Zurück in meiner Wohnung durchsuchte ich die Küchenschubladen nach einem Block Papier sowie einem Kugelschreiber und machte mich sogleich daran die Lexisrunen aus meinem Notizbuch noch einmal sauber auf Papier zu bringen. Ich hatte sie in der Bibliothek nur kurz überflogen, um ihre ungefähre Bedeutung zu verstehen, doch um die darin eingearbeitete Fangschaltung des Defraudators zu enttarnen, musste ich den Text gegebenenfalls umstellen und die verhängnisvollen Passagen entfernen und den Text neu zusammensetzten. Ich hoffte inständig, dass ich keine der Runen falsch abgeschrieben hatte, da dies sonst fatale Folgen für die Beschwörung oder die Funktionalität der Illusion haben könnte. Zwar brauchte ich aufgrund meiner eigenen dämonischen Kräfte keinen Dämon beschwören, der mir Zutritt zum Signum und Energie für die Illusion gab, trotzdem wollte ich es nicht riskieren die Fangschaltung in der Beschwörungsformel zu lassen, da ich nicht wusste, welche unheimlichen Gestalten ich damit im Signum auf mich aufmerksam machen würde. Ich kannte mich zwar in dessen Funktion und Gesetzmäßigkeit für einen Menschen extrem gut aus aber dennoch überstieg sein gesamtes Wesen immer noch weit die Grenzen meines Geistes. Es konnte also genauso gut sein, dass ich im Signum wie ein Signalfeuer für die Dämonen umherirrte, wenn ich die Beschwörung unverändert benutze und das würde mir ein relativ schnelles und vorzeitiges Ende bescheren. Ich machte mich also daran die Runen auf das leere Weiß des Papiers zu bringen und diese danach Zeile für Zeile akribisch genau zu studieren und immer wieder mit denen abzugleichen, die in meinem Notizbuch standen. Nachdem ich den Text mehrere Male hintereinander gelesen hatte, glaubte ich die ersten verräterischen Stellen innerhalb der einzelnen Zeilen gefunden zu haben. Die einzelnen Runen waren an sich in ihrer Bedeutung nicht verdächtig, vielmehr störten sie den Gesamtfluss des Textes, was ihn seltsam verzerrt und unsauber wirken ließ. Diese Art der Täuschung war unmöglich für einen Sterblichen zu erkennen, da dieser die Runen selbst schon nicht verstand und ihnen in Verbindung mit dem vom Dämon verwendeten Talisman keine große Bedeutung zuschreiben würde. Doch selbst für jemanden, der die Runen deuten konnte und über den bösartigen Mechanismus innerhalb der Zeilen Bescheid wusste, war es immer noch unheimlich schwer die exakten Passagen zu identifizieren und diese zu entfernen, ohne die Beschwörung komplett unbrauchbar zu machen. Ich brauchte beinahe zwei Stunden, bis ich mir vollkommen sicher war, dass ich alle schadhaften Elemente aus der Beschwörung gestrichen und diese wieder soweit korrekt zusammengesetzt hatte, dass sie einwandfrei funktionierte. Ich legte den Kugelschreiber beiseite, schloss kurz die Augen und rieb mir die Schläfen, um den Kopf wieder etwas frei zu bekommen und die darin herumschwirrenden Runen zu vertreiben. Nachdem sich mein Geist einigermaßen von den mystischen Symbolen befreit hatte, merkte ich erst, wie anstrengend die Arbeit an der Formel für meinen Kopf gewesen war und ich beschloss eine Pause einzulegen, bevor ich mir weitere Gedanken über die Beschwörung und meinen Plan für den morgigen Tag machte. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich dazu, eine Runde an der frischen Luft spazieren zu gehen und verließ das Haus. Dieses Mal allerdings schob ich die schwere Pistole, die immer noch auf dem Sekretär neben der Tür lag, wieder in die Innentasche meines Mantels. Auch wenn die Narbe auf meinem Arm nicht pulsiert und es nur Einbildung gewesen sein mochte, hatte ich mich auf dem Weg zur Bibliothek dennoch beobachtet gefühlt und mit der Waffe in der Innentasche des Mantels fühlte ich mich gleich viel wohler, da sie mir das Gefühl gab sofort etwas gegen eine eventuelle Bedrohung in der Hand zu haben. Als ich die Wohnung verließ und zu Lizas Tür hinüber sah, fiel mir auf, dass der Verbandskasten und die kleine Tasche verschwunden waren. Ich war mir nicht ganz sicher, ob diese schon bei meiner Rückkehr aus der Bibliothek nicht mehr an ihrem Platz vor der Haustür gestanden hatten. Andererseits hatte sie ja auch genug Zeit gehabt die Sachen in die Wohnung zu räumen, während ich mich mit der Entschärfung der Formel auseinandergesetzt hatte. Ziellos trugen mich meine Füße durch das Viertel und nach einem kurzen Blick auf die Uhr meines Handys stellte ich fest, dass es bereits 17:00 Uhr war. Wie um die bereits verstrichene Zeit zu bestätigen, fing mein Magen an zu knurren, da ich seit dem dürftigen Frühstück während meiner Recherche, nichts mehr zu mir genommen hatte. Ich beschloss also mir einen kleinen Snack zu gönnen und steuerte das kleine Café an, in dem ich schon zwei Tage zuvor gefrühstückt hatte. Die Tische vor dem Café waren allesamt leer, was aufgrund des schneidenden Windes und der fehlenden Sonne durchaus verständlich war. Nachdem ich den Innenraum des Cafés betreten hatte, stellte ich zu meiner Verwunderung fest, dass dieser doch größer war als es auf den ersten Blick von außen den Anschein machte. Etwa ein Drittel der Tische war belegt und so hatte ich keine Probleme mir einen freien Tisch in der Nähe des Fensters zu suchen. Um nicht noch einmal so einen kulinarischen Reinfall wie bei meinem letzten Besuch zu erleben, beschränkte ich meine Suche bei der Essensauswahl auf typisch amerikanische Gerichte und entschied mich nach kurzer Überlegung für eine Portion Chicken Wings mit Tortillia Chips und einer Salsa Sauce. Während ich auf mein Essen wartete, begann ich in meinem Kopf schon mit der weiteren Planung für den morgigen Tag: Wann war es am sinnvollsten in das Signum einzutauchen? Noch bevor Davian überhaupt auf die Bühne trat oder erst, wenn er seine Rede bereits begonnen hatte? Und wer würde ihn begleiten, sowohl in der irdischen Welt als auch im Signum? Die Gedanken rotierten in meinem Kopf und ich wog die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten in Anbetracht unterschiedlicher Szenarien gegeneinander ab. Die Kellnerin riss mich kurz aus meinen Gedanken, als sie mein Essen auf den Tisch stellte und mich fragte, ob ich noch etwas anderes wünschte. Ich bestellte mir noch ein Glas Apfelschorle und begann die dampfenden Chicken Wings vor mir auf dem Teller zu verspeisen. Die Kellnerin kam kurz darauf mit meinem Getränk zurück, stellte dies neben meinen Teller und wünschte mir noch einen guten Appetit. Ich bedankte mich bei ihr, doch meine Gedanken kreisten bereits wieder um den morgigen Tag. Ich spielte im Kopf immer wieder alle möglichen Szenarien durch und so kam es, dass ich auch noch, nachdem ich mit dem Essen fertig war, lange in dem kleinen Lokal sitzen blieb und mir von Zeit zu Zeit ein neues Glas Apfelschorle bestellte. Gegen 19:30 Uhr verließ ich das Lokal, um in meiner Wohnung die letzten Vorbereitungen für den morgigen Tag zu treffen. Der Plan, der sich in meinem Kopf zusammengesetzt hatte, barg zwar ein gewisses Risiko aber aufgrund der Dringlichkeit und der mangelnden Vorbereitungszeit, musste ich dies wohl oder übel in Kauf nehmen. Zurück in der Wohnung suchte ich in einem der Küchenschränke ein dünnes Plastikröhrchen mit Verschlusskappe heraus und verfrachtete die sich darin befindliche Vanilleschote übergangsweise in eine Plastikdose. Danach kramte ich in einer der Schubladen, bis ich einen Stapel dünnes Pergamentpapier fand. Im Licht der Deckenlampe übertrug ich die bereinigte Beschwörung in winzigen Schriftzeichen auf das hauchdünne Papier. Ich musste die Prozedur zweimal wiederholen, da mir die Symbole nicht sauber genug auf dem Papier standen. Ein winziger Fehler konnte die Rune verändern und so die gesamte Beschwörung unbrauchbar machen. Nachdem ich das vor mir liegende Blatt noch einmal prüfend ansah, rollte ich es zusammen und schob es in das dünne Plastikröhrchen. Ich verschloss den Behälter und schob ihn in die Innentasche meines Mantels, in der sich immer noch meine Waffe befand. Ich zog sie aus der Tasche und überprüfte Magazin und Schlitten, der Schlitten ließ sich ohne jeden Widerstand nach hinten ziehen und beförderte mit einem leisen Klicken eine Patrone in die Kammer. Ich ließ das Magazin aus dem Schacht gleiten und musterte die drei großen Magnumpatronen, die sich noch darin befanden. Ich nahm jede einzeln aus dem schweren Magazin heraus und setzte sie wieder ein, um zu überprüfen, ob die Feder im Inneren ohne Probleme funktionierte. Zum Schluss zog ich den Schlitten der Waffe noch einmal zurück und beförderte so die frische Patrone aus der Kammer in die Luft. Sie fiel auf den Tisch und ich hob sie auf. Bevor ich sie jedoch zurück ins Magazin steckte, drehte ich sie zwischen den Fingern und starrte gedankenverloren auf die mattgoldene Oberfläche des Projektils. Mein Spiegelbild sah mir stumm und verzehrt von der Wölbung des Geschosses entgegen, während meine Gedanken wieder zu meinem am Nachmittag erdachten Plan wanderten und die Zweifel an mir zu nagen begannen. Ich wischte das Zaudern meiner Gedanken beiseite und drückte die Kugel zurück in das Magazin. Das Risiko war unvermeidlich, doch ich musste es eingehen andererseits würde mich die Dämonen früher oder später erwischen. Ich wühlte in einer der Schubladen und fand eine kleine Kassette, in der sich noch fünf weitere Patronen befanden, und lud auch diese ins Magazin, sodass die Waffe bis zum Anschlag gefüllt war. Ich nahm die Pistole vom Tisch und hängte den Mantel über die Stuhllehne, danach ging ich nach oben, um mich hin zulegen. An Schlaf war allerdings nicht zu denken, die Ereignisse der letzten Tage stoben wieder durch meinen Kopf und es dauerte lange, bis ich in einen unruhigen Schlaf verfiel, in dem sich Bilder von Dämonen, einem Mönch aus dem 14. Jahrhundert, Davian und Liza zu einer einzigen undurchsichtigen Masse vermischten. Der Handywecker holte mich aus meinem unruhigen Schlaf und ich entschloss mich dazu duschen zu gehen, um die Müdigkeit schnell loszuwerden. Nachdem ich ausgiebig geduscht hatte, stellte ich fest, dass ich für ein Frühstück keine Zeit mehr hatte, wenn ich rechtzeitig zur Arbeit kommen wollte. Ich jagte eine Ladung Kaffee durch meine Kaffeemaschine und stürzte das heiße Getränk mit zwei Schlucken hinunter. Bevor ich die Wohnung verließ, nahm ich meine Pistole und steckte sie zu dem kleinen Plastikröhrchen in die Innentasche meines Mantels. Das Risiko einer eventuellen Verwarnung auf der Arbeit konnte ich getrost eingehen, da das Risiko welches mich erwarten würde, wenn ich die Waffe später nicht mit zu Davians Wahlkampfveranstaltung nahm, wesentlich höher war. Während ich mich auf den Weg zur Arbeit machte, ging ich im Kopf immer wieder den Plan durch, den ich mir am Vortag erarbeitet hatte. Ich wollte vor Beginn der Veranstaltung ins Signum eintreten und von dort aus schauen, ob ich etwas über den inneren Dämon Davians herausfinden konnte. Wenn Davian erst einmal mit seiner Rede begonnen und seine Wächter im Signum, sowie in der irdischen Welt aufgestellt hätte, wäre es nahezu unmöglich für mich nahe genug an ihn heranzukommen, geschweige denn dabei unbemerkt zu bleiben. Zwar hatte ich die Beschwörungsformel des Defraudators, die mir einen gewissen Schutz vor den Augen der Dämonen gewähren sollte, aber bei einem solch mächtigen Dämon, wie dem der in Davians Körper hauste, konnte ich mich nicht auf die Beschwörung alleine verlassen. Weiterhin war mir relativ schnell klar geworden, dass ich der Rede nur vom Signum aus beiwohnen konnte, da ich mit meiner Waffe in der Tasche wohl kaum durch die Sicherheitskontrolle kommen würde. Zudem kannten Davian und Seth nun mein Gesicht und das Letzte, was ich wollte, war eine Massenpanik oder einen Großeinsatz der Polizei auslösen, je nachdem wie Davian und seine Begleiter auf meine Anwesenheit in der irdischen Welt reagierten. Dämonen neigten oft zu für Menschen unberechenbaren Reaktionen, wenn etwas nicht den gewünschten Umständen ihrer Umgebung entspricht, insbesondere wenn sie sich in der irdischen Welt aufhalten. Meine größte Sorge bestand darin, dass ich nicht wusste, ob Davian etwas von meinem Kommen ahnte oder nicht und ob er im Signum irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Ließ er mich beobachten und wusste von meinen Plänen oder hatte ich es geschafft, meinen neuen Wohnort und meine Pläne vor ihm geheim zu halten? Wartete er nur darauf, dass ich einen Schritt in diese Richtung tat und ihm in seiner eigenen Welt in die Falle lief, oder war er achtlos und sich keiner Gefahr auf diesem Wege bewusst? Ich atmete tief durch und versuchte die Spekulationen aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich musste mich ohnehin erst einmal zur Arbeit und mich somit um einen Haufen von Versicherungsfällen und Schadensersatzansprüchen kümmern. Als ich die Lobby von Coleman&Seed's betrat, winkte Kelly mir freudig zu und fing mich ab, bevor ich den Aufzug nach oben nehmen konnte: „Hey Athan schön, dass du so schnell wieder fit bist. Was hattest du denn?" Eine Antwort auf die Frage hatte ich mir schon am Tag zuvor überlegt, um einer eventuellen Überprüfung zu entgehen. „Muss wohl was Falsches gegessen haben, ich war vorgestern auswärts mit den Kollegen Sushi essen, und da war der Fisch scheinbar verdorben. War eine ziemlich unschöne Geschichte den ganzen Tag über gestern, wenn du verstehst was ich meine." Sie verzog das Gesicht und sah mich mitleidig an, dann nickte sie langsam. „Stimmt, da war ja auch die Geschichte mit Davians Vortrag, bei der du so unerwartet den Abgang gemacht hast. Meiner Meinung nach hast du aber nichts verpasst." Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und fuhr dann mit ernsterem Gesicht fort: „Bei dem einen Fehltag und dem Grund des Fehlens denke ich nicht, dass du ein Attest abgeben musst. Solche Tage hat jeder mal, aber du kennst den Ablauf ja, ich trag dir einfach den Fehltag in deine Kartei ein und damit hat sich das. Für den kurzen Ausfall musst du keinen Urlaubstag opfern, so wie ich das sehe, hast du bis jetzt dieses Jahr noch nie ohne Attest gefehlt." Ich dankte ihr und nahm den Aufzug nach oben in die vierte Etage. In unserem gemeinsamen Büro erwartete mich Brandy bereits und erkundigte sich nach meinem Zustand. Auch ihm erzählte ich die Geschichte mit dem verdorbenen Essen und er sagte nur, dass er den China-Imbiss eh nie gemocht habe und ihn gerne von unserer Auswahlliste, was das Mittagessen anging, streichen würde. Ich stimmte ihm mit einem gespielten Lächeln zu und bedauerte es etwas, dass der China-Imbiss als Sündenbock in meiner Ausrede herhalten musste, ich hatte das Essen dort immer gemocht. Der Arbeitstag verlief ruhig und es gab weniger zu tun als erwartet, so konnte ich das Büro schon um 16:00 Uhr verlassen und schaffte es somit sogar ohne Ausrede beim Chef, rechtzeitig zum Veranstaltungsort der Wahlkampfrede. Kurz nach der Mittagspause hatte mich Mister Seed noch mal in sein Büro gerufen, angeblich um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen. Mir war schon vorher klar gewesen, dass meinen Chef keine Woge der Nächstenliebe erfasst hatte, sondern dass er mich an sein Angebot erinnern wollte. Dies tat er nicht ohne einen Gewissen Nachdruck, den er in Form eines nebensächlichen Kommentars äußerte: „Zuviel Verantwortung schlägt ihnen wohl auf den Magen Mister Blair oder täusche ich mich da?" Mit zusammengebissenen Zähnen hatte ich die spitze Äußerung zurückgewiesen und ihm versichert, dass ich durchaus einer solchen Verantwortung gewachsen wäre. Innerlich wäre ich beinahe explodiert, dieses Arschloch hatte keine Skrupel davor mich eiskalt abzuschießen, wenn ich nicht nach seiner Pfeife tanzte und ihm meine eigenen Kollegen ans Messer lieferte. Zwar ließ er mich auch dieses Mal wieder mit einer Galgenfrist davonkommen aber mir war bewusst, dass ich höllisch aufpassen musste, denn noch viel mehr Zeit zum Hinauszögern der Entscheidung würde er mir kaum gewähren. Den ganzen Weg über vom Büro aus zur Highschool kochten noch der Hass und die Wut in mir und ich hatte große Mühe mich zu beruhigen. Als ich in der Nähe meines Zieles aus der Bahn stieg, suchte ich die kleine Toilette an der Treppe zum Stationseingang auf und schloss mich in eine der leeren Toiletten ein. Im Inneren der engen und übel riechenden Kabine rollte ich den rechten Ärmel meiner Jacke nach oben und zog das kleine Plastikröhrchen aus der Innentasche meines Mantels. Nachdem ich den Verschluss des Röhrchens abgedreht und den kleinen Zettel mit der Formel darauf herausgefischt hatte, ballte ich meine rechte Hand mit dem Zettel darin zur Faust und konzentrierte mich auf die dämonischen Kräfte in meinem Inneren. Die Narben auf meinem Arm schwollen an und kurz darauf pulsierten die feinen schwarzen Nebelschwaden über meine Haut. Die Schwaden krochen meinen Arm entlang und hüllten meine Hand kurz in eine undurchsichtige Dunkelheit, bevor sie durch meine Finger ins Innere der Faust zu kriechen schienen und verschwanden. Ich öffnete die Faust und betrachtete den zerknitterten Zettel auf meinem Handteller. Das durchsichtige Pergamentpapier hatte eine unnatürlich schwarze Färbung angenommen und die Runen, die ich mit feinen Schwüngen auf das Papier gezeichnet hatte, machten den Eindruck, als ob sie sich in die hauchdünne Oberfläche eingebrannt hätten. Als ich das Papier zwischen die Finger nahm, um es wieder aufzurollen und in das Plastikröhrchen zu schieben, vernahm ich ein sachtes Knistern so, als ob das Papier mit einem Mal um etliche Jahre gealtert wäre und nun so spröde war, als das es im nächsten Moment zu Staub zerfallen könnte. Sachte schob ich es zurück an seinen Platz in der Röhre und verschloss diese wieder. In dem Röhrchen selber bildeten sich nach kurzer Zeit einige dünne schwarze Schwaden, die um das Papier herum waberten und an der Innenseite des Röhrchens leckten. Einige Sekunden beobachtete ich dieses Schauspiel, bevor ich den Behälter zurück in die Innentasche meines Mantels steckte und die Toilette wieder verließ. Mein Ziel, die Millennium High School am Rande von New York, lag glücklicherweise nicht allzu weit von der Bahnstation entfernt und so stand ich eine halbe Stunde vor Beginn der Rede vor dem hohen Zaun des High School Geländes. Auf dem Gelände stand schon eine große Menschenmenge, die sich in mehrere Kleingruppen aufgeteilt hatte und angeregt über den Wahlkampf oder sonstige politische Themen diskutierte, während sie darauf warteten in die große Sporthalle am anderen Ende des Geländes eingelassen zu werden, in der die Rede stattfinden sollte. Auch außerhalb des Schulgeländes versammelten sich nun immer mehr Leute und drängten in Richtung des großen Tores, an dem mehrere Polizisten standen und die Besucher kurz kontrollierten, bevor sie dieses auf das Gelände ließen. Meine Augen schweiften über das Schulgelände und fanden nach kurzem Suchen, was ich dort schon vermutet hatte. Am Eingang zur Sporthalle und überall auf dem Gelände verteilt standen Männer in den gleichen grauen Uniformen, wie ich sie schon von Davians Sicherheitspersonal während seiner Rede bei Coleman&Seed's kannte. Diese Männer sahen nach einem privaten Sicherheitsdienst aus, sehr wahrscheinlich einem der sich komplett der Sicherheit des Bürgermeisteranwärters Davian verschrieben hatte, nachdem dieser mit einem fetten Bündel Geldscheinen und weiteren lukrativen Aufträgen, vielleicht sogar einer Anstellung auf längere Sicht gelockt hatte. Die Männer bewegten sich mit zielstrebigen und strammen Schritten über das Gelände und beobachteten die Menschen um sie herum mit wachsamen Augen. Neben dem Haupteingang zur Schule standen ein großer Mannschaftsbus sowie ein dunkler Van, der wohl als mobile Einsatzzentrale des Sicherheitsdienstes fungierte. Die Scheiben von Bus und Van waren abgedunkelt und machten, wie die Außenhülle der Fahrzeuge, einen sehr robusten Eindruck. Ich zweifelte keine Minute daran, dass es mir selbst mit dem großen Kaliber meiner Pistole wohl nur schwerlich gelingen würde, die Scheiben oder die Panzerung dieser Fahrzeuge zu durchdringen. Diese Leute waren offensichtlich Profis auf ihrem Gebiet und wussten allem Anschein nach sehr wohl wie sie den Taser und die Heckler&Koch VP 40, die sie an ihrem Gürtel bei sich trugen, effektiv einsetzten konnten. Davian hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um sich in der irdischen Welt vor Angriffen auf seine Person zu schützen ohne, dass der Dämon in seinem Inneren seine Tarnung oder seinen Wirt hätte aufgeben müssen. Die Männer wirkten allesamt lebendig und ihre Bewegungsabläufe waren normal, sodass bei keinem die Anzeichen einer dämonischen Besessenheit erkennbar waren. Innerlich atmete ich auf, da ich so ein Problem weniger im Signum hatte und mich nicht auch noch mit einer Horde von „Weltenspringern" herumschlagen musste. Die Weltenspringerdämonen waren eine künstlich geschaffene Dämonenrasse mit einer relativ kurzen Lebensdauer. Sie wurden durch mächtigere Dämonen beschworen und ihre Lebensdauer sowie ihre Anzahl war abhängig von Macht und Energieaufwand des Schöpferdämons, der sie beschworen hatte. Sie konnten ohne Probleme eine für Menschen glaubhafte Illusion in der irdischen Welt erzeugen und hatten ein extrem ausgeprägtes Gespür für alle möglichen Aktivitäten innerhalb ihrer direkten Umgebung. Dieses Gespür beschränkte sich nicht nur auf die Welt, in der sie sich aktuell befanden, sondern erhaschte Aktivitäten auch in ihrem direkten Gegenstück. Die Lebensdauer dieser Dämonen reichte von wenigen Stunden bis hin zu ein paar Tagen, was sie für die ständige Infiltration nutzlos machte. Hatte das Aktionspotenzial der Dämonen nämlich ihre Grenze erreicht, verschwanden sie augenblicklich aus der irdischen Welt und konnten nicht eins zu eins wieder reproduziert werden. Diese Tatsache machte einen Einsatz über längere Zeit unmöglich, da das plötzliche Verschwinden der imitierten Personen für Aufsehen gesorgt hätte. Die Weltenspringer wurden oft für kurze Aufklärungsmissionen eingesetzt oder um der Tarnung eines größeren dämonischen Vorhabens in der irdischen Welt mehr Authentizität zu verleihen und dieses gegen andere Einflüsse abzuschirmen beziehungsweise es vor ihnen zu beschützen. Ich wandte mich von der Szenerie ab, die sich mir beim Anblick des Schulgeländes bot, und richtete meinen Blick suchend auf die Straße und deren Abzweigungen vor mir. Meine Augen suchten nach einer kleinen Seitenstraße, in der ich unbeobachtet in das Signum verschwinden konnte, um mich von dort aus in das Innere der Sporthalle oder besser gesagt ihrem Gegenstück im Signum vorzuarbeiten. Mit zügigen Schritten lief ich den Bürgersteig entlang und verschwand in eben so einer Seitenstraße, die von der großen Hauptstraße abging. Die Straße lief an der Rückseite einer Wohnhauszeile entlang und war dementsprechend ruhig. Einige der Häuser hatten kleine Gärten, was in diesem Teil der Stadt ein eher seltener Anblick war und so zu einem absurden Kontrast mit dem restlichen Umfeld führte. Aufgrund der Jahreszeit und den vorherrschenden Temperaturen waren die Gärten allerdings leer und nur vereinzelt konnte ich Personen an den Fensterscheiben erblicken, die ihren Blick auf die Straße hinter ihrem Haus richteten. Mein Blick erfasste eine kleine Seitengasse zwischen zwei dicht beieinanderstehenden Häusern, in der zwischen ein paar Mülltonnen gerade einmal genug Platz für einen Erwachsenen war. Ich sah mich kurz um und überprüfte erneut, ob sich niemand auf der Straße befand oder durch eines der Fenster den schmalen Durchgang beobachtete. Als ich mir komplett sicher war, dass ich unbeobachtet war, schritt ich in die vor mir liegende Gasse, öffnete ein Portal und betrat die dämonische Spiegelwelt des Signums.
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The Demons Mirror
FantasyVor sieben Jahren hat Athan Blair versucht seinem Schicksal zu entfliehen und ein neues Leben in Amerika zu beginnen . Doch das was ihn verfolgt kennt keine Grenzen in der irdischen Welt. Die dämonischen Mächte jener Spiegelwelt, die seit Anbegin se...