Kapitel 5

107 39 22
                                    

Der heutige Morgen beginnt glücklicherweise etwas entspannter, sodass ich mir sogar noch meinen morgendlichen Kaffee gönnen kann. Ich muss mich dafür nicht einmal großartig von meinem Bett, das heißt meiner Schlafcouch wegbewegen, denn in meiner überschaubaren Einzimmerwohnung habe ich es nicht sonderlich weit bis in die „Küche", wenn man denn die knapp einen Meter kurze Küchenzeile mitsamt Herdplatte und Waschbecken überhaupt als solche bezeichnen kann. Während ich die Kaffeemaschine gedankenverloren anschmeiße, gleitet mein Blick einmal über die gesamte Bude, was aufgrund ihrer überschaubaren Größe nicht wirklich lange dauert. Dabei muss ich schmunzeln. Ich muss schon sagen, unter trautem Heim mag man etwas anderes verstehen, aber mir ist es echt egal, wie ich wohne, solange ich ein Dach über dem Kopf habe, kann ich gut und gerne auf den üblichen Schnickschnack unter besagtem Dach verzichten. Ich muss schließlich niemandem etwas beweisen und selbst wenn, wüsste ich nicht wem, denn mich hat in den 4 Jahren, die ich bereits in dieser Wohnung lebe, noch keiner besucht, außer vielleicht dem ein oder anderen Elektriker oder Klempner, der hier und da mal etwas richten musste. Ich muss ohnehin genug Geld für Anzüge ausgeben, da der Chef auf diesen unsinnigen Dresscode besteht. Völlig bescheuert, wenn man mal bedenkt, dass uns Lektoren ja eigentlich keiner zu Gesicht bekommt, außer ab und zu mal ein Newcomer Autor, der vermutlich auch ohne unsere schicken Anzüge gerne zu uns eingeladen wird, weil er sich dadurch die Veröffentlichung seines Manuskripts erhofft. Wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten meinem eigenen Dresscode folgen, welcher aus Jogginghose und Gammelshirt besteht. Juckt mich doch nicht, was andere dann von mir denken würden, Hauptsache bequem.

Vorsichtig an meinem immer noch sehr heißen Kaffee nippend, betrachte ich das Herzstück meiner Wohnung: mein Bücherregal.

Meine Büchersammlung ist mittlerweile so sehr gewachsen, dass mein fast deckenhohes Bücherregal knapp die Hälfte meiner Wohnung einnimmt. Für manch einen mag das erdrückend wirken – vor allem durch das ungleiche Größenverhältnis des Regals zur restlichen Wohnung - aber ich mag es genau so und nicht anders. Jedes einzelne Buch in diesem Regal ist etwas Besonderes und wurde von mir mit Bedacht ausgewählt, denn mich beeindruckt bei Weitem nicht jedes Buch. Ganz im Gegenteil: ich bin sogar sehr kritisch und speziell in meiner Bücherauswahl. Ich stehe auf die Geschichten, die einzigartig und innovativ sind, die möglicherweise unerwartete Wendungen beinhalten und am allerwichtigsten: die eine Welt fern von der Realität kreieren. Ganz genau, je weiter ich von der beschissenen Realität entfernt bin, desto besser. Das ist es letztlich auch, was mich zu meinem Literaturstudium und meiner Berufswahl motiviert hat. Ich wollte einen Beruf ausüben, der es mir erlaubt, der Realität zu entfliehen und als Lektor und somit Leser von etlichen Manuskripten kann ich genau das tun.

Ein lautes Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken. „Wer nervt?", frage ich mich lautstark und blicke dann auf das aufleuchtende Display meines Handys. Mr. Cooper – oho, der Chef höchstpersönlich. Was der wohl will? Vor allem noch vor meinem Schichtbeginn?

„Mr. Cooper, was gibt's?", frage ich ihn mit zugegebenermaßen gut gespielter Freude.

„Guten Morgen, Alan. Tut mir leid, Sie schon am frühen Morgen zu stören, aber Sie müssen mir dringend einen Gefallen tun. Unsere Illustratorin für Ms. Evans Debütroman ist abgesprungen, allerdings ist der Veröffentlichungstermin bereits in drei Wochen und jetzt haben wir niemanden mehr, der das Buchcover gestalten kann."

„Sir, bei allem Respekt. Wie kann ich  Ihnen denn da jetzt weiterhelfen?", frage ich ernsthaft verwirrt.

„Nun, Alan ich dachte, Sie könnten mir vielleicht dabei helfen, kurzfristig einen Ersatz-Illustrator oder eine Ersatz-Illustratorin zu finden. Sie haben im letzten Jahr schließlich die meisten Romane auf den Markt gebracht und haben somit bereits mit vielen Illustratoren zusammengearbeitet. Ich dachte, vielleicht kennen Sie jemanden, der einspringen könnte."

Ich gebe zu, es ehrt mich, dass er meinen Erfolg betont, allerdings kann ich mein genervtes Seufzen nicht unterdrücken. Um meinen guten Draht zum Chef allerdings nicht zu gefährden, gebe ich schließlich klein bei.

„Na gut, Boss. Ich schaue mal, was sich machen lässt."

„Ich wusste doch, dass sie mein bester Mann sind! Melden Sie sich bitte, sobald Sie jemanden gefunden haben." Ohne meine Antwort abzuwarten, legt Mr. Cooper auf. Vermutlich, um letzte Einwände meinerseits zu vermeiden.

Mit einem letzten großen Schluck trinke ich den Rest meines Kaffees, lege die Tasse hastig in die Spüle und verschwinde dann ins Bad, um mich für die Arbeit fertig zu machen.



„Verstehe, Ms. Riddle. Dann viel Spaß auf Ihrer Kreuzfahrt", sage ich noch in den Hörer, bevor ich auflege und resigniert den letzten Namen auf meiner Illustratorenliste durchstreiche.

Das darf doch nicht wahr sein! Wie kann es denn bitte sein, dass es wirklich niemanden gibt, der uns dieses Scheiß-Buchcover illustriert? Frustriert gebe ich es auf und stürze mich in das nächste Manuskript, um mir keine Erklärung für Mr. Cooper überlegen zu müssen, denn aktuell fällt mir sowieso keine ein. Nur kurze Zeit später klopft es leise und zaghaft an meiner Bürotür, wodurch mir sofort klar wird, wer hinter der Tür steht.

„Bob, Sie können hereinkommen", sage ich eintönig.

„Sir, Mr. Cooper hat angerufen und fragt, wie weit Sie mit der Illustratorensuche sind." Shit.

„Ähm sagen Sie ihm, dass ich noch dabei bin", sage ich schnell, woraufhin Bob wieder in den Flur verschwindet und vorsichtig die Tür hinter sich schließt, als hätte er Angst davor, einen schlafenden Löwen zu wecken. Schon irgendwie witzig, wie er sich offensichtlich vor mir fürchtet. So gern ich mich auch weiterhin über diese Erkenntnis amüsieren will, muss ich mir schleunigst etwas überlegen. In meiner Verzweiflung schnappe ich mir meinen Laptop und fange an, nach allgemeinen Fotografen zu googlen. Ich meine, das müsste doch irgendwie aufs Gleiche hinauskommen oder?

Nachdem ich bereits eine Dreiviertelstunde lang gegooglet hab und nichts Überzeugendes gefunden habe, fange ich allmählich an, mich für meine hohen Ansprüche zu hassen. Ein anderer hätte bestimmt schon längst irgendeinen Fotografen ausgesucht und kontaktiert, aber ich bin natürlich besonders pingelig. Bei dem passt mir dies nicht, bei der passt mir das nicht. Ach, was soll's. Für heute habe ich die Schnauze echt voll. Entschlossen klappe ich meinen Laptop zu, packe meine Sachen und verlasse mein Büro.

Auf dem Weg zur U-Bahn-Station werde ich klatschnass, denn kaum habe ich mich dazu entschieden nach Hause zu fahren, fängt es – wie sollte es auch anders sein – plötzlich an zu schütten, wie seit Wochen nicht mehr. Völlig genervt und darauf bedacht, in meiner Eile nicht auf den Treppen der U-Bahn-Station auszurutschen, quetsche ich mich durch die Menschenmenge, um meine Bahn noch zu erwischen. Gerade als ich das entsprechende Bahngleis erreiche, fährt ausgerechnet meine U-Bahn-Linie vor meiner Nase davon.

„Verdammte Scheiße", fluche ich lautstark und fange mir damit den ein oder anderen schockierten Seniorenblick ein, was mir gerade allerdings völlig egal ist, weil ich verdammt nochmal einfach nur nach Hause will. Die nächste Viertelstunde verbringe ich damit, mit verschränkten Armen und vor Ungeduld wippendem Fuß auf die Uhr zu starren, in der Hoffnung, die U-Bahn somit schneller herbeizuzaubern.

„Achtung! Einfahrende Bahn. Bitte treten Sie von dem Bahnsteig zurück" ertönt es endlich als Ankündigung meiner U-Bahn aus den roboterhaft klingenden Lautsprechanlagen.

Na endlich. Kurz bevor die Bahn einfährt, werfe ich einen Blick nach vorne und entdecke dabei eine Werbeanzeige auf der anderen Seite des Bahngleises, die meine Aufmerksamkeit für ein paar Sekunden auf sich lenkt, da sie scheinbar für eine Foto-Agentur wirbt. Diese Erkenntnis entnehme ich der fettgedruckten Aufschrift: „Fortunas Fotografie". Aber es ist nicht meine verzweifelte Suche nach einem Illustrator, die meine Aufmerksamkeit auf die Werbeanzeige lenkt. Vielmehr ist es dieses mir irgendwoher bekannte Symbol, das unter der Aufschrift abgebildet ist. Es sieht aus wie eine Art...


...Horn!



Searching for love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt