Dumbledore fällt

227 14 0
                                    

Sie steht direkt auf dem Geländer des Astronomieturms. Der schwindelerregende Abgrund hinter ihr und über ihr am Himmel das Dunkle Mal. Sie schluckt schwer und verflucht ihre Gabe, den Tod zu sehen. Doch sie ergibt sich ihrem Schicksal, wie jedesmal.
Mit müden Augen starrt sie auf das Treiben vor sich. Albus Dumbledore mit verschwommenem Gesicht und langem Bart steht direkt vor ihr an die Brüstung gelehnt. Ihm gegenüber ebenfalls mit verschwommenem Gesicht aber mit dem unverkennbaren weißblonden Haar steht Draco Malfoy mit ausgestreckten Zauberstab, der auf Dumbledore deutet.
Langsam lässt sie sich vom Geländer gleiten und bewegt sich über den Schauplatz des nahen Tods. Dort drüben liegt der Elderstab und zwei Besen. Ihre Augenbrauen ziehen sich leicht zusammen, bevor sich ihre Stirn wieder glättet. Natürlich! Das muss Harry Potter sein. Er und Dumbledore kamen wahrscheinlich gerade von einer Jagd nach Horcruxen und wurden hier auf dem Turm von Draco überrascht. Harry trägt anscheinend den Tarnumhang und kann sich nicht bewegen.
Sie wirft Dumbledore über die Schulter einen Blick zu. Schlauer Fuchs!
Draco, Draco, Sie sind kein Mörder!"
Ihr Kopf ruckt herum, als hätte man ihr einen Stromschlag gegeben.
Woher wollen Sie das wissen?"
Eilig stürmt sie auf Draco zu und verflucht die Tatsache, dass sie sein Gesicht nicht erkennen kann. Seine Zauberstabhand zittert leicht. Sie will danach greifen, doch ihre Hand gleitet durch ihn hindurch wie Nebel.
Sie wissen nicht, wozu ich fähig bin! Sie wissen nicht, was ich getan habe!"
Ihr wird schlecht und sie muss sich kurz den Bauch halten.
Oh doch, das weiß ich."
Ihre Augen zucken zu Dumbledore.
Sie hätten um ein Haar Katie Bell und Ronald Weasley getötet. Sie haben mit zunehmender Verzweiflung das ganze Jahr über versucht mich zu töten. Verzeihen Sie mir, Draco, aber das waren schwache Versuche... um ehrlich zu sein, so schwach, dass ich mich frage, ob Sie wirklich mit ganzem Herzen dabei waren..."
Das war ich!" unterbricht Draco seinen Lehrer heftig und ihre Augen zucken zwischen den beiden hin und her.
Ich habe das ganze Jahr daran gearbeitet und heute Nacht..."
Ein Schrei ertönt irgendwo im Schloss und Draco erstarrt. Rasch sieht er über die Schulter.
Da liefert sich jemand einen heftigen Kampf."
Ihre Augen zucken zu Dumbledore.
Aber Sie meinten gerade... ja, es ist Ihnen gelungen, Todesser in meine Schule hineinzubringen, was ich, zugegebenermaßen, für unmöglich hielt... wie haben Sie das gemacht?"
Will er Draco etwa hinhalten?
Sie seufzt tief und gleitet langsam um Draco herum, der immer noch lauschte.
Vielleicht sollten Sie die Aufgabe allein erledigen?"
Sie muss sich erneut an den Bauch greifen. Die Vorstellung, dass Draco Dumbledore töten könnte, bringt sie fast zum kotzen.
Was, wenn Ihre Unterstützung an meinen Wachen gescheitert ist? Wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist, sind heute Nacht auch Mitglieder des Phönixorden hier. Und im Grunde brauchen Sie doch keine Hilfe... ich habe im Moment keinen Zauberstab... ich kann mich nicht verteidigen."
Draco bewegt sich nicht. Ihre Sicht verschwimmt leicht. Tränen sammeln sich in ihren Augen.
Ich verstehe. Sie haben Angst, etwas zu tun, bevor sie bei Ihnen sind."
Ich habe keine Angst!" Er knurrt wütend, doch er greift immer noch nicht an. Sie sind der, der Angst haben sollte!"
Aber warum denn? Ich glaube nicht, dass Sie mich töten werden, Draco. Töten ist nicht annähernd so einfach, wie naive Menschen glauben...Also sagen sie mir doch, während wir auf Ihre Freunde warten... wie haben Sie die hier hereingeschmuggelt? Es hat Sie offenbar viel Zeit gekostet, herauszufinden, wie Sie es schaffen können."
Sie spitzt die Ohren, heiß auf Informationen, die sie noch nicht hat.
Ich musste das kaputte Verbindungskabinett reparieren, das seit Jahren verloren gegangen ist."
Sie muss trotz der Situation lächeln. Verschwunden, weil ihre Mutter und ihre Tante es vor einiger Zeit im Raum der Wünsche versteckt haben, um hin und wieder mal unerlaubte Ausflüge in die Winkelgasse zu unternahmen. Aber es stimmt, nach ein paar Jahren ist es kaputt gegangen und die Schwestern hatten keine Zeit mehr es zu reparieren.
Aaaah", macht Dumbledore und sie ist davon überzeugt, dass er gerade ähnliche Gedanken wie sie hat.
Das war schlau... es gibt ein zweites, nehme ich an?"
Das Gegenstück ist bei Borgin und Burkes."
Der nicht sonderlich freundliche Laden in der Nokturngasse. Das überrascht sie jetzt doch ein bisschen.
Zwischen den beiden gibt es eine Art Durchgang. Montague hat mir erzählt, als er in dem von Hogwarts steckte, sei er irgendwo im Ungewissen gefangen gewesen, aber manchmal habe er hören können, was in der Schule vor sich ging und manchmal, was im Laden los war, als ob das Kabinett sich dazwischen hin- und herbewegte, aber Montague selbst konnte sich bei niemandem bemerkbar machen... Am Ende hat er es dann geschafft, herauszuapparieren, obwohl er seine Prüfung noch gar nicht bestanden hatte. Das hat ihn fast umgebracht."
Idiot!
Alle hielten es für eine richtig gute Geschichte, aber ich war der Einzige, der erkannt hat, was sie wirklich bedeutet, selbst Borgin wusste es nicht, ich habe erkannt, dass es durch die Kabinette einen Weg nach Hogwarts geben könnte, wenn ich das kaputte richten würde."
Sehr gut", murmelte Dumbledore. Die Todesser konnten also von Borgin und Burkes aus in die Schule gelangen, um Ihnen zu helfen... ein schlauer Plan, ein sehr schlauer Plan... und wie Sie sagen, direkt vor meiner Nase..."
Sie will das nicht mehr hören.
Mit einem erschöpften Seufzer wendet sie sich ab und läuft einige Stufen hinab. So weit, bis die Stimmen der beiden Zauberer nur noch ein Hintergrundmurmeln ist, dann lässt sie sich auf die Treppe sinken und vergräbt den Kopf in den Händen. Beeil dich Snape!" flüstert sie leise. Ein Knall und laute Schrei ertönen, ganz in der Nähe. Sie hebt den Kopf und lehnt sich zum Treppengeländer. Mit erschöpften Augen beobachtet sie einige Treppenabsätze weiter unten den Kampf der Todesser und des Phönixorden. Sie erhebt sich und schlendert wieder die Treppe nach oben.
... ich kann Ihnen helfen Draco."
Sie sucht sich eine Position, von der aus sie eine gute Sicht hat. Elegant steigt sie wieder auf das Geländer und tritt hinter Dumbledore.
Nein, das können Sie nicht! Niemand kann das! Er hat mir befohlen, es zu tun, oder er wird mich töten. Ich habe keine Wahl, ich habe jemanden was versprochen!" Den letzten Satz flüstert Draco beinahe und sie stürzt beinahe vom Geländer. Die Augen weit aufgerissen versucht sie ihr Gleichgewicht wieder zu finden.
Sie haben jemanden etwas versprochen?" wiederholt Dumbledore und sie kann Überraschung aus seiner Stimme heraushören. Draco schweigt und sie kann regelrecht vor sich sehen, wie er sich auf die Lippe beißt.
Das geht Sie nichts an!" zischt er und Dumbledore nickt verstehend.Kommen Sie auf die richtige Seite, Draco und wir können Sie besser verstecken, als Sie es sich auch nur vorstellen können. Mehr noch, ich kann heute Nacht Mitglieder des Ordens zu Ihrer Mutter schicken, um sie ebenfalls zu verstecken. Ihr Vater ist im Augenblick in Askaban sicher... zu gegebener Zeit können wir auch ihn schützen... kommen Sie auf die richtige Seite, Draco... Sie sind kein Mörder..."
Aber ich bin doch so weit gekommen, oder? Die haben gedacht, ich würde bei dem Versuch sterben, aber ich bin hier... und Sie sind mir gnadenlos ausgeliefert..."
Nein, Draco", unterbricht Dumbledore seinen Schüler ruhig. Es ist meine Gnade und nicht Ihre, die jetzt entscheidend ist."
Langsam wird es brenzlich!
Vor allem als polternde Schritte die Treppe hoch kommen und kurz darauf vier schwarze Gestalten herein drängen. Ihre Augen verengen sich leicht. Die Geschwister Carrow. Alecto und Amycus. Ein Todesser, von dem sie nichts wirklich erkennen kann und... Ihre Lippen verziehen sich zu einem lautlosen Fauchen. Fenrir Greyback! Der Werwolf, der Voldemort treu ergeben ist. Ein widerlicher, sadistischer Mistkerl. Er besitzt kein dunkles Mal, denn der einzige Grund, warum Voldemort selbst Abschaum wie ihn akzeptiert, ist seine Grausamkeit. Während der ersten Schreckensherrschaft des dunklen Lords wurde der Werwolf oft eingesetzt um widerspenstige Zauberer in Angst und Schrecken zu versetzen. Indem Greyback ihre Kinder biss und somit in Werwölfe verwandelte. Er verwandelte damals auch Remus Lupin.
Hass rast durch ihre Adern, wie flüssiges Feuer. Dieser widerliche Abschaum war damals an der Ermordung ihrer Familie beteiligt. Hat vor ihren Augen ihre Mutter in Stücke gerissen und dabei nur gelacht.
Sind Sie das, Fenrir?" Dumbledores Stimme reißt sie aus ihrem Rausch aus Hass und Zorn. Schnell schüttelt sie den Kopf und ruft sich in Erinnerung, dass das nur eine Vision ist. Sie wird diesen Werwolf noch erwischen und dann wird sie ihn töten!
Ganz recht", schnarrt der Dreckskerl. Erfreut, mich zu sehen, Dumbledore?"
Nein, das kann ich nicht gerade sagen..."
Sein Grinsen ist ekelerregend. Blut tropft über sein Kinn und er leckt er sich genüsslich von den Lippen, dabei blitzen seine spitzen Zähne auf. Aber Sie wissen, wie sehr ich Kinder mag, Dumbledore."
Heißt das, dass Sie jetzt sogar ohne Vollmond angreifen? Das ist höchst ungewöhnlich... Sie haben eine Vorliebe für Menschenfleisch entwickelt, die nicht einer Gelegenheit im Monat befriedigt werden kann?"
Ganz recht! Das schockt Sie, oder Dumbledore? Mach ich Ihnen Angst?"
Nun, ich kann nicht verhehlen, dass es mich ein wenig anwidert. Und ja, ich bin etwas schockiert, dass Draco hier ausgerechnet Sie aufgefordert hat, in die Schule zu kommen, wo seine Freunde leben..."
Hab ich nicht!" zischt Draco dazwischen und wagt es nicht einmal zu dem Werwolf hinüber zu sehen. Sie löst ihre geballten Fäuste und verschränkt stattdessen die Arme vor der Brust.
Ich wusste nicht, dass er kommen würde..."
Ich würde mir eine Gelegenheit, nach Hogwarts zu kommen, nicht entgehen lassen, Dumbledore. Nicht, wenn es Kehlen aufzureißen gibt... köstlich, köstlich!" Er kichert und sie ruckt heftig mit dem Kinn. Seine hungrigen, gruselig blauen Augen wandern an dem Schulleiter auf und ab.Ich könnte Sie zum Nachtisch verspeisen, Dumbledore..."
Nein!" fuhr der Todesser, den sie nicht benennen kann, dazwischen. Wir haben Befehle! Draco muss es tun! Also, Draco, schnell jetzt!"
Draco zögert, wirkt unentschlossen. Sie wippt auf dem schmalen Geländer auf den Fußsohlen vor und zurück. Wo bleibt Snape?
Wenn ihr mich fragt, ist er ohnehin bald nicht mehr von dieser Welt", kichert Amycus und seine Schwester steigt mit ein.
Seht ihn euch an. Was ist denn los mit Ihnen, Dumbledore?" kichert Fenrir
Oh, geschwächte Widerstandskraft, langsamere Reflexe, Fenrir. Kurz gesagt, das Alter", seufzt Dumbledore und starrt den Werwolf an. Eines Tages wird es Ihnen vielleicht auch so ergehen... wenn Sie Glück haben, was ich bezweifle!"
Was soll das heißen, alter Mann?" knurrt der Werwolf und wirkt jetzt noch bösartiger. Gemächlich lässt Dumbledore den Blick durch den Turm schweifen und sie hat plötzlich das Gefühl, dass er nach ihr Ausschau hält.Sie werden eines Tages Shi Mortem gegenüber stehen, Fenrir."
Draco spannt sich bei der Erwähnung dieses Namens sichtbar an.
Und dann, fürchte ich, wird Ihnen niemand mehr helfen können."
Der Werwolf lacht gaggernd. Das kleine Mädchen", kichert er und kurz wirkt er, als wäre er in Gedanken versunken. Eine Schande, dass ich sie noch nicht in die Finger bekommen habe. Sie roch so unglaublich köstlich!"
Dracos Zauberstabhand zittert heftiger und er gibt sich offenbar die größte Mühe, ihn nicht auf den Werwolf zu richten.
Ihre Mutter war schon ein Festschmaus! Ich kann es kaum erwarten, von ihr zu kosten."
Draco entscheidet sich offenbar gerade, den Zauberstab herumzureißen und Greyback einen Fluch ins Gesicht zu jagen, als eine weitere Person in den Trum stürmt und ihn zur Seite drängt. Sie richtet sich hinter Dumbledore auf und legt sich erleichtert die Hand auf ihr wild schlagendes Herz. Vertreibt ihre Mordlust, die durch ihre Adern rauscht. Sieht so aus, als hat es Severus Snape doch noch zur Party geschafft.
Seine schwarzen Augen wandern über alle Anwesenden.
Wir haben ein Problem, Snape", schnarrt der Carrow-Bruder. der Junge ist offenbar nicht fähig..."
Severus..." Dumbledore hat den Namen seines Komplizen so leise ausgesprochen, dass sie ihn fast nicht gehört hat, obwohl er direkt vor ihr steht. Er klingt flehend. Severus... bitte..." Dumbledore bettelt nicht um Hilfe oder sein Leben, wie alle anderen vielleicht glauben, im Gegenteil. Er bittet um seinen Tod. Durch Snapes Hand. Und der Zauberer verwehrt ihm diesen nicht.
Er hebt den Zauberstab. Avada Kedavra!"
Der grüne Lichtblitz trifft Albus Dumbledore mitten in die Brust und schleudert ihn in die Luft, durch sie hindurch und dann fällt einer der größten Zauberer, die die Geschichte je hervor gebracht hat, rücklings über die Zinnen und verschwindet in der Dunkelheit.

Times Das Mädchen, das den Tod siehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt