Ich schreckte aus dem Schlaf hoch, das bläuliche Licht des Fernsehers stach mir grell in die Augen und ich tastete nach der Fernbedienung, um ihn abzustellen. Ich blinzelte die tanzenden Lichtflecke vor meinen Augen weg und wartete, bis sich diese an die Dunkelheit des Raumes gewöhnt hatten. Danach erhob ich mich vom Sofa und bahnte mir meinen Weg im schwachen Dämmerlicht der Straßenlaterne, welches durch das Fenster fiel, in Richtung der Küchenablage. Ich griff nach meinem Handy und drückte auf die Sperrtaste, in einem schwachen Blau glommen mir vom Display Zahlen entgegen, es war 2:37 Uhr. Ich rieb mir die Augen und legte das Handy zurück auf die Ablage, danach ging ich zum Fenster und starrte auf die menschenleere Straße vor meiner Wohnung. Die Dunkelheit kroch wie ein Nebel aus den Seitengassen hervor und schien das kümmerliche Licht der Straßenlaternen zu verschlucken. Ich ließ meinen Kopf gegen das kühle Glas der Scheibe sinken und allmählich verschwanden die Bilder meiner Vergangenheit aus meinem Kopf und ich konnte wieder einen klaren Gedanken fassen. Wie mich die Dämonen aufgespürt hatten, war mir im Endeffekt sogar fast schon egal. Was mich hingegen sehr interessierte war, wann sie wieder zurückkommen würden und erneut versuchten, mich zu töten. Die Frage nach dem Warum geisterte ebenfalls in meinem Hinterkopf umher und bahnte sich jetzt ihren Weg an die Oberfläche meiner Gedanken. Seit fast sieben Jahren war ich nun bemüht gewesen meine Vergangenheit hinter mir zu lassen und bis zum heutigen Tage hatte dies auch ohne Probleme funktioniert. Ich hatte das Signum gemieden und mich schon fast an den Gedanken gewöhnt als ein normaler Bürger in New York zu leben. Sieben Jahre lang war ich ein Teil der Millionen gesichtslosen Personen gewesen, welche durch die Straßen dieser Stadt geeilt waren, ohne dass sich irgendjemand dafür interessiert hatte, wer ich war, woher ich kam oder was in meiner Vergangenheit geschehen war. Ich trug diese Erlebnisse als mein eigenes dunkles Geheimnis in meinem Innern, verschlossen vor meinen eigenen Augen und vor denen der Anderen um mich herum. Nun aber brachen genau diese Erinnerungen aus ihrem Gefängnis der Verleumdung und konfrontierten mich mit meiner Vergangenheit. Während der ganzen Zeit in New York war mir kein einziger Dämon begegnet, noch hatte ich ihren Einfluss auf unsere Welt gespürt. Es war ruhig geworden rund um die Grenzen des Signums herum und weit über sie hinaus. Nun aber waren die Dämonen wieder in der irdischen Welt präsent, als ob sie aus einem langen Schlaf erwacht wären, in dem sie ihre Kräfte gesammelt hatten. Zusätzlich beunruhigte mich die Tatsache, dass sie ihr kommen durch den Boten angekündigt hatten und sich so offen zu erkennen gaben. Sie hatten keine Scheu sich zu zeigen und das ließ darauf schließen, dass sie anscheinend genug Macht gesammelt hatten, um die irdische Welt frei nach Belieben betreten und verlassen zu können. Nur wie war das möglich? Fest stand, dass ich ihnen ein Dorn im Auge war und sie mich aus dem Weg schaffen wollten. Anders konnte ich mir ihr plötzliches Auftauchen nach sieben Jahren nicht erklären. Zwar hatte ich meine Spuren bei meiner Flucht, so gut es ging verwischt aber durch die Macht des Dämons, die ich immer noch in mir trug, dürfte es nur eine Frage der Zeit gewesen sein, bis mich die Mächte des Signums auch in der irdischen Welt wieder aufgespürt hatten. Bevor ich aber der Frage nach dem Plan der Dämonen weiter nachgehen konnte, musste ich erst einmal dafür sorgen, dass ich eine sichere Unterkunft fand, in der mich die Dämonen nicht sofort aufspüren konnten. Ich ging zurück zum Couchtisch und griff nach der Pistole, die neben dem Briefstapel lag, und wog sie in der Hand. Die Lexis Runen schimmerten im Licht der Straßenlaterne. An der Stelle wo die Runen in das silberne Metall gestanzt worden waren durchzog sie eine mir wohlbekannte Finsternis in Form von dünnen Rauchschwaden. Die Waffe war eine Sonderanfertigung gewesen, die ich etwa ein Jahr nach meiner Ankunft in Amerika bei einem Büchsenmacher im heutigen Old Vermont hatte fertigen lassen. Sie war ein Meisterwerk der Handwerkskunst und hatte mich eine ordentliche Stange Geld gekostet. Der Büchsenmacher war ebenfalls mehr als verwirrt über meinen Wunsch die ihm unbekannten Symbole in den Griff und den Lauf der Waffe einzuarbeiten, doch er erledigte auch diese Arbeit mit äußerster Präzision. Die Runen hatten den gleichen Wortlaut, wie auch der Schriftzug meines Schwertes, welches ich seit meinem Kampf gegen den Dämon im Waisenhaus bei mir trug. Zwar war diese Waffe nicht direkt dem Signum entsprungen, erfüllte aber dank der auf ihr verzeichneten Runen als Katalysator und der Macht des vernichteten Dämons in mir ihren Zweck als tödliches Werkzeug im Kampf gegen Wesen des Signums. Weiterhin erregt man in einem Land, in dem es fast mehr private Waffen als Einwohner gibt, mit einer Pistole in der Öffentlichkeit nicht so viel Aufsehen, wie es vielleicht ein altes asiatisches Schwert tun würde. Ich schob die Pistole in den Hosenbund meiner Jogginghose und ließ das Dämonenschwert sich in meiner Hand materialisieren. Der Anblick hatte nach knapp acht Jahren immer noch etwas Mystisches, wenn die Dunkelheit sich um meinen Arm wandte und sich langsam die feste Klinge aus dem gespenstischen Nebel in meiner Hand verdichtete. Gedankenverloren starrte ich eine Zeit lang auf das schwarze Metall, dann ließ ich das Schwert wieder verschwinden und machte mich auf den Weg in mein Schlafzimmer. Die Pistole legte ich auf den kleinen Nachttisch neben meinem Bett und legte mich in dieses. Danach schloss ich die Augen und fiel in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.
Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages weckten mich in aller Frühe, da ich am Abend zuvor vergessen hatte die Rolllade an meinem Schlafzimmerfenster runter zu lassen und so blinzelte ich verschlafen in das grelle Licht des neuen Tages. Ich tastete blind nach meinem Handy, von dem ich vermutete es auf dem Nachttisch abgelegt zu haben und erstarrte, als meine Finger das kalte Metall meiner Pistole berührten. Mit einem Mal war ich hellwach, die Bilder, die in meinem Kopf herumirrten, waren meine Erinnerungen an den gestrigen Tag und nicht die Überreste eines wirren Traumes, für die ich sie irrtümlich einige Sekunden lang gehalten hatte. Ich stand aus dem Bett auf und wankte verschlafen ins Bad. Ich entledigte mich meiner Hose und zog die Trennwand zu Duschkabine auf. Danach drehte ich den Wasserhahn auf, das kalte Wasser strömte über meinen noch müden Körper und erfüllte ihn mit neuer Energie. Mein Hirn fing langsam an wieder vernünftig zu arbeiten und ich dachte darüber nach, was ich nun zu tun hatte, um mir die Schergen des Signums vom Hals zu halten. Nachdem ich das kühle Wasser der Dusche ungefähr zehn Minuten über meinen Körper hatte laufen lassen, drehte ich den Hahn wieder zu und angelte aus der Duschkabine nach meinem Handtuch. Ich wickelte es mir um die Hüfte und trat vor das Waschbecken mit seinem kleinen Spiegel. Mein Spiegelbild mit seinen nassen und in alle Richtungen abstehenden Haaren blickte mir noch etwas verschlafen entgegen und ich schob mir einige Strähnen aus dem Gesicht. Ich zog mich an und ging in mein kleines Wohnzimmer, welches keine Anzeichen des gestrigen Besuchers aufwies. Einzig der leere Umschlag, welcher immer noch auf dem kleinen Couchtisch lag, zeugte von dem Besuch des Dämons. Ich ignorierte ihn und ging weiter ihn die Küche, in der ich mir eine Schüssel aus dem Schrank holte, diese mit Müsli auffüllte und Milch hinzugab. Ich steuerte die Couch an und griff mir im Vorbeigehen mein Handy von der Küchenablage. Nachdem ich mich auf die Couch gesetzt hatte und anfing mein Frühstück zu verspeisen, surfte ich mit meinem Handy im Internet auf der Suche nach freien Wohnungen im Umkreis meines Stadtbezirks. Meine derzeitige Wohnung würde ich noch heute verlassen und ein Kündigungsschreiben für meinen Vermieter aufsetzen. Dass ich die Miete für den aktuellen und den kommenden Monat dennoch zahlen musste, war mir bewusst, aber es war im Moment nicht mehr als eine kleine Unannehmlichkeit, welche ich im Hinblick auf einen erneuten Dämonenbesuch in dieser Wohnung durchaus in Kauf nahm. Nach meinem Frühstück holte ich meinen Laptop aus meinem Schlafzimmer und begann das Kündigungsschreiben für meine Wohnung aufzusetzen. Ich hatte nicht vor meinen Vermieter einen Grund für meinen überstürzten Auszug zu nennen, da dieser sonst womöglich noch misstrauisch werden könnte. Ich jagte das Schreiben durch den Drucker, überflog es noch einmal und setzte meine Unterschrift auf das Papier. Danach fing ich an meine wichtigsten Sachen zusammenzupacken und stopfte sie alle in einen großen Wanderrucksack, den ich mir unmittelbar nach meiner Ankunft in den Staaten gekauft hatte. Ich griff meinen Mantel und schob meine Pistole in eine der geräumigen Innentaschen. Danach schulterte ich meinen Rucksack und ließ den Blick prüfend durch den Raum schweifen. Ich hatte die Wohnung gemocht und verließ sie nur ungern aber in dieser Situation blieb mir keine andere Wahl. Im Treppenhaus begegnete ich keinem der anderen Mieter, was mich jedoch nicht verwunderte, da es auch erst 9:00 Uhr war und keine der hier wohnenden Parteien sich am Wochenende früher als nötig aus ihren Wohnungen beziehungsweise ihren Betten bewegte. Auf dem Weg zur Eingangstür warf ich das Kündigungsschreiben, in dem ich meinem Vermieter die Kündigung und eine eventuelle letzte Rückkehr bezüglich meiner verbliebenen Besitztümer in der Wohnung mitteilte, in den Briefkasten und verließ das mehrstöckige Mietshaus. Auf der Straße vor dem Haus herrschte schon das geschäftige Treiben einer Stadt, die ständig zu pulsieren schien und so mischte ich mich unter die vielen Passanten, die eilig und blind für die Geschehnisse um sie herum ihren Tätigkeiten nachgingen. Mein erstes Ziel war eine örtliche Mietvermittlungsstelle, in der ständig die neusten Aushänge der freien und zu mietenden Wohnungen im Umkreis zu finden waren. Meine kurze Internetrecherche während des Frühstücks hatte mir keine aussichtsvollen Ergebnisse geliefert und ich wollte meine Zeit in der markierten Wohnung nicht noch mit einer ausgedehnten Suche im Internet verlängern. So lief ich die Straße hinunter und schlug den Weg in Richtung der Haltestation für die Magnetschwebebahn ein, die mich weiter in die Innenstadt bringen sollte, in der sich die Vermittlungsagentur befand. Nach fünf Minuten betrat ich die breite Metalltreppe, die mich unter die Erde und zur dort gelegenen Haltestation bringen sollte. Etwa hundert Meter von dem Eingang der Station entfernt hoben sich aus dem Mittelteil der Straße die etwa zwölf Meter hohen Stahlstreben der Bahnstrecke, die sich wie eine riesenhafte Schlange über den Köpfen der Menschen durch die ganze Stadt wandte. Diese riesenhaften Stahlarme trugen das Schienensystem mit seiner magnetisierten Oberfläche, welche die gleiche Polung hatte wie die langen Magnetstreifen auf der Unterseite Schwebebahn. Zusätzlich waren an den Stahlarmen große Magnete angebracht, die in einem 45-Grad-Winkel in Fahrtrichtung zeigten und die Bahn so auf eine halsbrecherische Geschwindigkeit von bis zu zweihundert Stundenkilometern beschleunigen konnten. Vor Einfahrt in jeden unterirdischen Bahnhof wurde das magnetische Beschleunigungssystem in entgegengesetzter Richtung eingesetzt und die gleiche Ladung der Magneten bremste die Schwebebahn von alleine wieder aus. Das System war in den letzten fünf Jahren perfektioniert worden und die ersten Prototypen der Bahnen mit ihren Kurzstrecken, wurden schon bald durch ein massives Netz der neuen Hochgeschwindigkeitslinie ersetzt. Dies durchzog dann innerhalb kürzester Zeit ganz Amerika. Die Baukosten für dieses nationale Großbauprojekt und der Arbeitsaufwand verschlangen horrende Summen von mehreren Milliarden Dollar, welche größtenteils von der amerikanischen Regierung aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil von privaten Investoren und Baufirmen gestellt wurden. Der noch amtierende Bürgermeister der Stadt Christopher Luthon, dessen dritte Amtszeit in diesem Jahr endete und dessen Laufbahn als Bürgermeister der Stadt New York damit vorbei war, hatte mithilfe der noch jungen amerikanischen Präsidentin Adriana Sherman, New York zu der Stadt gemacht, die sie heute war. In den zwölf Jahren seiner Amtszeit hatte er New York groß werden lassen. Die Stadt stieg unter ihm in gleichem Zuge auf, wie Amerika in der Welt und wurde zum inoffiziellen Kapitol des Landes. Luthon war für die Bevölkerung New Yorks schon innerhalb seiner ersten Amtszeit zu einer Art Held geworden und hatte spätestens in seiner letzten Amtszeit einen Kultstatus erreicht, der ihn auf ewig in das Bild dieser Stadt prägen würde. Es wurden sogar Gerüchte laut, dass die Regierung ihm zu Ehren ein Denkmal in Washington errichten würde, verdient hätte er es sich auf alle Fälle. Die rasante Entwicklung New Yorks hatte natürlich auch ihre Schattenseiten, so zum Beispiel wurden die alten Technologien wie U- und Straßenbahnen in einer unglaublichen Geschwindigkeit ausgemustert und rosteten in den alten Tunnelsystemen unter der Stadt vor sich hin. Die Tunnel, die nicht zum Ausbau der der Magnetbahnen genutzt werden konnten, wurden versiegelt und vergessen. Trotz alle dem waren die alten Tunnel nicht verlassen, der rapide Aufschwung der Stadt und der stetig anhaltende Aufwärtstrend hatten die Beziehungen zwischen Arm und Reich in ein noch nie vorher da gewesenes Spannungsverhältnis gebracht. Die Fassade der Stadt schien friedlich, doch unter ihr kam es in den letzten Jahren immer häufiger zu einer Anfeindung zwischen der Ober- und der Unterschicht der Bevölkerung. Demonstrationen der gebeutelten Leute, auf dessen harter Arbeit der Ruhm dieser Stadt errichtet worden war, klagten die Obrigkeit an und forderten bessere Lebensumstände und höhere Sozialleistungen. Zwar hatte die Präsidentin ihr Möglichstes getan, um den Leuten zu helfen, ohne dabei das Missfallen der sogenannten „High Society" auf sich zu ziehen. Diese „High Society" bildete sich im Laufe der Jahre aus den mächtigen Privatinvestoren, Milliardären und den Firmenbesitzern, die die Großprojekte in ganz Amerika mitfinanzierten und ihre Arbeit vorantrieben. Sie waren so etwas wie eine stumme Macht innerhalb des Landes, unter deren, wenn auch indirektem Einfluss, viele Gesetzte und Projekte innerhalb der USA entschieden wurden. Leider hat Macht die Leute schon immer arrogant gemacht und so gefiel es dieser selbst ernannten High Society nicht, dass die armen Leute ihrem Fortschritt auf der Tasche lagen und sie nutzen ihren Einfluss auf die Regierung, um diese auf einen leichten Korrekturkurs zu bewegen, der sich wieder mehr auf die Entwicklung des Wachstums und nicht auf die Förderung der sozial schwach Gestellten konzentrierte. Innerhalb der Städte vor allem aber hier in New York kam es nun immer häufiger in den Armenvierteln zu Anschlägen auf die dort ansässige Bevölkerung durch eine autonome Gruppe. Diese nannte sich selbst „Guardians of the Future" und kämpfte laut ihrer Sprecher für eine gereinigte und effizientere Bevölkerung. Jeder wusste jedoch, dass diese Radikalen durch die High Society mit Geldern unterstützt wurden. Eine Verbindung zu dieser fast schon terroristischen Vereinigung und der High Society konnte jedoch nie aufgedeckt werden. Die Polizei war gegenüber den Übergriffen Weites gehend machtlos oder wurde dafür bezahlt, die Augen in diesbezüglichen Ermittlungen zu verschließen. Dies führte letztendlich dazu, dass einige derer, die sich durch die High Society beziehungsweise durch die Guardians bedroht fühlten und keine feste Bleibe hatten, die Straßen der Oberfläche verließen und sich eine neue Existenz in den verlassenen U-Bahn-Tunneln aufbauten. Die dort Lebenden hausten wie Tiere unter der Erde. Amerika hatte den Schritt zur Zweiklassengesellschaft vollendet. Die staatliche Hilfe für diese aus der Gesellschaft Ausgeschiedenen fiel aufgrund des politischen Einflusses der High Society unglaublich gering aus und selbst dem hochgelobten Bürgermeister Luthon waren die Hände gebunden. So waren die Leute im Untergrund auf die Hilfe des Mittelstandes angewiesen, es entwickelte sich unter den normalen Mittelständlern New Yorks eine unglaubliche Solidaritätsgemeinschaft, die den Abgestiegenen mit Lebensmitteln, Kleidung, Werkzeug und sonstigen Utensilien halfen, damit sie unter der Stadt überleben konnten. Auch ich hatte während der großen Solidaritätsmärsche für eine Reintegration dieser Leute gekämpft, denn ich wusste, wie sie sich fühlten, da ich Ähnliches in meinem eigenen Leben durchgemacht hatte. Die Gedanken an die stundenlangen Märsche und die Ausgabe der Lebensmittel und Kleidungsstücke an den alten U-Bahnhöfen krochen aus der Tiefe meiner ohnehin schon so wirren Gedanken und für einen Moment vergaß ich die erneute Präsenz der Dämonen in dieser Welt, während ich meine Fahrkarte einlesen ließ und mich in das nur mäßig gefüllte Abteil der Schwebebahn setzte, welche zuerst langsam und dann immer schneller ihrem Ziel - dem Stadtzentrum - entgegen raste. Nach der nur sieben Minütigen Fahrt hielt die Bahn an einer von insgesamt vier Zentralstationen, von denen aus die Fahrgäste auf die unmittelbaren Zentren der Metropole verteilt wurden. Ich trat aus der Bahn heraus und fand mich auf dem belebten Bahnsteig wieder, der hier mitten im Herzen New Yorks zu fast jeder Uhrzeit zu pulsieren schien. Ich bahnte mir einen Weg durch die dichter werdenden Menschenmassen und strömte mit ihnen die Treppe hinauf und aus dem Bahnhof hinaus. Oben angekommen empfing mich der mir inzwischen wohlbekannte „New Yorker Wahnsinn". Selbst in den frühen Mittagsstunden herrschte auf den Straßen und Gehsteigen das reinste Chaos. Man hörte das scharfe Kreischen der Bremsen und das Hupen und Fluchen der Autofahrer, die sich in Massen durch die verstopften Straßen schoben und sich mit Fahrradkurieren anlegten, die in halsbrecherischer Geschwindigkeit zwischen den Autos herjagten, um möglichst schnell an ihr Ziel zu gelangen. Auf den Fußwegen schoben sich die Passanten und ich ließ mich von der Menge in die Richtung meines Zieles treiben. Als ich in Amerika angekommen war und nach einem Jahr mein erstes festes Gehalt in der Lagerlogistik eines kleinen Transportunternehmens verdient hatte, träumte ich davon mir mein eigenes Auto zu kaufen. Es war ein Traum, den ich schon seit meiner Zeit im ersten Waisenhaus in England hatte und den ich unbedingt erreichen wollte. Allerdings reichte das spärlich verdiente Geld beim Transportunternehmen gerade einmal für die Miete und den Lebensunterhalt und so rückte der Traum meines eigenen Autos vorerst in weite Ferne. Später dann, als ich über meinen Vorgesetzten Shawn Davis, mit dem ich mich im Laufe der zweijährigen Arbeit dort angefreundet hatte, eine Ausbildungsstelle zum Versicherungskaufmann bei einem seiner Verwandten bekam, rückte das Ziel des eigenen Autos wieder in greifbare Nähe. Ich hatte allerdings inzwischen schon genug Zeit in New York verbracht, um festzustellen, dass ein Auto in dieser Stadt eher zu einer Einschränkung anstatt zur erhofften Freiheit und Unabhängigkeit führte. Ich legte mein nun durchaus moderates Einkommen an die Seite und strich den Wunsch nach einem eigenen Auto aus meinem Kopf. Diese beiseitegelegte Summe war es auch, die mir nun bei meinem abrupten Auszug und der schnellen Wohnungsfindung helfen sollte, da ich sonst mit den noch ausstehenden Mietzahlungen für meine alte Wohnung in ziemliche finanzielle Not geraten wäre. Nachdem ich etwa zehn Minuten durch die Straßen gekreuzt war, erreichte ich die Wohnvermittlungsagentur. Die Dame am Empfang stellte mir einige Fragen zu meiner Person, meiner gegenwärtigen Wohnsituation sowie meinen Wünschen und Präferenzen für die neue Wohnung. Danach ließ sich meinen Ausweis vorzeigen und notierte meine alte Wohnadresse. Zu guter Letzt gab sie mir ein kleines Kärtchen mit einer Nummer darauf und teilte mir mit, dass ein Sachbearbeiter sich um meine Anfrage kümmern und nach für mich geeigneten und verfügbaren Wohnungen suchen würde. Ich schlenderte mit meinem Rucksack zum Wartebereich hinüber und ließ mich auf einen der gepolsterten Stühle sinken, die dort aufgestellt waren. Um mich herum saßen nur ein paar Leute, alle von unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher äußerer Erscheinung. Da war eine ältere Frau mit welligem weißen Haar und einem braunen Mantel, der schon bessere Tage gesehen hatte und definitiv aus einer Zeit stammte, in der ich noch nicht geboren worden war. Sie fummelte mit zittrigen Händen an der Schnalle ihrer Handtasche herum, welche ähnlich abgewetzt wie ihr Mantel aussah. Rechts neben der Dame saß ein junger Schwarzer mit Baseballkappe, Trainingsjacke, Jeans und Sportschuhen. Die Kappe, die Jacke und die Schuhe wiesen alle das für Nike typische Hakenlogo auf und wirkten noch recht neu und unverbraucht. Der junge Mann schaute auf sein Handydisplay und tippte mit den Fingern darauf herum. Zwei Plätze von dem jungen Mann entfernt saß ein junges Pärchen und unterhielt sich in immer lauter werdenden Ton über ihre gegenwärtige Wohnsituation. Soweit wie ich dem Gespräch der beiden folgen konnte, beschwerte sie sich bei ihm darüber, dass seine Mutter, bei der die beiden scheinbar zur Miete lebten, eine unausstehliche Frau sei und sie mit der von ihr angekündigten Mieterhöhung nun endgültig den Bogen überspannt hätte. Er redete beschwichtigend auf sie ein und versicherte ihr, dass er es genauso sehe, sie aber noch so lange bei seiner Mutter wohnen müssten, bis sie eine neue Wohnung gefunden hätten. Etwas abseits der vier anderen Leute saß ein Mann mittleren Alters und blätterte durch eines der ausgelegten Magazine, um sich die Zeit zu vertreiben. Ich stutzte, als mein Blick auf ihn fiel, irgendetwas passte an seinem Erscheinungsbild nicht. Ich vermochte aber nicht zu sagen, was genau es war, das mich diesen Verdacht hegen ließ. Er trug einen feinen Anzug und hatte sein blondes Haar in einem ordentlichen Scheitel nach links gekämmt, neben ihm auf dem Boden stand eine schwarze Aktentasche mit silbernen Schnallen. Ich wandte meinen Blick von ihm ab und schaute stattdessen aus dem Fenster des Agenturgebäudes und beobachtete die vorbeieilenden Passanten. Sehr wahrscheinlich war dieser Typ im Anzug mir nur so seltsam vorgekommen, weil er hier vollkommen deplatziert wirkte und einen ziemlichen Kontrast zu den anderen Leuten darstellte. Nach einer Weile verspürte ich ein nur allzu menschliches Bedürfnis und stand auf, um mich nach der Toilette umzusehen. Ich ging den Gang hinunter, der in den hinteren Teil des Agenturgebäudes führte, und sah mich nach dem Hinweisschild für die Toiletten um. Nach kurzem Suchen fand ich diese und ging hinein. Als ich am Waschbecken stand, um mir die Hände zu waschen, kratzte ich mich gedankenverloren am rechten Arm und krempelte die Ärmel meines Hemdes hoch. Ich erstarrte mitten in der Bewegung, als mir der kaum merkliche schwarze Schleier auffiel, der sich über meinen Arm zog und sich schon beinahe wieder aufgelöst hatte. Ich stieß einen Fluch aus und schlug mit der Faust auf den Rand des Waschbeckens, welches einen ächzenden Laut von sich gab. Mein Gehirn hatte inzwischen die richtige Schaltung hergestellt und ich wusste nun, warum mir der Mann in der Lobby so verdächtig vorgekommen war. Ich hatte vor Jahren vor seinen vermeidlichen Überresten gestanden, während der zwei Meter große Dämon in seinem Inneren drauf und dran gewesen war, mich umzubringen. Es war die Hülle des Mannes, der mir damals im Waisenhaus als Mister Furney vorgestellt worden war und mich nun hier in New York beobachtete. Ich hetzte aus der Toilette und ging mit schnellen Schritten den Gang zurück in die Lobby, meine Hand hatte ich unter den Mantel geschoben und meine Finger umschlossen den Griff meiner Pistole. Ich wollte zwar auf keinen Fall eine Schießerei mitten in der Innenstadt anfangen, hatte aber auch nichts dagegen eine schnelle Lösung für ein eventuell auftretendes Problem parat zu haben. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich die Lobby betrat und meine Augen huschten zu der Ecke, in der die Hülle zuletzt gesessen hatte, doch der Platz war leer. Suchend blickte ich mich um, konnte aber weder im Gebäude noch draußen auf der Straße den Anzugträger wiedererkennen. Ich zog die Hand aus der Innenseite meines Mantels und setzte mich wieder auf meinen Stuhl, mein Blick fiel auf meine Tasche und ich erschauderte erneut, als ich ein zusammengefaltetes Stück Papier entdeckte. Es steckte in einem Netzteil an der Außenseite der Tasche, welches normalerweise für Trinkflaschen oder Ähnliches gedacht war. Ich hob die Tasche auf meinen Schoß und betrachtete argwöhnisch das Stück Papier. Es war ganz normales Druckerpapier und wies auf den ersten Blick keine Spuren dämonischer Herkunft oder Magie auf. Vorsichtshalber hielt ich meine rechte Hand knapp über das Papier und wartete ein paar Sekunden auf eine etwaige Reaktion aber nichts geschah. Ich zog das Papier heraus und entfaltete es, auf der Innenseite war eine Reihe fein säuberlich geschriebener Lexis Runen zu sehen. Der dort geschriebene Satz bestand nur aus drei Worten: „Wir beobachten dich." Ich faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn in die Tasche meines Mantels. Die Dämonen wollten mir zeigen, dass sie mich beobachteten und ebenso wollten sie mir demonstrieren, wie machtvoll sie inzwischen wohl geworden waren. Die alte Hülle erneut zu verwenden und bewusst meine Aufmerksamkeit zu erregen war ihre vollkommene Absicht gewesen, sie provozierten mich und wollten meine Paranoia schüren. Tatsächlich sah ich ein, dass ich ab sofort sehr viel vorsichtiger und wachsamer sein musste, wenn ich mir ein neues Versteck suchen und dieses möglichst lange vor den Dämonen geheim halten wollte. Ein Lautsprecher über meinem Kopf an der Wand knackte und meine Nummer wurde zusammen mit einer Büronummer ausgerufen. Ich erhob mich, schulterte meinen Rucksack und machte mich erneut auf den Weg in den rückwärtigen Teil des Gebäudes, um in das besagte Büro zu gelangen. Im Büro empfing mich eine junge Frau, die mir eine Auswahl an Mietwohnungen im direkten Innenstadtbereich von New York präsentierte. Sie wirkte sehr engagiert, reagierte aber doch etwas verwirrt auf meine Frage, ob es auch Wohnungen abseits des direkten Stadtzentrums gäbe. Sie durchsuchte erneut ihre Datenbanken und präsentierte mir ein paar Minuten später vier verschiedene Wohnungen in Williamsburg, SoHo und Greenwich Village. Ich schrieb mir die Adressen der Wohnungen auf mit Ausnahme der in Williamsburg, da diese wie meine alte Wohnung ebenfalls in Altbrooklyn lag und ich am liebsten komplett aus dem Viertel verschwinden wollte. Danach dankte ich der Frau und machte mich auf den Weg zurück zur Schwebebahnstation, um meine Suche nach einer neuen Wohnung anzutreten.

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