XVII

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Als ich durch die Trümmer nach draußen getreten war, sah ich eine ganze Flotte von Rettungsfahrzeugen auf das nun in Trümmern liegende Haus zukommen. Ein Notarztwagen mitsamt Krankenwagen im Schlepptau bildete die Speerspitze der langen Schlange. Ihnen folgten mehrere Feuerwehrfahrzeuge sowie ein großes Aufgebot an Polizeifahrzeugen. Ich vermutete, dass man in diesen Tagen kein Risiko eingehen und nicht noch mehr Einsatzkräfte gefährden wollte. Um die Trümmer hatte sich schon eine kleine Schar von Schaulustigen gebildet, welche bei meinem Anblick entweder zurückwichen oder weiterhin mit ihren Handykameras das Geschehen filmten. Ich ignorierte sie und winkte nach den beiden Rettungssanitätern, die bereits aus ihrem Wagen gesprungen waren und in meine Richtung eilten. Der Erste schritt auf mich zu und stellte mir im ruhigen und sachlichen Ton allerlei Fragen nach meinem Zustand, ob ich verletzt sei, ob noch andere Personen im Haus seien und was überhaupt genau passiert war. Ich überging die erste Frage und winkte ab. Ich betonte, dass es mir gut gehe, und führte die beiden Sanitäter direkt zu Liza, die immer noch bewusstlos auf dem Küchentisch lag. Alice fing an zu bellen, als sich die beiden Sanitäter dem Tisch näherten und diese blieben für einen kurzen Moment zögernd stehen. Ich trat an ihnen vorbei, nahm Alice am Halsband und redete beruhigend auf den Hund ein. Die Sanitäter beugten sich über Liza und untersuchten sie behutsam. Mit einem prüfenden Blick in Richtung der Decke sagte einer von beiden: „Wir sollten hier schleunigst raus kommen, ich trau dem Boden über uns nicht." Er rief nach einer Trage und kurz darauf kamen zwei Männer von der Besatzung des Krankenwagens und zu viert verluden sie Liza auf die Trage, bevor sie sich zurück auf den Weg in Richtung der draußen wartenden Rettungsfahrzeuge machten. Einer der Rettungssanitäter blieb neben mir stehen und fragte mich erneut, ob alles in Ordnung bei mir sei. Ich nickte und kraulte Alice hinter den Ohren, um sie zu beruhigen. Der Mann wies mit einem besorgten Blick auf mein zerrissenes Hemd und die immer noch leicht blutende Schnittwunde auf meiner Brust. Ohne Umschweife wies er auf die draußen stehende Ansammlung von Rettungsfahrzeugen. Ich musste ein Seufzen unterdrücken, als ich aufstand und ihm folgte. Alice trottete hinter mir her und setzte sich, während der Sanitäter meine Wunde auf der Brust untersuchte, desinfizierte und verband, geduldig vor den Krankenwagen und wartete. Während der Arzt meine Wunden verband, fielen ihm die Narben auf meiner Schulter auf. Als er mich darauf ansprach, erwiderte ich, dass diese von einem Unfall aus meiner Kindheit stammten. Er blickte mich zweifelnd an und mir war bewusst, dass er erkannt hatte, wie frisch diese eigentlich waren. Nachdem er mir mit einem Lämpchen in die Augen geleuchtet hatte, wies er auf den Rücksitz des Notarztwagens und sagte: „Bitte steigen sie schon einmal ein, wir fahren sie ins Krankenhaus zur weiteren Beobachtung." Ich sah ihn verdutzt an und wollte gerade etwas erwidern, als sich ein Polizist dem Krankenwagen näherte und die Konversation unterbrach: „Entschuldigung, könnte ich den Herrn kurz zu den Vorkommnissen hier befragen oder ist er nicht in einem vernehmbaren Zustand?" Bevor der Sanitäter etwas erwidern konnte, war ich bereits von der Kofferraumkante des Notarztwagens geglitten und wandte mich dem Polizisten zu. „Ich kann ihnen es leider auch nicht genau sagen Sir." Erwiderte ich, während ich mit dem Polizisten zusammen in Richtung des Hauses ging. „Ich war gerade von einem Spaziergang wieder da und stand im Flur, als ich aus meiner Wohnung einen lauten Knall vernommen habe. Kurz darauf ist dann auch schon die gesamte Wand meiner eigenen Wohnung zusammengefallen und die Druckwelle muss mich ein paar Meter zurückgeworfen haben. Genau kann ich mich nicht erinnern." Der Cop, ein älterer Mann von höherem Dienstgrad, musterte das sich ihm bietende Bild der Zerstörung und betrachtete mich mit einem nachdenklichen Blick. „Da haben sie aber gehörig Glück gehabt mein Junge. Mehr Glück als ihre Nachbarin." Sagte er und wies mit der Hand in Richtung des Krankenwagens. „Nun gut, die Leute von der Feuerwehr gehen jetzt da rein und schauen sich das Ganze an. Ich werde später auf sie zurückkommen, nachdem ihre Untersuchung im Krankenhaus abgeschlossen ist. Würden sie mir noch ihren Namen und denen ihrer Nachbarin verraten?" Ich überlegte kurz, ob es mir zum Nachteil werden konnte, wenn die Polizei meinen echten Namen kannte. Sie würden ihn spätestens von Liza erfahren, wenn sie aufwachte, denn ins Krankenhaus würde ich ganz sicher nicht gehen. Die Zeit arbeitete gegen mich und ich konnte mir die Fragen, die mir über meine Person gestellt werden würden, nicht erlauben. Außerdem wollte ich Davian von Liza fernhalten und sie nicht erneut durch meine Nähe in Gefahr bringen. Ich verabschiedete mich von dem Polizisten und machte mich auf den Weg in Richtung des Krankenwagens. Liza lag an einen Tropf angeschlossen auf der Trage im Inneren. Ich fragte den neben ihr sitzenden Sanitäter, wie es ihr ginge und dieser sagte mir, dass ihr Zustand so weit stabil wäre, man aber erst Genaueres nach einer Untersuchung im Krankenhaus sagen könnte. Als das kleine Funkgerät, welches der Mann am Gürtel trug zu piepen begann und dieser den Krankenwagen verließ, um das Gespräch entgegen zu nehmen, kletterte ich schnell ins Innere des Krankenwagens und trat zu Liza an die Trage heran. Sie war inzwischen wieder bei Bewusstsein, war aber durch das Ihr verabreichte Beruhigungsmittel in einer Art Dämmerzustand. Sie bemerkte mich und drehte den Kopf leicht, um mich mit glasigen Augen eine Zeit lang anzustarren. Ich strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die über ihre Augen gefallen war. Danach griff ich in meine Tasche und zog das Röhrchen mit dem Talisman hervor. Ich schob es in ihre Tasche und flüsterte: „Behalte das in deiner Nähe und dir kann nichts mehr passieren." Sie antwortete nicht, nickte aber leicht, so als ob sie verstanden hätte. Ich wusste zwar nicht, ob der Talisman sie in der irdischen Welt auch wirklich beschützen und vor etwaigen Dämonen verbergen würde, aber ich hoffte es zumindest. Bevor ich ging, streichelte ich kurz mit meinen Fingern, über ihre Handfläche und sie erwiderte den Druck sanft. Danach verließ ich den Krankenwagen und hielt nach Alice Ausschau, die immer noch neben der Heckklappe des Notarztwagens saß. Ich schaute mich um und sah, dass keiner der anwesenden Sanitäter mich zu beachten schien und auch der Polizist, mit dem ich mich zuvor unterhalten hatte, war nirgendwo zu sehen. Ich ging schnell zu Alice hinüber und bedeutete dem Hund mir zu folgen. Sie trottete brav hinter mir her und so verließen wir mit zügigen Schritten den Ort des Geschehens. Ich lief ziellos durch die Straßen und wollte zuerst einfach nur möglichst weit weg von den Trümmern meiner alten Wohnung. Alice lief neben mir her und bald darauf betraten wir den Park im Zentrum von Greenwich Village. Während ich über die Wege der Parkanlage schritt und das zu Boden gefallene Herbstlaub und die kahlen Bäume betrachtete, überlegte ich, wie es weitergehen sollte und wo ich nun hingehen konnte. Ich hätte natürlich Shawn fragen können, ob ich für ein paar Tage bei ihm unterkommen könnte, aber das würde auch wieder nur eine endlose Kette an Fragen heraufbeschwören und außerdem, wollte ich ihn genauso wenig in Gefahr bringen wie Liza. Ich beschloss mir später darüber Gedanken zu machen, wo ich die Nacht verbringen konnte. Jetzt lag der Fokus darauf, wie ich den Dämonen im Inneren von Davian vernichten konnte, bevor es ihm gelang mich zu töten. Die Karten wurden inzwischen offen gespielt, ich hatte damit begonnen, als ich Seth in seinem eigenen Anwesen umgebracht hatte. Davain zu finden dürfte nicht all zu schwer sein, er war immerhin der führende Bürgermeisterkandidat der Republikaner und immer noch Gründer eines der größten Unternehmen, die an der Börse spekulierten. Ich suchte mithilfe meines Handys den Standort des nächsten Internetcafés in meiner Nähe und machte mich mit Alice im Schlepptau auf den Weg. Das Café lag etwa vier Blocks vom Park entfernt und war das Überbleibsel einer Zeit, die nun schon seit fast dreißig Jahren vorbei war. Es war ein kleiner schmuddeliger Laden an der Charles Street und im Inneren sah es aus, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Das Café war komplett leer und ich setzte mich an einen der alten LCD-Bildschirme und suchte auf Google nach Kane Davian. Etwa eine halbe Stunde später wusste ich, wo der Hauptsitz von Davians Firma lag. Das Unternehmen hieß „INTL FCStone Inc" und war inzwischen einer der größten Finanzdienstleister der Vereinigten Staaten geworden. Seinen Hauptsitz hatte das Unternehmen in der 708 Third Avenue in Manhattan. Meinen Recherchen nach hatte Davian im Jahr 2014 mit seiner eigenen Börsengesellschaft die INTL FCStone Inc. aufgekauft und deren Namen übernommen. Er hatte weiterhin deren Zentralsitz in New York zum neuen Hauptsitz seines eigenen Dienstleistungsunternehmens erklärt und in die Räumlichkeiten des ehemaligen Konkurrenten verlegt. Das Gebäude selbst war einer der klassischen Hochhausbauten. Das ehemals von mehreren Firmen genutzte Gebäude wurde nun vollständig von Davians Firma in Beschlag genommen. Ich klickte mich bei Google Earth und Street View durch die mir gebotenen Ansichten der umliegenden Straßen und fand eine kleine Gasse, die zum rückwärtigen Teil des Gebäudes zu führen schien. Ich bezweifelte als Außenstehender nicht ohne Weiteres in das Gebäude zu gelangen und so kam mir die Möglichkeit auf einen weniger beaufsichtigten Hintereingang gerade recht. Ich hatte vorerst alles, was ich brauchte und so stand ich auf und ging hinüber zum Tresen, an dem ein Mann um die dreiundsechzig Jahre stand und mich interessiert musterte. „Gefunden was du suchst Junge?" Fragte er mit einem warmherzigen Lächeln auf dem Gesicht. Ich bejahte seine Frage und reichte ihm das letzte Bisschen Kleingeld, welches ich noch bei mir trug, um ihn zu bezahlen. Er nickte mir zum Abschied noch einmal zu und ich verließ gemeinsam mit Alice das kleine Café. Inzwischen war es früher Abend geworden und langsam musste ich mir ein Quartier für die Nacht suchen. Ich zog einen kleinen Zettel aus meiner Tasche, auf den ich mir vorhin im Café die Adressen einiger Hostels in der Nähe geschrieben hatte. Mit Blick auf Alice fiel mir ein, dass ich sie nicht dorthin mitnehmen konnte und einem Gedanken folgend zog ich mein Handy aus der Tasche und rief im Telefonbuch die Nummer von Shawn auf. Er meldete sich nach einigen Sekunden und ich fragte ihn, ob er mir einen Gefallen tun könnte. Er bejahte und fragte, worum es ginge. Ich erwiderte, dass er für ein oder zwei Tage auf einen Hund aufpassen sollte und als seine verblüffte Antwort aus dem Hörer ertönte, wo zur Hölle ich einen Hund herbekommen hätte, sagte ich nur, dass ich es ihm erklären würde, sobald ich bei ihm war. Bevor er antworten konnte, hatte ich bereits aufgelegt und schlug den Weg in Richtung der nächsten Bahnstation ein. Shawn wohnte in Altbrooklyn, ganz in der Nähe von der Straße, in der ich vor Kurzem noch gewohnt hatte. Nach einem kurzen Trip mit der Bahn stand ich auch schon wieder an dem mir vertrauten Bahnsteig in Altbrooklyn und machte mich auf den Weg zu Shawns Wohnung. Er wohnte in einer kleinen Junggesellenbude im fünften Stock eines riesigen Mietshauses. Obwohl er einen gut bezahlten Job hatte, war er bis jetzt noch nicht aus seinem kleinen Reich ausgezogen, welches er nun schon seit mehreren Jahren bewohnte. Vielleicht lag es nur daran, dass er bis jetzt noch keine Frau für sich gefunden hatte, die ihn dazu bewegen konnte, aus seiner kleinen Wohnung auszuziehen. Er hatte des Öfteren über kurze Zeit Beziehungen mit verschiedenen Frauen gehabt, aber daraus schien sich nie etwas zu entwickeln. Ich trat aus dem Fahrstuhl und drückte die Klingel auf der Shawns Name stand. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und Shawn stand vor mir. Er trug ein Hemd und eine dunkelblaue Chinohose, in der Hand hielt er eine Flasche Bier und aus der Wohnung hinter ihm hörte man den Fernseher laufen. Er winkte mich herein und betrachtete mit einer Mischung aus Neugier und Argwohn Alice, welche hinter mir in die Wohnung trottete und sich neugierig umschaute. Wir setzten uns auf das Sofa vor dem Fernseher, auf welchem gerade eine Zusammenfassung des gestrigen Footballspiels lief. Bevor er fragen konnte, erklärte ich ihm, dass der Hund eigentlich meiner Vermieterin gehörte, ich eigentlich für einige Tage auf ihn aufpassen müsste, da sie im Urlaub wäre. Auch wenn ich Shawn nur ungern anlog, war es in diesem Fall unerlässlich, um lästige Nachfragen zu vermeiden. Ich hoffte inständig, dass er noch nichts von der Explosion in unserem Haus über die Nachrichten mitbekommen hatte. Vielleicht hatte ich Glück und durch den Mord und die aktuell herrschenden Unruhen im Norden der Stadt, würde der Vorfall erst einmal unter den Teppich fallen. Ich erzählte ihm, dass ich kurzfristig von der Arbeit aus nach Hartford in Connecticut zu einer Fusionsverhandlung musste. Ich begründete die Dringlichkeit damit, dass ich noch am selben Abend los müsste, da die Verhandlungen eigentlich schon begonnen hätten, aber der Mann aus unserer Abteilung vor Ort aufgrund einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden musste. Auf die erstaunte Frage von Shawn, was ich als normaler Sachbearbeiter bei einer Fusionsverhandlung mit einer anderen Firma zu suchen hätte, erzählte ich ihm, dass ich zum stellvertretenden Abteilungsleiter befördert worden wäre, und versprach ihm, darauf bei Gelegenheit mit ihm anzustoßen. In Wahrheit, war ich mir nicht mal sicher, ob ich jemals wieder auch nur einen Fuß in die Firma von Coleman&Seed's setzten würde, außer vielleicht, um meine Kündigung entgegen zu nehmen. Ich stand auf und verabschiedete mich von meinem sichtlich überforderten Freund, der auf der Couch sitzen blieb und Alice, welche ihn inzwischen neugierig beschnupperte, über den Kopf streichelte. Bevor ich zur Tür hinaus verschwand, hörte ich ihn nur noch etwas murmeln, was wie „Ich geh dann mal Hundefutter kaufen" klang. Es tat mir Leid ihn dermaßen angelogen und überrumpelt zu haben, doch mir blieb in meiner aktuellen Situation keine andere Wahl. Alice war bei ihm in guten Händen und ich konnte sie unmöglich in eines der Hostels, geschweige den am nächsten Tag zu Davians Firma mitnehmen. Ich verließ das Gebäude und machte mich erneut auf den Weg zur Bahnstation. Das von mir angestrebte Motel lag in Lower Manhattan, unweit des Hauptsitzes von Davians Firma. Bevor ich in die Bahn stieg, um den Stadtbezirk zu wechseln, hob ich an einem Geldautomaten etwas Geld ab, um mir ein kleines Abendessen, sowie das Zimmer im Hostel leisten zu können. Das Essen bestand aus einer Pizza bei einem der unzähligen Fast Food Läden in den Straßen von Manhattan und mein Zimmer für die Nacht war ein kleiner Raum mit einem noch kleineren Bett in einem der unzähligen No-Name Hostels, die für den Tourismus hochgezogen worden waren.

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