VIII

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Die Musik dröhnte aus meinen Kopfhörern und die harten Schläge des Basses setzten sich in meinem Kopf fest. Ich schloss die Augen, während die Bahn auf ihrer haushohen Schienenkonstruktion über die Straßenschluchten am Boden unter ihr donnerte. Sie wurde in kurzen Abständen immer wieder langsamer und kam zum Stehen, wenn sie einen der Bahnsteige erreichte und ihre Fahrgäste in den kühlen Abend entließ oder neue Leute aufnahm. Da die abendliche Stoßzeit noch nicht angebrochen und die Rush Hour nach Büroschluss schon knapp seit einer Stunde vorbei war, herrschte nur ein mäßiger Verkehr in den Waggons. Die meisten Leute, die wie ich aus dem Zentrum kamen, waren auf dem Weg zurück nach Hause. Viele von ihnen verließen die Bahn und nur wenige stiegen neu dazu. Ich war dies gewohnt, da ich schon öfter erst in dieser „Ruhephase" aus dem Büro gekommen war, und hatte mir schnell angewöhnt die Stopps mitzuzählen, damit ich wusste, wann ich aussteigen musste. Da die Strecke allerdings für mich neu war, beschloss ich nach ein paar Stopps, die Augen zu öffnen und die Anzeigetafel zu verfolgen, um meine Haltestelle nicht zu verpassen. Der digitalen Anzeigetafel nach die an der Wand neben der Tür hing waren es noch drei Stationen bis zu meiner Haltestelle in Greenwich Village. Der Zug wurde langsamer und fuhr die nächste Station an, ein Großteil der wenigen Passagiere stieg an dieser Station aus und die Bahn nahm wieder Fahrt auf. Eine Minute später machte sie wieder halt, entließ die letzten fünf Fahrgäste in die Nacht und ein neuer Fahrgast, ein schwarzer Jugendlicher mit Baseballmütze, stieg in den Waggon. Die Türen schlossen sich und die nun fast komplett leere Bahn nahm wieder ihre Fahrt in die nächtliche Dunkelheit der Stadt auf. Etwas verwunderte mich es schon, dass so wenige Menschen in der Bahn saßen, für New Yorker Verhältnisse war das extrem ungewöhnlich. Kurz dachte ich, dass ich vielleicht eine Anweisung bezüglich der Fahrplanänderung und Endhaltestelle nicht mitbekommen hätte, doch die Tatsache, dass die Bahn noch fuhr und jemand neu dazu gestiegen war, entkräfteten meine Bedenken. Ich zog mein Handy aus der Innentasche meines Mantels, um die Musik auszumachen. Ich zog die Kopfhörer aus der Buchse und sah, dass das Nachrichtensymbol in der kleinen Symbolleiste am unteren Bildschirmrand blinkte. Ich öffnete die Anwendung und las mir die Mitteilung durch. Sie kam von Brandy, er hatte mir eine Erinnerungsnotiz geschickt, die eine Akte betraf, die ich bei dem ganzen Stress der letzten Tage in der Wohnung hatte liegen lassen. Ich machte mir eine Notiz auf der virtuellen Pinnwand meines Handys und wollte dies grade wieder in meine Manteltasche schieben, als mein Blick auf die digitale Uhr auf dem Display fiel. Ich stutzte, seitdem ich das Handy aus der Tasche geholt, die Mail gelesen und die Notiz verfasst hatte, waren über drei Minuten vergangen und die Bahn raste noch immer mit unverminderter Geschwindigkeit über die Schienen. Eigentlich hätte sie schon an der Station im Zentrum von Greenwich Village halten oder zumindest ihre Geschwindigkeit für die Einfahrt reduzieren müssen. Stattdessen hatte ich das Gefühl, als ob die Bahn sogar noch an Geschwindigkeit zunehmen würde. Ich erhob mich von meinem Sitzplatz, um erneut die Anzeigetafel an der gegenüberliegenden Wand zu begutachten, als die Leuchtstoffröhren an der Decke des Waggons flimmerten und ein massiver Ruck den Waggon erschütterte. Es riss mich von den Füßen und ich schlug der Länge nach auf den Boden. Benommen rappelte ich mich wieder auf und schaute mich verwirrt um, die Lichter über mir begannen nun noch heftiger zu flackern und über das Display der Anzeigetafel vor mir flimmerten nun in der typischen roten Leuchtschrift die mir bekannten Lexis Runen. Sie tanzten kreuz und quer über den kleinen Bildschirm und setzten sich immer wieder zu einem einzigen Wort zusammen: „Stirb!" Ich drehte mich um meine eigene Achse und schaute aus dem Fenster. Die hohe Geschwindigkeit des Zuges erlaubte es mir nicht Details zu erkennen, doch auch so erkannte ich, dass sich die Landschaft außerhalb des Zuges verändert hatte. Das dämmerige Blauschwarz, welches sonst mit den vielen bunten Lichtern zu einem illuminierenden Farbenspiel verschmolz, war verschwunden. Anstelle des vertrauten Farbenspiels war jetzt eine Mischung aus Grau und einer blassen Spur Schwarz. Über das Rattern des Zuges hinweg hörte ich ein beständiges Klicken, welches von einem rasselnden Geräusch begleitet wurde, dass ich wie der schwere Atem eines kranken Menschen anhörte. Mein Herz raste, ich wusste, wo ich war und ich wusste auch warum. Mein Körper jagte bereits Adrenalin in hohen Dosen durch meine Adern, als ich auf der Stelle herumwirbelte, die eine Hand in der Innentasche meines Mantels. Die schwarz-silberne Legierung meiner Pistole war eingehüllt in die dünnen schwarzen Rauchschwaden, die meine Hand und wohl auch meinen gesamten rechten Unterarm umgaben. Mit dem Daumen löste ich den Sicherungshebel der Waffe und richtete sie auf das Ding, welches wenige Meter vor mir im Waggon stand. Der Jugendliche war verschwunden und an seiner Stelle stand nun ein Etwas, was nur noch flüchtig an einen Menschen erinnerte. Es war kleiner als der Junge, den es verkörpert hatte, und stand zudem mit einem extrem gekrümmten Rücken zwischen den Sitzreihen. Es besaß eine fleckige, lederartige Haut, welche sich über den dünnen Leib spannte. Es hatte überproportional lange Arme, an dessen Enden keine Hände saßen, sondern nur zwei sich teilende Knochengabeln mit jeweils drei gebogenen und rasiermesserscharfen Knochenausläufern. Mit diesen fuhr es über die Sitze rechts und links neben sich und glitt durch dessen Polster wie ein heißes Messer durch Butter. Dann sprang es in die Höhe und krallte sich mit seinen krallenbewährten, dünnen Beinen kopfüber in die Aluminiumverkleidung der Wagendecke über mir. Danach drehte es seinen länglichen Kopf zu mir, der in seiner Form an eine nach hinten spitz zulaufenden Zeppelin erinnerte. Die Schlitze seiner braunen Augen verengten sich und es entblößte mit einem weiteren klickenden Geräusch drei lange Reihen nadelspitzer kleiner Zähnchen, die sich bis weit in seinen Rachen hinab zogen. Ich kniff die Augen zusammen und legte auf den Kopf der Kreatur an, die mich noch immer lauernd von der Decke aus beobachtete. Mein Finger krümmte sich um den Abzug und die Pistole bellte los, doch bevor das Projektil der an der Decke kauernden Gestalt auch nur nahekam, bewegte sich diese mit einer unglaublichen Geschwindigkeit nach vorne und wich der Kugel mühelos aus. Es ließ sich auf die Sitzreihen rechts von mir fallen und klickte nun wie wild mit seinen Zähnen. Ich riss die Pistole herum und feuerte zwei weitere Kugeln auf den Dämon. Dieser allerdings sprang mit atemberaubender Geschwindigkeit zwischen den Sitzen umher und die Kugeln zerfetzten nur das Sitzpolster und zertrümmerten eine der Scheiben. Über das Pfeifen des Windes, der nun durch das zerschossene Fenster donnerte, rief ich dem Dämon entgegen: „Hast du Missgeburt überhaupt ein Fahrschein?" Der Dämon donnerte mit einer kraftvollen Stimme, die überhaupt nicht zum Rest seines schmächtig wirkenden Körpers passte: „Warum ersparst du dir nicht die Qualen und lässt mich dich auf der Stelle töten? Du bist schwach! Ich spüre deine Angst!" „Na dann komm doch!" Entgegnete ich mit grimmiger Miene und schob die Pistole zurück in die Manteltasche. Der Dämon machte einen Satz auf mich zu und ich konnte mich grade noch zur Seite werfen. Er stürmte an mir vorbei und ich stand nun in seinem Rücken. Meine Hand ballte sich zur Faust und aus dem schwarzen Nebel manifestierte sich die filigrane schwarze Klinge. Ich hob die Waffe und stach damit nach dem Rücken des Monsters, dieses wirbelte herum und schlug das dünne Metall mit einer seiner Klauen zur Seite. Die messerscharfen Knochenspitzen jagten durch die Luft und ich machte zwei Schritte zurück, damit sie mir nicht das Gesicht und den Hals zerfetzten. Die Kreatur huschte nun im Zick - Zack durch den Gang und deckte mich mit einer Folge schneller Hiebe ein. Ich parierte diese, und immer wenn eines der knochigen Sensenblätter auf die Klinge meiner Waffe traf, tanzten feine Knochenspäne durch die Luft. Ich nutzte eine Lücke im Angriffstornado meines Gegners und unterbrach so dessen Angriff. Mein Schwert bohrte sich in die linke Schulter des Wesens und dieses gab ein ohrenbetäubendes Grollen von sich, das mehr von Wut als von Schmerz herrührte. Es packte die Klinge mit der Klaue seines rechten Armes und riss sie sich aus dem Fleisch. Haut- und Fleischfetzen flogen durch den Waggon und bedeckten die Sitze unmittelbar neben der Kreatur. Durch den überraschend kraftvollen Zug an der Waffe geriet ich ins Taumeln und die linke Klaue zerfetzte den Stoff meines Anzuges und hinterließ einen Einschnitt auf meiner Brust, aus dem das Blut tropfte. Mein weißes Hemd und die graue Anzugjacke hingen in Fetzen von mir herab und färbten sich nun langsam Dunkel. Ich stolperte noch einen Schritt zurück und schaute kurz an mir herab, dann presste ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor: „Ich wollte mir eh einen Neuen kaufen." Nun ging ich meinerseits zum Angriff über und deckte den Dämon mit einer Kaskade an Schwertstreichen ein. Dieser sprang wie ein Affe durch den Waggon und schaffte es immer wieder den Hieben auszuweichen. Nach einem Vorstoß von meiner Seite aus sprang er in die Höhe und krallte sich mit seinen Klauen in die Decke. Von dort aus bewegte er sich wie eine Eidechse in atemberaubender Geschwindigkeit in meinen Rücken und stürzte sich auf mich herab. Er landete auf meinen Schultern und ich schrie vor Schmerzen auf, als sich seine Fußkrallen wie Widerhaken durch den Stoff meines Anzugs bohrten. Noch bevor er mir mit seinen Klauen die Haut vom Gesicht ziehen konnte, ließ ich mein Schwert fallen und packte das Geschöpf auf meinem Rücken mit beiden Händen. Ich schleuderte es auf den Boden, ehe es wieder aufstehen konnte, stampfte ich mit meinem Fuß auf seine zerfetzte Schulter ein. Erneut stieß es einen ohrenbetäubenden Schrei aus, der dieses Mal aber deutlich mehr nach Schmerz als nach Wut klang. Mit seinen nadelspitzen Zähnen schnappte es nach meinem Fußknöchel und ich konnte mich grade noch durch einen Satz nach hinten aus der Gefahrenzone retten. Die Kreatur stand wieder auf den Beinen, taumelte allerdings ein wenig und der linke Arm hing schlaff herab. Die gesamte linke Schulter war aufgerissen und aus dem zerfetzten Fleisch ragten die zersplitterten und verdrehten Knochen hervor. Der Arm war aus der zertrümmerten Gelenkpfanne gesprungen und auch das Schlüsselbein hatte massiv unter der Einwirkung meiner Schuhsohle gelitten. Wutentbrannt stürmte der Dämon wieder auf mich zu und zerschnitt mit seiner gesunden Rechten die Luft Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Ich wich zurück und ohne die ausgleichende Bewegung seines anderen Armes, schlug er der Länge nach auf den Boden. Ich machte einen Schritt nach vorne und trat ihm mit voller Wucht auf den Kopf, welcher hart auf den Metallboden krachte. Danach packte ich ihn am Hals und schleuderte ihn auf einen der Sitze, wo er benommen liegen blieb. Ich hob mein Schwert vom Boden auf und trieb die Klinge bis zum Heft durch seine rechte Schulter und den dahinterliegenden Sitz. Der Dämon wandte sich vor Schmerzen und klickte apathisch mit den Zähnen, während ich seelenruhig erneut die Pistole aus der Manteltasche zog und den Kopf der Kreatur mit dem Lauf gegen die Kopfstütze drückte. „Endstation du Wichser!" zischte ich und jagte eine Kugel in den Kopf der sich windenden Kreatur. Das schwere Projektil der 44. Magnum ließ den Kopf der Bestie aus dieser kurzen Entfernung förmlich explodieren, und wenn die Kugel sie nicht getötet hätte, dann mit Sicherheit die Wucht des Aufpralls, die seinen Kopf nach hinten riss und ihm das Genick brach. Ich schob die Pistole wieder zurück in die Manteltasche und wischte mir die Blutspritzer aus dem Gesicht, danach betastete ich behutsam meine Verletzung auf der Brust. Sie brannte zwar, war aber nicht besonders tief und hatte bereits aufgehört zu bluten, was ein gutes Zeichen war. Ich sah mich um, der Zug raste immer noch über die nicht mehr existenten Schienen durch die endlose Landschaft des Signums ohne Aussicht auf ein Ende seiner Fahrt. Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich auf eine Schnittstelle zwischen den Welten. Es war gefühlt eine Ewigkeit her gewesen, dass ich ein Portal beschworen hatte, doch es gelang mir auf Anhieb und ohne Probleme. Ich öffnete die Augen und sah das mir altbekannte Flimmern, welches die Spiegelstelle der Welten umgab. Es hatte sich rund um den Türrahmen der Waggontür gelegt, ich machte einen Schritt auf sie zu, zog sie auf und stieg aus dem durch das Signum rasenden Zug. Auf der anderen Seite der Tür erwartete mich der Bahnsteig der Bahnstation Greenwich Village. Ich trat geradewegs aus dem fahrenden Zug auf der einen Seite in eine Traube aus Menschen auf der anderen Seite. Einem aufmerksamen Beobachter wäre ich als ein Mann mit zerrissener Anzugjacke aufgefallen, der auf einmal einfach so mitten auf dem Bahnsteig stand. Zum Glück achtete keiner der umstehenden Passanten auf mich, da grade eine Bahn in die Station einfuhr. Ich knöpfte meinen, wie durch ein Wunder heil geblieben, Mantel bis oben hin zu und verließ mit eiligen Schritten den Bahnhof. Ich rannte nahezu die Straßen entlang in Richtung meiner Wohnung, die verwunderten Blicke der Passanten, an denen ich vorbeikam, interessierten mich nicht. In meinem Kopf war nur noch Platz für einen bohrenden Gedanken: Die Dämonen hatten mich auf dem Weg zurück nach Greenwich Village abgefangen, wussten sie also etwa schon von meinem neuen Versteck? Der Gedanke jagte durch meinen Kopf und trieb meine Beine noch schneller durch die Straßen und bis vor die Haustüre der Doppelhaushälfte. Im Flur angekommen sperrte ich schwer atmend die Tür zu meiner Wohnung auf und betrat mit gezogener Waffe vorsichtig das Wohnzimmer. Ich nahm jeden Winkel der Wohnung unter die Lupe und suchte mit den Augen akribisch nach der kleinsten Veränderung oder dem kleinsten Anzeichen für einen Dämon. Doch die Wohnung war leer und auch nicht das feinste Kribbeln durchlief meinen rechten Arm. Erleichtert lies ich die Waffe sinken und legte sie auf den Küchentresen. Einige Sekunden lang stand ich einfach nur da, angelehnt an die Küchenablage und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. In meinem Kopf rasten die Gedanken, zu viel war heute passiert, als das mein Kopf es alles hätte auf einmal verarbeiten können und so stürzten nun Gedankentürme aus Tausenden Fragen in sich zusammen, um kurz darauf mit anderen Fragen wieder aufzuerstehen. Ich ging ins Bad, zog mir die in Fetzen hängende Jacke sowie das Hemd aus und warf es in eine Ecke. Danach betrachtete ich mich im riesigen Wandspiegel. Über meine Brust verliefen diagonal zwei schmale Einkerbungen von etwa 12 cm Länge. Die Haut um die Wunden herum war rot und gereizt, weshalb ich beschloss, etwas Wundsalbe aufzutragen, damit diese sich nicht entzündeten. Einen Verband war überflüssig, da die Einschnitte nicht tief waren und schon anfingen zu verkrusten. Anders sah es allerdings bei meinen Schultern aus, die Stellen wo der Dämon seine Krallen in mein Fleisch geschlagen hatte, bluteten immer noch. Zwar war die Blutung nicht allzu stark aber dennoch konstant. Ich ging zum Kleiderschrank und zog ein kleines Handtuch heraus mit dem ich vorsichtig die tiefen Einschnitte auf meinen beiden Schultern abtupfte, um die Wunde genauer betrachten zu können. Die Berührung mit dem Handtuch brannte wie Feuer, doch ich biss die Zähne aufeinander und säuberte die drei gleichförmigen Wunden auf jedem meiner beiden Schulterblätter. Im Vergleich zu der Wunde auf meiner Brust reichte ein bisschen Salbe bei diesen Verletzungen nicht aus. Ich ging in mein Schlafzimmer und durchwühlte die letzte noch nicht ganz ausgeräumte Kiste, in der Hoffnung dort etwas Verbandszeug zu finden, von dem ich nicht wusste, ob ich es beim Ausräumen der alten Wohnung weggeschmissen oder doch eingepackt hatte. Nach etwas Suchen zog ich erleichtert eine kleine Erste-Hilfe-Tasche aus den Tiefen der Kiste und durchstöberte diese nach Desinfektionsmittel und Bandagen. Meine Erleichterung schlug schnell in Resignation um, als ich sah wie wenig von dem besagten sich in der kleinen Tasche befand. Frustriert warf ich die in Plastik eingeschweißten Mullbinden wieder in die Tasche und ging zurück ins Bad um zwei kleine Handtücher zu holen. Zurück im Schlafzimmer versuchte ich diese provisorisch mithilfe der Bandagen und dem Tape aus dem Verbandskasten zu fixieren, was allerdings nur mäßig gelang. Das Tape löste sich immer wieder und grade als ich kurz davor stand in der Küchenschublade nach Panzerband zu suchen, klingelte es an meiner Wohnungstür. Ich erstarrte und ließ das Handtuch sinken, auf dem Weg zur Tür griff ich die Pistole vom Küchentresen und verbarg diese halb hinter meinem Rücken, während ich mich der Klinke näherte. Ich öffnete die Tür ein Stück und schaute auf den Flur hinaus. Draußen auf dem Gang stand Liza und schaute mich verwundert durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen an. „Hi Athan, ich hatte dich vorhin auf dem Flur gehört und mir war langweilig und da habe ich gedacht, dass wir vielleicht unser Gespräch von gestern Abend fortsetzten könnten. Außerdem wollte ich mal schauen, was du aus der Wohnung gemacht hast." „Hi Liza, ich hätte wirklich Lust dir meine Wohnung zu zeigen, aber ich hatte einen langen Tag und weißt du aufgeräumt ist es hier auch nicht wirklich, also wie wäre es wenn-." Noch bevor ich meinen Satz beenden konnte schaute Liza mich mit großen Augen an und drängte sich durch den Türspalt. „Mein Gott Athan! Was ist denn mit deiner Schulter passiert?" Sie stand nun mitten in der Wohnung und begutachtete eingehend die Schnitte auf meiner Haut. „Ich kann dir das alles erklären." Sagte ich und legte die Pistole, die ich noch immer in der Hand hielt, auf den Sekretär neben der Tür in der Hoffnung, dass sie die Waffe nicht bemerken würde. Mein Gehirn arbeitete währenddessen in Höchstgeschwindigkeit an einer halbwegs realistischen Geschichte, damit sie mich nicht direkt auf die Straße setzte, wovon ich einigermaßen überzeugt war. Doch zu meinem großen Erstaunen winkte sie ab und manövrierte mich, halb gestikulierend, halb schiebend in Richtung des Esstisches wo ich mich auf einem der Stühle nieder lies. Im Schein der über dem Tisch angebrachten Lampe begutachtete sie die Wunde und schüttelte besorgt den Kopf. „Damit musst du sofort ins Krankenhaus. Die Wunde könnte sich viel zu leicht entzünden." „Nein nicht ins Krankenhaus!" Entgegnete ich scharf und dann etwas ruhiger: „Das würde nur Fragen aufwerfen und das möchte ich wenn möglich vermeiden." In ihren besorgten Blick mischte sich nun auch eine Spur von Misstrauen, was ich ihr auch nur schlecht verdenken konnte und für einen kurzen Moment dachte ich, sie würde aus der Wohnung rennen und die Polizei verständigen. Sie sah mich mit ernstem Blick an und sagte nur: „Ich geh eben rüber in meine Wohnung und hole Verbandszeug und Desinfektionsmittel, ich bin gleich wieder da." Noch bevor ich irgendetwas erwidern konnte, war sie durch die Tür auf den Flur hinaus verschwunden. Regungslos saß ich da und betete, dass sie nicht die Polizei rufen würde und sich in ihrer Wohnung verbarrikadieren würde, bis diese eintraf. Doch nach fünf Minuten kam sie mit einem Verbandskasten und einer kleinen Tasche voller Mullbinden zurück. Während sie begann die Verpackung der Bandagen aufzureißen, sagte sie: „Die Bandagen waren ursprünglich mal für Alice gedacht, sie hat sich vor einem halben Jahr die Seite an einem Nagel aufgerissen, der in einem der Zäune im Park steckte. Die Wunde ist schneller verheilt, als ich dachte und so habe ich noch einen ganzen Haufen von dem Zeug." Ich schaute ihr zu, wie sie etwas Antiseptikum auf ein Tuch träufelte, und fragte sie dann: „Warum? Warum tust du das? Ich mein ich wohne keine Woche bei dir im Haus, du kennst mich quasi nicht und hättest allen Grund dazu eine höllische Angst vor mir zu haben." Sie schaute mir mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht in die Augen, während sie das mit Desinfektionsmittel getränkte Tuch auf meine rechte Schulter drückte. „Ich weiß es auch nicht Athan und grade im Moment weiß ich auch nicht wirklich, was ich hier tue, auch wenn du mir seit gestern Abend nicht mehr so fremd bist, wie du vielleicht denkst." Ich sog scharf die Luft ein, als das Tuch meine Schulter berührte. „Also vertraust du mir, weil ich auf den ersten Blick ein recht anständiger und netter Typ bin?" Fragte ich mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme und schaute sie mit herausforderndem Blick an. „Nein, vertrauen tue ich dir bis jetzt noch nicht, aber du scheinst mir ehrlich zu sein. Außerdem mag ich dieses Geheimnisvolle an dir." Ihr Blick glitt über meinen nackten Oberkörper und ihre Hand fuhr über die Haut unterhalb meines Schlüsselbeins hinab in Richtung meines Brustbeines. Bei der Berührung stellten sich meine Nackenhaare auf und mein Herzschlag beschleunigte sich. Mein Gehirn war nun vollends mit der Situation überfordert und ich musste ihre Hand, welche weiter meinen Körper hinabfuhr, stoppen, als ihr Ausflug die Höhe meines Bauches erreicht hatte. Als meine Hand die ihre umfasste, zuckte sie leicht zusammen, löste ihren Blick von meinem Oberkörper und schaute mir wieder in die Augen. Sie errötete leicht, doch das verstohlene Lächeln in ihrem Gesicht blieb und sie wandte sich wieder meiner Schultern zu, um diese zu verbinden. Während sie den Verband unter meiner Achsel durchzog, fragte sie spielerisch: „Bist du immer so verkrampft oder gibt es da etwas, was du mir noch nicht erzählt hast?" Meine Gedanken fuhren immer noch Achterbahn in meinem Kopf und so dauerte es einen kleinen Moment, bis ich ihre Frage verarbeitet hatte und ihr etwas irritiert antwortete: „Was? Nein da ist nichts. Hör zu ich hatte heute einen unglaublich beschissenen Tag." Sie verdrehte die Augen: „Oh ja das glaub ich dir so wie deine Schultern und deine Brust aussiehst, wurdest du von einem wilden Tier angefallen, was in der New Yorker Innenstadt meines Wissens nach nur äußerst selten bis nie vorkommt, muss dein Tag echt beschissen gewesen sein." Sie beugte sich nach vorne, um den Verband auf meinem Schulterblatt zurechtzurücken und drückte sich dabei mit ihrem Oberkörper gegen Meinen. Während sie sich so an mich schmiegte, fragte ich mit leicht sarkastischem Unterton: „Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn du einmal um den Stuhl herumgegangen wärst?" Während sie hinter meinem Rücken mit dem Verband hantierte, entgegnete sie nur: „Du bist echt seltsam, weißt du das?" Sie ließ sich auf meinen Schoß sinken und wandte mir das Gesicht zu. Ich merkte, wie meine Glieder schwer wurden und sich die Anstrengung des Kampfes in mir bemerkbar machten. Die Situation war bizarr, aber ich hatte nicht die Kraft irgendetwas zu sagen oder zu unternehmen. „Warum entspannst du dich nicht einfach?" Flüsterte sie, während ihre Hände meinen Nacken umfassten und sie meinen Kopf zu sich heranzog. Ich roch den Duft von Shampoo in ihren Haaren und spürte das Kitzeln einer einzelnen Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, während ihre Lippen sich sanft auf meine drückten. Ich hob den Blick, ihr Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt und lächelte mich an. Das eben noch verstohlene und spielerische Lächeln war nun einer anderen Art von Lächeln gewichen. Dieses war warm und ich verlor mich für einen kurzen Moment in den Tiefen ihrer grünen Augen. Wir küssten uns erneut, diesmal etwas länger, und als wir uns wieder voneinander lösten, legte sie ihren Kopf gegen meine Brust. So saßen wir eine Zeit lang zusammen auf dem Stuhl und sprachen kein Wort, während ich sie im Arm hielt. Nach einer Weile hob sie den Kopf und schaute mich mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck an. „Hast du eigentlich was zu trinken da?" Ich lächelte zurück und entgegnete: „Wenn du mich aufstehen lässt, kann ich schauen, was sich noch so auftreiben lässt." Sie erhob sich und ging die Treppe hinauf in Richtung des Schlafzimmers. Ich trat zu einem der Küchenschränke und besah mir die darin stehenden Flaschen samt Inhalt. Ich entschied mich für einen Bourbon, der noch zu gut drei viertel gefüllt war und holte aus einem anderen Schrank zwei Gläser. Dann machte ich mich auf den Weg nach oben. Liza stand im Türrahmen zum Schlafzimmer und beobachtete mich mit schief gelegtem Kopf. Sie trug den gleichen Jogginganzug wie am Abend zuvor, nur mit dem Unterschied, dass sie sich dessen Jacke inzwischen entledigt hatte und nun nur noch in ein dünnes, ärmelloses Schlafshirt aus schwarzem Stoff zu ihrer Jogginghose trug. Ihre Schuhe musste sie auch ausgezogen haben, denn sie trat nun auf nackten Füßen an mich heran und nahm mir die Flasche aus der Hand, um das Etikett zu begutachten. Ihr dünnes Oberteil schmiegte sich an ihren Körper und zeichnete jede ihrer Kurven nach. Meine Augen verloren sich in dem Anblick ihres wohlgeformten Körpers und mit einem Mal war mein Kopf befreit von den Gedanken, Ereignissen und Sorgen der letzten Tage. Sie war es, die nun jeden Winkel meines Gehirns ausfüllte und jede Synapse elektrisierte. Sie bemerkte meinen Blick, warf mir einen schelmischen Blick zu und fuhr mit ihrer Hand über meinen Oberkörper danach drehte sie sich um und ging in das dunkle Schlafzimmer. Ich folgte ihr und zog bevor ich das Zimmer betrat meine Schuhe und Socken ebenfalls aus. Ich zog die Tür hinter mir zu und stand nun in dem fast komplett dunklen Zimmer, in das nur das Licht der Straßenlaternen durch das Fenster fiel. Liza hatte sich im Schneidersitz auf das Bett gesetzt und die Flasche auf dem angrenzenden Beistelltisch deponiert. Ich trat zu ihr herüber, stellte die zwei Gläser neben die Whiskyflasche und schaltete die kleine Lampe ein, die auf dem Tisch stand. Im schwachen Schein der Lampe füllte ich die Gläser zu gut einem Drittel und reichte Liza eines davon, bevor ich mich selbst neben ihr auf das Bett setzte. Wir prosteten uns zu und nahmen einen Schluck von unserem Getränk. Der Alkohol rann meine Kehle hinunter und erfüllte meinen Körper mit einer behaglichen Wärme, die sich bis in die Spitzen meiner Glieder erstreckte. Ich schaute zu Liza hinüber, der Lichtschein der Lampe brach sich in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ihrem Glas und zeichnete schimmernde Muster auf ihr Gesicht. Die Reflexion ließ ihre langen Haare glänzen und ich ließ mich auf das Kissen fallen und nahm jedes Detail ihres Körpers mit meinen Augen auf. Sie leerte ihr Glas mit einem tiefen Zug und beugte sich über mich, sodass ihr Körper nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Eine lange Strähne ihrer rotblonden Haare fiel mir ins Gesicht und ich umfasste mit beiden Händen ihren Nacken, zog sie an mich und küsste sie erneut. Sie erwiderte den Kuss stürmisch und presste ihre Hüften eng an meinen Körper, während sie mit ihren Armen meinen Oberkörper umschlang. Ich schaffte es irgendwie mein noch nicht ganz leeres Glas aus der Gefahrenzone zu bringen, bevor wir uns ineinander verloren.

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