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Alexander

Das erste, was ich spüre, ist ein stechender Schmerz, ausgehend von meinem Hinterkopf. Es ist hell um mich herum, so hell, dass ich nichts bestimmtes erkennen kann. Ich liege auf einem Metall Tisch. Ich richte mich auf. Um mich herum ist ein Labor. Was mache ich in einem Labor? Ich stehe auf und stolpere gegen einen weiteren Tisch mit einem Leichenblassen Mädchen darauf. Ich lege ihr zwei Finger an den Hals. Sie hat keinen Puls.
"Er ist wach!", ruft jemand. Zwei Männer rennen auf mich zu. Ich schlage nach einem der beiden, aber meine Faust verfehlt sein Gesicht meilenweit. Sie halten mich fest und mir wird eine Nadel in den Arm gerammt.

Als ich das nächste mal aufwache liege ich auf kaltem und feuchtem Steinboden. Etwas schwerfällig stemme ich mich hoch. Der Schmerz am Kopf ist verschwunden, nur mein linker Unterarm tut weh. Ich ziehe meinen Ärmel hoch. Drei kleine, rote Punkte, wahrscheinlich von Spritzen, befinden sich in meiner Armbeuge.
Ich befinde mich in einer Gasse zwischen einigen sehr alt aussehenden Häusern. Was zur Hölle ist das hier? Wie bin ich hier her gekommen? Ich war auf dem Weg zur Bushaltestelle. Alleine, wie an jedem Tag in den 13 Monaten und zwei Wochen, nachdem meine Brüder verschwunden sind. Sie und noch einige andere Leute aus meiner Schule, ein Teil davon sogar aus meiner Klasse.

"Hallo?", höre ich jemanden rufen. "Ist hier irgendwer?" Ich folge der Stimme und gehe um eine Ecke.
"Hey!" Ich springe erschrocken zurück. Da steht ein Junge, vielleicht 15 Jahre alt mit braunen Locken, und hält mir eine Kamera vors Gesicht. "Hallo. Ich bin Felix. Felix Fost", sagt er viel zu fröhlich, wie ich denke.
"Was ist das hier?", frage ich direkt.
"Ich habe keine Ahnung. Also, wie heißt du?"
"Alexander."
"Cool. Wie alt bist du?"
"17. Hör mal..."
"Aussehen?"
Ich blinzele verwirrt. "Du siehst mich doch."
"Ich finde, du hast hübsche Augen."
"Na also, du... Moment, flirtest du gerade mit mir?"
"Vielleicht." Er grinst mich schief an. "Kennst du mich?"
"Nein?"
"Oh. Schade. Ich blogge auf YouTube."
"Ah."
"Wie auch immer, bekomm' ich deine Handynummer?"
"Okay, stop. Reicht jetzt. Warum bist du so gottverdammt ruhig? Wir sind in irgend einem Dorf und du rennst fröhlich rum und bloggst für deinen bescheuerten YouTube Kanal!"
Er legt eine Hand auf meine Schulter, senkt die Kamera aber nicht. "Hey, Alex, beruhig-"
"Alexander", unterbreche ich ihn.
"Alexander, was auch immer hier passiert, ich werde es filmen." Er nimmt meine Hand. "Komm, ich denke, hier sind noch andere."
"Alter, ich bin nicht schwul", sage ich und ziehe meine Hand weg.
"Ich auch nicht", sagt er. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Glaube ich. Ich weiß es doch auch nicht. Ich will einfach nur mit dir befreundet sein, okay?"
"Wir kennen uns keine fünf Minuten!"
Er grinst. "Ich bin verrückt und stolz drauf."
Ich rolle leicht genervt mit den Augen.

Wir erreichen einen gepflasterten Platz, umgeben von altertümlichen Häusern und mit einem Springbrunnen in der Mitte. Noch einige andere Leute sind auf diesem Platz, von denen ich aber keinen erkenne. Ich sehe nach oben. Der Himmel ist wolkenverhangen, es ist nicht wirklich warm und ich habe das Gefühl, dass es vor ein oder zwei Stunden geregnet hat. Meine Klamotten sind aber nicht nass, was heißen muss, dass ich noch nicht so lange hier bin.
Über den Dächern des Dorfes ragt ein riesiges, modernes Hochhaus auf. Es sieht aus wie ein ganz normales Bürogebäude.
"Sina!", ruft Felix. Er rennt zu einem Mädchen und umarmt sie. Ich ignoriere die beiden und gehe weiter.

An einer der Hauswände hängen drei Tafel aus Glas. Wie in einem Film schießt es mir durch den Kopf. Nur, dass diese Computertafeln eben noch ausgeschaltet sind.

Nach und nach wird der Platz immer voller. Wirklich erkennen tue ich noch keinen, nur einer kommt mir bekannt vor. Neben Felix und Sina kennen sich nicht viele Leute.

"Willkommen zu Test 14", hallt eine Stimme über den Platz. Ich sehe mich nach dem um, der gesprochen hat. Unter den Hausdächern hängen Lautsprecher.

"Ihr seid ausgewählt worden, an unserer Testreihe teilzunehmen."

Was? Ich will nicht teilnehmen!

"Hier die Regeln: Ihr habt vierzehn Tage, fürs Erste. In jedem Haus ist eine Aufgabe. Durchs erfüllen dieser Aufgaben könnt ihr euch Zeit und Proviant erkaufen. Ihr könnt hier raus, wenn ihr alle Aufgaben gemacht habt."

Ich kenne diese Stimme. Ich bin mir ganz sicher sie schon mal gehört zu haben, kann sie im Moment aber nicht zuordnen.

"Viel Glück an euch alle. Mal sehen, wer der letzte ist, der noch steht."

Wie meint er das?

"Und vergesst nicht: Wer früher stirbt bleibt länger Tod."

Die Glastafeln werden eingeschaltet. Auf dem einen sind nummerierte Felder. Auf den nächsten ist ein Bild von jedem, der hier ist. Und auf dem letzten läuft die Zeit von 14 Tagen rückwärts. Ähm, okay? Was zur Hölle?

Ich gehe vom Platz und weg von dem Hochhaus.
"Hey, warte!" Felix rennt mir hinterher. "Wohin gehst du?"
"Weg."
"Gute Idee. Ich komme mit."
Ich unterdrücke ein Augenrollen.

Ich weiß nicht genau, wo ich hin will. Ich laufe einfach immer weiter in eine Richtung. Felix stellt mir fast die ganze Zeit Fragen. Er redet zwar viel, aber ich glaube, wenn er mal die Klappe hält ist er ganz nett.

Wir verlassen das Dorf. Der Weg besteht jetzt nur noch aus Erde und kleinen Steinchen.
Felix richtet wieder seine Kamera auf mich.
"Ach komm schon, was soll das?"
"Alex und ich..."
"Alexander. Ich heiße Alexander."
Ich hasse es, Alex genannt zu werden. Chris und Paul haben das getan.
"Sorry. Wir beide versuchen ein Ausweg aus dem ganzen Mist zu finden."
"Wenn du wirklich alles wichtige filmen willst solltest du das Ding jetzt ausschalten. Der Akku hält nicht ewig."
Felix nickt. "Okay." Er schaltet sie aus und hängt sie sich um den Hals. "Hast du auch irgendwelche persönlichen Gegenstände dabei?"
Ich schüttele mein Handgelenk. "Meine Uhr. Mehr nicht."
Alles, was ich in meinen Taschen hatte ist weg, abgesehen von der Armbanduhr.

Wir erreichen einen hohen Maschendrahtzaun, etwa ein Kilometer außerhalb der Stadt. Den ganzen Weg hier her hat Felix ununterbrochen geredet.
Ich runzele die Stirn. Das ist zu einfach. Nur ein Zaun? Niemals. Ich hebe einen Zweig auf und werfe es über den Zaun. Nichts passiert. Ich nehme einen weiteren und halte ihn an den Zaun. Es zischt und das Stück beginnt zu qualmen. Ich fluche.

"Elektrisch aufgeladen?", fragt Felix.
"Und wie!", antworte ich. "Es müssen Unmengen an Strom sein, die da durchfließen."
"Es ist irgendwie cool."
Ich sehe Felix ungläubig an. "Cool? Wir sind gefangen hier in diesem verdammten Dorf mit den Personen, die das ganze hier aufgebaut haben dort oben im Turm!"
Ich deute auf das Hochhaus, dass noch immer gut zu sehen ist.
Er beißt sich auf die Unterlippe. "Ja, stimmt."

"Gib mir die Kamera. Ich filme das hier, du hältst einen Stock dran."
Er erklärt mir kurz, wie man sie bedient, dann schalte ich sie an.
"Okay, also wir haben hier was gefunden", sage ich. Felix tut, was ich ihm gesagt hatte und wieder steigt Rauch auf.
"Hier, ein Stück außerhalb des Dorfes, ist ein elektrischer Zaun, durch den genug Strom fließt, um einen Menschen schwer zu verletzen oder sogar zu töten. Irgendwie müssen sie uns ja hier drin behalten. Soll heißen: Wir sitzen in der Falle."
"Vielleicht kann man sich drunter durch buddeln", schlägt Felix vor.
Ich lege den Kopf schief und ziele mit der Kamera auf ihn.
"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre."
"Irgendwer wird's tun, früher oder später." Er grinst. "Hier sind genug dumme Leute, denke ich. Nicht du, natürlich", fügt er schnell hinzu.
Ich nicke.
"Du bist verdammt schlau und verdammt cool, Alex."
Ich seufze. "Ja. Klar."

Test 14Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt