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Felix

Mit vollem Magen und ein wenig Motivation entferne ich mich von den Anderen und mache mich auf die Suche nach Alex. Elias war zwar der Meinung, Alex würde schon alleine klarkommen, aber Alex' panischer Gesichtsausdruck vom Frühstück lässt mir keine Ruhe.

Ich schaue zu erst beim See nach, aber dort ist nur Clarissa, welche auf dem Steg sitzt und ihre Beine übers Wasser schaukeln lässt.
War sie überhaupt beim Frühstück?

Vorsichtig nähere ich mich ihr und bleibe einige Schritte hinter ihr stehen.

"Hey", sage ich, doch ihr Blick ist weiterhin starr auf das Wasser gerichtet.

"Hast du Alex gesehen?"

Keine Reaktion.

"Das ist der Typ der dir geholfen hat. Weißt du? Der mit den grünen Augen und braunen Haaren. Er trägt so eine graue Jacke mit grünen Streifen. Und er ist ziemlich hübsch."

Clary regt sich immer noch nicht. Stattdessen fängt sie an ein Lied zu summen.
Irgendwie gruselig.

"Ich geh ihn mal weiter suchen...", sage ich und entferne mich von ihr.

Irgendetwas stimmt nicht mit ihr.
Sie war viel länger als alle anderen betäubt und verhält sich total ängstlich.
Vielleicht hat sie das Betäubungsmittel nicht vertragen?
Ich sollte Alex fragen, der kennt sich bestimmt damit aus.

Alex ist schlau. Er weiß ziemlich viele sinnlose Sachen, die man eigentlich nicht wissen muss, aber dennoch praktisch zu wissen sind.
Das ist gut, denn ich habe ziemlich viele sinnlose Fragen:

Kann ein Huhn ein Entenei brüten?
Wie viele Elemente hat das Periodensystem?
Wie viel wiegen alle Ameisen auf der Welt zusammen?
Kann man an Lachgas sterben?
Und ist menschliche Dummheit wirklich Unendlich?

Während ich versuche die Fragen selber zu beantworten, leiten mich meine Füße zurück in das Dorf. Ich bin irgendwo abseits in einer Gasse gelandet und habe keine Ahnung mehr wo ich bin.

"Hallo?"

Stille. Nur das Klappern einer Holztür im Wind schallt als leises Echo wieder.
Vorsichtig folge ich dem Geräusch und bleibe vor einer alten Hütte stehen.
Die Fenster sind eingebrochen und ein zerrissener Vorhang flattert im Wind.

"Alex?" Meine Stimme ist kaum mehr als ein leises Flüstern.
Mit der Hand drücke ich die Tür auf und das regelmäßige Klappern der Tür verstummt.

Unsicher betrete ich das Haus und zucke beim Knartzen des Holzbodens zusammen.

Kopfschüttelnd laufe ich etwas schneller weiter.
Was soll schon passieren?
Ich bin viel zu schreckhaft.

An der Decke der Hütte ist eine geöffnete Luke, an der eine Leiter befestigt ist, die gerade zu einlädt, hochzuklettern.

Ich denke nicht viel mehr darüber nach und klettere hinauf.

Der Dachboden ist warm und staubig und ein seltsamer Geruch erfüllt die Luft.
Hier und da sind ein paar Spinnenweben und aus den Ecken kann man das Quicken von Mäusen hören. Durch ein kleines Dachfenster fällt das Licht der Morgensonne auf etwas am Dach befestigtes.

Ich nähere mich diesem etwas, dass langsam hin und her baumelt. Nach wenigen Schritten erkenne ich durch die Staubwolke die Umrisse eines Körpers.

Nach einem weiteren Schritt springe ich komisch quickend zurück und falle nach hinten. Mit den Armen rappel ich mich wieder auf.

Mein Blick mustert das Geschehnis in wenigen Sekunden von unten nach oben:
Ein paar Schuhe auf dem Boden, darüber nackte Füße in der Luft baumelnd. Dünne, lange Beine mit einer zerrissenen, blutverschmierten Jeans und ein ein schwarzes Tshirt mit dem Aufdruck:
"Make YouTube great again", den man gerade so entziffern kann.

Lange, braune Haare fallen dem Mädchen von der Schulter, ihr Gesicht ist von Narben und Blut kaum erkennbar. Um ihren Hals ist ein dickes Seil gebunden, das am Balken vom Dach befestigt ist.

Hätte das Mädchen dieses Tshirt nicht an, würde ich sie wahrscheinlich gar nicht erkennen.

Mein Hals ist zugeschnürt, doch irgendwie entflieht mir dieses eine Wort:
"Sina?"

Ich kann mich nicht erinnern, die Hütte verlassen zu haben, aber aus irgendeinem Grund befinde ich mich plötzlich auf dem Springbrunnen-Platz.

Elias, Mo und Betty sitzen auf dem Rand von dem Brunnen, Han steht mit Alex vor einem Haus. Nachdem sie mich bemerken, kommen sie auf mich zu.

"Was ist los?", fragt Han.

Ich möchte etwas sagen, aber mir fehlt der Atem.

"Sina...", keuche ich.
"Es war ihr T-shirt."

Ich sehe ihr zerfetzte Gesicht erneut vor meinen Augen und für einen kurzen Moment verliere ich das Gleichgewicht.

"Hey" Vorsichtig legt Alex seine Hand auf meine Schulter und schaut mir tief in die Augen.

"Ganz ruhig. Alles ist gut. Also, was ist passiert?", fragt er mit ruhiger Stimme.

Ich höre mir selber nicht wirklich zu, als schließlich die ganze Geschichte aus mir herausplatzt.

Test 14Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt