Kainda sah mich an. »Du erinnerst dich, nicht wahr?», fragte sie. Ich nickte. »Dann kannst du sicher verstehen, dass mir diese Sache... nicht leichtfällt.» „Welche Sache?», unterbrach ich sie neugierig. Sie bedachte mich mit einem bösen Blick. »Sorry», murmelte ich automatisch. Heimlich beobachtete ich sie. Sie wirkte nervös und doch war etwas an ihr, was ich erst nicht benennen konnte. Ich versuchte mich zu erinnern. Was war es? Als Kainda begann, nervös auf und ab zu tigern, fiel es mir auf. Sie war stärker geworden. Ihr, früher so sanfter und fast schon mädchenhafter Körperbau, war beinahe gänzlich verschwunden. Unter ihrer Haut zeichneten sich Muskeln ab. Nicht jungenhaft, aber doch mehr, als man bei einer knapp 17-Jährigen erwarten konnte. Ihr Gang war fast schon katzengleich, erinnerte aber gleichzeitig an eine Tänzerin. Auch dort war die mädchenhafte Bewegungsart beinahe ganz verschwunden. Ihre Augen, früher immer so sanft und verträumt, hatten nun eine deutliche Entwicklung in Richtung abtastend, beobachtend und ruhelos. Ihr Blick irrte immer wieder den Gang auf und ab. Mit einem tiefen Seufzen hielt sie an. »Ich muss dir etwas erzählen. Es ist total bescheuert, aber du kennst ja meine Eltern.» Sie lächelte. Automatisch lächelte ich zurück. Auch ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie verbohrt und hartnäckig ihre Eltern waren. »Bitte lach nicht, ja? Aber meine Familie jagt... Mythen. Dracula und so weiter...» Sie unterbrach sie verlegen. Ich erstarrte. Erzählte sie mir gerade wirklich, das bestgehütete Geheimnis ihrer Familie? Kainda bemerkte meine Reaktion und ruderte rasch zurück. »Wie gesagt, es ist alles völlig dumm und daher gesponnen. Ich... ach, egal.» Ich schaute sie an. »Rede Kainda», forderte ich sie sanft auf. Sie wirkte nervös. »Sie wollen... deinen Freund jagen. Und ich soll helfen, aber... ich kann nicht, nein, will nicht. Ich will das nicht.» Ich sah sie nur an. »Kannst du mir mehr erzählen?» Sie schaute auf. »Du glaubst mir?» Ich nickte nur. »Natürlich glaube ich dir Kainda.» Sie wirkte erleichtert. »Du kannst mir vertrauen Amy, ich weiss was deine Freunde sind. Aber du bist meine Freundin. Ich möchte dir nicht wehtun. Und wenn das bedeutet, das hiesige Rudel zu schützen, dann... werde ich das tun.» «Obwohl ich fortgezogen bin und ich mich seither nicht mehr gemeldet habe?» Sie schaute mich gespielt zornig an. »Darüber müssen wir noch reden. Aber nicht jetzt. Gehen wir zurück. Den Rest der Geschichte kann ich dir nicht auf einem Schulflur erzählen.» Ich stimmte ihr zu und hackte mich bei ihr unter.
Als wir zurückkamen, bemerkten wir, dass die Jungs sich zu der Bowle zurückgezogen hatten und sich eisern anschwiegen. Tay hatte sich zu Jacy und Daimon gestellt. Marcel stand auf der anderen Seite der Bowle und beobachtete fasziniert Nada, welche in ihrem sattgolden schimmernden Abendkleid wirklich fantastisch aussah. Immer wieder warf er einen Seitenblick auf Tay und seine Miene verdüsterte sich dabei kaum merklich. Mit Erleichterung registrierte Tay, dass wir uns näherten. Sein Blick huschte zwischen Kainda und mir hin und her und blieb immer wieder auf unseren verhakten Armen haften. Vorsichtig löste ich mich von Kainda und umarmte sie. »Sehen wir uns später?», flüsterte ich und deutete mit den Augen auf Jacy, Daimon und Tay. Sie wirkte überrascht, nickte aber. Tay kam auf uns zu und nahm mich in Empfang. Er grub kurz seine Nase in mein Haar, weiss der Teufel, was er an meinen Haaren so toll fand, und fragte mich dabei leise: »alles in Ordnung?» Ich nickte und flüsterte auf Cherokee zurück: »Kainda will mit uns reden. Darüber.» Er starrte ungläubig auf mich herunter. »Sie will was?», fragte er. »Mit uns reden.» Er sah mich lange an. Doch dann nickte er und ging zurück zu Jacy und Daimon. Ich sah, wie er sich vorbeugte und ihnen kurz etwas ins Ohr flüsterte. Jacy nickte und verschwand, einen leicht verwirrten Daimon im Schlepptau. Ich seufzte. Offenbar lag es an mir, Katja und Fjenn über die neuste Entwicklung aufzuklären.
Schnell schlängelte ich mich durch die Paare, welche gerade zu einem fürchterlich altmodischen Walzer drehten. Nicht, dass ich Walzer nicht mochte, aber ich bevorzugte Lieder, welche nur den Takt des Walzers hatten, nicht diese alte Kombination... bäh. Nach einiger Zeit des Suchens fand ich sie. Sie sassen zusammengekuschelt auf den Turnmatten, aus denen die Schüler am Nachmittag Sofa-ähnliche Gebilde gebastelt hatten. Sie waren zwar gerade sehr vertieft in ihr Gespräch, trotzdem entschloss ich mich, dazwischen zu platzen. Schwungvoll liess ich mich neben Katja nieder. Katja sah kurz auf, um festzustellen, wer sich neben sie gesetzt hatte, einen leicht genervten Gesichtsausdruck zeigend. Doch sobald sie sah, dass ich es war und welche Miene ich trug, wurde sie ruhiger und setzte sich gerader hin. »Was ist los, Amy?» fragte sie leise. Ich beugte mich vor und weihte sie ein, dass wir uns heute Nacht mit Kainda treffen würden. »Die kleine blonde Zwillingsschwester von deinem Ex?», fragte sie. »Ja», grummelte ich. Ich wurde nicht gern zweimal am selben Abend daran erinnert, dass Marcel und ich einmal ein Paar gewesen waren. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber... ist das nicht etwas riskant? Schliesslich ist sie seine Schwester.» «Ich vertraue Kainda, glaub mir, sie würde... nein, kann mich gar nicht anlügen.» Damit stand ich auf und überliess die beiden wieder sich selbst.
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Bei Vollmond (langsame Updates)
WerewolfAmy zieht zu ihrer Grossmutter nach Salen. Dort trifft sie den gehemnissvollen Jungen Tay. Bald schon erfährt sie, was es mit ihrer Familiengeschichte und den alteingesessenen Familien auf sich hat. Doch auch alte Geschichten folgen ihr in ihr neue...