Felix
Der Wind formt kleine Wellen, die gegen den Steg schwappen. Vorsichtig und unauffällig blicke ich über den Rand des Stegs hinüber.
Anfangs sehe ich nur mein verschwommenes Spiegelbild, kurz darauf sehe ich jedoch die Umrisse einer flinken Bewegung.
Ich atme tief ein und hätte vor lauter Konzentration fast vergessen, wieder auszuatmen. Mit einem Dolch in meiner rechten Hand hole ich aus und durchbreche die Wasseroberfläche, wobei mir Wasser ins Gesicht spritzt.
Bevor ich mich mit meiner linken Hand festhalten kann, verliere ich das Gleichgewicht.Ich sehe wie ich meinem Spiegelbild im Wasser immer näher komme, bis eine Hand meinen Arm greift und mich hochzieht.
"Was machst du hier?", fragt Alex und lässt meinen Arm wieder los, nachdem ich wieder sicher auf zwei Beinen stehe.
"Angeln!", antworte ich und halte stolz meinen selbst geschnitzten Dolch hoch. Anstelle von einem Fisch ist auf dem Stock ein Blatt aufgespießt.Ich erwarte eine ironische Bemerkung zu meinem etwas peinlichem Fang, stattdessen steht Alex jedoch einfach nur da, seinen Blick nachdenklich auf den See gerichtet.
"Ist alles okay?", frage ich.
Alex zuckt mit der Schulter und setzt sich an den Rand des Stegs.
Ich setze mich neben ihn, die Beine über das Wasser baumelnd."Weißt du...", ich mache eine kurze Pause und schaue ihn an, "Du kannst mir alles sagen, selbst wenn es etwas doofes ist. Außer du hast meine Kamera durchsucht, dann solltest du mir das lieber nicht sagen. Oder wenn du den letzten Keks gegessen hast. Ich hab mal eine Woche nicht mit Sina geredet, weil sie den letzten Keks gegessen hat. Ich weiß, wir haben hier keine Kekse, aber ich denke du weißt, worauf ich hinaus will. Naja, egal, was ist los?"
Alex wendet seinen Blick vom See ab und schaut mich an.
"Lena ist tot."Für eine etwas längere Zeit ist es ruhig. Niemand sagt etwas. Ich seufzte.
"Hm. Das ist doof. Nicht, dass ich sie besonders mochte, aber dass sie tot ist ist natürlich trotzdem doof."
Alex nickt als Antwort. Ich möchte keine weitere Stille, also rede ich einfach weiter.
"Es gibt immer Leute, die einen nicht mögen, aber wenn jemand stirbt ist das trotzdem doof, weil es auch immer Leute gibt, die einen mögen. Ich mag viele Menschen. Meine Eltern. Meine Tante - wobei die manchmal komisch ist. Aber ich mag sie trotzdem. Dich mag ich auch. Wirklich."
Alex lächelt, worauf ich zufrieden die Arme verschränke.
"Danke, ich mag dich auch", antwortet er.
Ich frage mich kurz, ob er Lena hat sterben sehen. Und wie sie wohl gestorben ist.
Aber ich will ihn nicht fragen. Ich mag es nicht, ihn traurig zu sehen."Wenn wir das hier überleben", frage ich und wackel nervös mit den Beinen über dem Wasser, "Wollen wir dann mal zusammen einen Kaffee trinken gehen? Wenn man mich erst mal richtig kennen lernt bin ich voll cool, glaub mir. Ich kenne mich schon seit Jahren und ich finde mich super!"
"Wenn du das sagst", antwortet Alex und lächelt mir zu, "Klar, warum nicht?"
"Cool!", rufe ich und umarme ihn kurz, womit er anscheinend nicht gerechnet hat, "An der Elbe gibt es ein schönes Café. Die haben Donuts! Und Eis. Kaffee natürlich auch. Die Kellnerin kennt mich mittlerweile und macht mir immer einen Cappuccino mit Milch und Zucher und Sahne und Streuseln. Den musst du unbedingt probieren! Du kannst natürlich auch Tee trinken. Oder Saft. Oder Wasser."
"Kaffee ist schon okay", antwortet Alex, "Aber ich trinke meinen gerne ohne Milch."
Erschrocken reiße ich die Augen auf. "Echt? Ist das nicht viel zu bitter? Und so viel Koffein, da wird man doch total aufgedreht!"
"Nein, man wird wach. Das ist der Sinn von Kaffee", erwidert Alex.
Ich denke kurz darüber nach und nicke als Antwort. "Stimmt."
Wir sind beide still und blicken auf den See. Die Sonne verschwindet bereits langsam hinter den Bäumen, sodass diese Schatten auf den See werfen. Es ist ein schönes Bild, fast wie eine Zeichnung. Alles wirkt friedlich und zeitlos.
Ich drehe mich nach hinten und greife nach meiner Kamera, um ein Foto zu schießen. Anschließend drehe ich mich zu Alex, schieße letztendlich jedoch nur ein Foto von seinem Hinterkopf, weil er sich von der Kamera wegdreht.
Es ist trotzdem ein schönes Foto geworden. Natürlich ist es das, es ist schließlich ein Foto von Alex."Willst du später Fotograf werden?", fragt Alex und dreht sich wieder zu mir.
Ich nicke. "Ja, das wird es wahrscheinlich werden. Ich bezweifle, dass ich mal von Youtube leben kann. Wobei es echt cool wäre so einen Kanal zu haben, auf dem man sein Hobby ausleben kann. So wie Jordan Matter oder so. Ich hab mal für die Cousine der Schwester meines Opas die Hochzeitsbilder gemacht. Das war cool. Die haben mich sogar bezahlt!"
"Cool", antwortet Alex und lehnt sich ein wenig nach hinten. Mit den Armen stützt er sich ab. Es wäre wieder so ein wunderbarer Moment für ein Foto, aber ich will Alex nicht verärgern.
"Ich mein, sie haben mich mit Kuchen bezahlt, aber mal ehrlich: Wer kann bei Kuchen schon nein sagen?"
"Kuchen?", fragt Alex und schmunzelt, "Deine Fotos sind doch ziemlich gut, warum lässt du dich nicht mit Geld bezahlen?"
"Ich weiß nicht. Ich mag es nicht, Fotos zu verkaufen. Ich bin nur die Person, die die Momente der Realität festhält. Ich habe kein Recht darauf, damit Geld zu verdienen."
"Wie willst du dann später Geld verdienen?", fragt Alex und setzt sich in den Schneidersitz.
"Ich nehme das, was man mir gibt. Und wenn das Kuchen ist, dann ist es halt Kuchen. Notfalls habe ich noch YouTube. Und ich könnte in der Bäckerei nebenan aushelfen. Solange ich Spaß an dem habe, was ich mache, ist mir das Geld eigentlich nicht wichtig. Art don't sell, und so."
"Okay", antwortet Alex und blickt wieder auf den See.
"Cool", sage ich ich und lächel der untergehenden Sonne entgegen.
"Was?"
"Jeder andere, dem ich davon bis jetzt erzählt habe, hat mich für verrückt gehalten."
Alex schmunzelt. "Es macht Sinn was du sagst. Aber verrückt bist du trotzdem, das hat aber nichts damit zu tun."
"Ich weiß", antworte ich und lache.
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Test 14
Horror14 Jungs, 14 Mädchen, ein verlassenes Dorf und ein Haufen tödliche Aufgaben, die erledigt werden müssen, bevor sie frei kommen. Falls sie frei kommen. Schließt an "Test 13" und "Werwolf" an, ist aber auch verständlich, ohne dass man sie gelesen hat ...