Ich zwang mich ruhig zu bleiben und öffnete die Tür mit der linken Hand, während meine Rechte den Griff der Pistole umklammert hielt, die ich hinter meinem Rücken verbarg. Draußen auf dem Gang stand Liza vor ihrer angelehnten Haustür mit einer Tragetasche voller Einkäufe in der Hand. Ihr gegenüber stand ein Schwarzer mittleren Alters in der braunen Uniform eines UPS Boten. Liza sah zu mir herüber und lächelte, dann sagte sie: „Athan du bist ja doch da, es war die letzten Tage so ruhig, da dachte ich, du wärst verreist." Ich antwortete ihr nicht, sondern starrte den Mann vor mir im Flur an. Er sah mir direkt in die Augen und ich konnte ein Lodern in ihnen erkennen. Es war so, als ob ich durch die Scheibe eines Kaminofens schauen würde. Er lächelte und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich pure Bosheit und Triumph in den Augen des Dämons vor mir sehen. Er streckte mir die rechte Hand entgegen, in der er ein Paket von der Größe eines Buches hielt und sagte mit freundlicher Stimme: „Mister Blair, ich habe hier eine Lieferung für sie. Sie kommt aus Old Vermont. Mir scheint so, als ob sie dort etwas vergessen hätten." Liza, die immer noch in der Tür stand schaute verständnislos zu mir hinüber und setzte zu einer Frage an, verstummte aber sofort wieder, als sie sah, dass ich meine rechte Hand hinter dem Rücken hervorzog und mit der Pistole auf den Kopf des Paketboten zielte. Mit ruhiger aber eindringlicher Stimme sagte ich zu ihr, ohne den Blick von dem Dämon vor mir zu nehmen: „Geh rein und verschließe die Tür, egal was passiert, verlasse auf keinen Fall die Wohnung. Der Dämon vor mir fing an zu lachen. Es war ein dröhnendes Lachen, zu tief für einen Menschen und meine Ohren klingelten, als es von den engen Wänden des Flurs widerhallte. Liza war erstarrt und schaute mit kreidebleichem Gesicht zu dem Paketboten, welcher nun vor ihren Augen zu schmelzen schien. Die Haut löste sich langsam vom Körper und fiel dampfend zu Boden. Für sie musste es so aussehen, als ob der Mensch vor ihr mit Säure übergossen wurde und sich nun langsam in seine Bestandteile auflöste, ich allerdings erkannte nun die wahre Gestalt des Dämons. Er war etwas über zwei Meter groß und erinnerte in seiner Körperform an einen Menschen. Seine gesamte Haut war allerdings von feinen Platten bedeckt, die in ihrer Farbe und Schraffierung an Schiefer erinnerten. Die dünnen Platten wiesen an allen Gelenken rasiermesserscharfe Kanten auf, die etwas nach außen ragten und scheinbar nur darauf warteten sich in jeden zu bohren, der ihnen zu nahe kam. Der Kopf des Dämons erinnerte an einen alten Wikingerhelm mit gebogenen Hörnern. Ein Geflecht aus etwas dickeren Hautplatten bildete eine Art Schutz um die Augen des Dämons und um das, was an einen Mund erinnerte. In den Augenhöhlen des Dämons brannte ein Feuer und sein Mund war ein kreisrunder Schlund ohne Lippen mit einem Durchmesser von etwa acht Zentimetern, in dessen Tiefe ebenfalls das gleiche Feuer wie in seinen Augenhöhlen loderte. An der Seite seines Kopfes waren anstatt von Ohren zwei in sich gedrehte und nach vorne gebogene Hörner aus glänzendem Schwarz. Die Beschaffenheit erinnerte etwas an glatt geschliffenes und auf Hochglanz poliertes Obsidian. Die mächtige Pranke des Dämons, die immer noch in meine Richtung ausgestreckt war, hielt in Wirklichkeit nicht etwa ein Paket, sondern einen kugelförmigen Gegenstand in der Größe eines Handballs. Er erinnerte von seinem Äußeren her an einen Kugelfisch, den von seinem Inneren gingen lange Zacken nach außen, die aus demselben Material wie die dünnen Platten auf der Haut des Dämons bestanden. Ich betrachtete den Dämon vor mir, es war ohne Zweifel ein Bellator - ein Kriegerdämon. Dämonen dieser Art existierten nur wenige im Signum. Sie lebten in ähnlichen Tiefen wie die Erzdämonen und wurden meist nur aktiv, wenn sie beschworen wurden. Die ersten Dokumentationen über Bellatoren, die von selbst auf der Erde wandelten, stammten aus den Jahren 1091 von einem normannischen Priester und gingen in die Geschichte als die Volkssage der „Wilden Jagd" ein, einem Vorboten für Katastrophen und Kriege. Der Bellator war überaus mächtig und so war es ihm möglich für kurze Zeit auf der irdischen Welt zu wandeln, auch wenn er danach oft nur noch als Hülle ins Signum zurückkehrte. Seine zerstörerische Natur ließ ihn in der irdischen Welt alles vernichten, was ihm in den Weg kam und in diesem Rausch der Zerstörung verzehrte er sich selbst.
Hinter Lizas angelehnter Haustür fing Alice an zu bellen und löste Liza aus ihrer Trance. Sie bedachte mich mit einem letzten ängstlichen Blick und stolperte in ihre Wohnung. Ich hörte, wie sie die Tür hinter sich abschloss und durch die Wohnung eilte. Der Dämon vor mir hatte sich nicht gerührt und durchbohrte mich mit seinem glühenden Blick. Die wenigsten Dämonen besaßen so etwas wie Gefühlsregungen und bei den Wenigen, die so etwas zu besitzen schienen, war es durch die Natur des Signums oder einfach durch ihr Äußeres nicht ersichtlich, was sie genau empfanden. Der Bellator verströmte außer purer Gewalt nichts, was etwas über sein Wesen oder seine Empfindungen preisgab. Ich konnte förmlich spüren, wie die Raserei in ihm brannte und er kurz davor stand sich auf seine unmittelbare Umgebung zu entladen. Mein Finger krümmte sich um den Abzug meiner Waffe, kurz bevor der Federmechanismus den Druckpunkt überschritten hatte, entfesselte der Dämon vor mir die Hölle. Er schleuderte das kugelartige Objekt nach mir, sodass ich mich zu Boden fallen lassen musste und die von mir abgefeuerte Kugel in die Decke über uns schlug. Das Geräusch des Schusses ließ meine Ohren klingeln, dieses Klingeln wurde allerdings innerhalb des Bruchteils einer Sekunde von einem ohrenbetäubenden Knall überlagert, der dem Einschlag einer Mörsergranate glich. Eine ungeheure Druckwelle erfasste mich und schleuderte mich nach vorne. Holz und Mörtel regneten auf mich herunter und ich sah mich benommen um. Der Dämon lag vor mir rücklings auf dem Boden, die Explosion musste ihn von den Füßen gerissen haben. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich am Boden gelegen hatte. Etwas, das einen Dämon dieses Kalibers umwarf, hätte mich mühelos zerfetzten können. Ich warf einen schnellen Blick hinter mich und sah, welchen Schaden die Explosion angerichtet hatte. Der rückwärtige Teil des Flurs, wo normalerweise ein Fahrrad von Liza und einige Kisten mit Zeug von mir gestanden hatten, existierte nur noch in Teilen. Der Bodden wies einen Krater von mindestens einem halben Meter Tiefe und einem Durchmesser von der gesamten Breite des Flurs auf. Den Wänden auf beiden Seiten fehlten beträchtliche Stücke Mauerwerk und ich konnte durch ein Loch in der Wand in meine Wohnung sehen. Ebenso fehlten das kleine Fenster sowie Teile des Mauerwerks an der rückwärtigen Wand, sodass ein kühler Luftzug den Staub im Inneren aufwirbelte. Ich sprang auf die Füße und begann sofort auf den ebenfalls wieder auf die Füße kommenden Dämon zu feuern, der sich aufgrund seiner Masse nur schwerfällig bewegen konnte. Die Kugeln drangen in den Brustkorb des Dämons ein und dieser ließ ein markerschütterndes Brüllen vernehmen, welches aufgrund der vorherigen Explosion nur äußerst gedämpft an meine Ohren drang. Nachdem ich fünf der mir verbliebenen sieben Kugeln in der Brust des Dämons versenkt hatte, griff dieser erneut an. Wie ein Footballspieler aus der Hölle stürmte dieser direkt auf mich zu. Ich schaffte es nur zum Teil auszuweichen und so erwischte mich ein wilder Schwinger seines Armes und schmetterte mich durch die Holztür meiner Wohnung. Die scharfen Kanten seiner Hautplatten zerfetzten mir beim Schlag den Mantel und Teile meines Hemds. Als ich benommen auf dem Boden meines Wohnzimmers lag und an mir hinunter schaute, konnte ich ein feines Rinnsal aus Blut erkennen, der langsam durch mein Hemd sickerte. Ich versuchte aufzustehen, doch der Schlag und der Aufprall hatten mir alle Luft aus den Lungen genommen. Glücklicherweise schien keine meiner Rippen ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. Ich kämpfte mich auf die Füße und rang nach Atem, während ich draußen auf dem Flur den Dämonen toben hörte, als er seinen Sprint beendet hatte und auf die rückwärtige Wand eindrosch. Die Wände begannen zu beben und das Getöse ließ darauf schließen, dass der Dämon die Wand endgültig zum Einsturz gebracht hatte. Ich hörte ihn mit schweren Schritten zurück stapfen, als ich seine Gestalt durch das Loch in der Wand erblickte, jagte ich die restlichen zwei Kugeln aus meinem Magazin durch das Loch. Sie durchschlugen die offenliegenden Holzverstrebungen der Wand und bohrten sich in seine Seite. Der Dämon gab erneut schmerzerfüllte Laute von sich und rammte seine Schulter gegen die Wand. Diese zerbarst in Stücke, welche quer durch den Raum flogen und einige Stühle sowie den Fernseher zerschmetterten. Ich hatte mich rechtzeitig in die Küchenzeile retten können, um den tödlichen Geschossen zu entgehen. Der Dämon stürmte erneut auf mich zu und versuchte mich über den Tresen der Küchenzeile hinweg zu packen. Ich ließ mich zu Boden fallen und die riesige Pranke des Dämons krachte auf die Arbeitsplatte, welche daraufhin splitterte. Ich kroch aus der Küchenzeile zurück ins Wohnzimmer und richtete mich auf, bevor der Dämon mich packen konnte. Ich hatte keine Zeit das neue Magazin in die Waffe zu laden und so ließ ich die dämonische Klinge sich in meiner Hand materialisieren. Der Dämon fuhr herum, als ich zum Angriff über ging und zuschlug. Der Dämon hob schützend den Arm und die Klinge sprühte Funken, als sie an den Panzerplatten seiner Haut entlang rutschte. Der Dämon schlug erneut zu und ich tauchte unter dem Schwinger hinweg, welcher meinen Kopf nur knapp verfehlte. Die Wucht des Schlages ließ den Dämonen nach vorne stolpern und ich stach mit aller Kraft nach seinem Brustkorb. Ich spürte zunächst den Widerstand des Aufpralls, doch dann glitt die Klinge langsam durch das Fleisch des Dämons, bis sie aus seinem Rücken hervorbrach. Ich zog die Klinge mit einem Ruck aus dem Leib des Monsters und konnte sehen, wie schwarzes Blut heiß dampfend auf den Boden tropfte. Der Dämon begann zu straucheln und sank auf die Knie, während ich mich über ihn beugte, um ihm den Rest zu geben. Ich setzte die Klinge in seinem Nacken an und holte weit aus. Dann schwang ich die Waffe, wie ein Batter beim Baseball seinen Schläger, und spürte, wie der Stahl unter meinen Händen erst die harten Panzerplatten und danach Muskeln, Fleisch und Knochen des Dämons durchtrennten. Der Kopf des Dämons rutschte von seinen Schultern und blieb mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen. Der Torso verharrte in kniender Position, während ein Schwall pechschwarzen und kochend heißen Blutes sich aus dem Loch zwischen den Schultern ergoss. Ich stand einen kurzen Moment unbeweglich da und hielt das dämonische Schwert mit festem Griff umklammert. Meine Handgelenke schmerzten, es hatte mich viel Kraft gekostet, durch die Panzerplatten und das Rückgrat des Dämons zu schneiden. Ich drehte mich um und eilte durch mein zerstörtes Wohnzimmer, um auf der anderen Seite des Flurs nach Liza zu sehen. Als ich die Stelle erreicht hatte, an der vor wenigen Minuten noch meine Tür gewesen war, ertönte hinter mir ein ohrenbetäubendes Pfeifen und der Boden begann zu vibrieren. Ich drehte mich auf der Stelle um und erstarrte, der Torso des Dämons hatte sich aufgerichtet und hielt seinen abgetrennten Kopf in die Höhe, der in meine Richtung blickte. Aus den Augen und dem Schlund des Dämons brannte mir ein loderndes weißes Feuer entgegen, während sich der Mund zu einer Grimasse verzog und einen langen tiefen Pfeifton ausstieß, der sich so anhörte wie das Nebelhorn eines Containerschiffes. Während des lang anhaltenden Tones zerfiel das Gesicht des Dämons in seine Einzelteile und ein blendend heller Lichtblitz erleuchtete den Raum, als der Körper des Dämons samt Kopf von einer gewaltigen Explosion in seinem Inneren zerrissen wurde. Das helle Licht ließ mich kurzzeitig erblinden und ich spürte für den Bruchteil einer Sekunde die unglaubliche Hitze der Explosion auf meiner Haut, bevor mich die gewaltige Druckwelle erfasste und durch die Luft schleuderte.
Ich musste für einige Minuten bewusstlos gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, lag ich in der Ruine dessen, was zuvor einmal das Haus gewesen war. Ich lag auf dem Bauch und konnte vor mir durch eine halb eingerissene Mauer den grauen, wolkenverhangenen Himmel erkennen. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah zu der Stelle, wo der Eingang meiner Wohnung hätte sein sollen. Dort war nur ein einziger Trümmerhaufen. Ein Teil des oberen Stockwerks war bei der Explosion eingebrochen und hatte alles unter sich begraben. Die Wand zum Flur hin war komplett zerfetzt worden und die Druckwelle hatte riesige Steinbrocken und Teile der Holzbalken durch die gegenüberliegende Wand geschossen. Ich drehte meinen Körper auf die andere Seite und blickte panisch zu Lizas Haustür oder besser gesagt darauf, was von dieser noch übrig war. Die Tür hing zersplittert in ihren Angeln und Teile der Wand waren nach innen hin eingestürzt. Ich schrie ihren Namen, doch bekam keine Antwort. Als ich mich aufrichtete, rieselten Mörtel- und Holzsplitter von meinen Klamotten und der aufgewirbelte Stau brannte in meinen Augen und meiner Lunge. Hustend und mit tränenden Augen, bahnte ich mir einen Weg durch die Trümmer und rief verzweifelt nach Liza. Die von der Explosion durch die Luft geschleuderten Steinbrocken und die Druckwelle hatten ihr Wohnzimmer komplett verwüstet. Die Couch lag halb unter der zum Teil eingestürzten Wand begraben. Ich vernahm das leise Winseln eines Hundes aus Richtung der Küche und eilte dem Geräusch nach. Ich fand beide in der Küche, Liza lag auf dem Boden neben dem Küchentisch und blutete aus einer Wunde am Kopf. Alice saß winselnd neben ihr und leckte die Hand ihres bewusstlosen Frauchens. Ich kniete mich vorsichtig neben ihr auf den Boden und schob Alice etwas beiseite, um nach Lizas Puls zu fühlen. Er war schwach, aber er war da. Behutsam hob ich sie vom Boden auf und legte ihren Körper auf den Küchentisch. Alice fing an zu bellen und kurz drauf vernahm ich auch schon die immer lauter werdende Kakofonie von Sirenen, die sich ihren Weg in unsere Richtung bahnten.
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The Demons Mirror
FantasyVor sieben Jahren hat Athan Blair versucht seinem Schicksal zu entfliehen und ein neues Leben in Amerika zu beginnen . Doch das was ihn verfolgt kennt keine Grenzen in der irdischen Welt. Die dämonischen Mächte jener Spiegelwelt, die seit Anbegin se...