Ein wahrer Gryffindor

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Mit einer schnellen Bewegung zog Shi ihre lange Haarmähne aus dem Pulloverkragen und fasste den schwarzen Wasserfall zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie war bereit zum Aufbruch.
Draco beobachtete sie aus schmalen Augen. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du vor hast", murrte er und sie drehte sich mit einem Lächeln zu ihm um. Seit der Schlacht hatte sie sich gewaschen und endlich etwas richtiges angezogen. „Mach dir keine Sorgen!" Sie nahm seine Hand und fädelte ihre Finger zwischen seinen hindurch. „Ich bin rechtzeitig wieder zurück."
Er schnaubte nur mürrisch. Mit einem schnellen Ruck riss er sie an den verschränkten Händen zu sich her. Shi stolperte und stieß gegen seine Brust. Blitzschnell hielt er ihre Arme auf dem Rücken fest und gab ihr keine Fluchtmöglichkeit.
„Ich steh drauf, wenn du das dominante Arschloch raus hängen lässt", schnurrte sie, doch Draco durchbohrte sie nur mit festem Blick. Sie seufzte.
„Wir müssen reden!"
Ihre üblen Vorahnungen bewahrheiteten sich. „Und worüber?" seufzte sie und senkte den Blick auf seine Brust.
„Über deine Gefangenschaft!"
Sie zuckte zusammen und ihre Narben begannen unangenehm zu jucken. „Was gibt es da zu besprechen?" nuschelte sie und ärgerte sich, dass sie sich nicht kratzen konnte. Ihr Auge zuckte immer wieder. Überrascht hielt sie die Luft an, als er das Kinn auf ihrem Kopf bettete, ihre Hände wieder los ließ und sich seine Arme noch enger um sie legten. Shis Unterlippe begann zu zittern. Knirschend biss sie die Zähne zusammen und krallte die Finger in seinen Rücken.
„Du bist die stärkste und mutigste Frau, der ich je begegnet bin", flüsterte er und sie wischte die Wangen an seinem Hemd ab.
„Dann stören dich die Narben nicht, immerhin bin ich jetzt wirklich entstellt?" murmelte sie leise an seine Brust und das Zittern in ihrer Stimme ärgerte sie. Ruckartig schob er sie auf eine Armlänge von sich und umfasste ihr Gesicht fest mit beiden Händen. „Du bist nicht entstellt, du bist wunderschön und jede Narbe, die dein Körper aufzuweisen hat, erzählt nur wie mutig und stark du bist."
Shi schniefte und blinzelte die Tränen weg, die sich in ihren Augen sammelten. „Wenn du mich jetzt nicht weg schickst, wirst du mich nicht mehr los, als überleg dir gut..."
Er knurrte bedrohlich und erstickte die Worte, die er nicht hören wollte, mit seinen Lippen. Sofort schossen ihre Hände zu seinem Hinterkopf und vergruben sich in seinen Haaren. Draco packte sie im Nacken und presste sie an sich. „Red nie wieder so einen Schwachsinn!" zischte er an ihren Mund, bevor er ihr in die Unterlippe biss. Fauchend schnappte sie zurück und funkelte unter gesenkten Lidern zu ihm hoch. Er grinste leicht und erwiderte amüsiert ihren Blick.
„Bei Merlin, reißt euch zusammen!"
Genussvoll langsam lösten Shi und Draco sich voneinander und sahen Sirius an, der aus der Großen Halle kam. „Bist du zufälligerweise ein bisschen frustriert?" stichelte Shi mit einem verschlagenen Grinsen. „Hat Yuki dich etwa..." Shi erhielt einen Schlag auf den Hinterkopf. Lachend drehte sie sich zu ihrer Tante um, die sie finster anstarrte. „Es ist alles vorbereitet."
Sofort war jegliches Lachen aus Shis Gesicht verschwunden. Sie nickte knapp. „Dann muss ich los!"
Die Mortem nickten einander zu und Yuki drückte ihrer Nichte ein altes Stoffbündel in die Hand, dass sie schweigend in ihre hintere Hosentasche stopfte, wo es teilweise herausquoll, da es so groß war. Shi wollte zum Eingangstor gehen, doch Draco hielt sie am Oberarm gepackt zurück. „Ich weiß immer noch nicht..."
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Mach dir keine Sorgen!"
„Hat dieser Spruch je was gebracht?" murmelte Sirius im Hintergrund und erntete einen Stoß zwischen die Rippen. Draco wirkte ebenfalls nicht wirklich überzeugt. Shi seufzte. „Ich hab die Folter deiner Tante überlebt, als werde ich auch das überleben. Pass du nur auf, dass du schön am Leben bleibt. Ich hab schon zu viele verloren, einen weiteren Verlust würde ich nicht ertragen." Sie küsste ihn kurz auf die Lippen, bevor sie losstürmte und hinaus in die Nacht huschte.
„Shi!"
Überrascht blieb sie stehen und drehte sich zu Harry um, der über den Rasen auf sie zu kam. Mit schief gelegtem Kopf und gerunzelter Stirn betrachtete sie sein Gesicht eingehend. „Du hast es herausgefunden", murmelte sie und schob die Hände in die Hosentaschen.
„Das hab ich." Er nickte, das Gesicht erschreckend ausdruckslos. Langsam streckte sie die Hand aus und klopfte ihm etwas unbeholfen auf die Schulter. „Viel Glück, Harry!" flüsterte sie und lächelte kläglich. Harry wippte kurz auf den Sohlen und Shi wartete geduldig. „Wirst du... wirst du alle beschützen? Ron, Hermione, Ginny und alle anderen!?"
Shi nickte ernst. „Ich bin eine Mortem, Harry und meine Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft."
Harry nickte langsam. „Ich kann mich darauf verlassen, dass du... es zu Ende bringst?"
Shis Lächeln war Antwort genug. „Erst das Reptil und dann ist unser Freund an der Reihe!" Sie wandte sich zum Gehen, blieb aber dann doch noch einmal stehen und sah über die Schulter. „Wir werden uns wieder sehen, Harry Potter!"
Dann verschwand sie in der Dunkelheit und Harry ging in Richtung Wald davon, nachdem er sich den Tarnumhang über die Schultern geworfen hatte.
„Neville!"
Erschrocken wirbelte der Gryffindor zu Shi herum, die hinter ihm stehen geblieben war. „Mensch, Shi, du hast mich zu Tode erschreckt!"
„Sehr witzig", murrte sie und Neville zuckte leicht zusammen. Shi lächelte und holte das Stoffbündel aus ihrer Tasche. „Du musst etwas für mich tun, Neville. Eine Sache, von der ich weiß, dass du sie erledigen kannst, denn du bist ein wahrer Gryffindor."
Neville sah sie mit großen Augen an, bevor er zögerlich das Bündel entgegen nahm.
„Du musst Voldemorts Schlange töten!"
Erschrocken taumelte er einen Schritt zurück. „Aber ich...", stotterte er und Shi drückte lächelnd seine Schulter. „Vertraue auf den Sprechenden Hut. Er wird dir helfen."
Schließlich nickte Neville und drückte sich das Stoffbündel, den Sprechenden Hut, fest an die Brust. „Warum machst du es nicht?"
Shi seufzte leise. „Weil ich kein wahrer Gryffindor bin und nur ein wahrer Gryffindor ist in der Lage das Schwert von Godric Gryffindor aus dem Hut zu ziehen."
„Heißt das, ich bin..."
„Ein wahrer Gryffindor! Ganz genau. Der Hut hat sich nicht in dir getäuscht." Sie drückte ihm die Schulter.
„Gehst du?" fragte er plötzlich kläglich.
„Ja, aber ich komme wieder. Ich lass mir die Schlacht ganz sicher nicht entgehen. Immerhin habe ich noch mit Bellatrix eine Rechnung offen!" Ihr böses Lächeln brachte Neville zum Zusammenzucken, doch sie ließ ihm keine Zeit zu antworten. Stattdessen glitt sie an ihm vorbei, winkte ihm aufmunternd zu und ging zu Hagrids Hütte. Vor der großen Holztür lag ein ein großer Stiefel. Murrend ergriff Shi den kindersarggroßen Schuh und wurde von dem Portschlüssel in einen Strudel aus Farben geschleudert.

Times Das Mädchen, das den Tod siehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt