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Alexander

"Willkommen zu unserem Abendlichen Meating", sagt Han von ihrem Platz auf dem Brunnenrand aus.
"Es wird sie ab jetzt jeden Abend geben. Heute haben wir den Verlust von Alison und Bettys wundervollen Haaren zu betrauern. Eine Schweigesekunde dafür."
Sie macht eine kurze Pause.
"Außerdem haben wir eine weitere Person gefunden, Clary."
Sie deutet auf das Mädchen, das zwischen Felix und mir steht.
"Sie hat wahrscheinlich einfach nur eine zu große Portion Betäubungsmittel abbekommen. Hat noch jemand ein Anliegen?"

"Wir sollten eine Regierung wählen!", ruft jemand.

"Eine Regierung?", fragt Han nach.

"Ja, oder einen Anführer."

"Okay."

"Ich denke es ist am sinnvollsten, wenn wir eine Art Komitee bilden", werfe ich ein.

"Ein was?", fragt Felix.

"Ein Rat."

"Alles klar", sagt Han. "Gibt es Vorschläge für Ratsmitglieder?"

"Dominik", sagt ein Junge hinter mir, ich glaube, er heißt Lukas.

"Sarah", meint Betty. Han nickt.

"Alexander", schlägt Felix vor. Ich drehe mich ruckartig zu ihm.

"Nein."

"Warum nicht?", fragt er. "Du würdest einen tollen Anführer machen."

Ich schüttele den Kopf. Er zuckt etwas enttäuscht mit den Achseln. "Wen schlägst zu sonst vor?"

Ich sehe mich um, bis mein Blick an dem Mädchen auf dem Brunnen hängen bleibt. "Han", antwortete ich entschlossen.

Sie sieht mich an, als hätte sie das nicht kommen sehen. Dabei ist die wohl beste Wahl. Sie mag vielleicht nicht so schlau sein wie ihre Schwester, aber sie kann mit Menschen umgehen. Sie kommt mit so gut wie jedem klar.

Ermutigend nicke ich ihr zu.

Wir stimmen ab. Handzeichen. Niemand hat auf mich gehört, als ich eine anonyme Wahl vorgeschlagen habe. Han, Sarah und Dominik bilden einen Rat mit Han als Vorsitzende. Ich denke, wenn wir uns an ein System halten, funktioniert das hier für eine Weile.

***

Ich wache vor Felix auf. Wir haben an derselben Stelle übernachtet wie gestern. Es ist noch ziemlich früh, also dauert es vielleicht noch ein bisschen, bis er aufwacht.

Zögernd greife ich mir seine Kamera. Ich scrolle durch die möglichen Einstellungen. Schließlich finde ich eine, die mir gut gefällt, und schieße ein Foto von Felix. Es ist ein gelbgoldener Filter, der das Licht der aufgehenden Sonne wundervoll einfängt.

Die ganze Szene besteht aus solchen Farbtönen. Die orangene Sonne, das rote Herbstlaub, der goldene Schimmer in Felix' Haaren...

Was ist los mit mir? Noch nie zuvor habe ich so über einen anderen Jungen geschwärmt. Ich denke, Felix ist süß. Wieso? Ich kenne ihn seit zwei Tagen und die meiste Zeit geht er mir auf die Nerven. Allerdings will ich auch nicht, dass er aufhört so viel Zeit mit mir zu verbringen.

Eine Stimme ziemlich weit hinten in meinem Kopf sagt mir, dass es Zeit wird, meine Sexualität zu hinterfragen. Vielleicht hat sie Recht. Mein Blick fällt auf Felix, der leicht Lächelt. Ja, die Stimme hat definitiv Recht.

Bis jetzt habe ich mich nie zu Jungs hingezogen gefühlt, also habe ich nie genauer darüber nachgedacht. Ich hab einfach angenommen, ich mag Mädchen. Obwohl ich so spezifisch noch nie jemanden mochte.

Felix stöhnt leise und reibt sich über die Augen. "Fuck", flucht er. "Ich hab auf 'ner Wurzel geschlafen." Er setzt sich auf. "Hey, Alex...ander", murmelt er.

"Hey", erwiderte ich, lachend über sein schmerzverzerrtes Gesicht.

"Das is nicht witzig", grummelt Felix.

"Morgenmuffel, hm?"

"Nee, eigentlich nicht. Nur schief geschlafen."

Ich stehe auf und falte meine vom Morgentau feuchte Decke zusammen.

"Wie lange bist du schon wach?", fragt er.

"Stunde", antworte ich.

Felix macht seine Finger an der Wiese nass und reibt sie über sein Gesicht. Schon etwas wacher aussehend und mittlerweile auch grinsend springt er auf und klatscht in die Hände.
"Frühstück?"

Wir machen uns auf den Weg zum Springbrunnen-Platz, unterwegs hängen wir unsere Decken im Schlafhaus zum Trocknen auf.

Felix und ich holen uns unser Frühstück. Wir sitzen bei Elias, der Felix sofort in ein Gespräch verwickelt. Nach einigen Minuten gesellen sich auch Betty, Mo und Oli zu uns. Ich höre ihnen nicht wirklich zu.

Ich beobachte die Leute hier. Es haben sich bereits Gruppen gebildet. Ich befinde mich auch in einer Gruppe, bemerke ich. Ich wäre auch sehr gut alleine zurechtgekommen. Sie hätten mich wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, wenn Felix nicht bei mir gewesen wäre. Elias hat gefragt, ob wir bei ihnen sitzen wollen. Gestern. Das war gestern. Alles geht so schnell...

Plötzlich fühle ich mich, als würde ich keine Luft bekommen.

Als jemand meine Schulter berührt zucke ich heftig zusammen. Es ist Felix

"Alexander?", fragt er. "Ist alles okay bei dir?"

Ich springe auf. "Ich... brauch frische Luft", würge ich heraus.

Mit schnellen Schritten entferne ich mich von der Gruppe.

"Wir sind draußen!", ruft Felix mir hinterher.

Ich antworte nicht, sondern beginne zu rennen. Ich muss meinen Kopf frei bekommen und das funktioniert am Besten, wenn ich renne.

Ich laufe immer schneller, so schnell ich kann. Meine Fokus liegt auf dem Brennen meiner Beinmuskeln.

In der einigen Sekunde renne ich, in der nächsten liege ich auf den Pflastersteinen. Schmerz schießt durch meinen Körper. Ich habe eine Erhebung im Boden übersehen, die fast aussieht wie die Reste einer Mauer.

Mein linkes Knie ist aufgeschlagen und ich habe Schrammen an den Händen.

Schwer atmend setze ich mich auf und lehne mich an eine Hauswand. Das hier ist schnell. Heftig. Ich vermisse zu Hause, mehr als je zuvor.

Mit einer raschen Bewegung wische ich eine Träne aus meinem Augenwinkel und blinzele ein paar mal. Unter einer Pflanze auf der anderen Straßenseite glänzt etwas.

Ich gehe hinüber und hebe es auf. Es ist ein Schlüsselbund. Daran zähle ich neun Schlüssel von verschiedenen Formen, außerdem eine kleine Ente und und eine Metallscheibe mit dem Buchstaben GG eingraviert.

Ich lasse den Bund in meine Tasche gleiten, bevor ihn irgendwer sehen kann.

Test 14Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt