Kapitel 6

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Ehe ich genauer hinsehen kann, steht meine U-Bahn auch schon vor der Werbeanzeige, sodass sie mir die Sicht versperrt. Toll, da wartet man Ewigkeiten auf diese blöde Bahn und dann kommt sie genau dann, wo sie sich ruhig noch einen kleinen Moment lang hätte Zeit lassen können. Typisch.

Gedankenverloren steige ich in die Bahn ein und frage mich, was es mit diesem seltsamen Symbol auf sich hat und warum ich mich davon verfolgt fühle. Ich meine, würde es sich bei dem Symbol um einen Sensenmann handeln, müsste ich mir wohl weitaus mehr Sorgen machen. Aber ein Horn? Also bitte, was für eine seltsame Art der Verrücktheit hat mich denn da bloß befallen? Das gestrige Gespräch mit Juan hat mich wohl doch stärker beeinflusst als es sollte, denn allmählich scheine ich genauso verrückt zu werden wie er.

Als ich aus der Bahn steige und die Treppen nach oben nehme, um den stinkenden Bahnhof zu verlassen, hat sich der Regen gelegt. Jetzt ist es zwar immer noch grau und dunkel draußen, aber immerhin werde ich nicht noch nasser als ich es eh schon bin. Das erste, was ich entdecke als ich aus dem Bahnhof emporsteige, ist die kleine Bäckerei der Familie Dawson, deren Schaufenster mit einem großen Schriftzug versehen ist. In einer weiblich verschnörkelten Schrift heißt es „Zwei Hörnchen zum Preis von einem" und daneben, wie sollte es auch anders sein, sehe ich zwei aufgemalte Hörnchen, deren Gesichter mich fast schon provokativ anzugrinsen scheinen.

Soll das ein verdammter Witz sein?

Nachdem ich den Rest des Tages damit verbracht habe, alles Mögliche zu tun, um bloß nicht mehr über Hörnchen und Hörner jeglicher Art nachdenken zu müssen, werde ich durch ein Vibrieren meines Handys bei meinen verzweifelten Ablenkungsversuchen gestört. Der Name auf dem Display lässt die Erinnerung an meinen Misserfolg des heutigen Vormittags augenblicklich wiederkehren.

„Mr. Cooper, ähm hi. Alles klar bei Ihnen?", beginne ich das Telefonat zögerlich.

„Guten Abend, Mr. Sinclair. Und, wen haben Sie bei Ihrer Recherche gefunden? Ich meine, Sie haben doch mit Sicherheit jemanden gefunden, nicht wahr, Mr. Sinclair?" Mist. Das ist seine herausfordernde Stimme, die er immer dann einsetzt, wenn er absolut kein ‚Nein' akzeptiert.

„Ich ähm..."

Komm schon Alan, lass dir was einfallen! Und da passiert das, was ich den ganzen Nachmittag über zu vermeiden versucht habe. Ich muss an das Horn denken. Nicht etwa, weil ich langsam aber sicher eine Art Horn-Besessenheit entwickle, sondern weil mir wieder einfällt, dass dieses komische Horn auf der Werbeanzeige einer Fotoagentur abgebildet war. Das könnte meine Rettung sein. Aber wie hieß die noch gleich? Finjas Fotografie? Fifis Fotografie? Nein, das ist es nicht.

„Ich höre?", drängt Mr. Cooper mich inmitten meiner ernsthaften Grübelei. Als hätte er damit genau den kleinen Nerv meines Hirns angeknipst, der den Namen dieser Fotoagentur irgendwo tief in meinem Unterbewusstsein gespeichert hat, fällt mir der Name wie auf Knopfdruck wieder ein.

„Ich habe alle meine Kontakte abtelefoniert Sir, allerdings konnte keiner meiner Kontakte so kurzfristig einspringen", fange ich an und lege bewusst eine kleine Sprechpause ein, um die Spannung und meinen anschließenden Hochmut zu erhöhen. „Aber Sir, ich wäre ja nicht Alan Sinclair, wenn ich nicht mindestens einen Plan B auf Lager hätte. Ich bin in meiner intensiven Recherche, bei der ich natürlich nur das Beste ausgewählt habe, auf eine Fotoagentur namens Fortunas Fotografie gestoßen, die ich morgen kontaktieren werde. Heute habe ich nämlich noch niemanden erreichen können. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde das klären, so oder so", beende ich meinen völlig ausgedachten Bericht voller überheblichem Stolz, ohne mir dabei der Konsequenzen bewusst zu werden.

„Sehr gut, Alan. Ich wusste doch, dass man auf Sie zählen kann. Klären Sie das morgen, bitte." Mit einem immer noch völlig stolzen „Ja, Sir", beende ich das Telefonat. Nachdem mein selbstüberzeugtes Grinsen noch einige Sekunden anhält, verschwindet es schlagartig als mich die Erkenntnis überkommt, dass ich mächtig in der Scheiße stecke.

„Shit, shit, shit, shit, shit!", fluche ich lautstark und trete energisch gegen mein ohnehin schon veraltetes Bett.

Ich habe natürlich keinen blassen Schimmer, ob diese Agentur überhaupt was taugt und das, obwohl ich immer derjenige bin, der jede Agentur und generell jeden haarklein unter die Lupe nimmt.

„Tja, selbst schuld Mr. Ich-liebe-es-der-beste-zu-sein-obwohl-ich-eigentlich-nur-Scheiße-erzähle", höre ich mein Unterbewusstsein triumphierend und mit hochgezogenen Augenbrauen über mich lästern.

Da habe ich mir echt was eingebrockt. „Das heißt wohl Nachtschicht, Sinclair", sage ich zu mir selbst, und packe seufzend meinen Laptop aus.

Na das kann ja heiter werden.


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