New York 2027
Die Neonröhren warfen ihr flackerndes Licht auf den mit Dreck und Müll bedeckten Boden der Bahnstation. Ich hielt den Blick auf mein Smartphone gerichtet, während ich aus der fast leeren Bahn stieg und mich auf dem verlassenen Bahnsteig wiederfand. Meine Finger scrollten weiter in der Playlist meines Handys, bis ich den gesuchten Song gefunden hatte. Ich schob das Handy zurück in die Tasche meines Mantels und die laute Rockmusik schien durch die Kopfhörer in meinen Ohren direkt in mein Gehirn zu strömen. Ich hob meinen Blick und sah mich im flackernden Licht der Neonröhren über mir um: Der Bahnsteig sah aus wie immer um diese Uhrzeit. Keine Menschenseele war zu sehen, nur die Ratten suchten in den weggeworfenen Pappschachteln der Fast Food Läden nach essbaren Überresten. Meine Füße trugen mich schon fast automatisch in Richtung der Treppen, die mich wieder an die Erdoberfläche führen sollten, vorbei an den beschmierten Türen der Bahnhofstoilette. Mein Blick blieb kurz an dem Schild mit der Aufschrift „Defekt" hängen, welches jetzt schon seit knapp einem halben Jahr an der Tür der Herrentoilette hing. Kopfschüttelnd lief ich weiter und dachte mir: „Nicht mal im größten Notfall würde ich da reingehen." Am oberen Treppenabsatz angekommen empfing mich ein eisiger Windzug, meinen Mantelkragen gegen den kalten Wind hochgeschlagen, eilte ich den Bordstein entlang in die Richtung meiner Wohnung. Das nächtliche Leben hier in Altbrooklyn nahm ich kaum noch wahr, es war für mich zur Gewohnheit geworden, seitdem ich vor knapp sechs Jahren hierher gezogen war. Die Musik aus den Nachtklubs hörte ich unter meiner eigenen Rockmusik gar nicht erst, nur das Flackern der bunten Leuchtreklame und der vielen Lichter in und vor den Klubs zog an meinen Augen flüchtig vorbei, als ich mit schnellen Schritten durch den lebhaften Teil des Viertels eilte. Um mich herum bewegten sich die typischen Nachtgestalten: Ein Obdachloser kauerte in einer Ecke in seinem provisorischen Heim aus alten Pappkartons und Spanplatten. Vereinzelt taumelten die Besucher der Nachtklubs über die Gehsteige, lehnten an Bushaltestellen oder kotzten in einer der Seitengassen. Ich hatte auf der Arbeit auch noch kurz überlegt mich nach Feierabend mal wieder in eine Bar zu setzten und ein oder zwei Bier zu trinken. Unser Abteilungsleiter allerdings vermieste mir meine Abendplanung, als er mit einem Sonderauftrag in unser Büro kam, der noch am selben Abend erledigt werden musste. So waren wir in unserer Abteilung bis in den späten Abend hinein damit beschäftigt gewesen Überstunden zu schieben und unseren Boss glücklich zu stimmen. Erst um 20:00 Uhr konnte ich das Büro verlassen und machte mich auf den Weg zur Bahn, die mich an das andere Ende der Stadt zu meiner kleinen Wohnung bringen sollte. Als ich im Flur des Mietshauses stand und die Tür zu meiner Wohnung aufschloss, war es bereits 21:05 Uhr. Bevor ich in die Wohnung ging, warf ich noch einen schnellen Blick in meinen Briefkasten, welcher mit knapp fünfzehn weiteren die Wand im Flur des Erdgeschosses zierte. Ich zog die übliche Reklame und ein paar Briefe aus dem kleinen in der Wand verbauten Eisensafe, dessen Tür ein rechteckiges Namensschild mit der krakeligen Aufschrift „Athan Blair" zierte. Es war auch nach knapp sieben Jahren immer noch ungewohnt meinen neuen Nachnamen an meiner eigenen Tür zu lesen, aber dies war eine der Änderungen gewesen, die mein neues Leben in Amerika mit sich gebracht hatte. Ich betrat meine Wohnung, schaltete das Licht ein und hängte meinen Mantel an den Kleiderständer. Die Briefe warf ich, ohne ihnen große Beachtung zu schenken, auf den kleinen Couchtisch, der im Wohnzimmer stand. Ich nahm meine Kopfhörer aus den Ohren und legte sie zusammen mit meinem Handy auf die Ablagefläche meiner kleinen Küchenzeile, die direkt an das Wohnzimmer angrenzte. Mein Blick wanderte zum kleinen Herd mit dem eingebauten Ofen darin, in dem schon mein Abendessen auf mich wartete. Es war noch etwas Hähnchen und Kartoffeln vom Vortag übrig geblieben und ich dankte mir selbst dafür, dass ich mich um mein leibliches Wohl an diesem Abend nicht mehr groß zu sorgen brauchte. Mein Magen knurrte und ich drehte den Ofen hoch. Danach durchquerte ich das Wohnzimmer und ging hinüber in das kleine Schlafzimmer, an das ein noch kleineres Bad angrenzte. Genauer gesagt war es eher eine Nasszelle mit einer Schiebewand, die Toilette und Waschbecken von der Dusche trennten. Es war zwar etwas eng, aber es erfüllte meine Ansprüche zur Genüge. Ich knöpfte mein Hemd auf und warf es mitsamt meiner schwarzen Jeans auf das kleine Bett, welches neben einem Wandschrank, einem winzigen Nachttisch mit Stehlampe und einem mannshohen Spiegel mein Schlafzimmer schmückte. Danach langte ich unter das Bett, um meine Jogginghose zu erwischen, die wohl im Laufe des Tages von diesem gefallen sein musste. Ich zog sie an einem Hosenbein hervor und schlüpfte schnell hinein. Grade als ich die Tür meines Kleiderschrankes geöffnet hatte und nach einem passenden Oberteil für einen gemütlichen Abend auf dem Sofa mit einer Flasche Bier und den typischen spätabendlichen Actionfilmen suchte, spürte ich erst ein leichtes Kribbeln und dann einen pochenden Schmerz in meinem rechten Unterarm, welcher sich bis in die Fingerspitzen zog. Ich erstarrte mitten in der Bewegung und zog meine Hand langsam aus dem Dunkel meines Schrankes, um sie im Licht der Deckenlampe zu betrachten. Ich starrte gebannt auf meinen rechten Unterarm, es war, als würde sich ein Teil der Dunkelheit, die im Schrankinneren herrschte, hartnäckig an meinen Arm klammern und dem Licht der Glühbirne über mir trotzen. Sie zog sich in rauchigen, schwarzen Schwaden unter meiner Haut und dem vernarbten Gewebe meines rechten Armes und der Hand entlang. Der pulsierende Schmerz steigerte sich nun langsam zu einem stetigen Brennen im Inneren meiner Venen. Endlich schaffte ich es den Blick von meinem Arm loszureißen und tastete hektisch in der Dunkelheit des Schrankes umher. Meine Finger umschlossen das kalte Metall des Gegenstandes, denn ich suchte. Ich zog die Pistole aus ihrem Versteck zwischen den Handtüchern und betrachtete prüfend die schwarz-silberne, mit Runen verzierte Oberfläche der Waffe. Ich entsicherte und lud durch, dann stürmte ich zurück in mein Wohnzimmer. Nachdem ich zwei Schritte in den Raum hineingestürzt war, bremste ich so hart ab, als ob mir jemand ins Gesicht geschlagen hätte. Auf und um meinen Couchtisch herum hatte sich eine schwefelgelbe, brodelnde Masse ergossen, aus der sich nun langsam eine unförmige Gestalt erhob. Ein Oberkörper samt Kopf, in dem sich so etwas wie menschliche Züge erahnen ließen, kroch nun mit tastenden Händen und verlaufenen, schwarz funkelnden Augen auf mich zu. Kurz vor meinen Füßen machte die Kreatur halt, hob ihren unförmigen Kopf mit den leeren Augen in meine Richtung und ein zahnloser Mund öffnete sich in der wabernden Masse: „Viator!" Krächzte eine rasselnde Stimme aus dem Mund der Kreatur. Mit Verachtung sah ich auf das Geschöpf herab, welches mich nun mit einem hässlichen Grinsen in der unförmigen Fratze anstarrte. Ich spuckte auf das am Boden wabernde Ding und knurrte, während ich meine Pistole auf den Kopf der Kreatur richtete: „Richte deinem Herren aus er kann mich mal und jetzt eine angenehme Rückfahrt in das Drecksloch, aus dem du gekrochen bist, du Missgeburt!" Mein Finger zuckte und eine Kugel des Kalibers.44 Magnum schoss aus dem Lauf der Desert Eagle in meiner Hand und bohrte sich in den Schädel der am Boden wabernden Masse. Die Kugel verschwand in der Schädelmasse des Dämons zu meinen Füßen. Dieser grinste mich immer noch unverhohlen an und für einen Sekundenbruchteil schien nichts weiter zu geschehen, dann aber zerfloss das Gesicht der Kreatur und dünne Rauchschwaden gefolgt von einem beißenden Gestank stiegen aus den nun im Boden versickernden Überresten des Dämons. Wortlos betrachtete ich den Zerfall der Dämonenhülle zu meinen Füßen, bis diese ohne jede Spur im Laminatboden meines Wohnzimmers versunken war. Ich blickte zum Couchtisch hinüber, auf dem sich der Botendämon manifestiert hatte. Dort lagen die Briefe, die ich vorhin aus dem Briefkasten gezogen und achtlos auf den Tisch geworfen hatte. Ich beugte mich über sie und sah die Umschläge der Reihe nach durch. Der letzte Umschlag war anders als das sonst standardmäßige Weiß der normalen Briefumschläge. Er war aus dickem, dunklem Pergamentpapier und mit einer Reihe kruder Schriftzeichen verziert. Auf der Rückseite, da wo ich den Brief mit den Fingern berührt hatte, prangten eingebrannt in das dunkle Papier meine Fingerabdrücke. Fluchend ließ ich mich auf die Couch fallen und betrachtete erneut die Symbole auf der Vorderseite des leeren Umschlags. Auf den ersten Blick hätte man sie für kyrillische Runen halten können, aber ich wusste genau, dass es diese Schriftzeichen in keiner Sprache dieser Welt gab. Es waren Lexis Runen, die Runen auf der die Sprache und Schrift des Signums aufgebaut war. Eine uralte Sprache, die es genauso lange wie das Signum selbst gab, nämlich seit Anbeginn der Erde. Diese dämonische Halbwelt, die ein abstrakt verdrehtes Spiegelbild zu der irdischen Welt darstellte und der ich naiverweise dachte, entkommen zu sein. Nun aber hatte mich meine Vergangenheit wieder eingeholt und die dämonischen Kreaturen des Signums hatten mich in der irdischen Welt wieder aufgespürt. Ich hatte ihnen durch meinen Handabdruck auf dem Umschlag des Briefes einen Marker gesetzt und ein Portal für den Botendämon geöffnet. Ich betrachtete wieder meinen Unterarm, aber da war nichts mehr, nur die weißen Narben, die sich wie kleine Schlangen meinen Arm bis zu den Fingern hinabzogen. So saß ich auf meiner Couch und zerbrach mir den Kopf über die Ereignisse, von denen ich dachte, dass ich sie mit meinem Umzug nach Amerika vor knapp sieben Jahren, hinter mir gelassen hatte. Mir war schon damals klar gewesen, dass es ein hoffnungsloses Wunschdenken und nur eine Frage der Zeit war, bis der Tag kommen würde, an dem ich wieder den Weg gehen musste, der mir von meinem Schicksal auferlegt worden war und gegen den ich mich so lange vergeblich zu wehren versucht hatte.
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The Demons Mirror
FantasyVor sieben Jahren hat Athan Blair versucht seinem Schicksal zu entfliehen und ein neues Leben in Amerika zu beginnen . Doch das was ihn verfolgt kennt keine Grenzen in der irdischen Welt. Die dämonischen Mächte jener Spiegelwelt, die seit Anbegin se...