Kapitel 20

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Während Ella und ich gemeinsam ein paar kleinere Wandregale zusammenschrauben – sie hat wegen meines Handicaps, das ich durch meine verletzte Hand habe, darauf bestanden, mir dabei zu helfen – versucht sie mir immer wieder krampfhaft irgendwelche vermeintlich witzigen Geschichten aus ihrer Studienzeit zu erzählen. Beispielsweise weiß ich jetzt, dass sie an ihrem ersten Vorlesungstag erst nach einer halben Stunde bemerkt hat, dass sie in der falschen Vorlesung gesessen hat oder dass sie versehentlich Mal eines ihrer Projekte an den falschen Dozenten geschickt hat. Zugegeben, über die ein oder andere Geschichte musste ich tatsächlich schmunzeln, aber dennoch ist es mir ein Rätsel, wieso sie sich so verhält und so krampfhaft versucht, ein belangloses Gespräch mit mir zu führen. Keine Ahnung, ob sie das macht, weil sie das Gefühl hat, ich bräuchte nach unserem recht privaten Gespräch Aufmunterung oder irgendeine andere Form der Mitleidsbekundung, oder weil sie einfach Ella ist, die generell immer etwas zu erzählen hat. Jedenfalls hoffe ich für sie, dass ich mit meiner ersten Vermutung Unrecht behalte, denn wenn ich eins noch mehr als Neugierde hasse, dann ist es Mitleid. Ihrem Verhalten zufolge scheint sie aber genau das für mich zu empfinden. Mitleid. Schließlich schaut sie mich auch ständig so seltsam an, fast so, als würde sie mich noch weiter entschlüsseln wollen. Aber wenn sie glaubt, ich würde jetzt ständig mit ihr über meine Gefühle sprechen, dann hat sie sich geschnitten. Das war ein einmaliger Fehler und der wird mir nicht noch einmal passieren, dafür würde ich sorgen. Schlimm genug, dass mir das überhaupt schon passiert ist.

„Reichen Sie mir mal bitte den Nagel da?", frage ich sie, ohne den Blick in ihre Richtung zu wenden.

„Was? Oh, klar", antwortet sie verzögert, als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders.

Kaum, dass sie mir den Nagel gereicht hat, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass sie mich schon wieder so komisch anstarrt. Wohl darauf bedacht, mich dieses Mal mehr auf das Zusammenbauen des Wandregals zu konzentrieren, ignoriere ich ihren bohrenden Blick, den ich im Rücken spüre und setze den Nagel an der vorgesehenen Stelle im Brett an. Gerade als ich mit dem Hammer ausholen will, um den Nagel in das Brett zu schlagen, ruft Ella plötzlich: 

„Ich hab's! Es sind Ihre Haare, oder?"

Verwirrt drehe ich mich zu ihr und starre sie verständnislos an.

„Wovon zum Teufel sprechen Sie?", frage ich sie ernsthaft verwirrt.

„Sie tragen Ihre Haare heute anders als sonst. Ich wusste, etwas an Ihnen ist irgendwie anders, ich wusste nur noch nicht was. Bis jetzt", sagt sie stolz grinsend und fügt dann noch etwas leiser hinzu: „Steht Ihnen."

Kaum, dass sie die Worte ausgesprochen hat, errötet sie leicht und blickt auf den Boden, woraufhin ich schmunzeln muss.

„Danke. Darf ich dann jetzt endlich den Nagel einschlagen?", frage ich möglichst lässig, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich insgeheim darüber freue, dass sie meine morgendlichen Bemühungen rund um mein Aussehen bemerkt hat.

Während ich den Nagel vorsichtig darauf bedacht, mich nicht zu verletzen, in das Brett schlage, frage ich Ella: „Haben Sie mich deshalb die ganze Zeit so angestarrt?"

Auch wenn ich nicht zu ihr schaue, spüre ich förmlich, wie sich ihre Augen weiten und sie noch stärker errötet. Erwischt.

„Ich... ich habe Sie doch gar nicht angestarrt. Ich habe nur... ähm... auf Sie aufgepasst", sagt sie wenig überzeugend, woraufhin ich einen letzten Hammerschlag ausführe und sie dann leicht schmunzelnd und mit hochgezogener Braue anschaue.

„Aha", sage ich ungläubig und versuche dabei nicht einmal, mir mein Schmunzeln zu verkneifen.

„Ja, ich meine, ich trage eine gewisse Verantwortung und wir wollen ja nicht, dass Sie sich nochmal verletzen", sagt sie nun mit erhobenem Kopf, fast so, als würde sie sich gerade selbst von ihren eigenen schwachen Ausreden überzeugen wollen. Ich verdrehe bloß kopfschüttelnd die Augen und lasse ihre billige Ausrede mal so im Raum stehen, wohlwissend, dass sie mich durchaus angestarrt hat. Eindeutig. Und irgendwie bin ich sogar ein bisschen stolz darauf, was dazu führt, dass mir beinahe ein aufrichtiges Lächeln über die Lippen kommt. Aber nur beinahe.

Searching for love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt