Neben meinem eigenen Blut, welches ich in meinen Ohren rauschen hörte, nahm ich nur ein leises Piepen war, so als ob man sich über längere Zeit in einem komplett schalldichten Raum aufgehalten oder einen Gehörschutz über längere Zeit getragen hätte. Wenn in der Physik des Signums irgendeine Gesetzmäßigkeit oder Logik lag, war diese um einiges komplexer und verworrener als die der irdischen Welt. Ich hatte mich inzwischen an diese Launen gewöhnt, erklären würde ich sie mir aber nie können. In meiner Anfangszeit im Signum war mir öfters schlecht geworden oder ich verlor komplett die Orientierung, wenn mein Zwerchfell oder mein Gehirn nicht mit der abrupten Änderung diverser physikalischer Gesetzte hinterherkam und zu kollabieren drohte. Nicht selten war es passiert, dass auf einen Schlag jede Art von Geräusch ausblieb und sich ein unangenehmer Druck in den Ohren aufbaute, der einem jegliche Orientierung raubte. Kurz darauf brach dann ein höllisches Getöse über einen herein und mit einem Schlag waren die Geräusche des Signums wieder zu hören. Weiterhin waren jegliche Arten von Lichtspiegelungen oder Lichtreflexen nach irdischer Sicht unnatürlich und verhielten sich nach ihren ganz eigenen Regeln, was in menschlichen Augen zu abstrusen Illusionen und Trugbildern führen konnte. Das irdische Sprichwort einer „lebendigen Umwelt" bekam hier eine ganz eigene bizarre Bedeutung, wenn man die chaotischen Launen dieser Welt beobachtete. Am gefährlichsten war es jedoch sich auf einen bestimmten Zustand im Signum einzustellen und den „Unreinheiten" in dessen Natur mit menschlicher Vorstellung von physikalischen Gesetzten entgegenwirken und diese ausgleichen zu wollen. Man konnte hier nie sagen, wie hoch die Abweichung eines bestimmten Faktors von dem in der menschlichen Welt war, weil die Richtwerte und Bestimmungshilfen sich in der kurzen Zeit, in der man sich zum Beispiel mit der Lichtbrechung auf einer scheinbar flüssigen Oberfläche befasste, sich schon drei Mal hatten ändern können oder so geblieben waren. Hinzu kam, dass es für das menschliche Gehirn schier unmöglich war damit klarzukommen, da für jeden Menschen die irdische Welt mit ihren Gesetzten als automatischer Richtwert gilt. Ich hatte es durch meine vielen frühkindlichen Aufenthalte in dieser Welt scheinbar geschafft mich dieser, für das Gehirn unlösbaren, Aufgabe zu entziehen und konnte auf meine Instinkte vertrauen. Wie genau mein Hirn mit der stetigen physikalischen Verschiebung klarkam, konnte und wollte ich mir auch nicht erklären, da es mich wohl auf lange Sicht verrückt gemacht hätte. Ich durchquerte die Gasse und stand nun in einer Parallelstraße, die direkt an der Außenmauer zum Schulgelände der Millennium High School lag. Wie erwartet waren die Straße und das Schulgelände im Signum vollkommen leer, nur ein paar schemenhafte Seelenhüllen stierten mit unergründlichem Blick durch die blinden Fensterscheiben der rings umstehenden Gebäude. Auch wenn die Gebäude alle unbeschädigt waren, sahen sie so aus als könnte ein kräftiger Regenschauer aus den grauen Wolken, die sich wie pulsierende Herzen zusammenzogen und in Sekundenbruchteilen wieder verflüchtigten, sie in einem Mal wegwaschen. Zwischen den pulsierenden grauen Wolken, die sich farblich nur kaum von dem tristen Matsch aus Grau und Schwarz der Umgebung unterschieden, brachen die vereinzelten Strahlen einer blutroten Sonne. Dieses intensive Rot, der kalten und doch auf eine unangenehme Art sengenden Strahlen, war neben den farblichen Schattierungen, die manche Dämonen auf ihren Schuppenpanzern oder ihrer ledrigen Haut aufwiesen, mit die einzigen Farben im Signum und erschienen unnatürlich grell, was zum einen an dem starken Kontrast der tristen Umgebung lag und zum anderen an den sich ständig verändernden physikalischen Gegebenheiten. Ich ging auf den Zaun zu, der mich vom Schulgelände trennte und griff nach den Metallstreben. Bevor meine Fingerspitzen das Metall berühren konnten, floss es auseinander und gab mir den Weg frei. Schnell schlüpfte ich durch die Lücke, bevor der Zaun es sich anders überlegte und trat auf den Schulhof. Während ich auf die Sporthalle zulief, begann der Boden sich plötzlich unter mir zu dehnen und schob die Sporthalle etwa zweihundert Meter weiter von mir weg. Ich beschleunigte meine Schritte, nur um kurz darauf scharf abzubremsen, als die Halle in einer Entfernung von zwei Metern direkt vor meiner Nase aufragte. Ich verdrehte kaum merklich die Augen, als ich nach der Türklinke griff und die Tür aufzog, hoffentlich hielt das Signum nicht noch mehr seiner Launen für mich bereit. Ich schlüpfte durch die Tür, zog diese wieder hinter mir zu und fand mich in einer Art Vorraum wieder, von dem links und rechts Flure abgingen, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Umkleidekabinen mit den Duschen und Toiletten führten. Direkt vor mir befand sich eine Doppeltür mit eingelassenen Glasfenstern, die im Vergleich zu denen der Eingangstür nicht milchig weiß, sondern durchsichtig waren. Hinter der Tür erkannte ich eine breite Treppe, die nach oben zu den Zuschauerrängen führte. Ich durchquerte auch diese Tür und setzte meinen Fuß auf die unterste Stufe der Treppe. Als mein Fuß die Stufe berührte, kam es mir so vor, als ob diese ganz leicht anfing zu vibrieren. Ein feines Summen drang tief in meine Ohren ein, so als ob die Luft selbst zu zittern begonnen hätte und jegliche Moleküle in ihr in unglaublicher Geschwindigkeit durch die Gegend rasen und aufeinanderprallen würden. Das Geräusch war ohrenbetäubend laut nach der völligen Stille, die mich vorher umgeben hatte, und grub sich tief in meinen Kopf. Inzwischen schien alles um mich herum in Schwingung geraten zu sein, denn auf jeder Stufe, die mein Fuß berührte, spürte ich das Kribbeln unter meinen Füßen. Als ich meine Hand auf das mattschwarze Geländer legte, das in der Wand verschraubt war, spürte ich die Vibration unter meiner Hand. Wie Beinchen von Tausenden kleinen Ameisen prickelten die Schwingungen auf meinem Handteller und durchliefen dabei meinen ganzen Körper. Mit einem Mal überkamen mich wieder das Frösteln und die Übelkeit, welche ich schon während Davians Vortrag bei Coleman&Seed's gespürt hatte, und zog die Hand so ruckartig vom Geländer weg, als hätte ich mich daran verbrannt. Das Gefühl flaute wieder ab, aber meine Hand fühlte sich immer noch an, als ob sie eingeschlafen wäre und kribbelte wie verrückt. Vorsichtig stieg ich die Treppe weiter empor und fand mich auf den Zuschauerrängen der Sporthalle wieder. Die Sitzreihen waren leer und die hölzernen Sitzflächen der einfachen Betonbänke waren morsch und faulig. Vereinzelt irrten Seelenhüllen zwischen den Bänken umher, fast sah es so aus, als ob sie auf der Suche nach einem geeigneten Platz waren, um sich das Schauspiel unten in der Halle ansehen zu können. Allerdings waren diese Hüllen schon so weit verblasst, dass ich bezweifelte, dass sie noch irgendetwas wahrnehmen konnten. Mein Blick folgte den beinahe erloschenen Augen der Hüllen, welche allesamt auf die rückwärtige Wand der Halle starrten. Mir stockte der Atem und ein paar Sekunden lang war mein Körper unfähig auf die panischen Befehle zu reagieren, die mein Gehirn ihm auf allen Frequenzen entgegen schrie. Kurz vor der Wand, wo sich in der irdischen Welt aller Wahrscheinlichkeit nach das Rednerpult von Davian befand, erhoben sich zwei albtraumhafte dämonische Gestalten. Der erste Dämon war eine hagere Gestalt von etwa drei Meter Größe. Aus dem lang gezogenen, fast schon ovalen Torso der Kreatur ragten vier unnatürlich lange, mit scharfen Klauen besetze Arme hervor. Jeder Arm besaß neben dem Schultergelenk nur ein weiteres Gelenk, welches sich von seiner Position her am ehesten mit dem menschlichen Ellenbogengelenk vergleichen ließ. Die vielgliedrigen Klauen am Ende jedes Armes öffneten und schlossen sich unablässig, so als ob sie ein Eigenleben führen würden und nicht dem restlichen Organismus des Dämons angehörten. Die Arme selbst bewegten sich ebenfalls in unregelmäßigen Abständen, wobei sie gelegentlich mit einem widerwärtigen Knacken aus der Gelenkpfanne sprangen und sich um 360 Grad im Kreis drehten, sodass die Klauen an dessen Enden in eine Rotationsbewegung versetzt wurden. Die Beine waren spindeldürr und ähnlich wie bei den Armen war hier neben dem Hüftgelenk nur das Kniegelenk vorhanden. Richtige Füße fehlten komplett und anstelle dieser hatte der Dämon spitz zulaufende Knochenstümpfe, mit denen er überraschend sicher auf dem hölzernen Hallenboden stand. Die vielen Gliedmaßen in Kombination mit seiner grün-bräunlichen Haut, die sich über den Torso und alle Gliedmaßen spannte, verliehen ihm das Aussehen eines überdimensionierten Insektes, welches auf zwei Beinen aufrecht durch die Gegend stakste. Sein Kopf allerdings passte nicht im Geringsten zu dem Bild des zu groß geratenen Insekts und entsprach eher dem steinernen Haupt einer alten Mayastatue. Er saß ohne erkennbaren Hals direkt auf dem Torso und hatte die Form eines Würfels. Auf jeder Seite dieses Würfels, der seiner elfenbeinernen Farbe nach zu urteilen aus reinem Knochen bestand, konnte ich eine missgestaltete und verzerrte Fratze erkennen, die mit glitzernden schwarzen Augen ihren bohrenden Blick durch die Halle warf. Der zweite Dämon war kleiner und schien keine echte Körperform zu besitzen. Er glich mehr einem riesigen Haufen tiefschwarzer Ameisen, die über einen menschlichen Kadaver herfielen. In ständiger Bewegung waberte die schwarze Masse, die anscheinend wirklich aus einer Art von Kleinstlebewesen zu bestehen schien, vor sich hin und breitete sich unwillkürlich in alle Richtungen aus, nur um kurz darauf ihre Ausgangsform, die entfernt an eine menschliche Gestalt erinnerte, wieder einzunehmen. An der Stelle, wo sich bei einem normalen Menschen der Kopf befunden hätte, brannten hier nur zwei tiefrote Löcher mit einer solchen Intensität, die selbst eine Magnesiumfackel wie eine altersschwache Taschenlampe aussehen ließ. Von Zeit zu Zeit schälte sich aus der wabernden Masse direkt unter den brennenden Augen ein menschliches Gesicht, das mit qualvoll verzerrter Miene versuchte sich einen Weg aus dem Inneren dieses pechschwarzen Organismus zu bahnen. Ich stand wie angewurzelt da und starrte gebannt auf die beiden Kreaturen, die nahezu unbeweglich auf dem blank polierten Holzboden der Turnhalle standen und augenscheinlich ins Leere starrten. Mit einem Mal kam Bewegung in die knochigen Beine des grün-braunen Insektendämons und er stakste mit schnellen Schritten, die ich ihm nicht zugetraut hätte, zu einer Seitentür und zog diese mithilfe seiner Klauen auf. Im ersten Moment konnte ich nicht sehen wer oder was sich hinter der Tür befand, aber schon im nächsten Augenblick hörte ich ein verängstigtes Keuchen und kurz darauf einen verzweifelten Schrei. Beides hörte sich sehr stark nach einem Menschen an und ich machte einen Schritt auf die Brüstung des Geländers zu, um einen Blick auf das Schauspiel zu erhaschen, welches sich unter mir in der Halle abspielte. Der Dämon hatte einen Mann mittleren Alters mit einer seiner Klauen am Kragen gepackt und hielt ihn ungefähr zweieinhalb Meter über dem Boden, während er wieder mit schnellen Schritten zurück zu der Stelle zurück tippelte, an der die wabernde Masse immer noch nahezu unbeweglich stand. Der Mann war ein ganz normaler Mensch, dessen war ich mir sicher. Es grenzte nahezu an ein Wunder, dass er noch nicht vor Schock in Ohnmacht gefallen war, da es aus seiner Sicht so aussehen musste, als ob er von einer unsichtbaren Macht durch eine leere Halle getragen wurde, die bevor er sie verlassen hatte, noch mit Menschen überfüllt gewesen sein musste. Er zappelte wie verrückt und wandte sich im Griff der für ihn unsichtbaren Kreatur, die ihn in mühelos durch die Halle schleppte. Gebannt verfolgten meine Augen, wie die Kreatur denn sich noch immer heftig wehrenden Mann auf den anderen Dämon zutrug und ihn kurz vor dessen zuckenden schwarzen Ausläufen fallen ließ. Der Aufprall presste alle Luft aus den Lungen des Mannes und ich hörte ihn am Boden der Halle leise stöhnen. Sein Hemd war an der Stelle, an welcher der erste Dämon ihn gepackt hatte, komplett zerfetzt und ein immer größer werdender dunkler Fleck breitete sich langsam über die aufgerissenen Ränder aus. Der Mann tastete benommen nach der Wunde auf seiner Brust und sah sich gleichzeitig panisch nach allen Seiten hin um. Plötzlich erstarrt er und seine Hand sank langsam zu Boden, während er gebannt auf die Stelle vor seinen Füßen blickte, an der sich nun einer der unförmigen schwarzen Ausläufer schlängelte. Er musste ihn nun auch sehen können, denn nun begann er panisch auf allen Vieren rückwärts zu kriechen und versuchte der schwarzen Masse aus Millionen von kleinen Leibern zu entkommen. Ein erstickter Schrei drang über seine Lippen, als die Schwarze Masse nach vorne schnellte und sein Fußgelenk in absolute Schwärze einhüllte. Doch anstatt das Bein nach und nach von außen zu überziehen, schien sie sich direkt unter die Haut zu bohren und das Bein von innen aus nach oben zu kriechen. Der Mann schrie nun wie verrückt, krempelte hektisch sein Hosenbein nach oben und starrte mit Entsetzen auf sein sich schwarz färbendes Bein. Die kleinen Tierchen unter seiner Haut bahnten sich ihren Weg durch sein Inneres und hatten bald seinen Unterleib erreicht. Mit einem hysterischen Schreien riss sich der Mann die Reste seines Hemds vom Leib und entblößte so den Blick auf seinen nackten Oberkörper, unter dessen Oberfläche es immer mehr zu brodeln begann, während sich die Tierchen in seinem Inneren immer weiter ausbreiteten. Nach einer weiteren Minute hatte die wabernde Masse unter seiner Haut seinen Hals erreicht und den Rest seines Körpers in ein undurchdringliches Schwarz getaucht. Der Mann begann zu würgen, als sich der abscheuliche Albtraum in seinem Inneren seine Speiseröhre empor wandte und kurz darauf fielen ihm unzählige der kleinen Geschöpfe, die sich durch sein Inneres gefressen hatten, auf den Boden vor ihm. Mit einem letzten würgenden Geräusch sackte der Körper des Mannes in sich zusammen und aus seinen Ohren, seinen Augen und seiner Nase quoll der Schwarze Tod auf das Parkett der Halle. Nachdem jeder Zentimeter des Körpers von vollkommener Schwärze geprägt war, löste sich dieser in einen Strom aus unzähligen dieser schwarzen Biester auf und floss in einem Stück zurück in das Innere des Dämons, der sich die ganze Zeit über nicht einen Millimeter von der Stelle gerührt hatte. Für einen Moment erschien das vor Angst verzerrte Gesicht des Mannes in der dunklen Masse unter den Augen des dämonischen Wesens und ein stummer Schrei verließ seine Lippen. Immer noch vollkommen gebannt von dem grausigen Schauspiel stand ich wie angewurzelt zwischen den vorderen Sitzreihen der Tribüne und starrte hinab auf die beiden Dämonen, die nun wieder vollkommen teilnahmslos ihre Blicke durch die leere Halle warfen. Nun da ich gesehen hatte, mit welcher Kraft der Dämon in Davians Innerem sich am Leben erhielt, wurde mir klar, dass ich ihn und seine Macht weit unterschätzt hatte. Nicht nur, dass er scheinbar neben seinem menschlichen Körper auch den von Collin Seth, hinter dessen Fassade aller Wahrscheinlichkeit der Dämon an seiner Seite steckte, am Leben erhalten konnte, war es ihm unter Beihilfe seines Begleiters allem Anschein nach möglich Menschen gegen ihren Willen in das Signum zu lotsen und diese dort komplett zu verschlingen. Die Macht, die von Nöten war, um all diese Prozesse parallel und dann auch noch für zwei Dämonen gleichzeitig ausführen zu können, musste enorm sein. Hinzu kam, dass die Prozesse scheinbar, je nachdem wann die dämonische Übernahme der beiden menschlichen Hüllen erfolgt war, schon über mindestens zehn bis zwölf Jahre ohne einen kleinsten Fehler abgelaufen waren. Mit einem Mal musste ich wieder an die Vibrationen und Schwingungen denken, die ich schon am Fuß der Treppe gespürt hatte und nun schien mir der Gedanke daran, dass es sich hierbei um die Entladung unvorstellbar großer Kräfte handelte, nicht in geringster Weise abwegig. Die Vorstellung jagte mir das kalte Grauen über den Rücken und löste mich aus meiner Erstarrung. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich das Kribbeln in meiner rechten Hand zu einem höllischen Schmerz gesteigert hatte und keinesfalls mehr von den Schwingungen des Geländers herrührte. Keuchend sah ich zu meiner Hand hinab und erstarrte erneut für ein paar Sekunden. Die Dunkelheit war schwärzer als es das Wasser in einer Meeresspalte in etlichen Kilometer Tiefe hätte sein können. Sie wogte in tosenden Wellen um meinen gesamten Arm herum und tropfte in einer merkwürdig festen Konsistenz auf den Boden vor mir. Als etwas von der nun teerartigen Schwärze, die alles von ihrer ehemals nebulösen Form verloren hatte, auf meinen Schuh tropfte, ertönte ein leises Zischen und der kleine Fleck Dunkelheit wandte sich wie eine Schlange von meinem Schuh und verschwand zwischen den Sitzbänken. Als wäre er nicht länger ein Teil meines Körpers, hielt ich den Arm von mir gestreckt und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Faszination und Grauen. Noch während ich reglos auf der Tribüne verharrte und meinen Arm anstarrte, spürte ich den fast schon stechenden Blick auf mir. Ganz langsam wandte ich den Kopf und richtete meinen Blick so von meinem Arm auf die beiden Dämonen unter mir in der Halle. Die brennenden Augen des schwarzen Dämons schienen sich in mein Innerstes zu fressen und ich wich unwillkürlich zwei Schritte zurück. Nun richtete auch der zweite Dämon eines seiner vier Gesichter in meine Richtung und betrachtete mich mit glitzernden Augen. Noch bevor ich einen weiteren Schritt nach hinten machen konnte, erklang ein merkwürdiger Chor aus Stimmen, der aus dem Inneren der dunklen Masse selbst zu kommen schien. „Du Narr machst es mir ja schon fast zu leicht dich zu töten. Aber wenn du so um dein Ende bettelst, dass du extra hierhin zu mir kommst, dann möchte ich dir deinen Wunsch auch erfüllen!" Der mehrstimmige Chor wuchs zu einem infernalischen Kreischen an, welches in einem tosenden Echo von den Wänden der Halle auf mich eindrang. Ich presste die Hände auf die Ohren und wünschte mir, dass das Signum nun einmal gerne sämtliche Geräusche ausblenden würde. Der insektenhafte Dämon am Boden der Halle ließ sich nun auf zwei seiner vier Arme nieder und klappte seinen würfelartigen Kopf mit einem widerlichen Knacken in einem 90-Grad-Winkel nach oben, sodass dieser wieder nach vorne und hinten anstatt nach oben und unten blickte. Dann schoss er mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf seinen vier nach unten gerichteten Gliedmaßen auf die etwa viereinhalb Meter hohe Wand zu, an dessen oberen Ende sich die Tribüne befand. Mit zwei schnellen Sätzen war er die glatte Steinoberfläche mithilfe seiner Klauen emporgeklettert und stand jetzt unmittelbar vor mir. Die zwei freien Klauen des Dämons rotierten mit sich öffnenden und schließenden Klauen, während sie auf mich zurasten, um mich zu zerfetzten. Ich ließ mich fallen und der tödliche Griff ging ins Leere. Noch bevor ich aufstehen konnte, stießen die Klauen des Dämons wie hungrige Mäuler wieder auf mich hinab und ich rollte mich zwischen zwei Sitzreihen, um ihnen erneut zu entgehen. Über mir hörte ich das Holz der Sitzbank zerbersten, als sich die Klauen des Dämons darin vergruben und diese in Stücke rissen. Die Kreatur stieß ein wütendes Fauchen aus und schleuderte die Reste der Sitzbank an die gegenüberliegende Wand der Halle. Diese kleine Atempause nutzte ich, um wieder auf die Beine zu kommen und meine Pistole aus der Innentasche meines Mantels zu ziehen. Ich gab zwei Schüsse auf den Dämon ab, welche jedoch ohne sichtbaren Effekt an seinem glänzenden Torso abprallten. Wieder raste der Dämon auf mich zu und strecke seine langen, geifernden Klauen nach mir aus. Kurz bevor er mich zu packen bekam, riss ich die Pistole hoch und jagte Kugel um Kugel in Richtung des quadratischen Schädels, während ich mir rückwärts stolpernd den Weg durch die Sitzreihen bahnte, um möglichst viel Luft zwischen mich und die rasiermesserscharfen Klauen zu bekommen. Eine der Kugeln fand ihr Ziel und bohrte sich von unten durch die knochige Gesichtshälfte einer der von mir abgewandten Fratzen und riss ein großes Stück Knochensplitter aus dem quadratischen Gesicht. Der Dämon bäumte sich zu seinen vollen drei Metern Größe auf und gab ein donnerndes Wutgeheul von sich, bevor er mit seinen vier Armen wild um sich schlug und alles in seiner Reichweite zertrümmerte. Einer dieser Schläge traf mich unvorbereitet in die Seite und ich spürte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor. Ich flog durch die Luft und krachte durch die Fensterscheibe, welche die Wand hinter der Tribüne säumte. Die Splitter der Scheibe waren genauso hart und scharf, wie sie es auch in der irdischen Welt gewesen wären und auch der asphaltierte Belag des Schulhofes hatte den gleichen Härtegrad wie irdischer Asphalt. Der Aufprall presste mir alle Luft aus den Lungen und der Aufschlag meines Kopfes auf dem Boden lies Tausende von tanzenden Lichtflecken vor meinen Augen explodieren. Einige Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, lag ich bewegungslos auf dem, durch die brennend rote Sonne aufgeheizten, Asphalt und versuchte meine schmerzenden Lungen wieder mit Sauerstoff zu füllen. Es gelang mir nur mühsam wieder zu Atem zu kommen und meine inneren Organe waren bei dem Fall aus knapp vier Meter Höhe wohl ordentlich zusammengestaucht worden. Ich hoffte, dass das Blut in meinem Mund nicht aus meiner Lunge kam, denn diese fühlte sich so an, als ob einer meiner Rippenknochen sie durchbohrt hätte. Ich spuckte aus und ertastete mit meiner Zunge eine offene Stelle in meiner Mundhöhle, die sehr wahrscheinlich durch einen abgebrochenen Zahn entstanden war, der den Aufprall nicht ganz unbeschadet überstanden hatte. Der Versuch mich aufzurichten, wurde von einem pulsierenden Schmerz meines Kopfes begleitet und auch meine Rippen sowie meine Wirbelsäule meldeten sich mit diversen Schmerzsignalen an mein Gehirn. Ich betastete vorsichtig meine Rippen und meinen Rücken und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass keiner der Knochen gebrochen zu sein schien und sich alles noch an seinem gewohnten Platz befand. Ob ich dies nun den physikalischen Launen des Signums oder meinen dämonischen Heilfähigkeiten zu verdanken hatte, war mir in diesem Moment relativ egal. Ich war einfach nur froh, dass ich nicht aufpassen musste, mich bei meinen nächsten Bewegungen nicht selbst von innen aufzuspießen oder mir eines meiner Organe an einem abgesplitterten Rippenbogen zerriss. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte ich mich auf die wie, durch ein Wunder unverletzten Beine, und las meine Pistole vom Boden auf, die ein paar Meter von mir entfernt lag. Danach rannte ich so schnell, wie es mein geschundener Körper mir erlaubte, in Richtung des Haupttors. Als ich in etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte, hörte ich hinter mir das feine Knacken von Glasscherben und das Schaben von Klauen auf nacktem Beton. Ich wandte den Kopf um und erblickte die riesenhafte Gestalt des Dämons, der nun wie eine monströse Gottesanbeterin kopfüber aus dem zerbrochenen Fenster hing. Er hatte mir seine zerschossene Gesichtshälfte zugewandt, aus der er mich mit einem funktionierenden und einem nun blinden Auge hasserfüllt anstarrte. Er ließ sich fallen, landete mit katzengleicher Eleganz auf vier seiner Gliedmaßen und schoss im nächsten Augenblick wieder auf mich zu. Ich versuchte noch meine Pistole zu heben, doch ich war zu langsam. Mein überbeanspruchter Körper wollte mir nicht rechtzeitig gehorchen und so stand ich mehr oder weniger reglos da, als der Dämon sich vor mir aufbäumte, um mich zu zerfetzten. Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass sich der brennende Schmerz der messerscharfen Krallen einstellte, die sich jeden Moment durch meine Eingeweide fressen mussten, als der Boden unter mir mit einem dumpfen Dröhnen nachgab und absackte. Ich wurde erneut von den Füßen gerissen und entging so nur knapp dem mit Klauen besetzten Arm, der nun über meinem Kopf vorbei zischte und ins Leere packte. Der Aufprall trieb erneut alle Luft aus meinen Lungen und ich stöhnte vor Schmerzen. Eine Sekunde später gab der Boden unter mir endgültig nach und ich fiel in eine bodenlose Tiefe.

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