Abreise

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Shi Mortem kämpfte sich durch die schupsenden Schüler im Hogwarts-Express und unterdrückte ein gereiztes Knurren. Sie hasste überfüllte Orte und dieser Zug war eindeutig überfüllt. Und so laut.
Sie quetschte sich an einer Gruppe Teenager in ihrem Alter vorbei und hörte sie wild darüber diskutieren welche Regeln ihre Mutter gemeint haben könnte. Shi verdrehte die Augen und schlängelte sich zwischen ihnen hindurch.
Idioten!
Das Trimagische Turnier, was denn sonst?! Irgendwelche Regeln bezüglich des Alters der Teilnehmer waren geändert worden, aber so genau hatte Shi sich nicht damit befasst.
Der Regen trommelte unaufhörlich auf die Scheiben des fahrenden Zugs. Zwei Jungen und ein Mädchen lösten sich von der Gruppe und verschwanden in einem Abteil. Shi öffnete zögerlich die Tür zum Nachbarabteil. Eine Gruppe blasser Gestalten drehten sich zu ihr um und sahen sie aus kalten Augen an. Eindeutig unangenehme Gestalten, doch Shi war zu genervt, um sich über die Wahl ihrer Abteilpartner zu ärgern.
Wortlos schlug sie die Abteiltür hinter sich wieder zu und ließ sich auf einen freien Platz am Fenster fallen. Die anderen starrten sie immer noch an. Sie trugen bereits ihre Hogwartsumhänge an denen ein grünes Wappen angebracht war. Eine silberne Schlange auf grünem Hintergrund. Wie es aussah, war Shi bei einem Haufen Slytherin gelandet.
Na super!
„Dich habe ich hier noch nie gesehen", sprach einer der Slytherin sie plötzlich mit schnarrender Stimme an. „Wer bist du?"
Shi wandte den Kopf und musterte den Jungen. Weißblondes Haar, ein blasses spitzes Gesicht mit vorgerecktem Kinn und hellgraue Augen, in denen die Arroganz blitzte. Ein Name tauchte in Shis Gedanken auf.
Malfoy!
Eine der Zaubererfamilien, in deren Stammbäume sich kein mugglestämmiges Blut finden ließ. Ein Reinblut!
Und wenn sie ihn sich so ansah, war sie sich ziemlich sicher, dass seine Eltern sicher Anhänger des dunklen Lord Voldemorts gewesen sind und es vielleicht auch noch waren.
Shi drehte ihren Körper ganz zu dem jungen Malfoy herum, während sie blitzschnell in Gedanken abspulte, was sie über diese Familie wusste. Was ihre Tante ihr erzählt hatte.
Yuri Mortem war mit vielen ziemlich berühmten Zauberern zur Schule gegangen. Den Potters, Wesley's, Malfoys, Lestranges, Blacks und noch vielen weiteren. Alle hatten sie und Shis Mutter, ihre Schwester, gekannt. Zwillinge, so klug und unberechenbar. Sie hatten alles gewusst, was zu wissen es wert war. Wenn man etwas wissen wollte, ob Klatsch und Tratsch oder dunkle Geheimnisse, dann musste man immer zu den Mortem-Zwillingen gehen. Doch dieser Ruf wurde ihnen dann in der dunklesten Zeit der Macht von Lord Voldemort zum bitteren Verhängnis. Sie hatten an ihre Tür geklopft und wollten, dass sie sich ihnen anschlossen. Hexen mit Begabungen, wie den ihren, waren beim dunklen Lord immer gern gesehen. Ihre Weigerung hatte schwere Folgen. Shis komplette Familie wurde ausgelöscht, als sie gerade mal drei war. Ihren Vater, ihre Mutter und sogar ihre acht Monate kleine Schwester. Nur Yuki hatte es damals geschafft zu überleben, indem sie sich die kleine Shi geschnappt hatte und geflüchtet war. Und sie sind auch nur am Leben geblieben, weil Voldemort sich kurz darauf auf Harry Potter konzentriert hatte.
„Shi Mortem", beantwortete Shi schließlich die Frage. Der Malfoy-Junge zog die Augenbrauen kurz hoch. Dann streckte er ihr die Hand hin. „Malfoy. Draco Malfoy."
„Du erzählst mir Dinge, die ich bereits weiß", stellte Shi ruhig fest. Ihre Stimme klirrte vor Kälte, doch das war normal. Shi war immer kalt und distanziert.
Draco Malfoy ließ die Hand sinken. So lässig wie möglich lehnte er sich in dem Sitz zurück und betrachtete Shi eingehend. Shi drehte sich genauso lässig zum Fenster um und starrte hinaus
„Mein Vater hat mir von der Familie Mortem erzählt", meinte er schließlich nach einigen Sekunden Schweigen. Desinteressiert wandte Shi ihm wieder das Gesicht zu. Sie ließ sich nicht einmal zu einer Antwort herab.
„Er sagte, er kannte die Mortem-Zwillinge. Yui und Yuki Mortem. Ganz passable Hexen, allerdings wussten sie genauso wenig wie die Potters, was gut für sie war und mit wem sie sich anlegen konnten."
Shis rechtes Auge zuckte leicht. Da hatte der kleine Malfoy-Scheißer einen wunden Punkt getroffen.
Langsam lehnte sie sich zurück. In aller Ruhe überschlug sie die Beine und faltete sie Hände über ihren Knien, die in einer ziemlich zerrissenen Jeans steckten. „Vielleicht", schnurrte sie regelrecht und ein winziges Lächeln zupfte an ihrem Mundwinkel. Ein grausiges, boshaftes Lächeln.
„Aber du solltest nicht vergessen wer ich bin, Draco Malfoy. Denn Wissen", Sie tippte sich leicht mit einem langen Nagel gegen die Schläfe. „ist wahre Macht. Und wir Mortem sind bekannt für unser Wissen."
Dracos Wangenknochen zuckte und diesmal wandte Shi sich nicht ab. Sie durchbohrte den Malfoy-Spross mit ihren kalten Augen und starrte ihn in seinen Sitz. Was glaubte dieser kleine Junge, wer er war?
Schließlich wandte Malfoy den Blick ab und der stille Kampf zwischen ihnen war beendet. Stattdessen verwickelte er seine Freunde schnell in ein Gespräch über Zaubererschulen und warum er ihn Hogwarts und nicht in Durmstrang war.
Shi verdrehte kaum merklich die Augen und sah wieder aus dem Fenster. Der Regen machte es unmöglich etwas von der vorbeiziehenden Landschaft zu erkennen. Das letzte Rest Tageslicht erlosch schnell und die Lampen gingen an.
Irgendwann erhoben Malfoy und seine beiden Freunde Vincent Crabbe und Gregory Goyle sich und stolzierten zum Nachbarabteil. Jetzt war Shi allein, aber die Mistkerle hatten die Tür offen stehen lasse, somit bekam sie jedes gehässige Wort mit, das gesprochen wurde und Shi lauschte aufmerksam, so wie ihre Mutter und dann ihre Tante es ihr beigebracht hatten. Wie alle Mortem-Nachkommen besaß Shi ein fotografisches Gedächtnis.
Jeder Teil des altbekannten Kriegs zwischen den Slytherin-Jungen und dem Goldenen Trio von Hogwarts wurde in Shis übergroßen Gehirn abgespeichert. Doch der Streit dauerte nicht all zu lange und kurz darauf tauchten die Jungen wieder im Abteil auf. Die restliche Fahrt über musste Shi sich anhören, wie arm und erbärmlich die Weasley-Familie war. Dass das Granger-Mädchen ein widerliches Schlammblut sei und Harry Potter ein aufgeblasener, dummer Angeber, der wirklich keine Manieren hätte.
Nach der Durchsage des Lokführers, dass sie bald da wären, schlüpfte Shi in den Hogwarts-Umhang, den sie von ihrer Tante hatte und die Slytherins konnten nicht umhin zu bemerken, dass noch kein Hauswappen auf dem Stoff prangte. Doch Shi hatte keine Geduld und noch weniger Lust diesen arroganten Drecksäcken zu erklären, warum das so war und trat stattdessen hinaus in den eisigen Regen, der sich anfühlte, als würden ganze Eimer über ihnen ausgeleert werden. Innerhalb weniger Sekunden war Shi bis auf die Knochen durchnässt und ihre Zähne wollten aufeinander klapper. Blitze zuckten und Donner grollte über den Köpfen der Schüler.
Shi folgte der lauten, gröllenden Stimme, die immer wieder „Erstklässler zu mir!" über das Gewitter hinweg brüllte. Shi war zwar eher eine Sechsklässlerin, aber anhand ihrer ersten Besuchs in Hogwarts war das irrelevant. Zwischen verängstigten, aufgeregten Erstklässlern kämpfte Shi sich ihren Weg zu der hünenhaften Gestalt am Bahnsteig durch.
„Hallo Hagrid!" ertönte es rechts von ihr und Shi erkannte durch zusammengekniffene Augen Harry Potter, der dem riesigen, bärtigen Mann zu lächelte.
„Alles klar, Harry?" brüllte der sogenannte Hagrid zurück und winkte zu der Gruppe hinüber. „Sehn uns beim Festessen, falls wir vorher nicht ersaufen!"
Ihr Mundwinkel zuckte leicht.
Rubeus Hagrid, Hüter der Schlösser- und Ländereien von Hogwarts. Ein Halbriese. Der ehemalige Gryffindor war für sein Händchen mit Tieren bekannt und dass er vor allem die Monster liebte, die andere abschreckte. In seinem zweiten Schuljahr wurde er von Tom Riddle, bekannt als Lord Voldemort, beschuldigt die legendäre Kammer des Schreckens geöffnet und ein Mädchen umgebracht zu haben. Er wurde aus Hogwarts verbannt und sein Zauberstab zerbrochen. Doch Albus Dambeldore, schaffte es den damaligen Schulleiter Armando Dippet davon zu überzeugen Hagrid als Wildhüter zu behalten, bis er letztes Jahr auch noch zum Professor des Lernfachs Pflege Magischer Geschöpfe wurde. Nachdem Harry Potter in seinem zweiten Schuljahr jedoch mit der Kammer des Schreckens konfrontiert wurde, war der kleine Held in der Lage den Namen seines Freundes reinzuwaschen. Was nicht viele wussten: Hagrid bewarte die Bruchstücke seines Zauberstabs auf und schaffte es, sie in einem rosa Regenschirm zusammenzusetzten, den er immer bei sich trug.
Shi kratzte sich an der Schläfe und musste ein paar Mal blinzeln. Sie musste diesen Tick echt langsam ein bisschen unter Kontrolle bringen. Zwanghaft immer sämtliche Informationen einer Person sofort herunterzuspulen, sobald sie ihr begegnete.
Aufmerksame, schwarze Augen, die wie Käfer funkelten, wanderten über die Gruppe aus Erstklässlern, die sich um ihn versammelt hatten. Schließlich blieben die warmen Augen von Hagrid auf Shi hängen, die seinen Blick erwiderte. Die eisige Kälte, die darin gelegen hatte, als sie die Slytherin-Jungen angesehen hatte, war verschwunden. Ihr Mundwinkel hob sich sogar ganz leicht zu einem sanften Lächeln.
„Du musst die Mortem sein", schnaufte er über die Köpfe hinweg und Shi nickte. Hagrid nickte ebenfalls dann wandte er sich an alle. „Sind alle da... Gut, dann mir nach. Passt auf, wo ihr hintretet", grölte er und die kleinen Erstklässler folgten ihm rutschend und schlitternd einen schmalen Pfad, dessen Erde durch den Regen sich in einen gefährlichen Sumpf verwandelt hatte.
Mit einem Seufzer folgte Shi den Kindern und dem Licht von Hargids Laterne durch den kalten Regen. Durch die Dunkelheit und den dichten Regen machte sie dicke Bäume aus, die links und rechts von dem steilen Pfad wuchsen.
„Nur noch um diese Biegung hier und ihr seht zum ersten Mal in eurem Leben Hogwarts", rief Hagrid über die Schulter und stampfte um besagte Biegung. Trotz des dichten Regens und der Dunkelheit konnte Shi in der Ferne schemenhaft ein riesiges Schloss erkennen. Es stand hoch auf der Spitze eines Berges, thronte dort mit vielen leuchtenden Fenstern und vielen Zinnen und vielen Türmen.
Shi musste zu geben, sie war beeindruckt und sie konnte das Schloss noch nicht einmal wirklich erkennen, wegen des Regens, der ihr den Rücken hinab lief.
„Nicht mehr, als vier in einem Boot."
Beim Klang von Hagrids Stimme senkte Shi langsam den Kopf, weil sie plötzlich ein sehr ungutes Gefühl hatte und presste missmutig die Lippen zusammen. Na toll!
Vor ihnen ersteckte sich ein riesiger, schwarzer See, der überhaupt nicht freundlich aussah. Schwarze Wellen tobten und brachen brüllend wieder zusammen, bevor sich wieder neue erhoben. Die vordersten Kinder quitschten leise, als ihnen bewusst wurde, dass sie bis zu den Knöcheln im kalten Seewasser standen. Na wenn das nicht eine tolle Bootsfahrt werden würde... Denn genau das schien der Weg zu sein, auf dem sie nach Hogwarts kommen wollten.
Vor ihnen am Ufer des Sees wurde eine kleine Flotte an Booten von den Wellen umhergeschleudert. Die ersten sprangen aus dem kalten Wasser in die nassen Boote und klammerten sich am Holzrand fest.
Shi seufzte leise und wartete geduldig ab, bis ihr bewusst wurde, dass sie wohl alleine in so einer Nussschale landen würde. Hagrid wartete geduldig, bis auch sie in der nassen Pfütze saß, die sich im Boot gesammelt hatte. Dann brüllte er laut über den Sturm hinweg „Vorwärts!" und die kleinen Boote setzten sich in Bewegung. Shi krallte die Finger genau wie die anderen am Bootsrand fest, als sich die Boote überraschend geschickt über die Wellen schlängelten und ihre Fracht sicher und unbeschädigt ans andere Ufer brachten.
„Köpfe runter!" kam erneut eine Anweisung von Hagrid, der sofort Folge geleistet wurde und dann schienen die Boote durch einen Vorhang aus Efeu zu gleiten durch einen kurzen, dunklen Tunnel zu einem unterirdischen Hafen, wo sie mit weichen Knien aus den Booten kletterten. Abgesehen von den grünen Gesichter und den rumorenden Mägen schien es allen gut zu gehen.
Shi fühlte sich wie eine wasserscheue Katze als sie Mühe hatte ihre verkrampften Finger vom Holzrand zu lösen und aus dem Boot zu hüpfen. Ihr Ausstieg wurde von einer Welle begleitet, die ihr plötzlich von hinten mit voller Wucht gegen den Rücken schlug. Jetzt war Shi wirklich und komplett durchnässt. Alle starrten sie an und Shi starrte für ein paar Sekunden wutentbrannt zurück. Dann stampfte sie zwischen ihnen hindurch zu einem Felsgang, der hinaufführte. Sie schritt voran nach oben, Hagrid mit seiner Lampe hinter sich. Sie wusste auch ohne ihn an sehen zu müssen, dass er ihren nassen Rücken angrinste.
Schließlich kamen sie auf einer Wiese wieder heraus, wo sofort der Regen wieder unerbittlich auf sie einschlug.
„Gott bewahre, du bist ein Arschloch!" knurrte Shi vor sich hin, während sie weiter voran ging. Ihre Instinkte sagten ihr wo sie lang musste und Hagrid folgte ihr vergnügt. Für ihren Geschmack war er viel zu fröhlich, doch sie verkniff sich jedes Kommentar. In ihrer jetzigen Stimmung würde sie eh nur fies sein.
Sie stampfte eine lange Steintreppe im Schatten des Schlosses hinauf und hielt schließlich vor dem riesigen Eichentor an. Die Erstklässler versammelten sich hinter ihr und plötzlich hatte Shi das Gefühl, als würden sie sie als Schutz benutzen.
Hagrid grinste Shi an und ging an ihr vorbei zum Tor. Er hob seine riesige Faust und klopfte dreimal an. Es dauerte keine drei Sekunden bevor das Tor aufgerissen wurde und sie einer großen, schwarzhaarigen Hexe gegenüberstanden. Sie trug einen smaragdgrünen Umhang, quadratische Brillengläser saßen auf ihrer scharfen Nase und sie wirkte etwas gehetzt, was nur Shi aufzufallen schien. Denn diese Frau war Professor Minerva McGonagall, Lehrerin für Verwandlung, Hauslehrerin von Gryffindor, stellvertretene Schulleiterin und eine sehr strenge aber gerechte Person, mit der man es sich nicht verscherzen sollte. Und soweit Shi wusste, war Professor McGonagall ein registrierter Animagus. Sie verwandelte sich in eine silbige Katze. Sie hatte schottische Wurzel, was sich in ihrer Kleiderwahl zeigte und ihre schulische Laufbahn wurde von vielen Auszeichnungen und Rekorden geziert. Sie war Vertrauenschülerin, Schulsprecherin gewesen, hatte Spitzennoten in ihren ZAG- und UTZ-Prüfungen gehabt und sogar Quidditch gespielt. Da sie Zuhause, bei ihrer magisch begabten Mutter und ihrem mugglestämmigen Vater ihre wahre magische Begabung nicht ausleben konnte, wegen der ständigen Heimlichtuerei gegenüber der Mugglenachbarschaft, konnte sie es ihren Mitschülerin in Hogwarts so richtig zeigen. Seit ihrer Schulzeit war sie auch mit Professor Pomona Sprout, Lehrerin für Kräuterkunde befreundet...
Shi schüttelte einmal schnell den Kopf und unterbrach so den Strom an Informationen, der ihr durch den Kopf schoss. Stattdessen folgte sie der Hexe in die Eingangshalle hinein und die Kinder folgten ihr.

Times Das Mädchen, das den Tod siehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt