Kapitel 17

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„Alan", haucht sie. 

Irgendwie kommt sie mir etwas lebendiger vor als in den letzten Jahren. Ob das wohl daran liegen könnte, dass ich die echte Ella mittlerweile kenne? Plötzlich denke ich an die echte Ella und versuche, sie mir vor meinem geistigen Auge vorzustellen, was ziemlich paradox ist, wenn man bedenkt, dass „Traum-Ella" gerade vor mir steht. Auch wenn ich gerade träume, bin ich in der Lage, völlig bewusst über die Realität nachzudenken. Das war schon immer so. Schon immer war mein Bewusstsein während dieses Traumes zu einhundert Prozent funktionstüchtig, warum weiß kein Mensch. Und ich ganz besonders nicht. Komischerweise sehe ich die Traumversion von Ella zwar vor mir stehen, habe aber dennoch die echte, quirlige und tollpatschige Ella im Kopf. Irgendwie scheinen diese beiden Versionen der Ella Hendricks nicht wirklich zusammenzupassen. Ein wesentlicher Unterschied liegt vor allem darin, dass mich Traum-Ella zu sich ruft und somit deutlich macht, dass sie meine Nähe sucht, während die echte Ella sich mehr und mehr von mir zu distanzieren scheint. Ich weiß noch nicht genau, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Vermutlich beides irgendwie. Für unsere berufliche Zusammenarbeit jedoch ist das ganz bestimmt nicht förderlich. Ich denke an all meine bisherigen Reallife-Begegnungen mit Ella zurück und stelle zu meinem Erstaunen fest, dass nicht sie diese Distanz verursacht, sondern ich. Schließlich bin ich derjenige, der ihre Nähe nicht erträgt und warum? Alles wegen der da, denke ich und blicke zu Traum-Ella herüber, die auch nach 16 Jahren keine neuen Posen macht oder auch nur ansatzweise einen Interaktionsversuch mit mir startet. Sie ist wie ein verdammter mechanischer Roboter, dessen einzige Bestimmung wohl nur darin liegt, diese eine Traumszene immer und immer wieder nachzuspielen – Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Am liebsten würde ich sie anbrüllen und sie fragen, was ihr verdammtes Problem ist und warum sie mir, wenn sie mich schon Jahre lang terrorisiert, verdammt nochmal keine Erklärung für diesen ganzen Wahnsinn liefern kann. Aber nein, stattdessen bin ich aus irgendeinem unerklärlichen Grund in meinem eigenen Traum stummgeschaltet und zum gehunfähigen Invaliden degradiert worden. Es ist echt zum Kotzen! Was soll's. Die ganze Aufregung bringt rein gar nichts, denn nach 16 langen Jahren habe auch ich verstanden, dass sich an diesem beschissenen Traum nichts ändern wird – niemals!


„Alan", haucht sie wieder und streicht sich die berühmte Haarsträhne hinters Ohr, während sie sich rückwärts auf das unbekannte, weiße Haus zubewegt und mich weiterhin zu sich zu locken versucht. 

Sie wirkt so ruhig und gelassen und hat somit rein gar nichts mit der tollpatschigen und chaotischen kleinen Frau zu tun, die ich nun seit wenigen Tagen persönlich kenne. Außerdem sind Traum-Ellas blaue Augen nicht ansatzweise so schön wie die der realen Ella. Wirklich, Ella Hendricks Augen gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es ist, als würde in ihnen ein magischer Fluch liegen, der mich dazu bringt, an nichts anderes als an das Blau dieser Augen zu denken und das pausenlos. 

Okay, stopp. Ich muss mich wirklich mal zusammenreißen. Ich erkenne mich ja gar nicht wieder, denn ich verhalte mich wie ein völlig dichter Philosoph, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat und andauernd irgendwelchen gefühlsduseligen Schwachsinn von sich gibt. Wie zum Beispiel das ganze Augengerede rund um Ella. Ist doch Schwachsinn. Um endlich auf andere Gedanken zu kommen, versuche ich weder auf die vor mir stehende Traum-Ella noch auf die echte Ella, die aus unerfindlichen Gründen in meinem Kopf herumgeistert, zu achten und konzentriere mich stattdessen auf das weiße Haus, auf das Traum-Ella langsam und rückwärts zugeht. Auch bei näherer Betrachtung und der leisen Hoffnung, dieses Haus irgendwoher zu kennen, stelle ich resigniert fest, dass ich dieses Haus in meinem ganzen Leben noch nie gesehen habe. Außer in diesem wiederkehrenden Alptraum natürlich. Es ist ziemlich groß und wirkt, obwohl es hier auf dieser endlosen Blumenwiese ziemlich verlassen und völlig fehl am Platz scheint, sehr einladend. Und tatsächlich ist eben diese Tatsache, dass es so isoliert von anderen Häusern und Menschen ist, das, was mich an diesem Haus fasziniert. Ich würde wirklich nur zu gerne wissen, wie es von innen aussieht. Schließlich wäre das der vermutlich perfekte Wohnsitz für mich, so völlig weit entfernt von allem und jedem. Nur ich und die Natur. 

„Alan", haucht Traum-Ella schon wieder und ruiniert damit schlagartig meine wunderschöne Illusion vom Alleinsein. 

Jaja, schon klar, du bist natürlich auch da. Wie sollte es auch anders sein, denke ich genervt und bin froh, als ich im Hintergrund ein unangenehmes Piepen höre. 

Gott sei Dank, der Traum neigt sich endlich dem Ende. 


Nachdem ich endlich vom Alarmton meines Weckers geweckt werde, stelle ich fest, dass ich zwar tief und fest geschlafen habe, mich aber dennoch alles andere als erholt fühle. Mühsam quäle ich mich aus dem Bett, krame anschließend eine Kaffeetasse aus dem Wandschrank, stelle sie auf die Kaffeetassenvorrichtung der Kaffeemaschine und drücke dann völlig beiläufig auf den Anschaltknopf der magischen Maschine, um mich daraufhin ins Badezimmer zu begeben. Solange der Kaffee in die Tasse läuft, möchte ich mich schon mal frisch machen, da ich schon bald los zur Arbeit muss, auch wenn ich alles andere als motiviert bin, Juan und Ella zu begegnen. 

Völlig verschlafen stapfe ich ins Bad, schalte den Wasserhahn auf „kalt" ein und klatsche mir das kalte Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, endlich etwas wacher zu werden. Tatsächlich hilft es, wenn auch nur minimal. Als ich mir das Gesicht mit dem Handtuch abtrockne, blicke ich in den Wandspiegel, der über dem Waschbecken hängt, und starre mir somit selbst entgegen. 

„Wow Sinclair, du siehst absolut... scheiße aus", sage ich zu meinem völlig fertig wirkenden Spiegelbild. 

Die dunklen Augenringe und die angeschwollenen Tränensäcke sind absolut unübersehbar und rasiert habe ich mich auch schon länger nicht mehr. Demonstrativ streiche ich mir über die kratzigen Bartstoppeln an meinem Kinn und drehe und wende mein Gesicht von einer Richtung in die andere, um mich intensiver zu begutachten. Mit meinen kastanienbraunen Haaren, die jetzt gerade zwar vom Schlaf zu allen Seiten abstehen, aber sonst relativ gut aussehen, und den dazu im Kontrast stehenden grünen Augen habe ich mich eigentlich immer für einigermaßen attraktiv gehalten. Wenn ich mich jetzt allerdings so ansehe, frage ich mich, wie ich denn bloß zu dieser fragwürdigen Annahme kam. Innerhalb weniger Tage habe ich mich völlig gehen lassen und erkenne mich kaum wieder. 

Völlig unerwartet trifft mich die Erkenntnis, dass das alles nur an ihr  liegt. Die ständige Grübelei, meine Stimmungsschwankungen, mein desaströses Äußeres in den letzten Tagen, all das hat sich erst entwickelt, als diese Frau in mein Leben getreten ist. Wie konnte ich bloß zulassen, dass mich diese ganze Sache mit ihr so dermaßen mitnimmt? Als ich spüre, wie die Wut allmählich wieder in mir aufbrodelt, fasse ich einen Entschluss. So kann das nicht weitergehen! Ich lasse diese Frau nicht mehr so dermaßen mein Leben beherrschen. Entschlossen nehme ich mir vor, heute besonders viel Zeit in mein Äußeres zu investieren und endlich wieder dem Alan Sinclair, der ich vor ihr war, zu gleichen. 




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Hallo meine Lieben,

heute gibt es mal ein etwas kürzeres Kapitel, aber ich hoffe, es gefällt euch trotzdem! :)

Na, was sagt ihr zu Alans Zustand? Ella scheint ihm ja ganz schön hartnäckig im Kopf herum zu spuken... 


Übrigens vielen Dank für alle, die beim Lies-mich-Award für mich gevotet haben! Ich habe tatsächlich in der Kategorie "21-30 durchschnittliche Votes" gewonnen! Vielen lieben DANK!! <3

Ich wünsche euch allen noch einen schönen Abend und freue mich drauf, in zwei Wochen das nächste Kapitel mit euch teilen zu dürfen. 

Hinterlasst mir doch gerne ein Feedback. Vielen Dank und liebe Grüße,

eure Yasmin :)




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