Qualität, in der er festgehalten wurde."
„Ich meine, warum mich? Du mochtest mich doch nicht." Kann ich hier überhaupt die Vergangenheitsform verwenden? Es schleicht sich wohl doch noch öfter der Gedanke ein, dass er mich bloß ausnutzt.
Er streicht mir sanft über die Wange. „Du bist wunderschön. Das sollte man nunmal festhalten."
Ich muss vor Verlegenheit etwas kichern. „Darf ich es sehen?" Er sieht auf die Wand, an der sein Bett steht. Dort hängt es. Ich gehe hin um es mir anzusehen. Es ist schön. Ich habe den Kopf zur Seite gedreht und lache.
Die Zimmertür geht auf und Kais Vater kommt herein. „Hier stinkt es schon wieder. Ich hab dir gesagt, du sollst das lassen." Kai sieht auf den Boden.
„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!", brüllt sein Vater. Er lallt. Und das um 15 Uhr. Kai hält seinen Blick weiter gesenkt. „Paul war hier. Du weißt schon, der Vater von Max." Er geht zu Kai und greift sein Kinn, sodass er ihn ansieht. „Vielleicht sollte ich dir auch mal die Nase brechen."
„Als ob du das noch nie gemacht hättest.", erwidert Kai.
Der Blick seines Vaters richtet sich auf mich. „Hey, du vorlautes Ding, du solltest jetzt gehen."
Ich schüttle den Kopf.
„Wenn du meinst, bleib hier. Ist mir egal." Er wendet sich wieder Kai zu.
„Feli, geh. Ich komm gleich raus.", bittet mich Kai.
Ich möchte nicht gehen. Doch ich verlasse das Zimmer. Sofort höre ich den ersten Schlag und zucke zusammen. Ich sehe in die Küche und das Wohnzimmer. Seine Mutter scheint nicht da zu sein. Ich klopfe an eine geschlossene Tür. Noah öffnet sie.
„Kai...euer Vater."
Noah scheint sofort zu verstehen und stürmt in das Zimmer. Es folgt Gebrüll und weitere Schläge. Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich möchte ins Zimmer zurück, doch ihr Vater kommt gerade raus. Ich schrecke zurück und mache ihm Platz. Er verschwindet in der Küche. Ich betrete das Zimmer. Aus Kais Nase läuft Blut. Noah reicht ihm ein Taschentuch. In meinen Augen sammeln sich Tränen. Ich darf nicht weinen. So schrecklich, wie ich das gerade finde. Ich versuche es hinunter zu schlucken. Kai sieht mich an und mir entweicht eine Träne. Er steht auf und kommt zu mir. Er legt seine Arme um mich und ich kann die Tränen nicht mehr halten. „Schon gut." Eigentlich sollte jetzt jemanden ihn trösten. Er ist so stark. Ich bewundere ihn dafür. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Nacken. Ich höre Schritte. Noah scheint das Zimmer zu verlassen. Nach einer Weile sehe ich ihn an. Sein Wangenknochen und Auge sind gerötet. Das Blut an der Nase hat er halbwegs weggewischt. Er streicht mir eine Träne aus dem Gesicht.
„Ich liebe dich."
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Glückskämpfer
RomanceAls sich Felicitas' Mutter von ihrem Freund trennt, ziehen sie nach Berlin. In einen sozial schwachen Bezirk. Eine komplett neue Welt für die 15-Jährige, die bisher das Luxusleben gewohnt war. Schnell findet sie neue Freunde und wird in eine Clique...