Kai

134 5 0
                                    

Sprachlos starre ich auf ihren Mund, aus dem gerade diese Worte kamen. Sie wird nervös. Presst ihre Lippen zusammen und legt die Stirn in Falten. „Ich...das...Ich gehe besser. Dein Vater scheint wirklich wütend zu sein." Sie eilt aus der Wohnung.
„Wieso hast du nichts gesagt?", meine Mutter betritt das Zimmer. Sie hat nicht ernsthaft gelauscht.
„Seit wann bist du da?"
„Bin gerade rechtzeitig gekommen um das zu hören." Ihr Grinsen wird immer breiter. „Sonst bist du doch auch nicht auf den Mund gefallen."
Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht weil ich prinzipiell Alles falsch mache."
„Das ist nicht wahr. Und viele verpasste Chancen, kann man wieder gut machen. Du kannst wieder in die Schule gehen. Und du kannst ihr hinterher gehen und sagen, was du für sie empfindest."
Schnell schlüpfe ich in meine Sneaker und möchte ihr folgen, doch mein Handy klingelt. Liz. Es wundert mich, dass sie mich anruft nach dem Streit, den wir hatten. Also nehme ich den Anruf entgegen.
Sie klingt traurig und bedrückt. „Können wir uns treffen?"
„Was ist los?", frage ich.
„Das sag ich dir dann. Bitte, jetzt sofort."
Feli ist vermutlich sowieso schon über alle Berge. „Okay."

Wir treffen uns am Freibad, dass um diese Jahreszeit bereits geschlossen hat. Wir skaten hier ab und zu, wenn das Wasser ausgelassen wurde. Sie wartet schon auf mich. Sitzt am Beckenrand mit angewinkelten Beinen und raucht. Sie sieht mich nicht an, als ich mich neben sie setze.
„Was ist los?"
„Ich bin schwanger."
Ich weiß nicht was ich sagen soll. Wie gerade schon. Ich weiß ja nicht, ob sie es scheiße findet, oder sich sogar ein bisschen freut. Ich will nichts falsches sagen. Also lege ich einfach meinen Arm um ihre Schultern.
„Was, wenn es von ihm ist."
Ich weiß genau von wem sie spricht.
„Du musst einen Test machen."
„Geht das überhaupt während der Schwangerschaft? Scheiße. Ich hab keine Ahnung von Kindern. Kai, ich kann keine Mutter werden. Ich kann das nicht. Und egal von wem es ist, keiner von denen, kann ein Vater sein. Naja außer vielleicht Dennis. Er ist ja schon einer."
„Willst du es denn überhaupt behalten?"
Sie vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. „Ich weiß es nicht. Ich will es nicht töten. Es ist nicht seine Schuld, dass ich unfähig bin. Ich könnte es zur Adoption freigeben."
„Also wenn du die Schwangerschaft durchziehen willst, solltest du die mir geben." Ich nehme ihr die Zigarette aus den Fingern.
Circa eine halbe Stunde sitzen wir dann schweigend da und drücken uns davor etwas anzusprechen, von dem wir beide wissen, dass wir darüber reden sollten. Schließlich bricht Liz die Stille: „Es könnte auch von dir sein, Kai."
„Ich weiß."
Sie dreht sich zu mir. „Was würdest du wollen?"
„Was meinst du?"
„Würdest du das Kind wollen?"
Ich kann sie nicht ansehen. „Wie du gesagt hast, ich kann kein Vater sein."
„Aber du kannst ein guter Freund sein und mit mir zu dem ersten Arzttermin gehen."
Ich nicke und sehe zu ihr. „Das mach ich."
Sie grinst. Aber es ist ein falsches Grinsen. Innerlich verzweifelt sie.

Der Termin ist bereits zwei Tage später. Sie scheint sehr nervös zu sein, als wir das Untersuchungszimmer betreten.
„Und Sie sind der Vater?", fragt der Arzt, nachdem er uns mit einem herzlichen Lächeln begrüßt hat. Ich stocke. Nein? Ja?
„Das wissen wir noch nicht. Deshalb sind wir hier.", beantwortet Liz die Frage. „Ich muss einen Vaterschaftstest machen."
„Das können Sie erst nach der Geburt. Während der Schwangerschaft ist das nur beim Vorliegen einer Straftat möglich. Das muss ein Gericht genehmigen. Aber jetzt sehen wir doch erst einmal nach, wie weit Sie sind und wie es dem Kind geht."
Er führt Liz zu einer Liege für die Ultraschalluntersuchung.
„Was für eine Straftat denn?"
„Ein Sexualdelikt. Eine Vergewaltigung und solche Sachen."
Liz greift meine Hand. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen sie ihren Vater anzeigen sollte. Und das weiß sie. Sie sollte zur Polizei gehen und erzählen, was für ein Monster er ist und diesen Test verlangen. Aber sie kann es nicht. Ich versteh es. Aber irgendwie verstehe ich es auch nicht. Ich könnte meinen Vater auch anzeigen. Ich hasse ihn auch manchmal, für das, was er tut. Doch ich würde es nie tun. Er ist immernoch mein Vater. Ich gebe ihm immer wieder eine Chance, es besser zu machen. Genau das macht auch Liz. Sie sagt jedesmal, es war das letzte Mal. Aber das, was ihr Vater macht ist unverzeihlich. Da sind die paar Schläge, die ich einstecken muss ein Klacks. Deshalb verstehe ich auch nicht warum sie nicht zur Polizei geht. Natürlich will sie nicht ins Heim, aber ihre Mutter ist auch noch da. Wobei die sich niemals von Lizs Vater trennen würde. Sie liebt ihn. Genauso, wie meine Mutter meinen Vater liebt. Ich hasse die Liebe. Warum müssen so viele andere Menschen leiden, nur weil sich zwei Andere lieben und nicht ohneeinander können? Wie kann man nur so abhängig von einer einzigen Person sein? Wenn das Liebe ist, will ich sie nicht.
Die Worte des Arztes reißen mich aus meinen Gedanken: „Sehen Sie, das ist der Herzschlag."
Über Lizs Wangen laufen Tränen, doch sie lächelt dabei. In diesem Moment wird mir klar, dass sie das Kind behalten wird.

Die nächste Zeit spricht sie nur positiv über die Schwangerschaft. Wie sehr sie sich freut und wie gespannt sie ist, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Kein Wort über eine Adoption, oder den Fall, dass es von ihrem Vater ist. Stattdessen redet sie von irgendwelchen Tests, die besagen, das Kind sei gesund und, dass es das nicht wäre, wäre es von ihrem Vater. Ich lasse sie in ihrem Babyhimmel. Aber natürlich denke ich darüber nach, was ist, wenn es von mir ist. Liz und ich funktionieren nicht. Sie braucht jemanden, der sie hoch zieht und nicht weiter runter.
In die Schule gehe ich nicht. Natürlich haben meine Eltern deswegen wieder gestresst, also bin ich seit drei Wochen von zu Hause weg. Und seit einem Monat habe ich Feli nicht mehr gesehen. Ich vermisse sie. Aber etwa schon so sehr, dass ich sie mir einbilde? Oder ist das noch die Wirkung von dem Schuss von vorhin?

GlückskämpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt