Ich wartete am Eingang des Clubs. Anscheinend musste Ben sich von jedem persönlich verabschieden und auch noch einige Worte wechseln. Nach fünf Minuten war es mir zu dumm und ich lief los. Ich bin schon oft allein nach Hause gelaufen. Das macht mir nichts aus. Als ich noch gejobbt habe, arbeitete ich einmal in einer Discothek und musste manchmal morgens um fünf heim laufen. Ich war es gewöhnt.
Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir und schon hatte Ben mich an der Straße eingeholt. Vor dem Eingang des Clubs lag ein kleines Parkgrundstück und es dauerte einen kleinen Moment, bis man die Straße erreicht hatte. Wir hielten an der Straße an und er schaute mir direkt in die Augen, dieses blau, unglaublich. Ich wette ich habe ihn angestarrt, als käm er von einem anderen Planeten. Nach einem kurzen Moment der Stille fragte er: „Wo lang musst du?".
„Ich muss über die Promenade Richtung Stadtmitte.".
„Mein Weg.", sagte er nur und lief los.
Die Promenade von Jackson war eine begrünte Fußgängerzone. Auf der einen Seite waren Cafe's und kleine, süße Geschäfte. Auf der anderen Seite war ein dicht bewachsener Grünstreifen angelegt, um die Gäste vor der Geräuschkulisse der dahinter liegenden Schnellstraße zu schützen. In der Mitte standen große Blumenkübel, Bänke und tagsüber sogar Tische und Stühle, die von den Café-Besitzern rausgestellt wurden. Vereinzelt gab es große Bäume, die im Sommer viel Schatten spendeten. Ich mag diesen Weg nach Hause, auch weil dort Kameras installiert sind und man sich damit als Frau doch etwas sicherer fühlt.
Bis ich zu mir kam und meine Beine in Bewegung setzen konnte, war Ben schon einige Schritte voraus gelaufen. Er blieb stehen.
„Nun bummel nicht so.", rief er mir entgegen und ich konnte sein Grinsen in diesem Satz direkt hören.
Als ich auf seiner Höhe war, griff er plötzlich meine Hand und ging mit mir im Schlepptau einfach weiter. Als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Seine Hand war warm und überraschend weich. Wir verschränkten nicht die Finger, sondern er hielt mich einfach nur fest. Warum zog ich meine Hand nicht zurück?
Eine Weile liefen wir langsam und ruhig nebeneinander. Ab und zu spürte ich seinen Blick von der Seite. Auch ich schaute hin und wieder rüber. Er hatte eine spitze Nase und einen schmalen Mund. Sein Haar war gelockt, sehr sogar. Das es so lockig ist, war mir in der Bar gar nicht aufgefallen.
Es wurde kühler, der Frühling hatte eben erst begonnen. Da konnte es zu nächtlichen Spaziergängen schon mal frisch werden.
„Ist dir kalt?", fragte Ben.
„Es geht schon.", antwortete ich. Wenn er mir jetzt auch noch seine Jacke gibt.
„Dann müssen wir uns bewegen.", rief er mir zu, ließ meine Hand los und sprang auf die nächste Bank.
„Hörst du nicht die Musik?"
Was macht er da?
„Ähm, nein."
Anscheinend fing jetzt doch langsam der Alkohol an zu wirken. Bisher kam es mir vor, als wäre er gar nicht so angeheitert, wie es mir vorhin an der Theke vorkam. Wahrscheinlich weil ich auch mehr mit mir zutun hatte. Meine Weinschörlchen und Bloody Marys stecken mir definitiv auch im Blut. Warum also das Spiel nicht mitspielen?
„Ach du hast recht. Jetzt wo du es sagst. Hast du die auch engagiert?", antwortete ich so ernst es ging, obwohl ich innerlich schmunzeln musste.
„Nein, die waren zu teuer.", gab Ben mit einer abwinkenden Handbewegung zurück.
„Komm hier rauf, hier hört man es besser.". Er hielt mir seine Hand hin. Ich zögerte und sah ihm in die Augen. Er hatte einen vordernden Blick. Dann griff er einfach zu und zog mich auf die Bank. Und tatsächlich, man konnte ganz leise Musik hören. Wahrscheinlich war in einem Gebäude hinter den Cafés ein Konzert bei offenem Fenster. Es war ruhige, besänftigende, klassische Musik. Ben zog mich an sich und ich spürte zum ersten Mal seine wirklich starken Arme. Er konnte anpacken, das habe ich mir schon fast gedacht als Veranstalter. Eine Hand legte er auf meinen Rücken, die andere in meiner Hand, auf einer Parkbank stehend. Er fing an leicht zu tanzen, ganz vorsichtig hin und her und sah mir direkt in die Augen. Ich konnte nirgendwo anders hin sehen, als in seine. Bin ich verrückt geworden? Was ist hier los? Hat Nathan das schon mal mit mir gemacht? Ich kann mich leider nicht erinnern.
Jetzt legte er meine Hand auf seine Brust und drückte seine Stirn gegen meine.
Ich flüsterte: „Was machen wir hier?".
„Clara, wir tanzen.", sagte er mit leiser, zitternder Stimme.
„Das weiß ich."
„Warum fragst du dann?"
„Das meine ich nicht. So schön das Tanzen mit dir ist, lass uns aufhören und weiter gehen.", bestimmte ich und Ben löste sich von mir.
„Du hast recht. Es ist schon spät."
Ich stieg als erste von der Bank. Ben tat es mir nach.
„Du Musik war aber sehr schön, oder?", Ben sah mich grinsend an, nahm wieder meine Hand und ging weiter.
„Clara, wo ist eigentlich dein Freund?", hörte ich ihn nach einem Moment der Stille sagen.
„Nathan war müde und ist nach Hause gegangen, aber das ist sicher schon vier Stunden her."
Am Ende der Promenade befindet sich eine Brücke, die über die Schnellstraße führt. Biegt man in die andere Richtung, komme ich nach Hause. An dem Punkt angekommen, ziehe ich meine Hand aus seiner und sage: „Hier muss ich links."
„Und ich muss in die andere Richtung."
Ich stand wie angewurzelt da und wir schauten uns an. Er kam ein Stück näher, legte einen Arm um meine Taile, die andere an mein Kinn und küsste mich. Ich ließ es zu. Er war ganz vorsichtig und behutsam, bedeckte meine Lippen mit vielen kleinen warmen Küssen. Er roch himmlisch. Vielleicht zu himmlisch? Und er schmeckte. Vielleicht zu gut? Es blitze vor meinen Augen. Alles drehte sich. Stop.
Ich ging einen Schritt zurück. In seinen Augen konnte ich Erschrockenheit und Uneinigsein zu dem was jetzt kommt, erkennen.
„Ich muss jetzt gehen.", flüsterte ich.
„Ich auch. Bis bald."
Ben gab mir einen flüchtigen Kuss und umarmte mich sehr fest. Er strich mir über die Wange und lief los.
Einen kleinen Moment schaute ich ihm nach und ging dann selber los. Ich fühlte mich auf der einen Seite wie verzaubert, auf der anderen als Betrügerin. Ich habe Nathan so eben betrogen.
Den Rest des Weges ratterte es in meinem Kopf. Es musste eine einmalige Sache gewesen sein. Schlimm genug, dass es überhapt passiert ist. Schließlich bin ich in einer Beziehung, auch wenn da gerade ein bisschen der Wurm drin ist. Kann das meine Schuld sein? Ich helfe Nathan sicher mehr, wenn ich geduldiger und nachgiebiger mit ihm bin. Ben war sicher nur ein Denkanstoß. Ein Zeichen in die richtige Richtung. Aber woher weiß ich, welche die richtige Richtung ist?
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Auf der anderen Seite des Glücks
RomanceEs gibt Situationen im Leben, die erwartet man nie und überraschen einen so sehr, dass man wie gelähmt mit dem Strom mitschwimmt. Clara erlebt an einem Abend im Frühling ein sinnliches Abenteuer, und was sich daraus entwickelt, hätte sie im Traum ni...