Alexander
Ich sitze alleine auf dem Steg, der über den See ragt. Um mich herum ist es dunkel. Ich habe meine Beine an den Körper gezogen. Eine Decke, die ich mitgenommen habe, schützt mich notdürftig gegen die täglich zunehmende Kälte der Herbstnacht und den frischen Wind.
Felix ist oben, im gelben Licht des Dorfes, das von hier aus gut zu erkennen ist. Er war mit Mo, Betty, Oli und Elias zusammen, als ich mich raus geschlichen habe.
Ich weiß, dass ich ihn besonders jetzt nicht alleine lassen sollte. Ich habe keine wirkliche Ausrede, warum ich trotzdem hier bin.
Ein Windstoß fegt über die Oberfläche des Sees und lässt das Wasser leichte Wellen schlagen, die die Spiegelung des Mondes verziehen.
Ich sehe zum Himmel auf. Nur ein paar Wolken sind zu sehen. Vor allem sind hier Sterne. Mehr Sterne, als ich von zu Hause aus je gesehen habe. Vielleicht mehr, als ich je gesehen habe. Man kann die Milchstraße sehen!
Vorsichtig, damit mit mich niemand sieht, was ziemlich unsinnig ist, wenn man die Dunkelheit betrachtet, hole ich den Schlüsselbund aus meiner Jackentasche.
Langsam lasse ich meine Finger über die eingravierten Buchstaben auf der Metallscheibe gleiten. GG. Was bedeutet das? Sind es Initialen? Die des Besitzers der Schlüssel vielleicht.
Kenne ich jemanden mit diesen Initialen? Wie wahrscheinlich ist es, dass ich den Besitzer kenne? Sehr, sehr unwahrscheinlich. Obwohl... Sie haben mich doch auch irgendwie gekannt, oder?
***
"Hey!", sage ich grinsend und setze mich neben Betty an den Tisch.
"Alexander. Wo hast du dich gestern Abend hin geschlichen?", fragt sie.
Ich zucke mit den Schultern. "Einfach raus."
Felix wirft mir einen Blick zu, den ich nicht genau deuten kann.
"Sorry", sage ich zu ihm. Er nickt.
"Es gibt etwas, dass wir besprechen müssen", meine ich dann an alle. "Nach dem Frühstück am See, okay?"
"Warum nicht hier?", fragt Elias.
"Es ist wichtig. Ich erkläre es später, okay?"
Er hebt seine Augenbraue, bleibt aber stumm.
Sie nehmen ein Gespräch wieder auf, dessen Anfang ich verpasst habe. Ich höre gar nicht so genau zu.
Betty und Mo stehen zuerst auf und machen sich auf den Weg zum See, weil Betty meinte, es sei zu auffällig, wenn wir alle zusammen gehen. Oli folgt ihnen ein wenig später, Felix, Elias und ich gehen als letztes.
"Okay, was ist so wichtig, dass du es uns nicht beim Frühstück sagen kannst?", fragt Elias, leicht genervt klingend.
Ich verkneife mir einen Kommentar darüber, dass er nicht hier sein muss, wenn er nicht will.
"Sinas Tod... Das war Mord. Jemand hat sie mit einem Gegenstand bewusstlos geschlagen und den anschließend mitgenommen, vermute ich."
Ich strecke die Hand aus und Felix gibt mir seine Kamera. Ich suche die Bilder, die ich gestern gemacht habe, heraus und reiche sie an Mo.
"Diese Person hat Sina dann auf den Dachboden getragen und aufgehängt. Sie müssen deshalb also relativ groß und stark gewesen sein."
Ich sehe in die verängstigten und geschickten Gesichter der Leute, die meine Gruppe geworden waren.
"Ich denke nicht, dass es jemand von hier war", füge ich hinzu.
Das ist gelogen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es einer von hier war, ich weiß nur noch nicht, wer. Ich will nur nicht, dass Felix oder einer der anderen sich Sorgen macht.
"Warum hast du uns das nicht beim Frühstück sagen können?", fragt Elias bissig.
"Wegen der Kameras. Überall in diesem Dorf befinden sich Kameras. Wir sind unter vollständiger Beobachtung. Hier draußen sind keine und wenn sie da sind, sind sie so gut versteckt, dass ich sie nicht gefunden habe."
"Alexander Holmes, Meister im Kameras finden."
"Verdammt, Elias, es reicht jetzt", fährt Betty ihn an. "Er erzählt uns hier wichtige Sachen, und alles, was dir einfällt, sind dämliche Kommentare."
Elias antwortet nicht, sondern starrt nur auf den See hinaus.
"Du hast übrigens Recht, was die Kameras betrifft", sagt Betty, nun an mich gerichtet. "Ich fühle mich, als hätte ich keine Sekunde für mich, ganz alleine."
"Was wir tun könnten", schlägt Momo vor, "ist die Kameras abzudecken."
Oli beginnt zu grinsen. "Ja! Vielleicht finden wir hier irgendwo Farbe. Und wenn nicht, dann nehmen wir halt Schlamm und Blätter."
"Leute", unterbreche ich sie, "das sind ja gute Ideen, aber das ist nicht der eigentliche Grund, warum ihr hier seid."
Ich atme tief durch und ziehe den Schlüsselbund aus meiner Jackentasche.
"Den habe ich letztens in einer der Gassen auf dem Boden gefunden. Ich denke, er öffnet irgendwelche Türen hier im Dorf."
"Keine der Türen sind verschlossen", bemerkt Felix.
"Es muss welche geben, die es sind. Wir sollten danach suchen. Möglichst unauffällig, solange wir noch beobachtet werden."
Die anderen nicken.
"Vielleicht...", beginnt Betty, unterbricht sich aber.
"Was?", frage ich.
"Nein, nur so ne Idee. Egal."
"Du hast gegackert, jetzt musst du auch ein Ei legen", sagt Felix.
"Wenn ich einen Stromanschluss finde, um meinen Laptop zu laden, könnte ich mich vielleicht, vielleicht in die Datenbank des Turms einhacken. Es gibt bestimmt irgendeine Art Netzwerk, auf die ich zugreifen kann. Möglicherweise kann ich so die Kameras deaktivieren."

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Test 14
Horror14 Jungs, 14 Mädchen, ein verlassenes Dorf und ein Haufen tödliche Aufgaben, die erledigt werden müssen, bevor sie frei kommen. Falls sie frei kommen. Schließt an "Test 13" und "Werwolf" an, ist aber auch verständlich, ohne dass man sie gelesen hat ...