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Alexander

Laut meiner Armbanduhr ist heute Montag der 19. November. 9 Uhr morgens.

Vorgestern ist Lena den Zaun hochgeklettert.

Gestern bin ich von einem Hausdach gefallen.

Heute morgen ist Mirella gestorben. Ich weiß nicht genau, wie. Laut den Infos, die ich von Elias bekommen habe, war es eine Aufgabe und irgendwas mit Ratten. Ich werde später Han danach fragen, sie weiß bestimmt mehr.

Die Anzeigetafel zeigt 12 Tage, 14 Stunden und 49 Minuten an. Für jede gemachte Aufgabe bekommen wir mehr Zeit auf der Uhr. Heute ist der sechste Tag, aber auf der Uhr sind es gerade mal anderthalb, die wir verloren haben.

Wenn ich richtig liege, gibt es für jede Aufgabe, bei der jemand gestorben ist, 24 Stunden. Wenn eine Aufgabe erledigt wird, aber niemand stirbt, gibt es sechs Stunden. Für Tode, die nicht innerhalb einer Aufgabe erfolgten, wie Lena und Sinas, bekommen wir 18 Stunden.

Es sind nur noch ein paar Tage bis zum Vollmond und das beunruhigt mich irgendwie. Diese ganze Aktion ist fucked up genug, um einen Werwolf oder so frei zu lassen, der dann anfängt, Leute zu essen.

Ich glaube, in der Vollmondnacht werde ich mich und meine neuen Freunde irgendwo einschließen. Ich will wirklich nicht gegessen werden und Häuser müssten mittlerweile genügend frei sein, um alle irgendwie unterzubringen.

Jemand anderes betritt den Brunnenplatz. Ich wende meinen Blick von der Anzeigetafel ab. Es ist Jaques.

Wahrscheinlich zum ersten Mal sehe ich ihn mir wirklich an. Er ist der größte 17-jährige, dem ich je begegnet bin, und ich bin nicht gerade klein. Im Gegensatz zu mir sieht er aber nicht aus wie ein Lauch, sondern wie ein Ringer. Er hat eine Statur, als wäre er in der Lage es mit einem kleinen Bären aufzunehmen.

"Oder einem 15-jährigen Mädchen?", wispert eine Stimme in meinem Hinterkopf. Ich reiße die Augen auf.

Ich sehe an Jaques hoch und runter. Seine Schuhe sind groß genug, um auf die Abdrücke in der Hütte zu passen.

Das hier ist Sinas Mörder.

Jaques ist stehengeblieben und hebt eine Augenbraue. "Alles okay bei dir?", fragt er.

"Ich- äh- ja", stammele ich

Er zuckt die Schultern und will gerade weitergehen, als ich ihn frage: "Sag mal, was hast du in der Nacht vom 15. auf den 16. gemacht?"

"Keine Ahnung, welcher Tag war das?"

"Donnerstag auf Freitag."

Sein Auge zuckt und seine Finger spielen nervös mit dem Saum seiner Jacke. "Dude, das ist ne weirde Frage. Ich hab geschlafen."

"Gibt es irgendwen, der das bestätigen kann?"

"Wieso sollte das irgendwer bestätigen? Lass mich in Ruhe!"

Und er beginnt wegzugehen.

"Bist du dir sicher, dass du nicht in einem der Hauser warst, in die man nur von den Gassen aus rein kommt? Zusammen mit einem Mädchen? Sina vielleicht?"

Eine Stimme in meinem Kopf, die sehr wie mein Bruder Chris klingt, sagt mir, dass das eine sehr schlechte Idee war.

Jaques fährt herum und nährt sich mir angsteinflößend langsam. "Woher weißt du das?", fragt er.

"Holy shit", hauche ich. Ich hatte nicht ernsthaft erwartet, richtig zu liegen.

Meine Vernunft warnt mich vor Konsequenzen, aber ich bin jetzt zu nah dran, um aufzuhören.

"Hast du sie umgebracht?", stelle ich die letzte Frage.

Statt zu antworten packt er mich am Kragen und sagt mit eisiger Stimme: "Kein Wort zu irgendwem, nicht mal deinem kleinen, komischen Freund."

"Wie hast du dir das vorgestellt? Du erwürgst Sina und du erwartest, dass niemand das rausfindet? Träum weiter."

Jaques sagt nichts. Er hat seinen Kiefer fest zugepresst.

Ohne Vorwarnung schlägt er zu. Seine Faust trifft hart meine Schläfe. Ich taumele rückwärts und presse meine Hand gehen die Stirn. "Au, fuck."

Er holt zu einem weiteren Schlag aus, aber diesmal bin ich vorbereitet. Ich weiche seiner Faust aus und verwende seine Kraft, um ihn über meine Schulter zu werfen.

Jaques blinzelt noch benommen, als ich aushole und ihm direkt auf die Nase schlage. Er schreit auf und ich schlage erneut zu.

Ich habe noch nie zuvor jemandem mit voller Absicht ins Gesicht geschlagen. Ich weiß noch nicht genau, was ich von dem Gefühl halte.

Nach dem dritten Schlag klebt Blut an meiner Hand. Überrascht mustere ich sie. Diese kurze Pause nutzt Jaques um sich aufzurappeln und bevor ich weiß, wie mir geschieht, knallt er meinen Kopf gegen den Brunnen.

Erst kommt der Schock, dann der Schmerz. Ich schnappe nach Luft, ohne wirklich einatmen zu können. Es fühlt sich an, als sei mein Kopf unter Wasser.

Im nächsten Moment ist mein Kopf tatsächlich unter Wasser.

Jaques hat mich in den Brunnen geschubst.

Unter meinen Fingern spüre ich den rauen Boden des Brunnens. Mit all meiner Kraft stoße ich mich ab und mein Kopf durchbricht die Wasseroberfläche.

Frischer Sauerstoff flutet meine Lungen und neue Kraft schießt durch meinen Körper. Mit einem gezielten Schlag treffe ich eine ganz bestimmte Stelle an seinem Hals. Er krümmt sich vor Schmerz.

Ohne Zeit zu verlieren ramme ich meine Faust in seinen Bauch. Er stürzt sich auf mich und reißt mich zu Boden. Wir beide teilen einen Schlag nach dem anderen aus.

Ich beginne müde zu werden, aber Jaques zeigt noch lange keine Schwäche. Er schlägt immer weiter auf mich ein.

Mit der flachen Hand haue ich auf den Boden, als Zeichen dafür, dass ich aufgebe. Er ignoriert es.

Ich bekomme schon wieder keine Luft.

"Hey!"

Eine laute Stimme schallt über den Platz. Dann Hände, die Jaques von mir reißen. Irgendjemand, der Felix' Namen sagt, vielleicht bin ich das.

Ein Mädchen, an deren Namen ich mich gerade nicht erinnern kann, setzt mich auf und reinigt meine Wunden.

Und dann ist Felix da. "Oh mein Gott, Alex, was ist passiert?"

Er kniet sich neben mich und legt seinen Arm um meine Schulter. Tränen verschleiern meine Augen und laufen heiß meine Wangen hinab.

"Jaques-", keuche ich, noch immer außer Atem, "Jaques hat Sina getötet."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 22, 2020 ⏰

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