Hinterherziehen, mitziehen.

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Auch Kurts Blick wanderte nun zum Boden.
Plötzlich sah er wütend aus:
"Tu doch nicht so neun mal klug! Du bist sicherlich nicht viel älter als ich, wenn du es überhaupt bist! Du bist nur so ein-...", Kurt unterbrach sich.
Er kratzte sich unruhig am Kopf.
Ich sah es in seinem Schädel rattern, und plötzlich weiteten sich seine Augen:
"Syn, wir MÜSSEN Frances her holen! Ich verspreche dir vollstes Vertrauen, vorausgesetzt, wir holen Frances hier her!"
Ich setzte mich in einen Schneidersitz, und wir tauschten Blicke.
"Denkst du nicht deine Frau wird sich gut um sie kümmern?", fragte ich ihn.
Es war ihm deutlich unwohl bei der Sache und langsam schien er aggressiv vor Sorge zu werden.
"Klar würde sie das, aber sie ist nun mal gerade nicht zu Hause, du Idiot! Warum hast du sie nicht vorher schon eingesammelt!? Die einzige Erklärung ist, dass du mich killen oder erpressen willst!", fauchte er.
" Habt ihr kein Kindermä-", doch Kurt unterbrach mich.
"Sie hat uns verlassen!!! Gekündigt!!! Sie is net mehr da! "
Kurt sprang auf, wühlte plötzlich in seinen Haaren herum.
Ich kombinierte in meinem Kopf.
"Fuck, fuck, fuck!!!", schrie Kurt.
" Syn!!!"
Würden sich nicht sicherlich Menschen noch bei seinem Haus aufhalten, die ihm etwas anhaben wollen?
Wie könnten wir sie umgehen, geschweige denn, war Frances überhaupt noch im Haus?!
" Mein Kind ist da! Wir müssen SOFORT los!"
Kurzer Hand verschob ich das nachdenken auf die Tour zu seinem Haus.
"Kurt,...is gut! Ja, okay, ich machs! Aber wir können es nur in der Nacht machen. Bitte vertrau mir."

In der Zeit, in der Kurt zeichnete, telefonierte ich mit der Bruderschaft, versicherte mich, dass jemand in der Nähe war, wenn ich mit Kurt seine hoffentlich noch im Haus verbliebene Tochter finden würde.
Ich packte meine Waffe und den kleinen Stift, den ich Kurt vorhin abgezogen hatte, versteckte ihn in meiner Lederjacke. Außerdem überprüfte ich, ob alle in der Jacke versteckten Utensilien an ihrem Platz waren und klebte zudem zur Sicherheit noch die Klinge eines Rasierers an mein rechtes Bein und einen Schlüssel für Handschellen mit Ducktape unter mein Outdoorarmband und die zahlreichen Festivalbändchen, die ich eine Zeit lang immer gesammelt hatte. All das im Falle, dass ich geknebelt wurde.
"Kurt?", rief ich.
" Ja?"
Unter seinem misstrauisch-mürrischen Blick, befestigte ich auch an seinem Bein eine Rasierklinge.
"Damit kannst du Ducktape und Band zerschneiden,...nur im Falle des Falles. Oder wie auch immer ihr das sagt.", meinte ich zu ihm, und zweifelte etwas an meinem Englisch. Meine Muttersprache war immer noch deutsch.
"Ich vertraue dir."

Kurt war hinten auf mein Mopet gestiegen, und ich gab Gas.
Es dauerte einige Zeit bis endlich Seattle in Sicht kam und das Navi, welches gesondert für diesen Einsatz auf die Straßen dieser Zeit programmiert war, mir nurnoch 10 Minuten Fahrzeit einblendete. Es hatte automatische Updates, um sich dem neusten ( und dem 2018 in Dokumenten verzeichneten jeweiligen) Straßennetz anzupassen. Das Ding war der Wahnsinn und dass so etwas cooles Gebrauch finden konnte, war meiner Meinung nach phänomenal.

Kurt und ich leuchteten die Gegend kurz ab, bevor wir zum Gartentor liefen.
Bevor er seinen eigenen Code in die kleine Wähltafel eintippen konnte, schob ich einen Arm vor ihn und  hielt Cobain zurück.
Ich leuchtete es einmal zur Sicherheit ab, und gab wieder den Code des Kindermädchens ein.
Die Tore schwangen gespenstisch auf.
"War echt teuer, dieses Ding.", murmelt Blondie hinter mir.
Ich drehte mich kurz über die Schulter um und sah in sein schummrig beleuchtetes Gesicht.
"Hightech, oder?", schmunzelte ich amüsiert.
" Ja,...schon, aber es war ein Geschenk Courtneys."
"Aha.", kommentierte ich das nur. Welche Freundin schenkte ihrem Liebsten eine Sicherheits-Gartentür? Ich kannte niemanden, ausser Kurt, der schob mich darauf auch schon ungeduldig voran.
" Frances braucht mich."
"Ich weiß."
Stillschweigend schlichen wir zur Haustür.
Ich drehte mich zu Kurt.
Er jedoch wisperte, er habe keinen Schlüssel bei sich, und führte mich zu einem nahegelegenen Fenster.
Fragend sah ich ihn an.
Wollte er ernsthaft das Fenster einschlagen? Er würde eine Verletzung haben, die ICH dann behandeln müssen würde. 2 Jahre Medizin hatte ich zwar auf meinem Ausbildungsweg hinter mich gelegt, aber ich wollte wirklich keinen schreienden Kurt mit offenem Bruch, oder ähnlichem vor mir haben. Das Fenster schien sehr massiv. Das Fenster eines Rockstars.
"Kurt,...", wollte ich ihm gerade meine Bedenken schildern, da zückte er eine kleine Karte, die er über den Fenstergriff gleiten lies.
Mir stand der Mund weit offen. Was ging denn hier ab? 1994 und dann sowas?
" Frances? ", sprach Kurt in die Nacht. Er lauschte in die Dunkelheit.
" Sie wird mich nur nicht gehört haben!", meinte Kurt angespannt, und machte Anstalten durch das Fenster zu steigen.
"Ich geh vor.", navigierte ich ihn wieder hinter meinen Rücken.
Und schlüpfte ohne viel Kraft aufzuwenden durch das Fenster. Der Raum war still, Menschen leer und roch nach abgestandener Luft.
Ich zerrte ein kleines Display aus meiner Jacke. Niemand hatte den Raum in den letzten zwei Stunden betreten.
Das sagte jedenfalls die Berechnung der Luftfeuchtigkeit, im Abgleich mit einem Sensor, der in Kurts Haus von der Bruderschaft angebracht worden war.
Bevor Kurt etwas von dem Gerät merken konnte, scheiterte er schon fast am Durchstieg des Fensters. Mit einem leichten Zug an seinem Shirt meinerseits viel er vorne über, und ich fing ihn lautlos auf.
Kurt navigierte, nun wieder von hinter meiner Schulter, wo wir lang gehen mussten. Ich hatte meine Waffe schussbereit in meinen Händen.
" Vielleicht schläft sie schon...", vermutete Kurt, als alle Räume durchquert waren.
Und tatsächlich. Im letzten schummrig beleuchteten Raum schlief ein kleiner Mensch in einem Laufstall.
"Frances!", Kurt lief zu ihr und hob die Kleine in seine Arme.
" Ich hab dich so vermisst!"
Plötzlich hörte ich ihn schniefen. Es hatte ihn wohl wirklich sehr mitgenommen.
Das kleine Mädchen fing an zu schreien. Und Kurt fing an es zu beruhigen.
"Sie braucht Wasser!"
"Aber nur noch das! Dann fahren wir!"
Ich taxierte ihn mit einem strengen Blick, er drehte sich um und sah, dass seine Augen feucht waren.
Dann lief Kurt los, und gab Frances Wasser.
Die Uhr nicht aus den Augen lassend, stand ich neben der Spüle in seiner Küche.
"Kann ich noch ein paar privat Gegenstände einpacken?", fragte Kurt nun voller Hoffnung.
" Privat Gegenstände,...", ich verdrehte die Augen. Aber Kurt hatte ja auch ein Leben. Er war ja nicht aus seiner Zeit gewandert. Ohne jegliches persönliches im Gepäck.
"Drei Sachen, die du in einen Rucksack bekommst! Nicht mehr! Und für deine Tochter brauchst du eine Babytrage!"
Er nickte, lächelte dankend, und gab mir Frances ("Halt sie mal. Ich hol nur schnell meine Personalien und Songwriting Zeug."), dann hechtete er die Treppen hoch.

Me Illamo | #Wattys2019 | abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt