Kai

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"Wofür? Ich will mir etwas zu trinken holen."
"Kai..."
Na gut, ich glaube mir diese Lüge nicht einmal selbst. "Ich brauch aber Einen. Ich komm gleich wieder."
Ich möchte aufstehen doch sie hält meine Hand fest und sieht mir mit starkem Blick in die Augen. "Und wenn du es nicht tust?"
"Ich muss." Ja, ich muss. Und zwar bald. Sehr bald.
"Nein, du musst nicht. Hast du doch selbst gesagt, du musst gar nichts."
Sie will mich verarschen. "Bitte, versuch es."
"Fängst du jetzt wieder damit an?"
"Tut mir leid. Ich mach mir eben Sorgen."
"Jaja" ich entziehe ihr meine Hand und gehe. Natürlich will ich aufhören. Irgendwie. Aber halt auch nicht wirklich. Manchmal rede ich mir vor einem Schuss ein, dass er der Letzte ist. Aber langsam glaube ich, den gibt es nicht. Man ist für immer ein Junkie. Selbst clean. Da schwirrt einem das Zeug bestimmt nur noch mehr durch den Kopf.
Ich blicke mich nach Gelegenheiten um. Gelegenheiten an Geld zu kommen. Es zu stehlen. Eine Frau, die ihre Tasche aus den Augen lässt oder ein reicher Geschäftsmann, der am Kiosk bezahlt hat und den Geldbeutel schnell ablegt um seine Currywurst in Empfang zu nehmen. Scheiße. Nichts. Ich suche erst ein paar Minuten aber es kommt mir vor, wie Stunden. Ich halte es nicht mehr aus. Ich steuere auf einen Mann zu um ihn anzurempeln, da höre ich seine Stimme hinter mir. "Kai." Bestimmt und abfällig, wie immer. Ich drehe mich um. Seine braunen Augen, die er mir eindeutig vererbt hat, mustern mich kritisch. Als er an meinem Gesicht ankommt, bekomme ich ein abfälliges Grinsen von ihm. "Du siehst beschissen aus."
Ich möchte mich abwenden und gehen, doch er packt mich an der Schulter. "Deine Mutter macht sich Sorgen."
"Lass mich los."
"Ist dir das egal? Du bereitest ihr großen Kummer." Er hat seine übertrieben fürsorgliche Stimme aufgesetzt. Die benutzt er um sich lustig zu machen. Lustig zu machen über Eltern, die solche Dinge sagen. Eltern, die sich wirklich für ihre Kinder interessieren. Eltern, die ihre Kinder lieben.
"Du bereitest ihr bestimmt mehr Kummer. Auf jeden Fall mehr blaue Flecken."
Sein Griff wird stärker. Seine Finger drücken gegen mein Schulterblatt. "Pass auf Kai." Ein warnender Blick.
"Kai?", höre ich Felis sanfte Stimme. Sie kommt auf uns zu. "Alles in Ordnung?"
Mein Vater lässt seinen Blick kurz über sie schweifen und widmet sich anschließend wieder mir. "Hör zu Junge, mir ist es scheiß egal, ob du auf der Straße verreckst, aber deine Mutter macht sich Sorgen und will dich in diese Klinik stecken. Mir ist es auch lieber, wenn du das lässt. Rausgeschmissenes Geld. Du hälst das sowieso nicht durch. Aber sie wird mit dem Thema nicht einfach so aufhören. Und sie geht mir damit tierisch auf den Sack. Also sag ihr ein für alle mal, dass du weg bist und sie die Sache vergessen soll."
"Mir doch scheiß egal, ob sie dir damit auf den Sack geht. Lass dich doch von ihr scheiden. Dann bist du sie los und sie kann endlich ein glückliches Leben ohne dich führen. Das beste für alle Beteiligten."
Sein Griff wandert von meiner Schulter zu meinem Hals. Er drückt zu. Ich bekomme noch Luft. Aber schwer.
"Spritz du dir doch einfach gleich eine Überdosis an der du verreckst. Wäre auch für alle Beteiligten das Beste. Deine Mutter macht sich keine Sorgen mehr und dem Rest der Welt bist du sowieso egal. Ich glaub, ich würde sogar meinen Anzug heraus kramen, um deine Beerdigung zu feiern. Endlich  für den Rest meines Lebens keinen Gedanken mehr an dich missratenen Junkie verschwenden zu müssen, das wäre fantastisch." Er blickt träumerisch mit einem breiten Grinsen in den Himmel. Sein Griff lockert sich und ich versuche den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. Ich schlage seine Hand weg und gehe schnellen Schrittes weg.
"Los geh heulen! Bemitleide dich selbst, kannst du doch so gut.", ruft er mir lachend hinterher. Ich mache kehrt und sehe ihn an. Ich spüre, wie langsam Tränen über meine Wangen laufen und sein Blick wird ernster. Seine Kiefermuskeln spannen sich an. "Mach keinen Scheiß, ja?" Seine Stimme wirkt ängstlich. Besorgt? Er hat wahrscheinlich schiss, falls ich mir wirklich eine Überdosis verpasse und drauf geh, dass Feli meiner Mutter erzählt, was er gesagt hat. Ich drehe ihm den Rücken zu und gehe. Feli, die bis gerade eben noch fassungslos dieses Szenario beobachtet hat, eilt mir hinterher. Sie nimmt meine Hand, doch ich entziehe ihr Meine. "Ich brauch Geld."
Ihre glasigen Augen blicken immer noch voller Schock zu mir hoch. Sie bleibt stehen und holt aus ihrer Hosentasche einen Geldschein. "Das ist falsch."
Ich möchte ihn nehmen, doch sie verstaut ihn wieder in ihrer Tasche.
"Jetzt gib schon her.", flehe ich fast.
Sie schüttelt den Kopf. Erst hält sie ihn mir hin, wie einem Hund das Stück Fleisch und jetzt das?
"Scheiße, hast du das nicht mitbekommen?! Ich brauch jetzt einen Schuss, verdammt!" Sie zuckt unter meinem Gebrüll zusammen. Sie hat Angst vor mir. Langsam trete ich ein paar Schritte zurück, wende mich von ihr ab und gehe.

GlückskämpferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt