Kapitel 11

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„Okay, ich fasse nochmal zusammen: Die Frau, von der Sie schon jahrelang träumen, ist Ihnen tatsächlich, also so richtig in der Realität begegnet?", sagt er mit weit aufgerissenen Augen und in einer viel zu hohen Lautstärke. Mein Schädel brummt immer noch von letzter Nacht und das, obwohl ich bereits zwei Aspirin eingenommen habe.

„Das sagte ich doch", brumme ich und drücke dabei mit beiden Händen gegen meinen schmerzenden Kopf, in der Hoffnung, dieses elende Pochen dadurch irgendwie loszuwerden – aber nichts da.

„Ich weiß, aber Sie haben heute Nacht so wirres Zeug geredet, dass ich beim besten Willen nichts verstanden habe. Deshalb musste ich das Ganze noch einmal für mich zusammenfassen, damit ich auch alles richtig verstehe und bloß nichts vergesse", sagt er und schenkt mir dabei zum mittlerweile fünften Mal Wasser in das vor mir auf dem Schreibtisch liegende Glas ein. Seine stumme Aufforderung untermauert er dabei mit einer fordernden Handbewegung, die mich verstehen lässt, dass ich das Wasser trinken muss. Etwas Anderes wird er vermutlich nicht zulassen. Was für ein Kontrollfreak! 

Als ich seufzend zum Glas greife, verziehe ich allein beim Anblick des Wassers darin das Gesicht. Zu sehr erinnert es mich nämlich an meine Alkoholeskapade der letzten Nacht. Mich überkommt ein unangenehmer Schauer als ich mich an den ekligen Geschmack des russischen Wässerchens erinnere. Vodka, igitt.

Ein strenges Räuspern, das mich von meinem Gegenüber erreicht, lässt mich aufblicken und holt mich in die Realität zurück. Es ist nur Wasser, Alan! Beschwichtige ich mich gedanklich und setze – nachdem mich ein weiterer streng fordernder Blick erreicht – endlich das Glas Wasser an. Allerdings kann ich es mir aufgrund dieser lächerlichen Strenge, die der Kerl da auszustrahlen versucht, nicht nehmen lassen, dabei die Augen zu verdrehen, bereue es aber sofort als sich daraufhin ein weiterer pochender Schmerz durch meinen Kopf zieht. Verdammt! Ich hatte gar nicht mehr in Erinnerung gehabt, wie schmerzhaft ein Kater sein kann. 

Als ich zu Juan – dem Autor des Manuskripts mit der Traumthematik - herüberblicke, sitzt er in einer lächerlichen Denkerpose auf dem mir gegenüberliegenden Stuhl, wobei er ein Bein über das andere geschlagen hat und sich den rechten Zeigefinger ans Kinn hält. Ich frage mich, was mit diesem Kerl nicht stimmt und erhebe skeptisch eine Braue. Mit diesem Blick voller Skepsis betrachte ich ihn eingehend. Wie er da sitzt mit seinen dunklen Locken, die ihm wild in die Stirn und ums Gesicht fallen, das schwarz umrahmte Brillengestell in Nerdoptik auf der Nase und die Ärmel seines hellblauen Hemdes hochgekrempelt als müsste er sich gleich noch spontan um ein verstopftes Rohr kümmern. Und um das Latino-Klischee zu erfüllen, trägt er doch tatsächlich die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet, um möglichst viel von seiner gebräunten Brust zu entblößen. Pah, ein Machoarsch also. Der Kerl ist mit Sicherheit ein Frauenheld und zwar keiner von der anständigen Sorte. So sieht er zumindest aus. Naja, ohne diese komische Philosophenhaltung zumindest, denn die sieht echt bescheuert aus. In dieser seltsamen Pose verharrt er einige Sekunden als er sich plötzlich ruckartig nach vorne beugt und mit einer viel zu lauten Stimme ruft: „Das ist genial!" Autsch! Dieser Idiot!

„Wenn Sie nicht sofort Ihre Lautstärke runterschrauben, werfe ich diesen Manuskriptstapel gegen Ihren Schädel", brumme ich mit ernster und gleichzeitig schmerzverzerrter Miene und deute beiläufig mit dem Zeigefinger auf den Stapel neben mir.

„Entschuldigen Sie, Mr. Sinclair. Aber das ist einfach so genial! Darüber müsste man wirklich ein Buch schreiben", sagt er und legt sich automatisch den Zeigefinger ans Kinn und scheint wieder kurz davor zu sein, in seine lächerliche Denkerpose zu verfallen. Oh Mann, ich sollte echt die Finger vom Alkohol lassen. Wer weiß, welchen Idioten ich beim nächsten Mal hierher zitiere. Wie bin ich überhaupt auf diesen Freak gekommen? Ich meine, ich kenne ihn ja überhaupt nicht und unsere letzte Begegnung ist auch nicht gerade gut verlaufen. Umso mehr wundert es mich, dass er tatsächlich hergekommen ist und das nach einem vermutlich sehr peinlichen und verzweifelten Anruf mitten in der Nacht. Ich weiß überhaupt nichts über ihn und habe ihm dennoch gerade mein intimstes und vor allem skurrilstes Geheimnis anvertraut. Komischerweise scheint er mich trotzdem nicht als Irren abzustempeln, wie es vermutlich jeder andere getan hätte. Ich kenne eigentlich nur sein Manuskript, das mir aufgrund der Traumthematik wirklich gut gefallen hat, um ehrlich zu sein. Ob mein Entschluss, ausgerechnet diesen Wildfremden anzurufen, wohl etwas mit seinem Manuskript zu tun hat?

Searching for love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt