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Alexander

Ich starre auf meine Armbanduhr und zähle die Sekunden.

Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Drei Sekunden.

Es gibt nichts anderes, was ich tun kann. Nichts wirklich sinnvolles jedenfalls.

Sieben Sekunden.

Ich kann keine Kameras abdecken, weil wir nur eine Leiter haben.

Zehn Sekunden.

Ich kann keine Häuser nach dem passenden Schlüsselloch durchsuchen, weil ich nicht weiß, was passiert, wenn ich sie betrete.

Vierzehn.

Ich kann nicht versuchen, den Code zu knacken, weil ich nicht hacken kann.

Achtzehn.

Weil meine Computerkenntnisse hier total nutzlos sind.

Einundzwanzig.

Weil all mein Wissen theoretisch ist und nichts davon praktisch angewendet werden kann.

Fünfundzwanzig.

Ich kann nicht mal gute Laune verbreiten, so wie Felix es tut.

Lustlos hebe ich ein Steinchen vom Boden auf und werfe es an die Hauswand mir gegenüber. Es prallt ab und fällt zurück auf die Pflastersteine.

Verzweifelt fahre ich mit meinen Fingern durch meine Haare. Ich muss sie echt mal wieder waschen. Es gibt keine Dusche hier, aber der See hat jetzt noch eine annehmbare Temperatur. Es darf jetzt nur nicht frieren. Ich weiß nicht genau, wo wir sind, aber je nach Region und kann das Mitte November sehr gut passieren.

Noch etwas, um das wir uns sorgen müssen. Was, wenn es kälter wird?

Ich höre schnelle Schritte, die sich mir zu näheren scheinen. Schlitternd kommt Dominik vor mir zum Stehen.

Erleichtert atme ich auf. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich die Luft angehalten hatte.

"Alexander", keucht der andere Junge, "Hast du Han gesehen?"

"Küchenhütte", entgegne ich. "Was ist passiert?"

"Lena. Elektrozaun. Sie ist beim Tor."

Oh, verdammt. Ich hatte vorhin schon geahnt, dass sie irgendetwas vor hat. Ich springe auf und renne los.

Aus der Ferne sehe ich schon, dass sich eine kleine Menschenmenge am Tor gebildet hat. Lena steht vor ihnen und gestikuliert wild mit den Händen. Ich bahne mir einen Weg durch die Leute.

"...glaube nicht, dass wir hier gefangen sind. Das ist illegal", höre ich sie sagen.

"Lena!", rufe ich.

Sie sieht zu mir.

"Was tust du?" Ich gehe weiter auf sie zu.

"Bleib weg!", kreischt sie.

Ich bleibe abrupt stehen und hebe meine Hände.

"Ich werde hier raus kommen. Sie dürfen mich hier nicht festhalten. Das ist gegen meinen Willen."

"Lena, das ist genau der Grund, warum wir eingesperrt sind", versuche ich zu argumentieren. "Niemand würde bei so etwas freiwillig mitmachen."

Sie schüttelt den Knopf und geht zum Schaltpult. Ohne groß nachzudenken gibt sie Zahlen ein und drückt auf Bestätigen. Ein negativ klingendes Summen ertönt.

"Was zur Hölle?", rufe ich. "Hör auf!"

"Wenn wir es oft genug versuchen finden wir das Passwort raus", kontert sie.

"Man hat meistens nur drei oder vier Versuche", sage ich entgeistert.

Lena sieht mich herausfordernd an. "Ich wette, wir brauchen das Tor gar nicht zu öffnen. Wir bleiben einfach 14 Tage hier und dann werden wir raus gelassen."

"Es sind Menschen gestorben", erwidere ich mit nachdruck. "Alison und Sina. Sie waren unschuldig und jetzt sind sie tot. Wie siehst du nicht, dass das hier ernst ist?"

Langsam bin ich am Verzweifeln. Sie lässt einfach nicht mit sich reden.

Vorsichtig gehe ich einen Schritt auf Lena zu. Sie weicht ihren Kopf schüttelnd zurück.

"Das ist nur ein Zaun. Das ist nur ein Zaun!", meint sie zu den Leuten, die unsere Auseinandersetzung beobachten. Von Mirella und Annabell bekommt sie zustimmendes gemurmle.

"Und über Zäune kann man rüber klettern."

Ich raufe mir die Haare. "Lena. Dieser Zaun steht unter Strom."

"So ein kleiner Stromschlag macht doch nichts aus. Und außerdem, wer hat das je bewiesen?"

"Felix und ich."

Sie lacht auf. "Ja, sicher." Mit einem hinterhältigen Grinsen läuft sie auf den Zaun zu.

"Lena!", rufe ich, als sie die Gitterstäbe packt und sich nach oben zieht.

Für einen Moment wirkt es, als ob nichts passiert. Dann beginnt sie zu schreien.

Es ist sowohl ohrenbetäubend als auch herzzerreißend. Sie hängt am Tor, der Starkstrom macht es unmöglich für sie, loszulassen. Elektrische Stoße jagen durch ihren Körper.

Ich kann mich nicht bewegen, ich starre sie nur mit weit aufgerissenen Augen an.

Lenas Schreie werden immer leiser, bis sie schließlich ganz aufhören. Mit einem dumpfen Aufschlag landet sie auf dem Boden. Ihr Gesichtsausdruck ist im Schrecken erstarrt. Eine Träne läuft ihre Wange hinab.

Jemand löst sich aus der Gruppe und kniet sich neben Lena. Sie legt zwei Finger an ihren Hals. Nach einigen Sekunden schüttelt sie den Kopf.

Ein lautes Schluchzen ertönt von Annabell.

Ich deute auf das Schaltpult. "Niemand, und ich meine wirklich niemand", sage ich, "rührt dieses Ding, geschweige denn den Zaun an. Verstanden?"

Lenas Freundinnen nicken mit Tränen überströmten Gesichtern.

Ich gehe an ihnen vorbei, den Weg zum Dorf wieder hoch. Ich muss irgendwas tun. Sinas Mörder finden wäre ein guter Start.

Test 14Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt