XIX

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Ich spürte einen brennenden Luftzug auf meiner Haut, so als ob ich geradewegs in einen Wüstensturm geraten wäre. Heiße Asche der sich um mich herum auflösenden Regale wehte mir ins Gesicht und ich musste die Augen zusammenkneifen, damit diese mir nicht verbannt wurden. Ich warf mich auf den Boden und schütze meinen Kopf mit meinen Armen, als sich mit einem ohrenbetäubenden Krachen die Wände des Gebäudes um mich herum ebenfalls in Teilen verabschiedeten und die Asche in den Straßen des New Yorks des Signums verteilt wurde. Nachdem der das Getöse um mich herum aufgehört hatte, hob ich langsam den Kopf und begann mich umzusehen. Der Raum hatte nun nicht mehr viel mit dem zu tun, was ich in der irdischen Welt gesehen hatte. Teile der Wände fehlten und ich konnte zwischen den einzelnen Stahlverstrebungen, die aus den abgebrochenen Betonstücken ragten, auf die Gasse und die umliegenden Straßen schauen. Heiße Luft wehte mir ins Gesicht und die Strahlen der rot glühenden Sonne schienen alles in der Umgebung zu versengen. Ich blickte durch den Raum an die Stelle, wo zuvor die Tür gewesen war. Anstelle dieser klaffte nun ein einfaches Loch von der etwaigen Größe eines Menschen in der rissigen Wand. Ich durchquerte den verfallenden Raum und stieg durch das Loch auf die andere Seite, wo mich eine Empfangshalle von gigantischem Ausmaß erwartete. Das Gebäude war schon in der irdischen Welt nicht klein gewesen, aber hier im Signum kam ich mir vor, als ob ich in einer Kathedrale stehen würde. Ich schaute nach oben und konnte gerade eben noch die vereinzelten roten Lichtstrahlen ausmachen, die durch das gläserne Kuppeldach des Gebäudes nach unten fielen. In der Mitte der Halle erhob sich eine riesige Wendeltreppe, die sich wie eine überdimensionale Pflanze aus Stahl und Glas dem kleinen Lichtschimmer entgegenstreckte. Von der Treppe führten zahlreiche kleine Laufstege ab, welche wiederum auf eine Art Ringsystem führten, welches sich Stockwerk für Stockwerk um die Treppe legte. An die die Treppe umschließenden Ringe grenzten wiederum zahlreiche Türen aus schwerem schwarzen Stahl. Mir fiel auf, dass das Gebäude hier im Signum eine Art runder Turm sein musste und nicht wie in der irdischen Welt die Form eines Wolkenkratzers besaß. Die Ringebenen verliefen makellos an den Wänden entlang und es gab nirgendwo Ecken oder Nischen zu sehen. Dutzende Seelenhüllen durchstreiften die Eingangshalle, in der ich mich befand und schwebten über die Ringe über mir. Ab und an konnte ich auf den Ringen Bewegungen erkennen und sah kleine schwarze Gestalten über den Rand nach unten lugen und blitzschnell wieder verschwinden. Ein geisterhaftes Zischen hallte von den Ringen zu mir hinunter, wenn die Gestalten ihre großen bernsteinfarbenen Augen auf mich richteten und fauchende Geräusche von sich gaben. Ich hatte diese Kreaturen schon öfters im Signum gesehen, es waren Feles Dämonen. Diese kleinen Dämonen konnten einem nur gefährlich werden, wenn sie einem ins Gesicht sprangen, und versuchten einem mit ihren kleinen Krallen die Augen auszustechen. Sie erinnerten in ihrer Erscheinung sehr stark an Katzen, auch wenn sie etwas größer waren, als eine gewöhnliche irdische Hauskatze. Auf den ersten Blick hätte man denken können, dass sie ein ganz normales Fell von tiefschwarzer Farbe besaßen. Wenn einem eins der Viecher allerdings ansprang und man in Kontakt mit dem kam, was man zuerst für ein Fell gehalten hatte, stellte man fest, dass es sich hierbei nur um eine ölige schwarze Schicht handelte, die denn kompletten Körper des Dämons bedeckte. Die Feles Dämonen waren meist in Rudeln unterwegs und konnten in großer Zahl jemanden mit ihrem dämonischen Heulen in den Wahnsinn treiben beziehungsweise das Trommelfell zum Reißen bringen. Mein Arm pulsierte immer stärker, als ich begann die frei stehende Treppe emporzusteigen. Die Dämonen auf den Ringen um mich herum zischten und starrten mich mit brennenden Augen an. Ich ignorierte sie und arbeitete mich Stufe für Stufe nach oben, das immer stärker werdende Brennen in meinem Arm verriet mir, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ich hatte die Etagen nicht gezählt, aber als ich in etwa auf der Höhe des dreiundzwanzigsten Stockwerks angelangt war, sprang einer der Feles Dämonen vor meine Füße, buckelte und fauchte mich gefletschten Zähnen an. Ich versetzte dem Ding einen Tritt mit dem Fuß und es sprang winselnd zurück auf den Ring. Es wandte sich noch einmal um und fauchte mir böse zu, dann flitze es über den Ring davon. Ich folgte dem kleinen Dämon mit den Augen, als er an einer der Stahltüren vorbeilief, passierte es. Die Tür war nur angelehnt gewesen, als der Dämon diese passieren wollte wand sich in atemberaubender Geschwindigkeit ein dünner blassgrüner Arm aus den Schatten hinter der Tür und packte das kleine Wesen mit den vier scharfen Krallen am Ende seines Armes. Der Dämon heulte schmerzerfüllt auf und noch bevor die Kralle ihn hinter das Dunkel der Tür zurückzog, drückte sie erbarmungslos zu. Die Krallen gruben sich tief ins Fleisch der Kreatur und dunkles Blut spritzte in alle Richtungen. Der Körper des Feles Dämons zuckte noch etwas, bevor er endgültig erschlaffte und in die Dunkelheit hinter der Tür gezogen wurde. Für einen Moment war es totenstill im Turm geworden, meine Hand hatte sich, als ich den sich windenden Arm der Kreatur erblickt hatte, reflexartig um den Griff meiner Pistole gelegt, welche sich in der Innenseite meines Mantels befand. Langsam zog ich die Waffe nun hervor und beobachtete für einige Sekunden lang den schwarzen Nebel, der von meinem Arm über meine Hand und die Waffe hinauf glitt. Dann setzen die Geräusche des Signums wieder ein und ich setzte meinen Weg mit der Waffe in der Hand fort. Auf jedem neuen Stockwerk musterte ich die Türen um mich herum und achtete darauf, dass jene, die mir am nächsten waren, nicht offen standen. Ich hatte keine Lust herauszufinden, welche Ausgeburten des Signums sich hinter den Abertausenden Türen auf meinem Weg nach oben verbargen und noch weniger wollte ich, dass diese Kreaturen herausfanden, dass ich mich auf der anderen Seite ihrer Zellen befand. Ich hoffte, dass meine über die Jahre hinweg erworbenen Fähigkeiten zur Verschleierung meiner Existenz in dieser Welt auch an diesem Ort noch Wirkung zeigten. Ich musste mich in einer der tiefsten Ecken des Signums befinden, denn ich konnte spüren, wie die dämonische Energie an diesem Ort die Luft um mich herum zum Vibrieren brachte. Es war, als liefen in weiter Ferne irgendwo die Bassboxen der Hölle und würden ihr Konzert zum Tag des Jüngsten Gerichts spielen. Mit jedem neuen Stockwerk verlor ich weiter mein Zeitgefühl, auch wenn dieses in dieser Welt ohnehin schon nicht gerade hilfreich war, fühlte ich mich bald endgültig auf den Weiten der schier unendlichen Treppe verloren. Ich warf einen kurzen Blick über den Rand nach unten und mir wurde schwindelig bei dem sich mir eröffnenden Blick auf einen endlosen Abgrund. Nach etwas über einer Stunde, zumindest kam es mir so vor, legte ich eine Pause ein und setzte mich auf eine der Treppenstufen um mich etwa auszuruhen. Der Ring um mich herum war leer, ich hatte die letzten Feles Dämonen schon vor unzähligen Stockwerken hinter mir gelassen. Ich blickte erneut hinauf zur gläsernen Kuppel des Turmes, es kam mir so vor, als ob diese mir nur ein winziges Stück nähergekommen war, seitdem ich meinen Aufstieg begonnen hatte. Während ich auf der Treppe saß und darüber nachdachte, ob es einen Sinn machte, die endlose Treppe weiter hinaufzusteigen oder mein Glück mit einer der Tausend Türen zu versuchen, spürte ich einen kühlen Luftzug auf meinem Gesicht. Ich blickte auf und erkannte, dass sich eine der schweren Eisentüren auf dem Ring über mir geöffnet hatte, welche nun langsam in dem aus dem Inneren strömenden Luftzug auf und zu schwang. Ich konnte ein leises melodisches Gewirr an Stimmen hören, welches der Wind mit sich trug, was die Stimmen sagten, war aber unverständlich für mich. Ich erhob mich langsam und schritt die Stufen zur nächsten Abzweigung auf den über mir liegenden Ring empor. Dort angekommen setzte ich behutsam meinen Fuß auf den dünnen Laufsteg, der auf den Ring führte. Der Steg war etwa vier Meter lang und hatte im Vergleich zur Treppe kein Geländer, welches ihn sicherte. Ich verlagerte probeweise mein Gewicht auf meinen vorderen Fuß, um zu schauen, ob die Stahlkonstruktion mich hielt. Sie machte einen stabilen Eindruck, aber die launige Natur des Signums konnte dies schnell wieder zunichtemachen und mich die Reise des sehr langen Wegs zurück nach unten schneller antreten lassen, als es mir lieb war. Ich balancierte den etwa einen halben Meter breiten Träger entlang und hoffte, dass dieser nicht unter mir wegbrach. Als ich etwa zwei Drittel der Strecke zurückgelegt hatte, erfasste mich ein starker Windstoß von hinten und ließ mich ins Taumeln geraten. Bei dem Versuch mein Gleichgewicht wieder zu erlangen, stürzte ich nach vorne und schlug mit dem Gesicht hart auf den Träger unter mir. Mein Kopf schmerzte von dem Aufprall und ich blieb fest an den Träger geklammert liegen, als ein tosender Sturm losbrach und über meinen Kopf hinwegfegte. Nach ein paar Sekunden endete er so schlagartig, wie er begonnen hatte und ich hob langsam den Kopf. Meine Hände zitterten und ich kroch den letzten Rest der Strecke auf allen Vieren, bis ich die Sicherheit des Ringes vor mir erreichte. Ich kroch zur Wand und lehnte mich, in sicheren Abstand zur nächsten Tür, gegen diese, um wieder zu Atem zu kommen. Die offene Tür befand sich genau gegenüber der Tür zu meiner Rechten und ich konnte in die undurchdringliche Schwärze blicken, die hinter der Tür lauerte. Nachdem ich die Tür zwei Minuten lang angestarrt hatte, erhob ich mich langsam und machte einen Schritt auf sie zu. Das Stimmengewirr erhob sich mit einem Mal zu einem Chor, der klar und verständlich meinen Namen rief. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte in die Dunkelheit hinter der Tür. Ich drehte mich zum Laufsteg auf der anderen Seite des kreisrunden Loches um und konnte gerade noch mit Schrecken beobachten, wie er sich langsam in Asche auflöste. Mein Blick wandte sich wieder der offenen Tür vor mir zu, über deren Rahmen inzwischen leuchtende Lexis Runen erschienen waren. Die schimmernden Symbole bildeten vier Worte: „Es gibt kein zurück." Der Chor der Tausend Stimmen rief nun immer eindringlicher nach mir und forderte mich auf durch die Tür zu treten. Ich drehte mich ein letztes Mal um und schaute zu der Treppe in der Mitte des Loches hinab, dann trat ich in die Dunkelheit vor mir. Nachdem ich ein paar Schritte in die komplette Finsternis getan hatte, fiel die Tür hinter mir mit einem Krachen zu und verschluckte jedes Licht, was bis dahin vom dahinterliegenden Ring eingefallen war. Nachdem sich die Tür hinter mir geschlossen hatte, verstummten die Stimmen mit einem Mal und ließen mich in der vollkommenen Dunkelheit alleine zurück. Die Stille war bedrückend, ich hörte nichts als dem Geräusch meiner eigenen Schritte, als ich blindlings durch das Dunkel stolperte, hilflos mit den Armen umhertastend. Ich stieß gegen eine Wand und tastete mich an dieser entlang. Nachdem ich etwa fünf Minuten lang so gegangen war, endete die trat mein Fuß ins Leere und ich fiel nach vorne über. Mein Sturz war nicht tief, nur ungefähr einen halben Meter, raubte mir aber jeglichen Rest an Orientierung. Ich setze mich auf den Boden, wie ein kleines Kind das nachts aus dem Bett gestiegen ist und in der Dunkelheit den Weg zum Lichtschalter nicht fand. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy und zog es hervor, doch als ich die Sperrtaste an der Seite des Geräts drückte, passierte nichts. Ich ließ das Gerät mit einem Fluch wieder in meine Tasche gleiten. Plötzlich bemerkte ich einen Schimmer in meinem Rücken und drehte mich blitzartig um. In einiger Entfernung erblickte ich die Umrisse einer Tür, unter der ein rotgoldener Lichtschimmer hindurch auf den Boden fiel. Ich stand auf und ging auf die Tür zu, bei ihr angekommen leuchteten erneut Lexis Runen auf, welche sich über die gesamte breite der Tür erstreckten. „Tritt ein Viator, du wirst bereits erwartet." Ich legte meine Hand zögerlich auf den durch den Glanz der Runen sichtbar gewordenen Türgriff. Ich holte tief Luft und öffnete dann langsam die Tür in den dahinter liegenden Raum. Das blendende Licht auf der anderen Seite ließ mich die Augen zusammenkneifen und ich musste diese mit meiner Hand abschirmen, um die Helligkeit des rötlichen Scheins zu ertragen. Nachdem ich meine Augen an das Licht gewöhnt hatte, schaute ich mich in dem Raum um, den ich gerade betreten hatte. Der Raum war in etwa zwanzig Quadratmeter groß und erinnerte mich von der Einrichtung her an das Büro meines ehemaligen Chefs bei Coleman&Seed's. Der einzige Unterschied war, dass die Wände des Raumes komplett aus Glas bestanden und man von hier aus die ganze Stadt unterhalb des Gebäudes erkennen konnte. Von hier oben wirkten die Straßen unendlich klein und selbst die größten Hochhäuser wurden von dem riesenhaften Turm, in dem ich mich befand haushoch überragt. Hinter einem schweren Schreibtisch aus schwarzem Glas saß in einem alten Lehnsessel, welcher als einziger Gegenstand nicht in das Ambiente passen wollte, eine unförmige Gestalt, die in etwa die Form eines menschlichen Körpers hatte. Der Körper bestand aus der mir bereits bekannten schwarzen Masse und die beiden brennend roten Augenhöhlen musterten mich, ohne dass ich eine Gefühlsregung von dem Ding vor mir erkennen konnte. Eine Art Hand formte sich aus der wabernden Masse und wies mit einer Geste auf einen Stuhl, der ihr am Schreibtisch gegenüberstand. Zeitgleich formte sich ein Gesicht aus dem Brustkorb des Dämons. Der Chor, den ich zuvor schon gehört hatte, hallte von den gläsernen Wänden wieder, als der Dämon zu sprechen begann: „Deine Widerstandsfähigkeit überrascht mich Reisender. Du lebst nun schon so lange in den beiden Welten, länger als jeder Andere deiner Art, der sich in unsere Welt verirrt hat. Über dies hinaus hast du ein erstaunliches Talent gezeigt unsereins zu töten, etwas, was nur die wenigsten Nicht-Dämonen zu vollbringen imstande sind. Anfangs habe ich dich nur für einen weiteren Menschen gehalten, der durch Zufall so lange hier überleben und umherreisen konnte. Doch ich habe schnell gemerkt, dass du mehr bist. Und jetzt bist du hier, um was? Mich zu töten? Natürlich bist du das, ihr Menschen seid uns Dämonen gar nicht so unähnlich, musst du wissen. Ich bin nun schon seit Jahren über diese Welt gewandert und habe sie mit euren Augen gesehen. Ich muss zugeben, ihr habt mich amüsiert. Denkt, dass ihr so mächtig seid und über alles und jeden bestimmen könnt. Eure Zerstörungswut gleicht der unseren, aber eure Dummheit ist bemitleidenswert. Ihr tötet alles und jeden aus den belanglosesten Gründen, ohne groß darüber nachzudenken. Dabei ist es euch egal, ob es andere Menschen sind die etwas besitzen, das ihr wollt oder die eine andere Idealvorstellung haben. Ob es Tiere sind, deren Lebensraum ihr zerstört, nur um etwas zu erschließen mit dem ihr eure unendliche Konsumlust stillen könnt. Ihr reißt den einzigen euch gegebenen Lebensraum mit voller Kraft in den Abgrund. Ihr seid es nicht wert euer Leben auf der Erde selbst zu bestimmen. Ihr seid nur eine minderwertige Kreation auf der untersten Stufe der Schöpfung. Mein Entschluss euch der Verantwortung für euer Handeln zu entziehen, sollte von euch eigentlich mit Freude angenommen werden. Aber ihr seid zu beschränkt in eurem Geist und zu machtbesessen, um all dies zu verstehen. Selbst du Reisender, der du die andere Seite kennst, glaubst immer noch daran, dass ihr Menschen die Berechtigung dazu besitzt, über eine ganze Welt zu herrschen." Der Blick des Dämons schien geradewegs durch mich hindurchzugleiten und in die unendlichen Weiten hinter der Glasfront in meinem Rücken abzudriften. Ich saß wie erstarrt in meinem Stuhl und die Worte des Dämons hallten in meinem Kopf wieder, ich war unfähig irgendetwas zu entgegnen und starrte ihn stattdessen nur weiter an. Der Dämon erwachte wieder aus seiner Trance und sah mir nun direkt in die Augen. Ich musste mich bemühen, um nicht zu blinzeln, denn das lodernde Rot in seinen Augenhöhlen blendete mich fast schon. Der Dämon erhob wieder das Wort: „Der Punkt in dem wir uns gleichen ist unsere Zerstörungswut. Ich sage nicht, dass es eurer Welt gut ergehen würde, nachdem ich an ihre Spitze getreten bin, aber das weißt du sicherlich. Du kennst die Natur von uns Dämonen, schließlich hattest du schon oft genug mit uns zu tun. Aber auch du bist auf Tod und Zerstörung aus Reisender, stehst hier vor mir um mich zu töten aber warum tust du das? Rache für deine Familie? Ruhe für dein eigenes Leben? Oder etwa um jemanden zu beschützen den du liebst? Ja ich sehe es in deinen Augen, da ist jemand, den du schützen willst. Rede dir ja nicht ein, du tust das für die Menschheit. Das ist lächerlich, so selbstlos war noch nie jemand aus eurer Rasse und warum solltest du gerade der sein, der damit anfängt?" Bei den letzten Worten des Dämons spürte ich, wie eine eisige Hand um mein Herz schloss. Für einen kurzen Moment spürte ich die pure Angst, als mir bewusst wurde, dass er die Wahrheit sprach. Dann wandelte sich diese Angst in Zorn und ich sprang von meinem Stuhl auf. Der Stuhl kippte nach hinten, noch bevor er auf dem Boden aufschlug, hatte sich der Griff der schwarzen Klinge schon in meiner Hand verfestigt. Mit einem wutentbrannten Schrei stürzte ich nach vorne und ließ die Klinge niedersausen. Der Dämon im Sessel vor mir glitt rücklings durch die Lehne und mein Schwert schlitze das Polster der Länge nach auf und hinterließ eine lange Kerbe auf dem Glastisch. Ein markerschütterndes Lachen hallte durch den Raum, als der Dämon sich auf der Rückseite des Stuhls manifestierte. „Du scheinst eher ein Mann der Tat zu sein was? War ich dir etwa nicht unterhaltsam genug? Nun dann, so soll es sein!" Mit diesen Worten schoss der Dämon vorwärts und ich warf mich zur Seite, als die wabernde schwarze Masse wie ein Schwarm Fliegen auf mich zuschoss. Er flog über meinen Kopf hinweg und schoss geradewegs durch die Fensterscheibe an der anderen Seite des Raumes. Ich sprang auf die Beine und drehte mich suchend im Kreis. Die Fensterscheibe, durch die der Dämon geflogen war, war noch intakt aber vom Dämon selber fehlte jede Spur. Ich eilte zum Fenster und blickte suchend in die Ferne. Mit einem Mal fielen mir die kleinen schwarzen Pünktchen auf, die vor den Fenstern rund um das Gebäude wirbelten. Sie sahen aus wie die Aschepartikel, die nach einem Vulkanausbruch in die Luft geschleudert wurden. Immer mehr von diesen Partikeln setzten sich auf den Scheiben rund um das Büro ab, bis diese vollkommen schwarz waren und jegliches eindringende Licht verschluckten. Ein infernalisches Dröhnen lies den Raum erbeben, ich musste mich zu Boden fallen lassen und presste mir die Hände auf die schmerzenden Ohren, um dem Höllenlärm zu entgehen. Dann explodierten die Fensterscheiben und Splitter schossen in alle Richtungen quer durch den Raum. Ich rollte mich wie ein verängstigtes Tier zusammen und kniff die Augen zusammen. An meinem ganzen Körper spürte ich das scharfe Brennen der gläsernen Geschosse, die meinen Körper trafen und sich durch meine Kleidung und mein Fleisch schnitten. Ich öffnete die Augen und wischte mir das Blut aus dem Gesicht, welches aus unzähligen kleinen Schnitten tropfte, meine Hände waren ebenfalls mit Schnitten übersät und schmerzten, als ob jemand sie mit Nadeln zerstochen hätte. Ich richtete mich auf und griff nach meiner Waffe, die ich fallen gelassen hatte, als das dämonische Heulen begonnen hatte. Ich sah mich im Büro um und erkannte die schemenhafte Gestalt des Dämons, die durch die Trümmer auf mich zukam. Ich trat ihr entgegen und hieb mit dem Schwert auf sie ein, doch die Klinge glitt einfach durch die schwarze Masse hindurch, ohne sichtbaren Schaden anzurichten. Der fehlende Widerstand des Aufpralls ließ mich nach vorne stolpern und der Dämon packte mich an der Kehle. Der Griff, der sich um meinen Hals schloss, war eiskalt. Es fühlte sich so an, als ob jemand meine Lungen mit Eiswasser gefüllt hätte und mir stockte der Atem. Die wabernde Masse seines Armes war zu einer festen Materie erstarrt und diese drückte nun zu. Ich packte aus Reflex mit meiner Rechten den Arm des Dämons und dieser stieß einen überraschten Schrei aus. Die dunklen Nebelschwaden, die sich über die Narben meines Arms wandten, krochen nun an dem des Dämons empor und suchten sich einen Weg über den ganzen Körper des Dämons. Die Bewegung in seinem Körper erstarrte und er stand für einen kurzen Moment wie eine Statue da. Ich nutze die Chance und trat ihm mit voller Wucht vor den Brustkorb, während ich mich nach hinten fallen ließ. Der Griff des Dämonen war noch stärker als ich gedacht hatte, denn als ich auf dem Boden aufschlug, fühlte ich mich, als hätte man mir meinen Kehlkopf herausgerissen. Ich hustete und würgte, während ich versuchte wieder auf die Beine zu kommen und mich nach dem Dämon umsah. Der Dämon lag einige Meter von mir entfernt am Boden und starrte mich mit rot glühenden Augen an. Sein Körper sah aus wie erkaltetes Vulkangestein und vereinzelt konnte man erstarrte menschliche Gesichter erkennen, die sich nach außen drückten, so als ob sie aus ihrem Gefängnis ausbrechen wollten. Ich beugte mich schwer atmend über ihn und griff nach der Pistole in meiner Manteltasche. „Der Dämon starrte mich immer noch mit weit geöffneten Augen an, dann erklang erneut der Chor der Tausend Stimmen im Raum, diesmal bebten sie vor Entsetzten: „Was bist du?" Ich setzte die Mündung der Waffe auf dem Kopf des Dämons ab und legte den Sicherungshebel um. „Dein Henker." Sagte ich mit eiskalter Stimme, während ich den Abzug durchdrückte und beobachtete, wie die Kugel den Kopf des Dämons zu Splittern zertrümmerte. Ich trat zurück und sah zu, wie der Torso des Dämons sich in Rauch auflöste, der vom Wind durch die zerbrochenen Fenster in die Weiten des Signums getragen wurde. Ich blickte ihm eine Zeit lang nach, dann wandte ich mich einem Punkt unter mir auf der Straße zu. Ich durchsuchte meinen Geist nach einem Portal zurück in die irdische Welt und schloss die Augen. Einen Augenblick später stand ich im New York der irdischen Welt auf der gegenüberliegenden Straßenseite der 703 Third Avenue vor einem Restaurant mit dem Namen „Deutsches Hofbräu Bierhaus NYC." Die Gaststätte hatte noch geschlossen, was angesichts der Uhrzeit nicht weiter verwunderlich war. Vor dem Eingang stand ein Mülleimer, in den ich die Batterien aus dem Funkgerät des Wachmanns warf, denn ich im Aktenraum niedergeschlagen hatte. Danach machte ich mich auf den Weg zur nächsten Bahnstation und machte mich auf den Weg zurück nach Altbrooklyn, um Alice wieder von Shawn abzuholen. Ich würde ihm eine weitere Lüge erzählen müssen, warum ich nun doch noch in New York war. Dann fiel mir ein, dass Shawn sehr wahrscheinlich auf der Arbeit war. Ich beschloss daher meinen Besuch auf den Abend zu verlegen und lief ziellos durch die Straßen von Manhattan. Zum ersten mal seit ewiger Zeit hatte ich das Gefühl nicht beobachtet zu werden und fühlte mich wie ein normaler Mensch auf dieser Welt, auch wenn ich wusste, das dies nicht stimmte.

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